Donnerstag, 1. Juni 2017

Buch des Monats Juni 2017: Für eine Theologie der Religionen-Begegnung

Ulrich Dehn, Ulrike Caspar-Seeger,
Freya Bernstorff (Hg.):
Handbuch Theologie der Religionen.
Texte zur religiösen Vielfalt
und zum interreligiösen Dialog.


Freiburg u.a.: Herder 2017, 571 S., Quellenverzeichnis
 --- ISBN: 978-3-451-37695-5 ----

Die christliche Theologie hat in den letzten Jahrzehnten eine erhebliche Ausweitung erfahren. Was zuerst noch unter dem Stichwort „Ökumene“ eher überkonfessionellen Charakter trug, wurde zum Programmwort der größeren Ökumene der Religionen. Zuerst die großen Weltreligionen, dann aber auch religiöse Strömungen in Vergangenheit und Gegenwart lenkten das Interesse zunehmend auf ein gegenseitiges Verstehen. Solche Annäherungen werfen die Fragen nach einem gemeinsamen Fundament aller Religionen auf – nicht nur im Blick auf ihre Werte. Wie weit aber kann man bei allen Verschiedenheiten grundsätzlicher und praktischer Art tatsächlich aufeinander zugehen?

In einer globalisierten Welt sind die unmittelbaren Begegnungen verschiedener religiöser Traditionen teilweise bereits Alltag geworden. Allerdings müssen sich Religionen fragen lassen, was sie von ihren Grundlagen und ethischen Prinzipien her für die Befriedung und Versöhnung angesichts der vielen Konflikte weltweit beizutragen haben.


Die religionswissenschaftlich und theologisch ausgewiesenen Herausgeber des vorliegenden Handbuchs sind Ulrich Dehn, Professor für Missions-, Ökumene- und Religionswissenschaft an der Universität Hamburg, Ulrike Caspar-Seeger und Freya Bernstorff ebenfalls in der Religionswissenschaft bzw. der Ev. Theologie an der Universität Hamburg beheimatet. Die zusammengestellten Texte sollen eine erste Orientierung ermöglichen. Die Herausgeber haben dazu „klassische“ Texte und aktuelle Beiträge zusammengestellt, und zwar aus dem katholischen und evangelischen Christentum aus dem Judentum, dem Islam, dem Hinduismus und Buddhismus. Dazu kommen noch offizielle Erklärungen der katholischen und der evangelischen Kirche. Insgesamt machen die christlichen Beiträge den Hauptteil des Buches aus. Das Buch erinnert darum etwas an einen englischen Band, der schon 1980 herauskam. Er wurde von dem religionspluralistischen Religionsphilosophen John Hick und dem Religionswissenschaftler Brian Hebblethwaite 2001 neu bearbeitet: Christianity and Other Religions. Selected Readings. Oxford (UK) OneWorld 2001. Man kann auch an den von dem Judaistikprofessor Dan Cohn-Sherbok alphabetisch nach Autoren zusammengestellten Band denken: Interfaith Theology. A Reader. Oxford (UK): One World 2001. Auch Karl-Josef Kuschel hatte 1994 einen „Reader“ veröffentlicht, allerdings nur für den deutschsprachigen Raum: Christentum und nichtchristliche Religionen. Darmstadt: WBG. Insofern weitet sich in diesem neuen Handbuch der Blick auf wichtige Autoren Asiens und den USA. Natürlich hätte man gern noch mehr Texte von jüdischer, islamischer, buddhistischer und hinduistischer Seite gesehen. Es sei z.B. nur erinnert: Für das Judentum an Abraham Joshua Heschel (Polen, USA), Dan Cohn-Sherbok (UK) und Walter Homolka (Deutschland), für den Islam an Farid Esack (Südafrika), Mohammed Talbi (Tunesien) und Mohammed Arkoun (Frankreich), für den Hinduismus an Swami Vivekananda, und Rabindranath Tagore (Indien), für den Buddhismus an den Dalai Lama (Tibet / Indien) und an Thich Nhat Hanh (Vietnam / Frankreich). Aber die Fülle von wichtigen Dialog-Autoren auch aus anderen Religionen hätte wohl den Umfang des Buches gesprengt ...
Zur Verdeutlichung beziehen sich die Herausgeber bei allen notwendigen Differenzierungen auf das Grundschema von Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus. So zeigen sich mehrere Entwicklungslinien, die von einer missionarischen exklusivistischen Theologie (besonders deutlich bei Hendrik Kraemer, so auch im abgedruckten Beitrag von 1938) bis hin zur Akzeptanz einer prinzipiellen Gleichwertigkeit der Religionen gehen (John Hick, Leonard Swidler, Perry Schmidt-Leukel).
Im Christentum kommen gewissermaßen als „Vorläufer“ schon Ernst Troeltsch, Karl Barth, Karl Rahner und Paul Tillich zur Sprache. Mit präzise formulierten Klärungen werden als „Weiterdenkende“ neben den erwähnten religiösen Pluralisten Raimon Panikkar, Aloysius Pieris, Paul Knitter vorgestellt. Zwischenpositionen nehmen eher Georges Khodr, Francis X. D‘Sa, Hans Jochen Margull, Hans Küng, Klaus von Stosch und Reinhold Bernhardt ein.
Für die anderen Religionen gibt es nur einige ausgewählte Verdeutlichungen. Rita M. Gross steht für den Buddhismus und Ram Adhar Mall für den Hinduismus. Beide wirken in ihren Äußerungen sehr deutlich religionspluralistisch. Anders Alon Goshen Gottstein: Er skizziert eine jüdische Theologie gegenüber den anderen Religionen, die mit der bleibenden Identität des Judentums korrespondieren muss. Für den Islam versucht Katajun Amirpur islamische Texte im Sinne einer gleichwertigen dialogischen Zugangsweise zu lesen. Abdoldjavad Falaturi (1926–1996) entwickelte eine für beide monotheistische Religionen gleichermaßen geltende Hermeneutik. Diese ließe sich auch auf interreligiöse Begegnungen generell übertragen. Sie ermöglichen für die jeweils andere Seite nachvollziehbare Verstehenszugänge im Blick auf Differenzen und Gemeinsamkeiten.
Insgesamt stammen die einzelnen Beiträge meist aus größeren Veröffentlichungen der Autoren. Sie sind für die christliche Seite zeitlich geordnet, beginnend 1923 mit Ernst Troeltsch und endend mit Reinhold Bernhardt 2016 (s.u. Inhaltsverzeichnis).
Die Veränderungen des theologischen Denkens spiegeln sich auch in den offiziellen kirchlichen Dokumenten auf katholischer und evangelischer Seite wieder, die den letzten Abschnitt des Buches ausmachen. Am weitesten nach vorn wagt sich hier der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK/WCC) mit den Leitlinien von 1979 und ökumenischen Erwägungen von 2002. Selbst so beeindruckende Dokumente des 2. Vatikanischen Konzils wie Lumen gentium (1964) und Nostra Aetate (1965) bleiben letztlich inklusivistisch; und Dominus Iesus (2000) bedeutet faktisch einen Rückfall in exklusivistisches Denken. Nicht viel besser sieht es in der evangelischen. Kirche aus. Bei allen positiv-respektvollen Bemühungen ist doch eine besorgte Zurückhaltung zu spüren, die meint die „evangelische Perspektive“ besonders betonen zu müssen.
Bilanz
Sowohl Kirchengemeinden, Schulen, Hochschulen als auch Lehrende und privat Interessierte werden einen erheblichen Gewinn aus der Lektüre ziehen, weil es einen so kompakten einführenden Überblick bisher in dieser Weise nicht gab. Natürlich ist es nicht möglich, alle wichtigen Vertreter/innen des interreligiösen Dialogs in einem solchen Handbuch zu Worte kommen zu lassen, aber den Herausgebern gelingt es, die Veränderungen der theologischen Landschaft weltweit deutlich zu machen. Eine dialogisch offene Theologie der Religionen aus der jeweiligen religiösen Perspektive heraus ist angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen im lokalen und globalen Bereich unabdingbar. Dieses Buch bietet dazu wichtige und gut zu lesende Orientierungen. Es zeigt zugleich, dass diejenigen Theolog/innen, die alte Standpunkte verlassen und visionäre „Gehpunkte“ wagen, noch viel stärker aus ihren bisherigen Minderheiten-Positionen herausgeführt werden müssten.
Reinhard Kirste 

Rz-Dehn-Theol-Religionen, 31.05.17


Inhaltsverzeichnis







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