Dienstag, 5. Dezember 2017

Islamische (Zerr-)Spiegelungen im deutschen Blickfeld (aktualisiert)

Alfred Schlicht: Gehört der Islam zu Deutschland?
Anmerkungen zu einem schwierigen Verhältnis.
Zürich: Orell Füssli 2017, 232 S. -- ISBN 978-3-280-05644-8 --
Die These des vormaligen Bundespräsidenten Christian Wulff „Der Islam gehört zu Deutschland“, hat eine Debatte angeheizt, die sich seitdem nicht mehr gelegt hat. Ablehnung und Skepsis gegenüber dem Islam kennzeichnen einen großen Teil der deutschen Bevölkerung. Die dramatischen politischen Veränderungen in der Türkei und die hohe Zustimmung zur Politik Erdogans bei den Menschen mit türkischen Hintergrund in Deutschland haben ganz sicher nicht zur Verbesserung dieser beunruhigenden Werte beigetragen – im Gegenteil.
In einer solchen gesellschaftlichen Krisensituation ist man gespannt, wenn sich ein Kenner muslimischer Länder zu diesem Themenkomplex äußert. Alfred Schlicht hat als Orientalist und deutscher Diplomat viele Jahre im Nahen Osten gelebt. Die Städte Sana’a, Beirut, Kairo und Amman sind ihm besonders vertraut. Er hat dadurch auch hautnah erlebt, wie der Koran zur Rechtfertigung von Gewalt und Terror von bestimmten islamischen Gruppen missbraucht wurde.
So beginnt das Buch im 1. Kapitel mit einer Art kritischem Koran-Kommentar unter Heranziehung von Sure 9,28: „Die Ungläubigen sind Schmutz“. Allerdings lässt sich angesichts der „Flexibilität“ der arabischen Sprache fragen, ob man diese Formulierungen als wörtliche Zitate ausgeben darf. Nach diesem Paukenschlag geht der Autor differenzierter mit der Stellung von Andersgläubigen und Ungläubigen unter islamischer Herrschaft um.
Dass selbst das Dhimmi-System im heutigen Sinne keine Gleichberechtigung von religiösen Minderheiten ist, liegt auf der Hand (S.17). Und es ist leider ebenfalls richtig, dass der Salafismus als Frucht extrem konservativer Koran-Auffassung für Andersgläubige nichts Gutes erwarten lässt.


Im 2. Kapitel erläutert Schlicht dschihad als „Heiligen Krieg“, was aber nicht der Wortbedeutung entspricht: vielmehr ist dschihad Anstrengung, und nur bei der Bedrohung des Glaubens darf Gewalt ausgeübt werden. Darum kann man auch die schwierige Unterscheidung zu Dar al-Harb (Haus des Krieges) und Dar al-Islam (Haus des Friedens) nicht so zusammenfassen: „Ein dauerhafter Frieden mit der nichtislamischen Welt ist im islamischen Staats- und Völkerrecht nicht vorgesehen“ (S. 24). Der Grund ist geradezu banal: Das islamische Recht ist generell nicht endgültig fixiert und wird regional sehr unterschiedlich ausgelegt. Dass islamische Herrscher ihre Eroberungsfeldzüge religiös begründeten (ähnlich wie die Christen) zeigt nur, dass der Koran eben auch militant interpretiert werden kann – bis hin zum islamistischen Terrorismus.

Im 3. Kapitel hinterfragt der Autor dann die Friedenstendenzen im Islam. Dass Koran und Sunna in Geschichte und Gegenwart auch gewalttätig ausgelegt wurden und werden, ist leider wahr und verschärft dadurch Tendenzen in einem Islamverständnis, das von der Abgrenzung gegenüber dem Westen lebt und offensichtlich auf Ausgegrenzte erhebliche Faszination ausübt. Hier wäre eine genauere Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Entwicklungslinien islamischer Geschichte einerseits und mit Mouhanad Khorchide andererseits hilfreich gewesen (bes. S. 45), geradeweil es im Islam keine Deutungshoheit – auch zum Thema Gewalt  gibt.

Das 4. Kapitel beschäftigt sich der Autor mit Variationen des wirklich gefährlichen islamistischen Terrors: Al-Kaida, Boko Haram, Al-Shabaab, Taliban, der „Islamische Staat“ und einige weitere Beispiele des „bunten Terrormosaiks – weltweit“ (S. 75ff). Es ist nicht unwichtig anzumerken, dass die meisten Opfer der Terrorgruppen Muslime sind.

Für die Muslime in Deutschland, so das Kapitel 5, zeichnet der Schlicht in Konsequenz des bisher Gesagten eine beunruhigende Negativsituation: Das absolut gesetzte göttliche Wort des Korans steht für viele Muslime über dem Grundgesetz, islamischer Antisemitismus ist keine Randerscheinung, und Extremisten kommen als getarnte Flüchtlinge nach Deutschland. Der Vorrang der Männer vor den Frauen, sog. Ehrenmorde, Zwangsheiraten und Kinderehen, Kampf gegen Satire, Ablehnung der Pressefreiheit u.a.m. scheinen keinen Reformislam zuzulassen. Hier schlägt zugleich eine belehrende Mentalität durch, nämlich was die Muslime bei uns und von uns noch lernen müssen! Es bringt m.E. nichts, nur (unbestrittene) Negativbeispiele aus der Parallelgesellschaft muslimischer „Cluster“ (S. 135) vorzuführen und einzelne Statistiken verallgemeinernd als Beleg anzugeben.
Dass nun der Verfasser auch noch mit einem „Scharia“-Begriff arbeitet, den selbst konservative islamischen Theologen nicht benutzen, ist wirklich ärgerlich, zumal Mouhanad Khorchide (und andere) hierzu Wesentliches gesagt haben: Scharia als Lebensorientierung und Rahmen für islamische Gesetzgebung (Schlicht hat Khorchides: Scharia – der missverstandene Gott doch im Literaturverzeichnis!). Dass der Begriff Scharia als (brutales) Disziplinierungsreglement von radikalen Muslimen benutzt wird (S. 139-141, bis hin zur „Scharia-Polizei“, S. 141), ist leider ebenso wahr wie die Tatsache, dass islamistische Scharia-Interpretationen die Vorurteile auf beiden Seiten nur noch weiter hochschaukeln.

Was lehrt uns dies alles? Im 6. Kapitel bejaht Schlicht zwar, dass der Islam zu Deutschland gehört. Aber ganz im Jargon des politischen Schlagabtausches stellt er fest, das Multikulti gescheitert ist, aber Integration notwendig sei – als unabgeschlossener dynamischer Prozess (S. 169). Also keine Islamophobie, aber auch kein Kuschelkurs. Leider gelingt es dem Autor auf diese Weise nicht, den Begriffsdschungel der gesellschaftlichen Islamdiskurse zu lichten. Schlichts Bilanz klingt insgesamt wenig ermutigend. Zwar ist es richtig, Grenzen aufzuzeigen, wo die freiheitlich-demokratische Gesellschaft bedroht wird, aber zum Optimismus verdammt zu sein (S. 199), reicht nicht, um islamische Identität unter den Vorgaben des Grundgesetzes zu stärken. Vielmehr müssen diejenigen Muslime (gerade auch Theologen) öffentlichkeitswirksamer zu Worte kommen, die die Absolutheitsansprüche und Verschwörungstheorien der Radikalen und Gewaltbereiten kompetent widerlegen. Denn die variantenenreiche Auslegungsgeschichte des Korans und der Sunna ermöglichen auch, die islamischen Friedensaussagen für  eine multikulturelle Gesellschaft zum Tragen zu bringen. 
Schade, dass ein guter Kenner der arabischen Welt seine „Anmerkungen“ überwiegend an einer Negativ-Folie des Islams festgemacht hat.

Interview mit Alfred Schlicht in "Buchszene" vom 14.08.2017:
Gehört der Islam zu Deutschland? - Eine brisante Frage


Interview mit Alfred Schlicht im "Deutschlandfunk" vom 11.09.2017
Islamdebatte: "Religion schottet die Menschen ab"
Älterer (empfehlenswerter) Titel des Verfassers: Die Araber und Europa (2008).
Rezension: https://buchvorstellungen.blogspot.de/search?q=Schlicht



Im Blick auf die Analysen und Einschätzungen von Alfred Schlicht ist auch eine gewisse Nähe zu zwei weiteren Veröffentlichungen  im konservativen Orell Füssli-verlag von Journalisten deutlich, die ebenfalls viele Erfahrungen in der Arabischen Welt gesammelt haben.
Sie sehen den Islam gerade bei seinem Auftreten im Westen ausgesprochen kritisch:


  • Samuel Schirmbeck: Der islamische Kreuzzug und der ratlose Westen.
    Zürich: Orell Füssli 2017, 288 S.
  • Nikolas Hénin: Der IS und die Fehler des Westens.
    Warum wir den Terror militärisch nicht besiegen können.
    Zürich: Orell Füssli 2016, 216 S.
Ausführliche sehr positive Besprechungen im Magazin des Orell-Füssli-Verlages:
sachstark Nr. 1 (Oktober 2016), S.10-13

Reinhard Kirste



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