Olivier Roy: Le djihad et la mort.
Paris:
Seuil 2016, 176 pp. --- ISBN 9782021327045 ---
Verlagsinformation: hier
Deutsche Ausgabe: “Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod.
Der Dschihad und die Wurzeln des Terrors. München: Siedler (Random House) 2017,
176 S.
--- ISBN
9783827500984 ---
Verlagsinformationen: hier
Der Politologe Olivier Roy,
Forschungsdirektor
am CNRS in Paris,
unterrichtet zugleich
am
Europa-Institut Florenz.
Seine vielen Publikationen nehmen immer wieder Bezug auf die aktuellen
Entwicklungen in der islamischen Welt und ihre Folgewirkungen in Europa. Das
zeigen bereits seine bisherigen Veröffentlichungen seit über einem Jahrzehnt.
Vgl. die Besprechungen: https://buchvorstellungen.blogspot.de/search?q=Olivier+Roy
am CNRS in Paris,
unterrichtet zugleich
am Europa-Institut Florenz.
Seine vielen Publikationen nehmen immer wieder Bezug auf die aktuellen Entwicklungen in der islamischen Welt und ihre Folgewirkungen in Europa. Das zeigen bereits seine bisherigen Veröffentlichungen seit über einem Jahrzehnt.
und das Interview mit Olivier
Roy zum Thema des Buches (Le Temps, 14.10.2016)
Aufgrund
seiner scharfsinnigen Analysen ist es darum zu begrüßen dass der hier zu
besprechende Titel auch ins Deutsche übersetzt worden ist. In der deutschen
Titel-Überschrift wird bereits auf die starke Motivation islamistischer
Gewalttäter hingewiesen.
Vom Djihad zum Djihadismus
In seinem Essay sieht Olivier
Roy seit 1995 im Vergleich zu vorherigen Anschlägen eine systematische Zunahme
eines umfassenden Terrors im Sinne einer Neubewertung des „Djihad“ als „Djihadismus“,
die seit etwa 1950 mit dem islamischen Theoretiker Said Qutb eingeleitet wurde
(S. 26, franz. Ausgabe). Er forderte eine Rückkehr zum wahren und echten Islam,
den auch die meisten islamischen Staaten verraten haben. Erst langsam entwickelten
sich in diesem „djihad“-Verständnis terroristische Tendenzen.
Dies
ist die theoretische Basis, auf der Roy besonders die schnelle Verbreitung des
„Islamischen Staats“ (IS/ISIS /DAECH) und der brutalen Umsetzung seines
politischen Machtanspruchs beschreibt. DAECH ist übrigens die arabische
Abkürzung für „Islamischer Staat im Irak und in der Levante“ (ISIS). Der Autor
legt dabei den Fokus auf Frankreich. In den anderen europäischen Ländern spielt
z.T. noch eine Rolle, dass eine Nation speziell verunsichert werden sollte:
London (seit 2005) und Madrid (2004).
Entwicklungen
Zur
Erinnerung: 1995 verübte Khaled Kelkal
(erschossen 29.09.1995) teilweise zusammen mit anderen Gleichgesinnten eine
Serie von Anschlägen (11.07. / 25.07./ 06.10. und 17.10. 1995 sowie Dezember
1996 in Paris / August 1995: im TGV und in Lyon). Es folgte im Dezember 2000
ein missglücktes Attentat auf dem Straßburger Weihnachtsmarkt.
Mit dem Jahr 2012 kristallisierten sich die Attentate Toulouse, Montauban am 11./15./19.03.2012 um die Schlüsselfigur Mohammed Merah (erschossen, 22.03.2012). Weltweite Erschütterung brachten schließlich die Terrorangriffe auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo (07.01.2015), auf das Pariser Vergnügungszentrum Bataclan (13.11. 2015) und der Lastwagenangriff während der Feierlichkeiten am Jahrestag der französischen Republik in Nizza (14.07.2016). Auffällig ist dabei, dass sich faktisch alle Terroristen selbst in die Luft gesprengt haben oder von der Polizei erschossen wurden. Mohammed Merah wiederholte ein Osama bin Laden zugeschriebenes Wort variantenreich: „Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod“. Hier wird der den Tod riskierende Terrorist mit dem Glanz des heldenhaften Märtyrers umgeben. Ursprünglich schien er für eine „gerechte Sache“, nämlich im Widerstand gegen (westlichen) Kolonialismus und machthungrige Diktatoren anzutreten. Jedoch betont Roy, dass die gewaltsame Radikalisierung nicht die Konsequenz religiöser Radikalisierung sein muss, selbst wenn sie sich oft der Wege und Paradigmen des Islam bedient, vielmehr ist es eine „Islamisierung der Radikalität“ (S. 18, franz. Ausgabe). Religiöser Fundamentalismus schlägt nicht automatisch in politische Gewalt um, aber apokalyptische Visionen mit der entscheidenden Endzeitschlacht (Harmageddon) für die wahren Gläubigen gewinnen mehr und mehr an Boden. Allerdings muss man festhalten, dass absolut Glaubende im Judentum und im Christentum zwar oft die sie umgebende moderne, säkulare gottlose Gesellschaft verurteilen, ohne jedoch gewalttätig zu werden.
Mit dem Jahr 2012 kristallisierten sich die Attentate Toulouse, Montauban am 11./15./19.03.2012 um die Schlüsselfigur Mohammed Merah (erschossen, 22.03.2012). Weltweite Erschütterung brachten schließlich die Terrorangriffe auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo (07.01.2015), auf das Pariser Vergnügungszentrum Bataclan (13.11. 2015) und der Lastwagenangriff während der Feierlichkeiten am Jahrestag der französischen Republik in Nizza (14.07.2016). Auffällig ist dabei, dass sich faktisch alle Terroristen selbst in die Luft gesprengt haben oder von der Polizei erschossen wurden. Mohammed Merah wiederholte ein Osama bin Laden zugeschriebenes Wort variantenreich: „Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod“. Hier wird der den Tod riskierende Terrorist mit dem Glanz des heldenhaften Märtyrers umgeben. Ursprünglich schien er für eine „gerechte Sache“, nämlich im Widerstand gegen (westlichen) Kolonialismus und machthungrige Diktatoren anzutreten. Jedoch betont Roy, dass die gewaltsame Radikalisierung nicht die Konsequenz religiöser Radikalisierung sein muss, selbst wenn sie sich oft der Wege und Paradigmen des Islam bedient, vielmehr ist es eine „Islamisierung der Radikalität“ (S. 18, franz. Ausgabe). Religiöser Fundamentalismus schlägt nicht automatisch in politische Gewalt um, aber apokalyptische Visionen mit der entscheidenden Endzeitschlacht (Harmageddon) für die wahren Gläubigen gewinnen mehr und mehr an Boden. Allerdings muss man festhalten, dass absolut Glaubende im Judentum und im Christentum zwar oft die sie umgebende moderne, säkulare gottlose Gesellschaft verurteilen, ohne jedoch gewalttätig zu werden.
Radikalisierung und Terrorismus: Die Verbreitung von
Angst
Auch
wenn in den letzten Monaten der IS faktisch zurückgedrängt wurde, vielleicht
sogar weitgehend militärisch besiegt ist, so spielen seine Protagonisten weiterhin
bewusst mit der Angst der Menschen. Der islamistische Terror schürt zugleich Ängste vor „dem“ Islam als weltweite
Bedrohung. Es sei angemerkt, dass der Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt
2016 mit gleicher Motivation erfolgte. Immer wieder geht es darum, den Konflikt
zwischen der Sicherheit der Bürger und dem Verhalten des Rechtsstaates auf die
Spitze zu treiben und so die Angst vor der scheinbaren Ohnmacht des Staates zu
schüren.
In
eine ähnliche Richtung argumentiert übrigens auch der Psychologe Fethi Benslama.
Allerdings betont er, dass das Politische konsequent auf das Religiöse
reduziert wird und von hier die Zunahme der Gewalt ausgeht.
Vgl. Fethi Benslama und die Radikalisierung des Islam:
https://buchvorstellungen.blogspot.de/2016/11/vorankundigungen-fethi-benslama-und-der.html
Vgl. Fethi Benslama und die Radikalisierung des Islam:
https://buchvorstellungen.blogspot.de/2016/11/vorankundigungen-fethi-benslama-und-der.html
Angesichts
der tatsächlichen Bedrohungslage und ihrer eigenen Untersuchungen vertreten Gilles Kepel und François Burgat eine entgegengesetzte Position zu Roy: Sie sehen
die Gewalt in Grundstrukturen eines Islam der Frühzeit begründet. Dieser soll
nun revitalisiert werden. So versuchen sie, mit allen Mitteln gegen die
Ungläubigen im Orient und Okzident vorzugehen.
Vgl.
die zahlreichen Veröffentlichungen von Gilles Kepel: http://www.gallimard.fr/searchinternet/advanced?all_title=Kepel&SearchAction=1
und François Burgat: http://www.ifporient.org/francois-burgat
und François Burgat: http://www.ifporient.org/francois-burgat
Universaler Machtanspruch
und Globalisierung
Sofern aber die These Olivier Roys zutreffend
ist, dass die Religion von islamistischen Gewalttätern dazu benutzt wird,
bereits innerlich radikalisierte Menschen zu gewinnen, sieht sich der Autor
durch die ideologischen Vorgaben des sog. Islamischen Staats bestätigt, der
sich in vielen seiner Aktionen auf die Grundelemente des Islam bezieht . Viele
der Täter sind (junge) Erwachsene, die z.T. erst spät zum Islam konvertiert
sind und als Europäer – z.T. mit elterlichen Wurzeln in der arabischen Welt –
bisher keinerlei Kontakt dorthin hatten. Soweit sie dann als Milizionäre und
Selbstmordattentäter in den Nahen Osten gegangen sind, haben sie oft mit ihren
Familien völlig gebrochen.
Insgesamt legt sich der Schatten Osma bin Ladens und des
al-Qaida auf alle später entstandenen Gruppierungen, auch wenn der IS
schließlich mit al-Qaida brach. Die Ursache liegt darin, dass der IS die
regionale Begrenzung bisheriger Widerstandsgruppen und gewalttätiger
„Revolutionäre“ durchbrach. In Afghanistan/Pakistan, Libanon, Nordirak Syrien,
Maghreb und Subsahara-Afrika waren/sind dies in der Regel regional agierende
Gruppen. Der IS wollte jedoch ein globalisiertes und internationales „Kalifat“
positionieren. Die anfänglich großen Landgewinne im Irak und Syrien schienen
diese militärisch durchgesetzte Politik zu bestätigen – verschärft durch die
brutale Folterung und Tötung aller – gerade auch muslimischer – Gegner. Roy
nennt dies den Eintritt in den „globalen djihad“ (S. 139ff, französische
Ausgabe), der jedoch faktisch nicht gelingt. Die weitere Entwicklung nach dem
Erscheinen seines Buches zeigt sehr klar die von Roy bleibende territoriale
Begrenzung des IS, die weiter zugenommen hat. Der IS ist nämlich inzwischen in
die gefährlichste geostrategische Konfliktlinie zwischen Saudi-Arabien
(sunnitisch) und dem Iran (schiitisch) geraten (vgl. S. 149f mit den Hinweis auf Roys Buch: Le Croissant et le Chaos, 2007). Er wird
angesichts des Kampfes um die Vorherrschaft im Nahen Osten inzwischen als das
kleinere Übel angesehen. Auch dies bestätigt die gegenwärtige Entwicklung im
Mittleren Osten.
Damit gerät auch die „Vision“ des IS/Daech, den Westen zu
erobern, in den Hintergrund. Das islamische „Lager“ ist weltweit zerrissen wie
noch nie. Gerade der Islam in Europa ist in einem bisher nicht dagewesenen
Umbruch zwischen Reform und Salafiyya.
Radikalisierung
– ob „links“, „rechts“ oder „religiös“– ist zuerst immer Radikalisierung
einzelner – so Olivier Roy. Ihre Ursachen sind höchst komplex. Aber solche
persönlichen Lebens-“Zuspitzungen“ führen oft recht schnell in
gesellschaftspolitische Bahnen. Denn die Radikalen sind zugleich die
Militanten. Sie haben keine Angst vor Gefängnis oder Tod, aber sie möchten
ihre/die Vergangenheit mit allen Mitteln sichern. Auf ihrem Weg gibt es
keinerlei Irrtum. Olivier Roy formuliert darum als Wunsch, dass der Radikale im
Unbekannten bleibt (S. 167, französische Ausgabe).
Aktuelle Folgerungen
Folgt man dieser Logik
des Autors, dann könnte eine Folgerung sein, den brutalen Terror nicht zu
plakativ in den Medien zu verbreiten. Das bedeutet nämlich faktisch, das
Gewaltpotential der Radikalen zu stärken und ihnen eine entsprechende Bühne zu
bieten. Zugleich muss der Radikalisierung einzelner vor Ort durch Prävention
unbedingt entgegengewirkt werden.
Es lohnt sich, über
diese Thesen des Autors nachzudenken. Eine endgültige und voll befriedigende
Antwort aber kann es wohl nicht sein, aber das hat Olivier Roy mit diesem Essay
auch nicht erwartet.
Vgl. auch Jean Birnbaum: la religion des faibles.
Ce que le djihadisme dit de nous. Paris: Seuil 2018, 283 pp.
--- Rezension: hier
Vgl. auch Jean Birnbaum: la religion des faibles.
Ce que le djihadisme dit de nous. Paris: Seuil 2018, 283 pp.
--- Rezension: hier
Reinhard Kirste
Rz-Roy-djihad,
10.12.17
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