Friedhelm Hartenstein /
Michael Moxter:
Hermeneutik des Bilderverbots.
Exegetische und systematisch-theologische Annäherungen.Michael Moxter:
Hermeneutik des Bilderverbots.
Forum Theologische Literaturzeitung,
(ThLZ) 26
Leipzig: EVA 2016, 357 S., Abb.
-- ISBN 978-3-374-03060-6 --
Angesichts
strikter Bilderverbote im Judentum und Im Islam sind die christlichen Zugänge
zum Bild von Anfang an vielfältiger. Besonders spannend wird es jedoch, wenn
sich die Frage nach dem Bild angesichts des Heiligen und Göttlichen stellt. Der
vorliegende Band ist aus der Zusammenarbeit eines Alttestamentlers und eines
Systematikers an der Universität Hamburg entstanden. Der Exeget und
Religionsgeschichtler Friedhelm Hartenstein (seit 2010 an der Universität
München) und der Dogmatiker Michael Moxter „dialogisieren“ gewissermaßen die
vielfältigen Facetten der Bildthematik im Kontext von Judentum und Christentum.
Vergegenwärtigung Gottes und des Göttlichen im Bild und in der Kult-Symbolik sind schwierige Annäherungsversuche
an das Transzendente.
Die grundlegende
Spannung zwischen Bilderverehrung und Bilderverbot muss die Variationsbreite
der Thematik im Alten Orient
berücksichtigen. So beginnt das Buch auch mit den Fragen zum Kult um (anthropomorphe)
Götterbilder und Symbole des Alten Orients.
Unter Bezug auf den Dekalog spielt Hartenstein
diese Ikonografie-Geschichte an der jüdischen Bilderkritik durch, besonders
seit dem 5. Jahrhundert v. Chr.
Er verfolgt exegetisch-hermeneutische
Konsequenzen an ausgewählten Texten sowohl der hebräischen Bibel wie des Neuen Testaments
und kann damit auch den (langwierigen) Weg vom Henotheismus zu einem strengen
Monotheismus verdeutlichen. Der Systematiker Moxter dagegen geht von Bildern der
Macht und bildlichen Herrschafts-Präsentationen aus, um den Sinn des
Bilderverbots an der Verborgenheit Gottes zu betonen. Er verfolgt bilderkritische
Tendenzen bis in gegenwärtige philosophische Theorien.
Beide
Autoren weiten immer wieder den Blick auf das kulturelle Umfeld. Hartenstein
zieht dazu viele Belege aus den Quellen des Alten Orients und dem alten Israel
heran. Moxter versucht die komplexen Zusammenhänge von Bildverständnis und
Bildkritik unter Einbeziehung veränderter politischer und geistesgeschichtlicher
Umstände aufzuhellen. Der Systematiker verfolgt dabei eine Linie, die bei der
Kritik der Vorsokratiker beginnt und bis hin zur Auseinandersetzung mit der
Kritischen Theorie der Gegenwart führt. Wichtige Markierungspunkte zu einem
umfassenden Verständnis sind dabei die moderate Haltung Luthers zu den Bildern
und Kants Verständnis des Bilderverbots. Schließlich kommt es bei Theodor
Adorno und Max Horkheimer zu einem Bilderverbot, das jüdische Perspektiven
gegenüber dem Christentum aufnimmt: „Das Bilderverbot ist insofern ein
wesentliches Paradigma, unter dem die Gehalte der Religion philosophisch
rekonstruiert werden können. Hermeneutisch bemerkenswert ist, dass das
Bilderverbot in dieser Perspektive wesentlich als Verbot eines Rückfalls, einer
Regression, rezipiert wird. Die Regression zu den falschen Göttern, die ein
Heil nur vorgaukeln und damit der Stabilisierung von Entfremdung zuarbeiten,
erscheint als das, was unbedingt
vermieden werden muss“ (Moxter, S. 308). Hier zeigt sich ein erstaunlicher
Brückenschlag in die Religionsgeschichte des sich entwickelnden
monotheistischen Gottesbegriffs, und zwar einerseits im Sinne einer
kontrastreichen Korrelation und zum anderen im Sinne einer „bilderkritischen
Bildlichkeit“. Diese sollte sowohl für die Hebräische Bibel wie für das Neue
Testament gelten: „Auch in der Perspektive einer Theologie der einen,
zweiteiligen christlichen Bibel … muss auf die komplexen Relationen zwischen
Bilderverbot, Bildlosigkeit und Gottebenbildlichkeit geachtet werden. Auch vor
diesem Hintergrund zeichnet sich eine
kritische Theologie des (lebendigen) Bildes ab. Sie wird durch eine Hermeneutik
des Bilderverbots ermöglicht und begleitet“ (S. 181f).
Nach
Abschaffung der vielen polytheistischen Bilder ägyptischer, griechischer und
römischer Götter bleibt im Christentum als Staatsreligion seit dem 4.
Jahrhundert ein (Macht-)Bild erhalten
- das des Christus Pantokrator (S. 190f). Man bedenke: Eine sich zuspitzende
Bilderkritik im Sinne eines Verbots bedeutet auch immer die Zurückweisung
machtvoller Zugriffe. Davon zeugt im Mittelalter besonders die sog. Negativen Theologie mit ihrer Nähe zum
Neuplatonismus. Darauf hat besonders Emmanuel Levinas hingewiesen (S. 236). Nun
kommt allerdings im christlichen Kult neben der Bildkritik auch eine kreative
Bildvergegenwärtigung ins Spiel, und
zwar sakramental durch die Präsenz Christi im Abendmahl.
Moxter bringt es auf den Punkt: „Es wundert daher nicht, dass theologische Begründungen des Ikonoklasmus darauf insistierten, allein Brot und Wein könnten als wahres Bild Christi gelten, nicht aber Ikonen“ … (S. 284).
Moxter bringt es auf den Punkt: „Es wundert daher nicht, dass theologische Begründungen des Ikonoklasmus darauf insistierten, allein Brot und Wein könnten als wahres Bild Christi gelten, nicht aber Ikonen“ … (S. 284).
Aktueller Ausblick: Kunst, Philosophie, Kulturwissenschaft und Theologie
sind angesichts gerade säkularer Ikonen und einer unübersehbaren Bilderflut herausgefordert,
den Umgang mit dem Bild neu zu durchdenken. Von daher bekommt sowohl das
jüdische wie das islamische Bilderverbot ein neues Gewicht. Es zeigt nämlich
an, dass offensichtlich auch in der Vergegenwärtigung der Bilder
Machtzuschreibungen liegen. „Die virtuose ikonische Inszenierung, z.B. von
Bildzerstörungen in Syrien und im Irak durch den sog. „Islamischen Staat“ zeigt
ja auf ihre Weise, dass die mediale Bildermacht (…) einen Nerv unserer eigenen,
in rasantem Wandel begriffenen Bilderkultur trifft“ (S. 350). Dies alles nötigt
zu archäologischen und religionsgeschichtlichen Rückfragen, zum einen im Blick
auf das Alte Israel. Der Zusammenhang von Monotheismus und Bilderverbot ist im
Dekalog gewissermaßen gegründet. Aber nicht die Unsichtbarkeit Gottes ist das
Hauptthema, sondern das Festhalten an seiner „Verborgenheit, auch im Zusammenhang der Offenbarung“ (S. 355).
Insgesamt sind die Bilder Transformationsversuche, die in der christlichen
(Kunst-)Geschichte im Zusammenhang der Christologie entstehen. Sie brachten
„Ausschläge“ zwischen facettenreicher Affirmation der Bildlichkeit und
gewaltsamen Bildersturm mit sich. Die Autoren erinnern an die Bedeutung der
Ikonenverehrung im Byzantinischen Bilderstreit des 8. und 9. Jahrhunderts und
an die Auseinandersetzungen innerhalb der Reformation. So wird eine heutige
Hermeneutik des Bilderverbots wichtig, um die rechte Unterscheidung bei der
Bild-Begegnung mit dem Nicht-Aussagbaren, dem Geheimnisvollen und Faszinierenden zu ermöglichen. Denn die Bilderflut der
heutigen Medien macht ihren eigenen problematischen Umgang mit „dem Bild“
deutlich. und fordert zu einer
erneuerten Kunstlehre des Verstehens heraus (Schleiermacher).
Von daher
ist es zu begrüßen, dass die beiden Autoren bei ihrer „archäologischen
Spurensuche“ die perspektivische Vielfalt des Umgangs mit den Bildern bis hin
zu gegenwärtigen Konsequenzen bedacht haben. Ob es dabei zu einer “Hermeneutik
des Bilderverbots“ oder eher zu einer Hermeneutik als erneuerter Kunstlehre des
Verstehens im Sinne Schleiermachers kommen sollte, mag vorläufig offen bleiben.
Ergänzende Hinweise
- Ikonoklasmus / Bildersturm (Wikipedia)
- Byzantinischer Bilderstreit (Wikipedia)
Jean-Claude Schmitt: Les Images médiévales.
La figure et le corps
[Die mittelalterlichen Bilder. Gestalt und Körper]
Collection Bibliothèque des Histoires, Série illustrée.
Paris: Gallimard 2023,368 pp., 87 illustr.
ISBN : 9782073026880 - Gencode : 9782073026880
Axel Langer: Im Namen des Bildes.
Das Bild zwischen Kult und Verbot
in Islam und Christentum
Katalog der Ausstellung im Museum Rietberg, Zürich, 04.02. bis 22.05.2022
- Berlin: Hatje Cantz Verlag 2022, 504 S. ISBN-10 : 377574732X --- ISBN-13 : 978-3775747325
>>> Vera Rüttimann: «Du sollst dir kein Gottesbild machen»:
Das Bild zwischen Kult und Verbot
(kath.ch, 03.02.2022)
- Andreas Mertin zu "Bilderstreit" und Bilderverbot
Beiträge in Tà katoptrizómena - Hans-Martin Barth / Christoph Elsas (Hg.):
Bild und Bildlosigkeit. Beiträge zum interreligiösen Dialog.
Hamburg: ebv Rissen 1994, 209 S. (= Vorträge beim Rudolf-Otto-Symposium Marburg 1993)
- >>> Bilder verstehen und transzendieren
bei Meister Eckhart und Nikolaus von Kues - Silvia Naef: Bilder und Bilderverbot im Islam. Vom Koran bis zum Karikaturenstreit.
Übersetzt aus dem Französischen von Christiane Seiler
München: C.H. Beck Verlag 2007, 160 S.
--- Rezension in Qantara.de (05.10.2007)
--- Buchkritik im Deutschlandfunk (14.11.2007) - Vasile-Ocavian Mihoc: Christliche Bilderverehrung im Kontext islamischer Bildlosigkeit.
Der Traktat über die Bilderverehrung von Theodor Abu Qurrah (ca. 755 bis ca. 830)
Göttinger Orientforschungen, I. Reihe: Syriaca 53.
Wiesbaden: Harrassowitz 2017, IV, 266 S. - Jérôme Pace: Divines images. Interdites ici - divines ailleurs
Le Monde de la Bible 226 (septembre - novembre 2018), pp. 128-133 - Vgl. auch:
--- Schrift und Bild im Islam (Dialog der Religionen)
--- Bilder des Propheten Mohammed in der islamischen Kunst
Depictions of Muhammad (wikipedia.en)
- Der Prophet Mohammed in Bildern islamischer Künstler >>>
- Michael Muhammad Knight: Muhammad's Body.
Baraka Networks and the Prophetic Assemblage.
Chapel Hill, NC: University of North Carolina Press 2020, 214 pp., index
View inside (mit Inhaltsverzeichnis) >>>
Reinhard Kirste
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