Samstag, 31. März 2018

Buch des Monats April 2018: Ein Kardinal im Geiste des 2. Vaticanums


Karl Lehmann: Mit langem Atem.
Wege – Erfahrungen – Einsichten.
Der Kardinal im Gespräch mit Markus Schächter.
Freiburg u.a.: Herder 2017, 4. Aufl., 271 S., Namenregister
 --- ISBN 978-3-451-34967 --- 


In einem ausführlichen Gespräch kurz vor seinem 80. Geburtstag hatte der ehemalige ZDF-Intendant Markus Schächter die Möglichkeit, Lebensstationen von Kardinal Lehmann anzusprechen. So treten kirchliche Umbrüche und die pastorale Verantwortung dieses Kirchenmannes deutlich hervor. All dies ist von Lehmanns umfassender Glaubwürdigkeit geprägt als Priester, Theologe, Bischof und Kardinal. Er war durch seine herausragende Dialogfähigkeit in vieler Hinsicht ein Glücksfall nicht nur für die katholische Kirche, sondern auch für die Ökumene der Konfessionen, der Religionen und der (säkularen) Gesellschaft. 


Markus Schächter bringt dies in seinem Vorwort auf den Punkt: „Als Zeuges des Aufbruchs im Konzil (sc. Vaticanum II) hat er die Zeiten des nachkonziliaren Umbruchs … gestaltet und mitbestimmt … als ein Mann … mit Mut und Bereitschaft zum Risiko, mit standfester Gelassenheit und der Fähigkeit zum klaren Widerspruch, mit stets optimistischem Gottvertrauen …“ (S. 9).
Vgl. den Beitrag: Kardinal Lehmann – ein Brückenbauer der besonderen Art:
https://intra-tagebuch.blogspot.de/2018/03/kardinal-lehmann-ein-bruckenbauer-der.htm

Besonders spannend scheinen mir die im Buch zur Sprache kommenden Verbindungsbrücken zu sein, die der Bischof und Kardinal ermöglichte und mit anlegte. Sie haben offensichtlich mit seiner Verwurzelung in der christlichen Theologie und in ihrer dogmengeschichtlichen Vielfalt zu tun. Die theologische Dialogfähigkeit mit der Philosophie, aber auch im Blick auf Ethik und Gesellschaft erscheinen immer wieder als Prägepfeiler seines Denkens und Handelns. Denken und Glauben gehören für ihn untrennbar zusammen. Jegliche Abschottung ist ihm fremd, wie bereits seine Doktorarbeit über Martin Heidegger 1962 beweist. Und gern bezieht er sich auch auf ev. Theologen, z.B. auf Gerhard Ebeling (S. 196).
Hinter allem dürfte jedoch die (konziliare) Prägekraft Karl Rahners stehen. Dass die theologischen und philosophischen Freunde Lehmanns bei wichtigen katholischen Reformdenkern, evangelischen und jüdischen Theologen zu finden sind, verwundert nicht (S. 240f).
Um den Rahmen seiner Vielfältigkeit zu verdeutlichen – hier einige Orientierungsdaten:

Geboren. 16.05.1936 in Sigmaringen – gestorben: 11.03.2018 in Mainz
Studium der Philosophie und kath. Theologie an den Universitäten Freiburg, Rom. München und Münster
1962 – 1965 Mitarbeiter Rahners beim 2. Vatikanischen Konzil
1963 Priesterweihe in Rom durch Kardinal Döpfner
1964 – 1967: Assistent von Karl Rahner an der Universität München und 1967 an der Universität Münster
1968 Ruf auf den Lehrstuhl für Dogmatik und theologische Propädeutik an der Universität Mainz
1971 – 1983 Professor für Dogmatik und Ökumenische Theologie an der Universität Freiburg
1983 bis 2016  Bischof von Mainz
Von 1987 bis 2008 Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.
2001 Ernennung zum Kardinal durch Papst Johannes Paul II.
In seinem Leben hat Lehmann auch viele universitäre und staatliche Ehrungen erhalten.
In den bisherigen Besprechungen zu diesem Buch wurde natürlich auch auf die kirchlichen Stolpersteine eingegangen, so auch auf die beunruhigenden Versuche, die Reformergebnisse des Vaticanum II zurückzudrehen. Ebenfalls sind die Probleme mit der römischen Kurie geblieben. Der Anspruch klerikaler Kirchenpolitiker aus übersichtlichen Gemeinden und Diözesen Organisationsstrukturen des XXL schaffen wollen, geht dem Kardinal völlig gegen den Strich.
Mir scheint besonders wichtig: Mit Karl Rahners Ansätzen zur Kirchenreform bleibt Lehmann immer theologisch und kirchenpolitisch solidarisch. Er teilt auch dessen scharfe Kritik an der nachkonziliaren Kirche (S. 112–115). Die Kontroverse mit Kardinal Meisner war für Lehmann zwar eine schwierige, aber letztlich weiterführende Erfahrung (S. 212). Gegen den Entzug der Lehrerlaubnis von Hans Küng 1979 hatte sich Lehmann mit aller Schärfe gewandt, obwohl Hans Küng in den vorausgehenden Konflikten seinen Professorenkollegen durchaus ambivalent sah. Zuweilen gerät auch dialogische Geschicklichkeit in ein schiefes Licht und ermöglicht keine Veränderungen am Status quo.

Es lockt mich an dieser Stelle, dem (Pastoral-)Theologen Lehmann einen etwas jüngeren gegenüberzustellen:
Paul M. Zulehner (geb. 1939).
Wie unterschiedlich die Wege sein können, die von der Aufbruchssituation des 2. Vatikanischen Konzils geprägte Kirchenleute für die Praxis vor Ort versuchen umzusetzen, zeigt ein Blick in dessen autografisch geprägtes Buch „Mitgift“ (Patmos-Verlag 2014). Uns begegnet hier auch eine andere Mentalität, die mehr die kirchenreformerischen Impulse – durchaus deutlicher im Streit mit Blockierern – hervorleuchten lässt. Zulehner kommt in Lehmanns Gesprächen seltsamerweise nicht vor, aber ein wichtiger Förderer Zulehners, der beeindruckende Konzilstheologe und Wiener Kardinal König (S. 103).
Ausführliche Rezension: https://buchvorstellungen.blogspot.de/2014/10/kirchenreform-und-kirchenkritik-zur.html

Die Wahl von Jorge Mario Bergoglio zum Papst 2013 sieht Lehmann in Konsequenz seines konziliaren Reformdenkens als einen Glückfall für eine katholische Kirche an, die sich den Herausforderungen der Gegenwart bewusst stellt und damit zukunftsfähig wird. Lehmann sieht, dass in diesem Jesuiten auf dem Papststuhl spirituelle Intensität, Unterscheidungsvermögen, Gelassenheit, Demut und lateinamerikanische Erfahrungen der Befreiungstheologie der Kirche guttun werden. Mit Franziskus sind hoffentlich auch in Rom alle päpstlichen Renaissanceallüren ein für allemal tabu.

Kardinal Lehmann war beim „Kirchenvolk“ äußerst beliebt. Das hing offensichtlich mit seiner menschlichen, unhierarchischen Haltung gegenüber allen zusammen, die ihm begegneten. Das passte gut für Mainz, einem Bistum das nicht nur Weltgeschichte schrieb, sondern auch geprägt ist von rheinischen Frohnaturen zwischen Karneval und Mainz 05, eben dem Heimatverein des Kardinals. Man wird diesen Kirchenmann als vorsichtigen, aber konsequenten Reformer der Kirche gern im Gedächtnis behalten. Das vorliegende Gesprächsbuch lädt immer wieder ein, mit ihm über eine glaubwürdige Kirche der Zukunft nachzudenken. Einen langen Atem braucht man offensichtlich dazu …
Reinhard Kirste

Rz-Lehmann-Atem 31.03.18 


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