Montag, 2. Juli 2018

Wieder im Blick: Spirituelles Tibet - Mythen und Gottheiten


Fabrice Midal:
Tibetische Mythen und Gottheiten.
Einblick in eine spirituelle Welt. 
Aus dem Französischen  von Rolf Remers     
Berlin: Theseus 2002, 160 S. 
--- ISBN 3-89620-187-5 --- 
Original: Mythes et dieux tibétains.
Paris: Seuil 2000, 192 pp.

Collection 
Points, n° 152. Sagesses, n° 152
  • English summary at the end of the review
  • Résumé français au bout du compte rendu


Inhaltsverzeichnis
Zur Verdeutlichung auf die Bilder klicken!
Wer die religiöse Szene in Deutschland näher betrachtet, wird immer wieder auf buddhistische Zentren stoßen, die sowohl in reizvoller landschaftlicher Umgebung wie in den Städten zu finden sind. Viele von ihnen stehen dem tibetischen Buddhismus nahe und gehören einer der vier Hauptrichtungen bzw. Orden an. Auch manchen Anhängern, geschweige denn den völlig Unerfahrenen erschließt sich die Vielfalt des tibetischen Buddhismus nicht ohne weiteres. Er bleibt in gewisser Weise eine exotische Welt mit dem Geruch des Fremden, ein Glaubensmuster, das sich scheinbar nur schwer mit den Wurzeln der eigenen religiösen
Sozialisation verbinden lässt. 
Wer kennt sich schon mit
den fünf kosmischen 
Buddhas aus? Wer weiß, wie sich der Mahayana-Buddhismus in Tibet durch die Verbindung mit der vorbuddhistischen Bön-Religion entwickelt hat? Wie sieht der Zusammenhang mit der religiösen Vielfalt „auf der Seidenstraße“ aus? Was ist von einzelnen Riten zu halten?
Muss man tibetisch lernen, um den tibetischen Buddhismus zu verstehen?
Wieso gibt es Götter im Buddhismus?

Wer etwas über das Leben Buddhas und die ersten Jahrhunderte der buddhistischen Geschichte in Indien und Südasien bis hin nach China gelesen hat, wundert sich noch mehr:
Da gibt es im tibetischen Buddhismus jähzornige Gottheiten, die Menschen zertreten, im Götter-Pantheon spielt die sexuelle Verbindung eine große Rolle. Hier gerät ein Buddhismus, der doch asketisch zu sein scheint mit einer Glaubensrichtung zusammen, die die Ekstase liebt. Lässt sich das überhaupt vereinen? Und wie kann man von Göttern ausgehen, wenn es doch im Buddhismus eigentlich gar keine Schöpfung gibt?
Und es wird noch komplizierter: Die Unterteilung der Götter und Gottheiten in verschiedene Klassen müssen sich die LeserInnen als Grundlage klarmachen. Aber mit einem Mal gewinnt die nicht mehr zu überschauende Vielfalt ein Muster, das nicht im Lernen der verschiedenen Göttertypen besteht, sondern in der Entdeckung wie die Erfahrungen der Gnade und die Quellen des Segens göttliche und menschliche Gestalt annehmen und im Kreislauf der Wiedergeburten geradezu verankert sind.
Vermutlich liegt es an den schriftstellerischen Qualitäten des Autors, dass dieses Buch trotz einer Fülle von Informationen leicht zu lesen ist:
Fabrice Midal (geboren 1967) ist ein französischer Philosoph und Gründer der
École Occidentale de Méditation


In recht knapp (manchmal etwas zu knapp gehaltenen) Informationen klärt er auf:
Über die tibetische Welt der Götter, Halbgötter, Bodhisattvas, Lamas, Wallfahrer usw.  Er macht auf diese Weise deutlich, wie aus dem historischen Buddha der kosmische Buddha wurde. Auf dem Wege zur Buddha-Natur sind all die Rituale und Gebete, Herstellung von Mandalas und Opferungen, meditativen Übungen, Einweihungen und Visionen Wegmarken eines spirituellen Weges, besser eines spirituellen Wegenetzes, auf dem immer wieder Entdeckungen des Göttlichen möglich werden. Dharma und Karma sind dabei – wie generell im Buddhismus – Schlüsselbegriffe für die menschlichen Existenz.
„Das Vajrajana, der authentische Weg der Einweihung, bietet dem entmenschlichten Menschen die Möglichkeit, die göttliche Gegenwart wiederzuentdecken. Nicht indem Dogmen eingehalten werden, sondern indem man Methoden zur präziseren Überprüfung der eigenen Erfahrung findet und die eigene Unbegrenztheit entdeckt“ (S. 147).
Vielleicht liegt hier ein gut Teil der Faszination, die westliche Menschen bei der Annäherung an die vielen Varianten des tibetischen Buddhismus empfinden.
Wer dieses Buch aufmerksam liest, wird sicher eine Reihe von Missverständnissen und westlichen Fehlinterpretationen des Buddhismus beiseite legen können, er/sie wird aber auch leichter selbst den Dalai Lama im Kontext der spirituellen Welt Tibets sehen und entdecken, dass jede aufrichtig gelebte Religion auf den Dialog mit anders Denkenden und Glaubenden ausgerichtet ist. Das vorliegende Buch leistet dazu verständliche und informative Vorarbeit. Unter diesen Gesichtspunkten lässt es sich sogar als Unterrichtshilfe zur Vorbereitung des Lehrers/der Lehrerin und für ältere Schüler/innen als Wissensbasis gut nutzen.

English Summary
The author, Fabrice Midal (born 1967) is a French philosopher and founder of École Occidentale de Méditation (School of Western Meditation).
He gives clear explanations on the Tibetan world of the gods, demigods, bodhisattvas, lamas, pilgrims, etc. So the reader can understand how the historical Buddha became the cosmic Buddha. On the way to the Buddha-nature, all the rituals and prayers, preparation of mandalas and sacrifices, meditative exercises, initiations and visions are landmarks of a spiritual path, better of a spiritual network of paths where discoveries of the divine are possible. Dharma and Karma are - as generally in Buddhism - key concepts for human existence.

Résumé français
L'auteur, Fabrice Midal (né en 1967) est un philosophe français et fondateur de
l'École Occidentale de Méditation.

Il donne des explications claires sur le monde tibétain des dieux, des demi-dieux, des bodhisattvas, des lamas, des pèlerins, etc. Ainsi, le lecteur peut comprendre comment le Bouddha historique est devenu le Bouddha cosmique. Sur le chemin de la nature de Bouddha, tous les rituels et prières, la préparation des mandalas et des sacrifices, exercices méditatifs, initiations et visions sont des repères d'un chemin spirituel, mieux d'un réseau spirituel de chemins où les découvertes du divin sont possibles. Le dharma et le karma sont - comme généralement dans le bouddhisme - des concepts clés pour l'existence humaine.

Zuerst erschienen in Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau (Hg.): Gespiegelte Wahrheit. Biblische Geschichten und Kontexte anderer Religionen.
Iserlohner Con-Texte Nr. 18 (ICT 18). Iserlohn  2003, S. 93,
neu bearbeitet und erweitert: 02.07.2018

Reinhard Kirste

Chenresig Puja: Meditationsanleitung in Verbindung
mit dem vielarmigen Bodhisattva Avalokiteshvara,
dem großen Mitfühlenden (tibetisch =  Chenresig). 


CC

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