Mouhanad Khorchide / Klaus von
Stosch: Der
andere Prophet. Jesus im Koran.
Freiburg u.a.: Herder 2018, 320 S.
--- ISBN: 978-3-451-38154-6 ---
Freiburg u.a.: Herder 2018, 320 S.
--- ISBN: 978-3-451-38154-6 ---
English summary at the end of the review !
Sowohl von christlicher als auch von islamischer Seite gibt es
bereits zahlreiche „Monografien“ über Jesus entweder aus christlicher oder
islamischer Sicht. Sie spiegeln damit zum einen die jeweilige gläubige Einstellung
der Verfasser wieder, zum anderen bemühen sich eine Reihe von Autoren
religionswissenschaftliche Erkenntnisse und historische Zusammenhänge in ein
adäquates Jesusbild zu integrieren. Dass islamische Jesusverständnisse auch
bedeutsam für christliche Jesusbilder bedeutsam sein können, steht dabei außer
Frage. Auch christliche Forscher haben sich darum bemüht, den Christus der
Muslime positiv herauszustellen. So liegt eine erstaunlich vielfältige
Literatur zu diesem Thema bereits vor.
Die erste Besonderheit
des vorzustellenden Buches ist jedoch, dass ein muslimischer und ein
christlicher Autor gemeinsam über
Jesus im Koran geschrieben haben und dies auch gemeinsam verantworten (S. 12).
Die zweite Besonderheit
ist die „Diachronizität“ der Darstellung. Das bedeutet, dass
entwicklungsgeschichtliche Verläufe der Koranauslegung im Blick auf die
koranischen Aussagen über Jesus verdeutlicht werden (S. 13). Das ist mehr als
eine historische Einordnung bestimmter Auslegungstendenzen. Genaugenommen
entsteht – verstärkt durch das dialogische Vorverständnis der Autoren – ein
Beitrag zu einer interreligiösen Theologie. Sie zeichnet sich durch einen
kontinuierlichen Perspektivwechsel aus.
Ein solcher hermeneutisch- dialogischer
Prozess eröffnet im Horizont koranischer Sichtweisen neue und erweiterte
Jesusverständnisse.
Als eine gewisse Vorarbeit kann man ansehen:
Klaus von Stosch / Mouhanad Khorchide (Hg.): Streit um Jesus – Muslimische und christliche Annäherungen.
Beiträge zur Komparativen Theologie, Bd. 14. Paderborn: Schöningh 2016, 282 S.
Klaus von Stosch / Mouhanad Khorchide (Hg.): Streit um Jesus – Muslimische und christliche Annäherungen.
Beiträge zur Komparativen Theologie, Bd. 14. Paderborn: Schöningh 2016, 282 S.
Insgesamt wirkt sich positiv aus, dass beide Autoren nicht nur
geschulte Theologen sind, sondern auch jahrelange Erfahrungen aus dem
christlich-islamischen Dialog mitbringen: Mouhanad
Khorchide, seit 2010 Professor für islamische Religionspädagogik in Münster,
und Klaus von Stosch, Professor für
Katholische (systematische) Theologie in Paderborn.
--- Mehr zu Mouhanad Khorchide (geb. 1971) mit Buchrezensionen:
https://buchvorstellungen.blogspot.de/2013/01/islam-ist-barmherzigkeit.html
--- Mehr zu Mouhanad Khorchide (geb. 1971) mit Buchrezensionen:
https://buchvorstellungen.blogspot.de/2013/01/islam-ist-barmherzigkeit.html
--- Mehr zu Klaus von
Stosch (geb. 1971):
https://kw.uni-paderborn.de/institut-fuer-katholische-theologie/systematische-theologie/team/prof-dr-klaus-von-stosch/
https://kw.uni-paderborn.de/institut-fuer-katholische-theologie/systematische-theologie/team/prof-dr-klaus-von-stosch/
In der Einleitung – Kapitel 1 – betonen die beiden
Verfasser, dass die herausgehobene Bedeutung Jesu im Koran für Muslime eine
kritische Auseinandersetzung mit der Christologie erfordert. Auf der anderen
Seite „steckt in der Darstellung Jesu Christi im Koran ... ein wichtiges
Lernpotenzial für die christliche Theologie“ (S. 11). Imgrunde ist von daher
eine dialogische Auseinandersetzung zwischen islamsicher und christlicher
Theologie geradezu zwingend.
Nun sind bekanntlicherweise die
Heilsbedeutung und Göttlichkeit Jesu einer der wesentlichen Streitpunkte
zwischen Christentum und Islam. Das ist der Impuls für die Autoren, die Entwicklung der Christologie, der sog.
Zweinaturenlehre im christlichen Jesusglauben, besonders seit dem Konzil von Chalcedon (451) ausführlich
zu thematisieren – Kapitel 2. Die
konfliktreichen Veränderungen dieser Lehre bis zum 7. Jahrhundert spielen auch
für die Religionsgeschichte auf der arabischen Halbinsel eine wichtige Rolle.
Nur in diesem Kontext lässt sich verstehen, wie die islamische Abwehr der
Gottessohnschaft Jesu auch theologisch begründet wird. Darum halten die Autoren
fest: „Der wichtigste missionarische Einfluss auf Mekka und Medina dürften
dabei wohl miaphysitisch geprägten Christen aus Südarabien ausgegangen sein“
(S. 55).
Zum (nestorianischen) Dyophysitismus
und den miaphysitischen [monophysitischen] Christologien,
vgl. http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/949859
vgl. http://deacademic.com/dic.nsf/dewiki/949859
So können die Autoren zeigen, wie das äthiopische, westsyrische
und ostsyrische Christentums, aber selbst
pro-chalcedonensche Strömungen wie die Melkiten, auf der arabischen Halbinsel teilweise eine deutliche Nähe zu dem entstehenden Islam erkennen lassen (S. 64f).
pro-chalcedonensche Strömungen wie die Melkiten, auf der arabischen Halbinsel teilweise eine deutliche Nähe zu dem entstehenden Islam erkennen lassen (S. 64f).
Aber man kann schon ahnen: Der soteriologische Konflikt zur
Bedeutung Jesu beginnt bereits in der Frühphase des Islam. Er schaukelt sich dann
bis ins Mittelalter polemisch hoch, wenn auch die jeweiligen christologischen Streitpunkte
variieren.
Vgl. dazu auch: Míkel de
Epalza: Jesus zwischen Juden, Christen und Muslimen.
https://buchvorstellungen.blogspot.de/2015/12/mikel-de-epalza-promotor-des-iberischen.html
https://buchvorstellungen.blogspot.de/2015/12/mikel-de-epalza-promotor-des-iberischen.html
Neuaufbrüche in der
Christologie der Gegenwart bestimmen das Kapitel 3. Eine entscheidende Etappe – auch für die theologische Begegnung
mit dem Islam – bildet Friedrich Schleiermacher, „der radikal mit der Zwei-Naturen-Lehre
gebrochen hat“ (S.
69). Hinzu kommt die Tendenz gegenwärtiger evangelischer und katholischer
Theologen, eine Christologie von unten zu
strukturieren, die auch historisch
und exegetisch verstärkten Rückhalt findet. Insgesamt geht es darum, „die
Besonderheit Jesu nicht in seiner Natur, oder in seinem Sein zu suchen, sondern
in der Art, wie er mit Gott in Beziehung steht“ (S. 81). Von daher ist auch die
Inkarnation nicht auf den einmaligen Akt in der Person Jesu beschränkt. Man
darf also davon ausgehen, „dass der Gott Jesu Christi sich auch in einem
ästhetischen Sprachgeschehen in seiner Schönheit und Liebe zeigt“ (S. 93). Hier
bildet sich bereits eine Brücke zum Koran als Wort Gottes, das die Schönheit
Gottes erfahrbar macht (S. 93). Diese Vermutung muss allerdings am Koran selbst
geprüft werden.
Das
wird in Kapitel 4 ausführlich unter
systematischer Aufarbeitung, in „surenholistischer
Lektüre“ vorgenommen: Maryam – Maria (Sure 19), Al-Imran = Das Haus Imran
(Imran, Vater der Maria, Sure 3), Al-Ma’ida = der Tisch (Sure 5). Die
Schwerpunktsetzung – mit Referenzen aus anderen Koranstellen – bezieht sich
also auf Geschichten und Texte zur Familie
Jesu sowie auf die (narrativen) Anmerkungen zum Leben Jesu bis zu seinem Tod.
Ein
Großteil der Muslime geht davon aus, dass Jesus nicht am Kreuz starb, aber der
Koran ist hier nicht eindeutig (S. 147ff). Allerdings: die koranische Jesulogie
bezieht sich nicht auf das Kreuz. Übrigens klingt alles weniger dramatisch,
wenn man bedenkt, dass in den östlichen Kirchen die Auferstehung so stark im
Fokus steht, dass dagegen das Kreuz fast marginal wirkt (S. 156). Überhaupt
sind die sog. antichristlichen Einwürfe gegen das christliche Jesusbild im
Kontext der christlichen Sonderformen auf der arabischen Halbinsel der
damaligen Zeit zu sehen. Beim islamischen Jesusbild kann nämlich festgehalten
werden, „dass die Vielfalt unterschiedlicher Glaubenswege aus koranischer Sicht
im Heilsratschluss Gottes begründet ist“
(S. 97). Allerdings wendet sich der Koran deutlich gegen eine Vergöttlichung
von Menschen (S. 162ff). So verfügt Jesus auch nicht über göttliches Wissen (S.
167).
Mit ihrer
ausführlichen Suren-Interpretation verdeutlichen die Autoren im Kapitel 5, wie die koranische Prophetologie zu verstehen ist. Die zeitlichen
Unterschiede innerhalb der mekkanischen Suren spielen ebenso eine Rolle wie die
Veränderungen in der medinensischen Zeit. So lässt sich sagen, dass die
Barmherzigkeit Gottes die Prophetie entstehen lässt (S. 203ff). Und diese ist
weniger ein Gegenmodell zu vorherrschenden Christologien. Jesus wird auch erst
in der medinensischen Phase des Korans den Gesandten zugeordnet. Propheten können
getötet werden, jedoch nicht Gesandte. Dies alles spielt natürlich für die Art
des Todes Jesu eine nicht unerhebliche Rolle. Hinzu kommt, dass der Koran
selbst bereits signalisiert, dass „der Prophetentitel eine gewisse Ambiguität
zu implizieren“ scheint (S. 225).
Hier muss
noch eine genauere Untersuchung folgen, nämlich wie die Bedeutung des Werkes Jesu einzuschätzen ist. Das Kapitel 6 geht darum vom christlichen
Verständnis der göttlichen Heilstat in
Jesus aus. Sie entspringt der geoffenbarten Menschenfreundlichkeit Gottes.
Das Kreuz Jesu Christi zeigt in seiner heilsamen Zuspitzung, dass sich Gott
selbst von dem Schmerz der Menschen betreffen und bewegen lässt“ (S. 227).
Gibt es in der islamischen Tradition hier eine gewisse Entsprechung, wenn auch keinerlei zu erwartende Gleichheit? Mit Hilfe von Avicennas neuplatonischem Liebesbegriff scheint sich eine Brücke aufzutun, ebenso im Gott-Mensch-Verhältnis im Kontext von Freiheit: Gott hat „sich in Freiheit selbst zur Barmherzigkeit bestimmt“
(S. 245.) In seiner Liebeseinladung an alle Menschen „respektiert“ Gott auch deren Freiheit, sonst wäre es ja keine Liebe (S. 247). So können auch Muslime anerkennen, dass Gott sich nicht nur in der Weise des Korans offenbart. Die Fitra-Theologie – mit ihrem wichtigen Anhalt in Sure 30,30 – zeigt an, dass der Mensch dank der göttlichen Schöpfung mit der wahren Religion ausgestattet ist, die sich erst im Laufe der Geschichte bzw. des einzelnen Menschenlebens in einzelne religiöse Richtungen konkretisiert. Aber der Gläubige lebt immer im Bewusstsein von taqwa im Sinne der hingebungsvollen Ehrfurcht vor dem barmherzigen Gott.
Welche soteriologischen Konsequenzen sind daraus jedoch auf die für Muslime extrem schwierige Kreuzestheologie zu ziehen? Der Gedanke vom Leiden Gottes ist dem Koran völlig fremd. Das ist einerseits die Gefahr einer Vermenschlichung Gottes. Andererseits darf Jesus als Diener Gottes nicht in die Vergöttlichung gehoben werden, weil sonst der Glaube an Gott zugunsten eines vergöttlichten Jesus aus dem Sichtfeld der Gläubigen zu verschwinden droht. Darum grenzt sich der Koran nur gegen miaphysitische bzw. gnostische Christusverständnisse und sich daraus entwickelnde Trinitätsvorstellungen ab. Von daher sehen die Autoren auch keine antichristliche oder antijüdischen Tendenzen im Koran – eher das Gegenteil.
Gibt es in der islamischen Tradition hier eine gewisse Entsprechung, wenn auch keinerlei zu erwartende Gleichheit? Mit Hilfe von Avicennas neuplatonischem Liebesbegriff scheint sich eine Brücke aufzutun, ebenso im Gott-Mensch-Verhältnis im Kontext von Freiheit: Gott hat „sich in Freiheit selbst zur Barmherzigkeit bestimmt“
(S. 245.) In seiner Liebeseinladung an alle Menschen „respektiert“ Gott auch deren Freiheit, sonst wäre es ja keine Liebe (S. 247). So können auch Muslime anerkennen, dass Gott sich nicht nur in der Weise des Korans offenbart. Die Fitra-Theologie – mit ihrem wichtigen Anhalt in Sure 30,30 – zeigt an, dass der Mensch dank der göttlichen Schöpfung mit der wahren Religion ausgestattet ist, die sich erst im Laufe der Geschichte bzw. des einzelnen Menschenlebens in einzelne religiöse Richtungen konkretisiert. Aber der Gläubige lebt immer im Bewusstsein von taqwa im Sinne der hingebungsvollen Ehrfurcht vor dem barmherzigen Gott.
Welche soteriologischen Konsequenzen sind daraus jedoch auf die für Muslime extrem schwierige Kreuzestheologie zu ziehen? Der Gedanke vom Leiden Gottes ist dem Koran völlig fremd. Das ist einerseits die Gefahr einer Vermenschlichung Gottes. Andererseits darf Jesus als Diener Gottes nicht in die Vergöttlichung gehoben werden, weil sonst der Glaube an Gott zugunsten eines vergöttlichten Jesus aus dem Sichtfeld der Gläubigen zu verschwinden droht. Darum grenzt sich der Koran nur gegen miaphysitische bzw. gnostische Christusverständnisse und sich daraus entwickelnde Trinitätsvorstellungen ab. Von daher sehen die Autoren auch keine antichristliche oder antijüdischen Tendenzen im Koran – eher das Gegenteil.
Und es
scheint sich durch neue Perspektiven auf
den Koran in Kapitel 7 sogar ein soteriologischer Brückenweg anzubahnen: „Der
Koran leugnet … keineswegs den Tod Jesu, sondern unterstreicht einfach nur,
dass er dem Hass der Gegner nicht definitiv unterlegen ist. Aber auch Jesus
sollte wie die Märtyrer, die auf dem Wege Gottes getötet wurden, nicht für tot
gehalten werden. Diese Erkenntnis lädt ein, in der Frage der Kreuzigung Jesu
keine scharfe Trennlinie mehr zwischen Islam und Christentum zu ziehen“(S. 298).
Das heißt doch dann auch: Bei allen unterschiedlichen Denk- und
Glaubensvoraussetzungen – Jesus lebt für
Christen und Muslime gleichermaßen im Horizont der schöpferisch-umfassenden
Liebe und Barmherzigkeit Gottes.
Bilanz
Diese aufregende Konsequenz aus der Arbeit der beiden Autoren
zum „anderen Propheten Jesus“ wird historisch und exegetisch sorgfältig
vorbereitet und gemeinsam systematisierend umgesetzt. Der Christ taucht in die islamischen
Argumentationsgänge ein, und der Muslim entdeckt die ausgefeilte theologische
Sprachfähigkeit zur soteriologischen Bedeutung Jesu. Daraus entsteht eine gemeinsame
Wegbereitung. Es sind Jesus-Interpretationen, die ein neues Verständnis im
gegenseitigen Hören entwickeln. So bezeugen Islam und Christentum gerade in
ihrer soteriologischen Motivation ihre innere Verwandtschaft. Die beiden
Theologen haben damit einen wesentlichen Markstein für eine zukunftsfähige
Begegnungstheologie gesetzt.
English summary
Two theologians, the Muslim Mouhanad Khorchide (University of Münster) and the Christian Klaus von Stosch (University of Paderborn) published this book as a result of explicitly common researches. Their motivation have been, to show the salutary role of Jesus in the Qur'an in the mirror of Christian soteriological traditions. Such a hermeneutic-dialogical process opens new and expanded understandings of the Qur'anic Jesus. Jesus is alive for Christians and Muslims likewise in the horizon of God's creative, comprehensive love and mercy.
This exciting consequence of the work of these two authors is consciously prepared by historical and exegetical analysis to show a common understanding. Thus Islam and Christianity testify in their soteriological motivation an inner relationship. The two theologians have thus set a significant milestone for a future-oriented theology of mutual encounter.
English summary
Two theologians, the Muslim Mouhanad Khorchide (University of Münster) and the Christian Klaus von Stosch (University of Paderborn) published this book as a result of explicitly common researches. Their motivation have been, to show the salutary role of Jesus in the Qur'an in the mirror of Christian soteriological traditions. Such a hermeneutic-dialogical process opens new and expanded understandings of the Qur'anic Jesus. Jesus is alive for Christians and Muslims likewise in the horizon of God's creative, comprehensive love and mercy.
This exciting consequence of the work of these two authors is consciously prepared by historical and exegetical analysis to show a common understanding. Thus Islam and Christianity testify in their soteriological motivation an inner relationship. The two theologians have thus set a significant milestone for a future-oriented theology of mutual encounter.
Reinhard Kirste
Rz-Khorchide-Stosch-Jesus,
11.05.18
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen