Werner Freitag: Die Reformation in Westfalen.
Regionale Vielfalt, Bekenntniskonflikt und Koexistenz. Münster: Aschendorff 2016, 383 S.
--- ISBN 978-3-402-13167-1 ---
Pressemitteilung des Exzellenzclusters der Universität Münster und des Verlags Aschendorff (14. Oktober 2016)
Regionale Vielfalt, Bekenntniskonflikt und Koexistenz. Münster: Aschendorff 2016, 383 S.
--- ISBN 978-3-402-13167-1 ---
Pressemitteilung des Exzellenzclusters der Universität Münster und des Verlags Aschendorff (14. Oktober 2016)
Der Historiker
Werner Freitag legt eine erste Gesamtschau zur Reformation in Westfalen vor.
- Religiöse Umwälzungen begannen weit später als in anderen Regionen und
hinterließen Westfalen als kleinteiligen Flickenteppich --- Vielerorts
Reformen, obwohl berühmte Reformatoren wie Luther nie selbst kamen --- Luther-Schriften ins Westfälische übersetzt.
- Zahlreiche Städte und
Regionen der Reformationsgeschichte: Münster, Osnabrück und
Dortmund, Paderborn, Lippstadt, Minden, Herford und Soest sowie Emsland,
Bentheim, Ravensberg, Tecklenburg und Sauerland.
Obwohl berühmte Reformatoren wie Luther, Calvin und Melanchthon nie nach Westfalen gekommen sind, hat es in der Region nach einer neuen Studie intensive Reformaktivitäten gegeben. „Wie in vielen Gebieten des Alten Reiches ging es auch in Westfalen vor rund 500 Jahren den einen darum, religiöse Umwälzungen durchzusetzen, den anderen, sie zu verhindern. Das Ergebnis war eine ungewöhnlich hohe Zahl an konfessionellen Ausprägungen und Mischformen“, sagt Landeshistoriker Prof. Dr. Werner Freitag vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster, der jüngst die erste historische Gesamtschau zur Reformation in Westfalen seit 25 Jahren vorgelegt hat. „Wenn 2017 bundesweit der Reformation vor 500 Jahren gedacht wird, können wir das auch hier tun. Genau genommen, dauerte es in Westfalen aber länger, bis Luthers Schriften wirkten. Sie mussten erst in die westfälische Variante des Niederdeutschen übersetzt werden, um von den Westfalen verstanden zu werden.“ Die religiösen Umwälzungen, die folgten, hinterließen die Region als einen so kleinteiligen politischen und religiösen Flickenteppich, wie ihn wenige andere Regionen zeigten.
Der detailreiche Überblicksband „Die Reformation in Westfalen.
Regionale Vielfalt, Bekenntniskonflikt und Koexistenz“ ist im
Aschendorff Verlag in Münster erschienen. Darin beschreibt der Autor,
warum das Denken der mitteldeutschen Reformatoren in Westfalen
Verbreitung finden konnte, obwohl auch etwa Bucer oder Zwingli nie
persönlich kamen: Ordensbrüder aus Osnabrück, Herford und Lippstadt
studierten an der Wittenberger Universität und trafen dort auf die
bekannten Reformatoren. Auch der münsterische Reformator und spätere
Theologe der Täufer, Bernhard Rothmann, kam dorthin, um sich beraten zu
lassen. Es folgten Briefwechsel zwischen Westfalen und Wittenberg, in
denen sich die Geistlichen im Verlauf der reformatorischen Ereignisse
immer wieder Rat holten. Die Übersetzung von Luthers Texten übernahmen
etwa der Lippstädter Augustiner Johann Westermann und Johannes
Bugenhagen.
„Verspätete Reformation“
„Westfalen hat eine verspätete Reformation erlebt. Sie begann erst 1525 und war in den Städten 1533 und in den Territorien wie den Grafschaften Lippe, Tecklenburg und Bentheim erst 1538, 1543 und 1544 abgeschlossen“, so Werner Freitag. In Sachsen, Hessen und andernorts sei sie dagegen schon vor 1530 beendet gewesen. „In Münster und im damals westfälischen Osnabrück kam es ab 1525 zu großen städtischen Unruhen, die mit dem Reformationsgeschehen in Mittel-, Nord- und Oberdeutschland in Zusammenhang standen. Von 1530 bis 1533 führten Minden, Herford, Lippstadt, Soest, Lemgo und schließlich Münster die Reformation im lutherischen Sinne ein: ein neues Bekenntnis, einen neuen Gottesdienst und eine neue Kirchenorganisation.“
Die Publikation von Werner Freitag rekonstruiert diese Vorgänge in
vielen regionalen Einzeldarstellungen. Details zu jedem Ort sind mittels
eines Registers zu finden, für Historiker ebenso wie für Interessierte
aus der Region, ergänzt durch Glossar und Kartenmaterial. Historische
Quellen zitiert das Buch im westfälischen Plattdeutsch, sie werden aber
auch ins heutige Hochdeutsch übersetzt.
Da die Reformation in Westfalen vielfältig und unübersichtlich
verlief und sich sogar in eng benachbarten Orten, Territorien und
Pfarreien voneinander unterschied, hat der Autor eine Typologie
entwickelt. „Es gab städtische, landesherrliche, Adels-, Pfarrer- und
Gemeindereformationen. Insgesamt setzten sich die Neuerungen vor allem
in Städten durch.“ In kleineren Orten und auf dem Land sei es eher zu
Bekenntniskonflikten und Mischformen gekommen, etwa in der Grafschaft
Mark und in Ravensberg. „Stand vor Ort nur eine Kirche zur Verfügung und
wünschte nur ein Teil der Gemeinde Neues, galt es Kompromisse zu
finden“, sagt Prof. Freitag. So wurden etwa in den Kleinstädten und
Dörfern des Münsterlandes der reformatorische Laienkelch und neue Lieder
im Gottesdienst eingeführt, dessen Ablauf aber blieb katholisch. „Im
Mindener Land übernahm man ab etwa 1560/70 das neue Bekenntnis samt
Gottesdienst, behielt aber die überkommene Kirchenorganisation bei.“ In
manchen Territorien entstand eine evangelische Bewegung, doch die
kirchlichen Verhältnisse blieben unverändert.
Bibel und Gebet in westfälischer Sprache
Dass sich die Überzeugungen Luthers in Westfalen an vielen Orten ganz
oder teilweise durchsetzen konnten, führt Historiker Freitag auf
verschiedene Faktoren zurück: „In der ‚Deutschen Messe‘ Luthers wurden
Laien weit mehr beteiligt als zuvor, etwa durch das Singen
deutschsprachiger Lieder. Auch wurde in der Volkssprache gepredigt und
gebetet, nicht in Latein. Durch die Übersetzung der Bibel fanden die
Gläubigen mehr Zugang zu ihr. All das dürften die Laien als Aufwertung
empfunden haben.“ Wie überall, wurden auch in Westfalen die Lehren der
Reformatoren mit Zitaten aus der Bibel begründet. „Dieser Bezug auf das
Wort Gottes wurde in der Bevölkerung breit rezipiert“, unterstreicht
Werner Freitag. „Auch passte Luthers Gemeindetheologie gut zum
städtischen Selbstverständnis.“ Die Reformation in Westfalen sei daher
weniger von Einzelpersönlichkeiten getragen gewesen, als von einer
Vielzahl an Menschen, die Veränderungen in der religiösen Praxis und
Seelsorge wünschten.
Der Historiker beleuchtet in der Studie auch das berühmte Täuferreich
ab den 1530er Jahren in Münster, also die sich radikalisierende
Herrschaft zunächst reformatorisch ausgerichteter Teile der Stadt um den
Prediger Bernd Rothmann. Er beschreibt zudem die massiven
Auseinandersetzungen zwischen Lutheranern und den Anhängern Calvins ab
etwa 1560. Sie führten vor allem in den Städten der Grafschaft Mark
dazu, dass die Langzeitreformation dort schließlich in ein reformiertes
Kirchenwesen mündete, nicht in ein lutherisches. „Die zahlreichen
Mischformen in den Gebieten von Ahlen über Cloppenburg bis Wiedenbrück
zeigen: Die westfälische Reformationsgeschichte war durch Koexistenz
gekennzeichnet.“ Neben diesen reformatorischen Ereignissen beschreibt
die Studie auch, wie sich im Alltag der Pfarreien um 1550 das neue
Bekenntnis, die „Deutsche Messe“ als neue Liturgie sowie eine von der
Papst- und Bischofskirche stark unterschiedene Kirchenorganisation
etablierte.
Westfalen umfasste zur damaligen Zeit mehr Gebiete als heute: das
Gebiet um Essen und die auch heute zu Westfalen zählende Grafschaft Mark
im Westen, die Grafschaften Lippe und Ravensberg sowie das Paderborner
Land im Osten, das kurkölnische Sauerland (Herzogtum Westfalen), aber
auch die Grafschaft Waldeck im Südwesten über das Fürstbistum Osnabrück
bis zum Niederstift des Fürstbistums Münster im heutigen Niedersachsen.
In diesen und den anderen genannten Regionen untersucht der Autor
kleinere und größere Territorien, Autonomie-, Bischofs- und Landstädte,
auch die einzige Reichsstadt Dortmund sowie Adelsherrschaften, die sich
über wenige Dörfer erstreckten, und Klöster und Stifte mit
inkorporierten Pfarrkirchen. Dabei wird deutlich, dass neben den
anfänglichen Sprachbarrieren auch wirtschaftliche und kulturelle
Faktoren zum verspäteten Beginn der Reformation beitrugen. „Zur
Informationsbeschaffung schaute man aus westfälischen Städten wie
Minden, Herford und Soest zunächst auf die nördlichen Hansestädte, um
abzuwarten, was dort passierte.“
Prof. Dr. Werner Freitag ist Professor für westfälische
Landesgeschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und
Hauptantragsteller des Exzellenzclusters. Er ist wissenschaftlicher
Vorstand des Instituts für vergleichende Städtegeschichte Münster und
zweiter Vorsitzender der Historischen Kommission für Westfalen.
(ill/vvm)
Aspekte der Reformationsgeschichte
in der ehemaligen Grafschaft Mark
Reinhard Kirste / Rolf Dieter Kohl / Christa Schmitz (Red.)
Reformation zwischen Lenne, Volme und Ruhr. Altena 1988, 238 S., Abb., Glossar
Aspekte der Reformationsgeschichte
in der ehemaligen Grafschaft Mark
Reinhard Kirste / Rolf Dieter Kohl / Christa Schmitz (Red.)
Reformation zwischen Lenne, Volme und Ruhr. Altena 1988, 238 S., Abb., Glossar
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