Mittwoch, 18. März 2015

Die Azhar-Universität in der Begegnung mit dem Christentum



Hussein Hamdan: Der christlich-islamische Dialog
der Azhar-Universität.
Schriftenreihe der Georges Anawati-Stiftung, Nr. 13.
Freiburg u.a.: Herder 2014, 345 S.
Leicht überarbeitete Dissertation, Universität Tübingen 2013/14
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ISBN 978-3-451-33564-8 ---

Kurzbeschreibung: hier
 
Ausführliche Besprechung 
In den aktuellen Debatten um die Dialogfähigkeit und die sachgemäße Auseinandersetzung mit islamisch begründeter Gewalt kommt auch immer wieder die berühmte Al-Azhar-Universität Kairo in den Blick. Auch wenn es im Islam keine übergeordnete Lehrautorität gibt, so findet diese sunnitischen Einrichtung doch weltweit große Beachtung. Die vorliegende Arbeit macht nun deshalb besonders neugierig, weil die Haltung der Al-Azhar nicht nur auf andere Religionen, sondern auch im Zusammenhang des christlich-islamischen Dialogs Wertmaßstäbe setzt. Noch konkreter wird die Frage, welche Haltung die Al-Azhar selbst im christlich-islamischen Dialog eingenommen hat und noch einnimmt.


Hussein Hamdan (geb. 1979), Tübinger Islam- und Religionswissenschaftler und im interreligiösen Dialog engagiert, geht in seiner Dissertation den Dialogbemühungen der Azhar seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts nach und verfolgt die Debatten noch bis ins Jahr 2011. Nun scheint sich seine Bilanz weiterhin zu bestätigen, die er nach seiner Beschreibung von 80 Jahren Dialog-Geschichte der Azhar in vorsichtiger Hoffnung formuliert: „In den kommenden Jahren wird, was das internationale Ansehen der Azhar betrifft, viel davon abhängen, welche Rolle die Azhar im innerägyptischen Diskurs einnimmt … Die momentan zu beobachtenden Ansätze einer stärkeren Selbstreflexion geben Anlass zur Hoffnung, dass Al-Azhar auch künftig ein wichtiger islamischer Dialogpartner für die anderen monotheistischen Religionen bleibt“ (S. 329). 

Diesem Votum geht eine sorgsame Untersuchung voraus. Sie beginnt mit historischen und grundsätzlichen Erwägungen zur Beziehungsgeschichte von Christentum und Islam. Dann nimmt der Autor das islamische Verständnis des Christentums aus Koran und Sunna auf. So lässt sich die Haltung des Propheten Mohammed gegenüber Juden und Christen genauer ableiten. Der Schwerpunkt liegt auf der Person Jesu. Auf dieser Basis stellt Hamdan die Universitätszeitschrift der Azhar, die Magalla, dar – mit ihren Beiträgen hinsichtlich des Christentums. Sie ist seine wesentliche Quelle, ergänzt durch weitere Verlautbarungen der Azhar. Er sieht in der Typik der Texte folgende Kategorien: Jesusbild, Religionsvergleiche, Toleranz im Islam, Kommentierung historischer Ereignisse aus der Frühgeschichte des Islam, Verhalten gegenüber Nichtmuslimen aufgrund der islamischen (Pflicht-)vorgaben und schließlich Fatwas.

Im nächsten Abschnitt kommen die Gründung des World Congress of Faiths (WCF) in London 1936 und eine Folgekonferenz in Paris 1939 zur Sprache. Die Analyse der herangezogenen Reden ergibt auf der einen Seite eine gewisse Zurückhaltung der Azhar-Gelehrten. Sie hängt vermutlich auch damit zusammen, dass die Universität immer wieder versuchte, die (vermeintlichen) Fehleinschätzungen des Islam durch westliche Orientalisten zu korrigieren. Auf der andern Seite, aber wird die Toleranz gegenüber anderen Glaubensweisen betont. Der Autor hebt besonders die Debatte um die UNO-Menschenrechtserklärung von 1948 hervor. Der 1960 erschienene Azhar-„Appell an die Menschheit“ zeigt sich als eindeutige Würdigung dieser Erklärung, deren Tendenz sich schon im Islam des 14. Jahrhunderts nachweisen lässt (S. 138f).

Ein Herausforderungs- und Belastungsthema ist natürlich durchgehend das Verhältnis zu den Kopten. Hier spielen Äußerungen im Blick auf die Konfliktherde der Welt, aber auch die gemeinsame Bekämpfung von Atheismus und Kommunismus eine Rolle. Das betrifft Ägypten innenpolitisch, aber natürlich auch internationale Zusammenhänge angesichts der Fronten von Ost und West im Kalten Krieg. Hier kommt besonders der Vatikan ins Spiel, der ja durch das 2. Vatikanische Konzil und besonders durch die Erklärung „Nostra Aetate“ bisher ungeahnte Möglichkeiten eröffnete. 
Dennoch: Obwohl die Azhar in den 70er Jahren Beziehungen zum Vatikan geknüpft hatte und sich an Konferenzen zum interreligiösen Dialog beteiligte, war sie aber „nicht immer einverstanden mit dem Ablauf und der Art und Weise, wie sich christliche Vertreter über den Propheten Muhammad oder zum Islam im allgemeinen äußerten“ (S. 151). In diesem Zusammenhang bedeutet das Dialogabkommens mit dem Vatikan und der Besuch von Johannes Paul II. in Kairo einen beachtlichen Fortschritt. Die verhängnisvolle Regensburger Vorlesung seines Nachfolgers, Papst Benedikt XVI. im September 2006 war darum ein herber Rückschlag, von dem sich das katholisch-islamische Gespräch mit Al-Azhar bis heute nicht erholt hat. Als eine Einladung von 38 Islamgelehrten vom Oktober 2006 an die christlichen „Oberhäupter“ herausging und ein Jahr später „A Common Word“ von 138 islamischen Persönlichkeiten, auch vom Großmufti von Ägypten, unterzeichnet wurde, war die Al-Azhar nicht dabei. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass die Universität sich als Wortführerin der islamischen Welt versteht und hier diese Rolle nicht spielen (konnte). Im Jahr 2011 kam es schließlich zur Aussetzung der Dialogbeziehungen mit dem Vatikan. Hintergrund war das Engagement des Papstes für die verfolgten Christen im Irak, während nach Meinung der Azhar die vergleichbare Bedrohung von Christen in Palästina vom Vatikan wegen Israel tabuisiert wurde. Sicher spielte zusätzlich auch die Benennung von bestimmten Persönlichkeiten für die gemeinsame Dialogkommission in diese Abkühlung der Beziehungen hinein.

Durch die thematische und quellenmäßige Begrenzung der vorliegenden Arbeit konnten natürlich nicht weitere Dialog-Aspekte berücksichtigt werden. Diese würden vermutlich eine eigene Untersuchung erfordern. Es sei darum auf eine Besonderheit in der Struktur des (leitenden) Großen Rats der Al-Azhar Universität hingewiesen, der vermutlich, ihren universal-islamischen Anspruch verstärkte: Der deutsch-iranische Islamwissenschaftler Abdoldjavad Falaturi war bewusst als Schiit in dieses Gremium berufen worden. Falaturi bemühte sich intensiv, im Rahmen der von ihm gegründeten Islamisch-Wissenschaftlichen Akademie Köln und als Leiter des Orientalischen Instituts der Universität zu Köln, den christlich-islamischen Dialog mit Al-Azhar auch in Deutschland voranzubringen. Es wäre spannend, Einblicke in die Religionspolitik der Azhar zu erhalten. Das konnte Hussein Hamdan nicht leisten, aber er hat dank der Quellenforschung und -bearbeitung vor Ort wichtige und zugleich schwierige Gesichtspunkte des christlich-islamischen Dialogs im Horizont der Al-Azhar verdienstvoll zur Sprache gebracht.

Reinhard Kirste

Rz-Hamdan-Azhar, 14.03.15