Donnerstag, 27. Oktober 2016

LETTRE international - Kulturdiskurse und religiöse Herausforderungen

Die deutsche Ausgabe von LETTRE ist gewissermaßen der deutsche Ableger der 1984 in Paris gegründeten Kulturzeitschrift "Lettre Internationale", die vierteljährlich erscheint. Seit 1988 existiert die deutsche Ausgabe von  LETTRE mit überwiegend neuen Beiträgen und sorgsam ausgewählten Fotos. Einige Artiklel werden aus anderen Sprachen und Kulturzeitschriften übersetzt.  Die Herausgeber bezeichnen ihre Publikation als "Europas Kulturzeitung".
In der thematischen Zusammenstellung erinnert LETTRE in manchem an die stärker laizistisch französische Kulturzeitschrift "Revue des Deux Mondes", die zweimonatlich erscheint. 
In den bisher herausgegebenen 114 Nummern von LETTRE (in dem noch immer gewöhnungsbedürftigen Format) kommen neben philosophisch, politisch und künstlerisch orientierten Essays immer wieder Religionen übergreifende Themen zur Sprache.
Religiosität zeigt sich bei der Lektüre in vielen Facetten. Insgesamt geht es um intellektuellen Austausch. Damit ist keine feste Linie vorgegeben, sondern Auseinandersetzung im positiven Sinne wirkt als durchgehende Intention.
Als Beispiele mögen einige wenige Beiträge aus zwei Ausgaben des Jahres 2016 dienen: 
 
Nummer 112 (Frühjahr 2016), 146 S.


  • Priya Basil (Schriftstellerin, geb. 1977 in London): Woher kommst Du?
    Sie vertieft den Gedanken geistiger und kultureller Herkunft und gegenwärtiger Identität.
  • Georg Brunold (Schweizer Journalist,
    geb. 1953):
    Die islamische Spaltung.
    Sunna-Schia-Fronten und der arabisch-iranische Machtkampf

    Die Erkenntnisse als Auslandskorrespondent der NZZ  prägen offensichtlich seinen Beitrag, in dem er aufschlussreich auf die vielen Spannungsebenen der sunnitisch-schiitischen (Theologie-)Geschichte bis in die politisch-gesellschaftlichen Umsetzungen eingeht. Allerdings wäre wichtig gewesen zu erwähnen, dass die Ibaditen im Oman für sich die Bezeichnung "Charidschiten" ( = Die Ausgetretenen) ablehnen. Sie sehen sich weder der Sunna noch der Schia zugehörig.
  • Marco d'Eramo (italienischer Physiker und Soziologe, geb 1947): Erdogans Regime. das türkische Erfolgsmodell und die Versuchung des Faschismus.
    Er beschreibt die politischen Veränderungen hin zu einer religiös-konservativ-rechtsextremen Gesellschaftsstruktur im Kontext mittelöstlicher Konflikte.

Nummer 114 (Herbst 2016), 146 S.
  • Gespräch  - Frank M. Raddatz (Publizist und Dramaturg, geb. 1956) und Johan Simons (Tänzer, Schauspieler, Regisseur, bis 2017 Leiter der Ruhrtriennale, geb. 1946 in den Niederlanden):
    Das Sisyphosspiel. Die Durchblutung des Textes und das Offene der Inszenierung.
    Hier erlebt der Schauspieler gewissermaßen Sisyphos zwischen Probe und Aufführung an sich selbst. Welche Tiefendimension erreicht wird, formuliert Simons u.a. so: "Ich kann mein Leben lang über eine einzige Zeile von Aischylos nachdenken, weil sie mich berührt ... Er spricht etwas in mir an, ohne dass ich ihn gleich verstehe."
  • Gespräch - Jean-Luc Nancy (bedeutender französischer Philosoph, geb. 1940) und Sergio Benvenuto (italienischer Psychoanalytiker und Philosoph, geb. 1948):
    Das Heilige, die Religion. verlangen nach Unendlichkeit - Monotheismen, Riten, Weisheitslehren.
    Blaise Pascal scheint diesen Diskurs mitzusteuern, vielleicht auch der nicht erwähnte Rudolf Otto ("Das Heilige"). Zugleich kommen die unterschiedlichen "Zweige" der Monotheismen mit ihren Extremen zur Sprache: Judentum zwischen Ritual und Philosophie, Christentum zwischen Kirchlichkeit und der eigenen Dekonstruktion, Islam zwischen Absolutheit des Sinns für das Göttliche und Spannung zwischen Philosophie und (rituellem und sozialem) Recht. Das bedeutet praktisch einen signifikanten Unterschied zwischen Praktiken und Glaubensüberzeugungen (S. 106).
  • Henning Christoph (Ethnologe, Fotograf und Journalist, geb. 1944)  und Thomas Knöfel (Arzt, Verleger, Autor, geb. 1858):
    Voodoo in Benin. Die Afrikanische Pistole, der Juju-Man und die untoten Toten.
    Das Gespräch vermittelt lebendige Einblicke in synkretistische Kulte zwischen Magie, Umgang mit Verstorbenen, den Ahnen  Geisterscheinungen, Schadensabwehr und Opferproblematik nicht nur in Benin und macht neugierig auf das Soul of Africa Museum in Essen. 
  • Nedim Gürsel (türkischer Essayist und Reiseschriftsteller, lehrt u.a. an der Sorbonne in Paris, geb. 1951): Das Bild des Propheten.
    Der Bote Allahs im Spiegel christlich-mittelalterlichen Denkens.
    Mit einem Schwerpunkt auf die Islam-Einstellung des Johannes von Damaskus (um 650 - 754) beleuchtet der Autor, wie sich das Bild Mohammeds im Abendland zusehends verschlechtert bis hin zum "falschen Propheten" und "Sohn der Finsternis". Das mittelalterlich-christliche Bild von Muslimen schwankt dabei zwischen Ketzerei und Heidentum. Diese Kampfapologetik hat sich trotz mancher Mäßigungen bis in die Gegenwart erhalten. Dieses falsche Bild des Propheten wurde erst nach und nach im 18. Jahrhundert korrigiert.
Schon dieser  relativ kleine Ausschnitt aus der  Vielfalt der LETTRE-Beiträge zeigt, wie lohnend es ist, sich hier weiter einzulassen. Damit geht die Zeitschrift auch gegen heutige Modetrends: Eine schnelle Lektüre allerdings dürfte nämlich bei diesen Essays einigermaßen unmöglich sein. Vertiefte eigenständige Erkenntnis ist aber ein nicht zu unterschätzendes Ergebnis.

Montag, 24. Oktober 2016

Kurz vorgestellt: Urban Prayers --- Glaube und UnGlaube in der Stadt

Björn Bicker / Andrea Huber:
Was glaubt ihr denn. U
rban Prayers

München: Kunstmann 2016, 272 S. ----- Fotos von  Andrea Huber
--- ISBN 978-3-95614-094-5 ---

Was glaubt ihr denn


Verlagsinformation
Es spricht der Chor der gläubigen Bürger. 
Doch kaum fängt einer an zu reden, da fällt ihm der andere schon ins Wort. 
Der Chor findet keine gemeinsame Sprache und doch ist es ein Chor, 
der ein Gegenüber kennt: die 
Ungläubigen. Globalisierung, Migration und der gleichzeitige Verlust religiöser Bindungen
haben aus unseren Städten Orte der Vielfalt gemacht, religiöse Megacities. 
Aber was glauben die Menschen? Glauben sie, dass ihr Glaube Privatsache ist? 
Glauben die Menschen, dass ihr Glaube politisch ist? 
Glauben sie an die Freiheit der Andersdenkenden, an eine bessere Welt? 
Wie beeinflussen sie das soziale und politische Leben der Stadt? 
Welche Erwartungen haben die Gläubigen an Demokratie und Rechtsstaat?
Es erzählen die gläubigen und ungläubigen Bürger der Städte – der Bruder, 
der Sozialarbeiter, der DHL-Bote, die Lehrerin, die Journalistin. 
Sie erzählen Leilas Geschichte. Doch kaum endet die Erzählung des einen, 
beginnt die der anderen. Das soziale Leben findet eine gemeinsame Sprache – 
es geht um renitente Jugendliche, um soziales Engagement, um Einwanderung, 
um Heimat, um falsche und echte Bilder und den Traum vom wahren Leben. 
Was glauben die Menschen politisch? Lassen sie den anderen ihre Freiheit? 
Arbeiten sie für eine bessere Welt? 
Wie beeinflussen sie das soziale und politische Leben der Stadt? 
Aus einer langen Recherche im religiösen Leben unserer Städte
 ist ein Text entstanden, der für die vielen Stimmen der Wirklichkeit
einen analytischen wie poetischen Resonanzraum schafft.

Präsentation im Rahmen der Ruhrtriennale 2016 (Dialog-Journal): hier

Autorenporträt

Foto zu Björn Bicker
Björn Bicker wurde 1972 geboren und studierte Literaturwissenschaft, Philosophie und Allgemeine Rhetorik in Tübingen und Wien. Danach arbeitete er am Wiener Burgtheater. Von 2001 bis 2009 war er als Dramaturg an den Münchner Kammerspielen engagiert. Seit 2009 arbeitet er als freier Autor, Künstler...
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"Mich hat interessiert, was für ein Verhältnis haben gläubige Menschen, egal welcher Religion, zu ihrer Stadt, zu dieser Demokratie, zu diesem Gemeinwesen."
Björn Bicker

"Bicker hat einen fabelhaften Text geschrieben, hat dafür Gläubige aller möglichen Konfessionen befragt. Heraus kam ein dichtes Konglomerat, das Handke ebenso ebenbürtig ist wie Jelinek."
Süddeutsche Zeitung

Dienstag, 11. Oktober 2016

Kurz vorgestellt: Bild und Wort - Spannungen und Zusammenhänge

Peter Hofmann:
Bildtheologie.
Position – Problem – Projekt
Schöningh: Paderborn 2016, 220 Seiten
ISBN: 978-3-506-78449-0

Erschienen in der Reihe:

Verlagsinformationen zum Buch

Vom Eikon zum Logos und zurück – die Methode dieser Studie kehrt die übliche Fragerichtung um, die das Bild mit dem Begriff überwältigen und aufheben will, statt es zu sehen und sich seiner »Ansicht« zu stellen. 
Der Logos konkurriert mit dem Eikon, das Eikon provoziert den Logos, ohne dass beide einander ausschließen. 
Die kunstwissenschaftliche Frage nach dem »wahren Bild« (Hans Belting) führt zu der systematisch-theologischen Frage nach der Ikonizität aller Offenbarung (Teil I: »Position«). 
Das II. Nizänum als Schlusspunkt der altkirchlichen christologischen Konzilien ordnet die Verehrung der Kultbilder an, ohne in der westlichen und östlichen Theologie angemessen rezipiert zu werden (Teil II: »Problem«). Das zentrale christliche Kultbild der römischen Veronika entfaltet seine eigene Logik, mit der die Desiderate eines theologischen Bildtraktats formuliert werden (Teil III: »Projekt«). 

Samstag, 8. Oktober 2016

Kurz vorgestellt: Pilger und Pilgerfahrten im japanischen Buddhismus









Reviews

A commendable work. The first six chapters alone allow readers to gain basic information about the great diversity of pilgrimage routes in Japan as well as specifics about pilgrimage rituals and etiquette, material culture, and so on. Pye's views about the meaning of Buddhist pilgrimage in Japan are built upon the premise that the motivations for undertaking them are intrinsically religious at their core. While this will not be persuasive to all, it offers an important academic perspective.
Religious Studies Review

A fascinating work which should prove an enduring resource in the study of Japanese religions and pilgrimage studies more generally. It is well-written, highly informative and based on much first-hand observation and hard-to-obtain Japanese sources.
Professor Brian Bocking, University College Cork

The details offered here are crucial to an understanding of Japanese pilgrimage culture, and many of the insights that Pye gives on invention and hybridization of religious practices are highly germane to the anthropology of Japanese, Eastern, and indeed all religion.
Anthropology Review Database

Freitag, 7. Oktober 2016

Kurz vorgestellt: Neue Muster komparativer Religion











Media of New Patterns for Comparative Religion

New Patterns for Comparative Religion

Passages to an Evolutionary Perspective. 

By: William E. Paden
New York u.a.: Bloomsbury 2016, 264 pp.
Series: Academic Scietific Studies

ISBN: 978-1474252119 


Verlagsinformationen









The cross-cultural study of religion has always gone hand in hand with the worldview, sciences, or intellectual frameworks of the time. 
These frames, whether focused on psychology or politics, gender or colonialism, bring out perspectives for understanding religious behavior. 
Today one of our common civic worldviews is represented in the shift from scriptural to evolutionary history. 
This volume brings together in one place key essays by professor emeritus William Paden, showing a progression of steps he has taken in exploring bridgeworks between comparative religion and evolutionary models of religious behavior. 
One of the leading scholars in religious studies, Paden shows ways that religion can be contextualized as part of the natural world and thus seen as reflecting the ingrained sociality and world-making drive of the human species.

Paden argues that although comparativism has been challenged as too culture-bound, too western, or too gendered, cross-over categories and concepts between religious traditions cannot be avoided. Arguing that there are recurrent patterns of human behavior common to our species and that thereby underlie all cultures, he proposes that the missing link in the Religion Evolution debate is comparative religion, a global, cross-cultural perspective on religious behaviours throughout time. Each article is contextualized within this overall trajectory of thought within Paden's work and the history of the discipline as a whole.

Table of contents
Acknowledgements
Introduction

Part one – Rethinking and Redirecting Classical Resources
Chapter 1. Before 'The Sacred' Became Theological: Rereading the Durkheimian Legacy
Chapter 2. Durkheim's Reconciliation of the Social and the Religious
Chapter 3. Sacred Order
Chapter 4. World
Chapter 5. The Concept of World Habitation: Eliadean Linkages with a New Comparativism

Part two – Some New Levels for Cross-Cultural Patterns
Chapter 6. Elements of a New Comparativism
Chapter 7. Universals Revisited: Human Behaviors and Cultural Variations
Chapter 8. Theaters of Worldmaking Behaviors: Panhuman Contexts for Comparative Religion
Chapter 9. Comparison in the Study of Religion

Part 3 – Responses to Evolutionary Sciences
Chapter 10. Connecting with Evolutionary Models: New Patterns in Comparative Religion
Chapter 11. Reappraising Durkheim for the Study and Teaching of Religion
Chapter 12. The Prestige of the Gods: Evolutionary Continuities in the Formation of Sacred Objects
Chapter 13. The History of Religions and Evolutionary Models: Some Reflections on Framing a Mediating Vocabulary

Epilogue
Notes
Reviews
“The essays selected for this volume invite the readers to join a series of engaging conversations with key theoretical questions in the study of religion\s. These forays into various theoretical environments avoid hegemonic discourse, opening up interrelated perspectives on important aspects of the eco-sphere of religion.” –  Michael Stausberg, Professor of Religion, University of Bergen, Norway,
“This remarkable set of essays recounts Paden's efforts to renew the comparative study of religion by placing his earlier emphasis on world making on an evolutionary footing. In focusing on behavior as a bridge between disciplines and recasting “worlds” as environmental “niches,” he points the way to a more robust comparativism.” –  Ann Taves, Professor of Religious Studies, University of California at Santa Barbara, USA
- See more at: http://www.bloomsbury.com/us/new-patterns-for-comparative-religion-9781474252119/#sthash.GEBUtmZd.dpuf

This volume brings together in one place key essays by professor emeritus William Paden, showing a progression of steps he has taken in exploring bridgeworks between comparative religion and evolutionary models of religious behavior. One of the leading scholars in religious studies, Paden shows ways that religion can be contextualized as part of the natural world and thus seen as reflecting the ingrained sociality and world-making drive of the human species.

Paden argues that although comparativism has been challenged as too culture-bound, too western, or too gendered, cross-over categories and concepts between religious traditions cannot be avoided. Arguing that there are recurrent patterns of human behavior common to our species and that thereby underlie all cultures, he proposes that the missing link in the Religion Evolution debate is comparative religion, a global, cross-cultural perspective on religious behaviours throughout time. Each article is contextualized within this overall trajectory of thought within Paden's work and the history of the discipline as a whole.

Kurz vorgestellt: Irak und Syrien im Fokus


Bernd Lemke (Hg.)Irak und Syrien
Unter Mitarbeit von Stefan Maximilian Brenner
Paderborn: Schöningh 2016, 296 S., Abb.,
9 farb. Karten
--- ISBN 978-3-506-78662-3 ---
Erschienen in der Reihe:

Verlags-Informationen zum Buch:
Irak und Syrien zählen derzeit zu den weltweit gefährlichsten Konfliktzonen mit erheblichen Auswirkungen auch auf Deutschland und Europa: Der Irak befindet sich seit mehr als 30 Jahren in einem Dauerzustand zwischen Krieg und Krise; Syrien versank 2011 in einen brutalen Bürgerkrieg, in den sich bald auch externe Akteure einmischten und dessen Ende bislang nicht abzusehen ist. 

Als im Jahre 2014 die Gefahr bestand, dass der »Islamische Staat« große Teile des Irak und Syriens überrennen würde, sah sich der Westen gezwungen, gegen die gewalttätige Terrororganisation vorzugehen und insbesondere die in Bedrängnis geratenen Kurden im Nordosten des Irak zu unterstützen. Auch die Bundeswehr trägt dazu ihren Teil bei. Unter anderem bildet sie in Arbil, der Hauptstadt der Kurdischen Autonomen Region (KAR), die Peschmerga aus, die Streitkräfte der KAR. Zusätzlich erbringt die Bundeswehr etliche Hilfs- und Unterstützungsleistungen. Ein »Tornado«-Aufklärungsverband, der im türkischen Incirlik stationiert ist, liefert Informationen über den IS in Syrien. Und die deutsche Marine unterstützt im östlichen Mittelmeer die EU-Grenzschutzorganisation FRONTEX bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme.
Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften fügt den bereits für zahlreiche Länder und Regionen vorliegenden Bänden der Reihe »Wegweiser zur Geschichte« nun eine Publikation für diese Schlüsselgebiete hinzu. Dieser Wegweiser versammelt zahlreiche Beiträge von renommierten Experten aus verschiedenen wissenschaftlichen Fachdisziplinen. Die Beiträge sind übersichtlich und allgemeinverständlich formuliert und mit Bildern, Grafiken und Karten versehen.
Der Band ist zudem mit einem umfassenden Anhang ausgestattet.