Dienstag, 24. Januar 2017

Interkulturelle Theologie vor gesellschaftlichen Herausforderungen

Franz Gmainer-Pranzl, Beate Kowalski,
Tony Neelankavil (Hg.):
Herausforderungen interkultureller Theologie.
Beiträge zur Komparativen Theologie, Band 26
Paderborn: Schöningh 2016, 170 S., Abb.
--- ISBN 978-3-506-78550-3 ---
„Interkulturelle Theologie“ gibt es schon seit längerer Zeit an einigen katholischen und evangelischen Fakultäten von Universitäten im deutschen Sprachraum. Der vorliegende Sammelband geht auf eine Tagung an der TU Dortmund im Frühjahr 2015 zurück Die Beitragenden versuchten von ihren religiösen Voraussetzungen Perspektiven interkultureller Theologie zu entwickeln, denn Theologie muss sich durch die Herausforderungen der Globalisierung verändern. Der christliche Glaube ist schließlich nur die Facette einer pluralen Welt.
1.  Perspektiven interkultureller Theologie fordert Franz Gmainer-Pranzl, Leiter des Zentrums Theologie Interkulturell und Studium der Religionen an der „Paris Lodron Universität Salzburg“ ein. Er gehört zu denjenigen, die ein neues Problem- und Methodenbewusstsein der Theologie für dringend notwendig erachten.
In seinem orientierenden Einleitungsartikel erörtert er verschiedene Sichtweisen in den Ausdrucksformen von „Interkulturelle Theologie“ und „Theologie interkulturell“. Er ist generell der Meinung, „dass christliche Theologie künftig nur mehr interkulturell betrieben werden kann“ (S. 12). Die Konsequenz daraus ist, dass eine Differenzierung im Sinne eines interdisziplinären Verbundes von vier Arbeitsbereichen unter der „Leitperspektive“ Kultur kommen muss:
1.  Systematisierende interreligiöse Vergleiche             
2.  Untersuchung konkreter kontextueller Theologien (z.B. im Blick auf Lateinamerika)        
3.  Erkenntnistheologische Reflexionen zu „Theologie interkulturell“          
4.  Interreligiöse Vergleiche und Heilsbedeutung fremder Religionen (S. 13f).
Eine offene Frage bleibt der Bezug zur Religionswissenschaft, weil Theologie unter der Voraussetzung des Glaubens immer auch eine „Innensicht“ der jeweiligen Religion vertritt. Der religionspluralistische Theologe Perry Schmidt-Leukel lehnt von daher die Unterscheidung zwischen bekenntnisgebundener Theologie und >vorurteilsfreier< Religionswissenschaft ab (S. 18). Diese Position ist allerdings nicht unumstritten. Man merkt, „Theologie interkulturell“ hat es mit vielen aktuellen Herausforderungen zu tun. Sie hängen zusammen mit dem Verständnis von Inkulturation, der universalen Bedeutung von Kirche („Weltkirche“), dem Kontext von „Mission“, der Ausrichtung der Missionstheologie, den regionalen und gesellschaftlichen Prägungen „kontextueller Theologie“ sowie den Veränderungen von Religion im Zusammenhang von säkularen und „Postsäkularen“ Strömungen. Die Komparative Theologie überschreitet dabei die Begrenzungen eines „Weltethos“ und steuert unwiederbringlich in die Problematik der christlichen Beurteilung anderer Religionen hinein, und zwar in Bezug auf ihren Anspruch von Heil und Wahrheit. Was sich folglich als notwendig erweist, ist eine theologisch-interkulturelle Hermeneutik, die sich mit dem jeweils eigenen Selbstverständnis dem Anderssein des Anderen Religionen und dem Anspruch des Fremden auseinandersetzen muss. Das sind keineswegs sich ausschließende Gegensätze.
Als Ergebnis hält der Autor fest: „>Theologie interkulturell< orientiert sich an gerechten, solidarischen und kommunikativen Verhältnissen zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Religionen und kennt aus der Geschichte der Religionswissenschaft die Gefahr von Entwicklungslogiken, die zu Begriffen wie >primitive Religion< oder >Hochreligion< geführt haben. Aus diesen Gründen stellt die gründliche Rezeption der entwicklungstheoretischen Forschung einen entscheidenden Beitrag zu einer zeitgemäßen Neupositionierung von >Theologie interkulturell< dar“ (S. 31).
2.  Im zweiten Bereich werden Perspektiven biblischer Interpretation exemplifiziert. Der katholische Alttestamentler Egbert Ballhorn geht auf das (apokryphe) Buch Baruch ein, das vermutlich aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. stammt. Bei den Themen Interkulturalität und Fremdheit bezieht er sich dazu auf den Berliner Erziehungswissenschaftler Ortfried Schäffter, der generelle Deutungsmuster im Umgang mit der Fremdheit entwickelt hat. Bezogen auf den konkreten Text der Mahnrede im Baruchbuch (Kap. 3+4) zeigt sich die Fremdheit als Gegenbild zum Eigenen (S. 45). Aber es geht nicht ohne interkulturelle Annäherungen und Assimilationen. Selbst die von Israel behauptete Exklusivität der Tora „ist nur über den Modus der Inanspruchnahme und des Gebrauchs hellenistischer, nichtisraelitscher Kulturelemente möglich“ (S. 49).
Jochen Flebbe, evangelischer Neutestamentler an der Universität Bonn, versucht Kulturbrücken im Neuen Testament zu schlagen. Er bezieht sich dazu auf die dort auftauchenden Schrift-Gattungen und hebt einige Texte besonders hervor: Bedeutungsgehalt von Erzählung in der Heilung des Gelähmten (Lukas 5,17-26), Metapher im Logos-Verständnis Johannes 1 und begriffliche Abstraktion bei Paulus unter besonderer Betonung von Glaube und Liebe mit Bezug auf Galater 5,6. Allein diese Beispiele belegen die multikulturelle Vielfältigkeit und sprachliche Differenzierungsfähigkeit im Neuen Testament. Durch die Überwindung kultureller Grenzen werden unterschiedliche Gruppen in der Gemeinde Jesu Christi zusammengeführt (S. 66).
Ähnliches bestätigt die in der Lehrerfortbildung tätige Rita Müller-Fieberg. Sie arbeitet zugleich als Dozentin für Neues Testament an der Philosophisch-Theologischen Hochschule SVD, St. Augustin. Unter Bezugnahme auf Apg 1,8 und im weiteren Verlauf ihres Beitrags auf die Areopagrede des Paulus in Apg. 17 kann sie die interkulturelle und weltweite Wirksamkeit des Christentums betonen. Diesem universalen Gedanken gibt sie lokalen Ausdruck, indem Sie ihre Hochschule als Lernort interpretiert. Angesichts gelebter Vielfalt entstehen für Lehrende und Lernende wechselseitig neue Perspektiven. Solche Diversität bietet weiterhin die besondere Chance, lebenspraktische Relevanz mit biblischen Impulsen zu verbinden. Besonders Apg. 17 kann zu einen kommunikativen Handlungsmodell werden, das bei allen Schwierigkeiten von Vielfalt Brücken der Gemeinsamkeit ermöglicht.
3. Im Kontext der religionspädagogische Perspektiven geht Claudia Gärtner, katholische Religionspädagogin an der TU Dortmund, von der Tatsache aus, „dass der konfessionelle Religionsunterricht gesellschaftliche Pluralität nicht umfassend genug reflektiert“ (S. 89). Die Problematik benennt sie bereits im Titel ihres Beitrags: Konfessioneller Religionsunterricht – kulturelle Vielfalt als Herausforderung eines auf Homogenität konzipierten und auf Identität zielenden Faches. Mit der Hilfestellung der Komparativen Theologie – in deren demütiger, aber dennoch konfessorischer Verankerung (S. 100) – benennt sie religionspädagogische Rahmenbedingungen. Diese sollten für den (konfessionellen) Religionsunterricht: realisiert werden: günstige Zusammensetzung der Lerngruppen im Sinne des gleichen Status von allen, zwanglose menschliche Kontakte, gemeinsame Zielsetzungen – dies könnte das interreligiöses Lernen voranbringen.
Joachim Willems, evangelischer Religionspädagoge an der Universität Oldenburg, setzt sich mit dem Spannungsverhältnis von Komparativer Theologie und Jugendtheologie auseinander. Religiöse Vorstellungen von Kindern und Jugendlichen unterscheiden sich wesentlich von denen Erwachsener. Von daher ist eine Kinder- bzw. Jugendtheologie erforderlich. Die Komparative Theologie setzt die eigene Glaubensgewissheit voraus und bemüht sich, die Perspektive des Anderen in das eigene Denken einzubeziehen (S. 108). Angesichts dieses kooperativen Unterfangens zeigt der Blick auf die Jugendlichen, dass die meisten keineswegs in einer religiösen Tradition beheimatet sind. Wie also theologisch mit Jugendlichen sprechen? Als evangelischer Theologe ist der Blick des Autors auf andere Konfessionen und Religionen von seinem reformatorischen Glaubensverständnis geprägt. Es hat in der Rechtfertigungslehre seinen Schwerpunkt. Er stellt beispielhaft Interviews mit einem muslimischen Jungen und einem evangelikal denkenden Mädchen vor. Diese sind allerdings keineswegs repräsentativ für die „Jugend“. Dennoch zeigt sich bereits hier, dass Komparative Jugendtheologie ein schwieriges Unternehmen sein/werden dürfte. Dennoch könnte es lohnend sein, weil sich Jugendliche eben auch zu Religion und religiöser Pluralität verhalten und sich damit auch theologisch äußern.
4.  In den ökumenischen Perspektiven wird deutlich, wie sehr die Einbindung in die eigene religiös-kulturelle Tradition die jeweiligen interreligiösen Intentionen steuert und sprachlich beeinflusst.
In der syro-malabarischen Sicht von Tony Neelankavil, Dogmatiker am Marymatha Major Seminary in Trichur (Kerala), leitet der südindische Kontext seine Ausführungen. Das bedeutet konkret, die Auseinandersetzung mit den politischen Verschärfungen durch das Anwachsen des Hindu-Nationalismus. Der Autor nennt dies einen „asymmetrischen kulturellen Fundamentalismus“ (S. 147). Mit seinem korrelativen Verständnis von Trinität beschreibt er dann eine interkulturelle Hermeneutik mit den Stichworten von Reziprozität (= eigene Veränderung durch die Begegnung mit dem Anderen), Kenosis (= sich selbst dem Anderen verschenken), Gastfreundschaft (= Empfangen und Geben für Gastgeber und Gäste), Harmonie (= Dynamik für positives Wachstum). In dieser Weise verändert sich auch die Kirche und wächst selbst durch einen (kritischen) Dia-log und Poly-log (S. 147) mit der umgebenden Gesellschaft und ihren religiösen Ausprägungen.
Für Vasilica Mugurel Pavaluca, orthodoxer Theologe am Institut für Ev. Theologie der TU Dortmund, ist die Integration des Menschen in die christliche Welt definiert von der „ekklesialen Gemeinschaft der Gottwerdung“. Die Basis dafür ist die Gottähnlichkeit des Menschen, „das Bild Gottes im Menschen“ (S. 151). Die aktualisierenden Konsequenzen für Ethik und Moral versucht der Autor christologisch und trinitätstheologisch im Blick auf verschiedene Positionen der Kirchenväter zu formulieren. Die orthodoxe Theologie hat dazu etwa folgende Denklinie entwickelt, nämlich „dass zwischen der Gnade Gottes und der menschlichen Freiheit eine Art Synergie entsteht und keine Gegensätzlichkeit“ (S. 155). Das tragende Element dieser soteriologischen Balance zwischen Gnade und Freiheit bildet die Liebe im Sinne der Nachahmung Christi. So stellt sich (für den Rezensenten) hier die Frage, wie dieser Ansatz nicht nur ethisch, sondern auch komparativ-theologisch und interreligiös weiter entwickelt werden kann.
Der vorliegende Band dokumentiert insgesamt eine wichtige Etappe auf einem herausfordernden Weg: Interkulturelle Theologie wird ihn noch bewusster weitergehen müssen – in ihren biblisch-hermeneutischen Ausformungen, in einer interreligiös offenen Dogmatik und Ethik sowie einer Pädagogik des interreligiösen Lernens. Nur so wird Theologie interdisziplinär und gesamtgesellschaftlich sprachfähig bleiben – mag sie pluralistisch, komparativ, kontextuell oder interkulturell heißen.
Reinhard Kirste


Rz-Gmainer-Pranzl-Interkult-Theol, 24.01.17

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