Sonntag, 5. Dezember 2021

Martin Repp: Christliche Religionstheologien als Grundlagen für interreligiöse Kommunikation

Martin Repp:
Der eine Gott und die anderen Götter. 
Eine historische und systematische Einführung
in Religionstheologien der Ökumene

Leipzig: EVA [2018], 2021, 2. Aufl. 472 S., Register

ISBN 978-3-374-07023-7



--- Zusammenfassende Bilanz am Schluss der Rezension
--- Summarized result at the end of the review

Der evangelische Theologe und Religionsphilosoph Martin Repp (geb. 1953) war u.a. von 2004–2009 Professor für Vergleichende Religionswissenschaft an der buddhistischen Ryukoku Universität (Kyoto) und von 2009 bis 2015 Privatdozent an der Universität Heidelberg. Seit 2009 arbeitet er als Referent für den Dialog mit asiatischen Religionen am Zentrum Ökumene der EKHN und EKKW, Frankfurt am Main. Repp ist zugleich Vorstandsmitglied des European Network of Buddhist Christian Studies (ENBCS), der Deutschen Ostasien Mission (DOAM), und Mitglied des Beirates des Interreligious Studies in Japan Program (ISJP).

Angesichts der Notwendigkeit des interreligiösen Dialogs in einer Zeit religiös motivierter Konflikte versucht der Autor mit diesem umfangreichen Band, sowohl historisch wie systematisch eine christlich glaubwürdige und praktikable Religionstheologie zu entwickeln, die auch missionstheologisch tragfähig ist.
In der Einleitung,  Kapitel 1 stellt er darum verschiedene Religionstheologien in ihren jeweilig unterschiedlichen Ansätzen kurz vor: Nathan Söderblom, Paul Althaus, Friedrich Brunstäd, Paul Tillich, Ernst Benz (im Zusammenhang mit Karl Rahner) und seit den 60er Jahren u.a. Werner Kohler, Carl Heinz Ratschow, Paul Knitter und Michael von Brück. Bei den schließlich ins Spiel gebrachten religionstheologischen Trends des ausgehenden 20. Jahrhunderts nimmt er die damals eingeführte Dreiteilung: Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus auf, um sich dann von pluralistischen Positionen deutlich abzugrenzen. Allerdings versäumt es Repp, die verschiedenen Varianten dieser Richtung wenigstens etwas zu spezifizieren. So ist es keineswegs Hochmut, wenn John Hick mit dem Ausdruck der „kopernikanischen Wende in der Theologie“ auf ein generelles Umdenken seit der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts verweist (S. 44). Dass gerade sein Ansatz insbesondere in dem von Repp nicht erwähnten Buch „An Interpretation of Religion“ (1989) in Afrika, Asien und Lateinamerika eine lebhafte Diskussion und erstaunlich viel Zustimmung hervorgerufen hat, blendet Repp leider ebenfalls aus (man denke z.B. nur an Michael Amaladoss SJ, Wesley Ariarajah, Farid Esack, Arvind Sharma, R.S. Sugirtharaja).
Nach diesen Orientierungs- und Abgrenzungstendenzen der Einleitung geht Repp in Kapitel 2 dem biblischen Gottesglauben nach, der sich in Israel langsam vom Henotheismus zum Monotheismus entwickelte. Mit dem Neuen Testament sieht er dann einen „trinitarischen Monotheismus“ aufkeimen. Das ermöglicht eine kosmologische Erweiterung der Soteriologie und bildet die Basis für die Missions- und Religionstheologie des Apostels Paulus.
Die Religionstheologien der Alten KircheKapitel 3 sind durch mehr oder minder starke Apologetik, Polemik und Götterkultkritik geprägt, wie sie bereits im Alten Testament zu finden ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass die altkirchlichen Autoren sich nicht eine möglichst genaue Kenntnis der anderen Kulte verschafften. Diese Linie von Justin, über Clemens von Alexandrien bis zu Augustin führt theologisch zur Herausarbeitung der „wahren Religion“ gegenüber der Gnosis und der „heidnischen“ Philosophie.
Die Kapitel 4-6 untersuchen die Einstellungen des Thomas von Aquin, von Ramon Llull und Nikolaus von Kues. Es hätten natürlich noch andere genannt werden können. Man denke an die mehr oder minder fiktiven Religionsgespräche im Mittelalter, die sich besonders auf die Auseinandersetzung mit dem Islam bezogen: https://buchvorstellungen.blogspot.com/2017/11/auseinandersetzung-und-dialog-mit-dem.html
Martin Repp beschränkt sich auf die drei genannten, die alle im apologetischen Interesse doch eine sachliche Auseinandersetzung suchten. Das gilt in herausragender Weise für Ramon Llull: https://textmaterial.blogspot.com/2012/05/raimundus-lullus-dialog-mit-den.html
Während bei Thomas die „natürliche Theologie“ in der Religionenbegegnung eine größere Rolle spielt, sieht Llull die Vernunft als entscheidenden Überzeugungsfaktor für das Christentum gegenüber dem Heiden und dem Muslim. Der Cusaner geht noch einen Schritt weiter: Der absolute, namenlose Gott ist nicht bekannt, er ist verborgen. Das verhindert Absolutheitsansprüche religiöser Gemeinschaften und müsste faktisch zu einem Ausgleich verschiedener Glaubensweisen führen.
Dieser Linie folgt Martin Luther nur sehr bedingt; und der Autor sieht in Kapitel 7 zu Recht ein heterogenes Bild von Luthers Religionenverständnis. Der Christusglaube ist für ihn „die spezifische Differenz zu allen anderen Glaubensformen“ (S. 201), geprägt durch die Rechtfertigungslehre. Andere Glaubenstypen werden sogar als teuflisch etikettiert. Das gilt sowohl für das Papsttum wie für den Islam, zeitkritisch verstärkt durch die Türkenbedrohung zu jener Zeit. Die darauf folgende lutherische Orthodoxie setzt auf eine verstärkte Hinwendung zur theologia naturalis und Konzepten, welche die Spannung zwischen Soteriologie und Kosmologie aufrechterhalten. Diese Tendenz nimmt Repp zum Anlass, noch einmal seine Abneigung gegen religionspluralistische Theologien zu formulieren: Denn diese seien einseitig soteriologisch oder kosmologisch orientiert und irren darum entweder exklusivistisch oder pluralistisch ab (S. 222). Der von Repp nur am Rande erwähnte Raimon Panikkar hat allerdings im Zusammenhang des „kosmischen Christus“ gezeigt, dass für ein dialogisch-christliches Glaubensverständnis die Verbindung von Soteriologie, Christologie und Kosmologie essentiell möglich ist. Hier mehr: https://religiositaet.blogspot.com/2010/09/raimon-panikkar-1918-2010-werk-eines.html
Mit den Kapiteln 8-10 kommt Repp zum eigentlichen Schwerpunkt seiner Ausarbeitung: Die Missionstätigkeiten, besonders von Francisco de Xavier SJ in Japan, Matteo Ricci SJ in China, Bartholomäus Ziegenbalg in Südindien. Die spannende Darstellung dieser Missionierungsaktionen zwischen gewaltsamer Evangelisierung und kulturellem Einfühlungsvermögen fasst Repp für Xavier und Ricci so zusammen:
„Während Riccis Religionstheologie eine relativ friedliche und stabile Einführung des Christentums in China über einen längeren Zeitraum ermöglichte, bereitete die Unfähigkeit zur interkulturellen Kommunikation der europäischen Kirchenfürsten und Theologen zusammen mit ihrer Fixierung auf die Soteriologie dem Christentum in China innerhalb kurzer Zeit ein grausames Ende. Die verheerenden Folgen ihrer Religionstheologie gleichen damit den blutigen Verfolgungen in Japan, welche Xaviers kompromisslose Missionspraxis und Religionstheologie nach sich gezogen hatte“ (S. 285). Dem Missionar Ziegenbalg – dem eigenen Christentum teilweise kritisch gegenüberstehend – bescheinigt der Verfasser dagegen interkulturell kommunikative Kraft durch das Erlernen südindischer Sprachen (besonders Tamil) sowie hinduistischer und islamischer Traditionen. Das erlaubt zugleich eine Kritik an den Riten der Missionsarbeit der katholischen Kirche. Dennoch bleibt Ziegenbalg Apologetiker gegenüber dem „Heidentum“, aber sein Ansatz „vom einigen Gott“, der Geheimnis bleibt, eröffnet interreligiöse Möglichkeiten, nämlich die natürliche Gotteserkenntnis der „Heiden“ durch die Botschaft von der Christusoffenbarung zu vervollständigen (S. 325).
Diesen Gang durch Theologie- und Missionsgeschichte rundet Repp nun ausführlich ab, und zwar durch die Einbeziehung der Religionstheologien von Carl Heinz Ratschow (1911–1999) und MUTO Kazuo (1913–1995) in Kapitel 11 und 12: Ratschow präzisiert in mehreren Anläufen schließlich sein Religionenverständnis im Kontext von „Selbstgewissheit, Mission und Ehrfurcht vor den anderen Religionen“ (S. 342). Dies ist gegründet in Gottes universalem „Welthandeln“ (S. 343). So setzt er letztlich in jeder Religion den einen Gott als Schöpfer und Erlöser voraus und eröffnet damit dialogisches Handeln. Repp stellt allerdings nicht die Nachfrage, ob damit auch buddhistisches Selbstverständnis (vom Amida-Buddhismus abgesehen) erreicht werden kann.
Der im Buch immer wieder thematisierte Zusammenhang von Missionstheologie und Religionstheologie kommt auch bei dem christlichen Theologen MUTO Kazuo zur Sprache, dessen Theologie sich besonders durch den Dialog mit der buddhistischen „Kyoto School of Philosophy“ entwickelte. Damit wird für ihn eine methodologische Wechselseitigkeit leitend, die sich an Bubers „Ich und Du“ und an der „invertierten Korrespondenz“ des Philosophen Nishida Kitaro (S. 368) orientiert. Er versucht anscheinend, dem theologischen Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus durch einen pneumatologischen Ansatz zu entgehen, der Muto eine dialektische Zusammengehörigkeit von natürlicher Theologie, christologischer Soteriologie und theologischer Kosmologie ermöglicht – dies alles neu formuliert im Horizont der buddhistischen Leere /des Nichts. Das erinnert durchaus auch an mystische Theologien des Mittelalters.

Im Endergebnis scheinen Ratschow und Muto eine ähnliche Religionstheologie in die Wege geleitet zu haben, die mit der Einarbeitung der Religionsverständnisse bei Paulus, Luther, Kierkegaard, Schleiermacher und Tillich zusammenhängt. Damit könnten zugleich religiöse Vereinnahmungen verhindert werden, die Repp in einer Reihe gegenwärtiger Religionstheologien sieht (z.B. besonders bei John d‘Arcy May und Perry Schmidt-Leukel, S. 387). Religionstheologie und interreligiöser Dialog stehen gewissermaßen in einem Verbund, der das Studium fremder Religionen ebenso nötig macht wie das Erlernen interkultureller und interreligiöser Kommunikation – ohne jegliche exklusive Wahrheitsansprüche. Nur so kann „Einheit in der Vielfalt“ und “Vielfalt in der Einheit“ gelebt werden (S. 425). Wie man dies politisch umsetzt, lässt sich bereits an dem indisch-buddhistischen Kaiser Ashoka (304–232 v. Chr.) und gegenwärtig im indonesischen Modell der „Pancasila“ zeigen. Solche religiösen Versuche können auch hoffnungsvolle Beiträge für den sozialen Frieden sein.

Zusammenfassende Bilanz
Der umfangreiche Band beginnt mit einem Einblick in divergierende Verständnisse einer Theologie der Religione(n). Der evangelische Theologie Martin Repp – mit langjährigen Japan-Erfahrungen – wagt von daher einen detailreichen Gang durch die Theologie- und Missionsgeschichte. Dieser Gang eröffnet zwar entwicklungsgeschichtliche Zusammenhänge, wirkt aber in den Konklusionen zuweilen recht allgemein und nicht immer zwingend.
Der Autor beginnt mit biblischen Interpretationen zu Soteriologie und Kosmologie im Horizont eines sich von anderen Göttern abgrenzenden Monotheismus in Israel. Dieser Monotheismus entwickelt sich im Neuen Testament trinitarisch, so die zu hinterfragende These des Autors. Paulus, die Alte Kirche und berühmte Theologen des Mittelalters nehmen die sich durchhaltende Spannung zwischen (christlicher) Offenbarung und natürlicher Theologie auf und belegen von daher die Notwendigkeit der „Heidenmission“; denn das (christologisch verstandene) Heil gilt prinzipiell allen Menschen. So schwanken die diversen Konzepte oft zwischen Apologetik, Polemik und missionarischen Dialogversuchen, welche die Vernunft verstärkt in den Diskurs einbringen (Thomas von Aquin, Ramon Llull und Nikolaus von Kues). Die Religionstheologien Luthers und der lutherischen Orthodoxie wirken insofern uneinheitlich, als neben dem Wiederaufleben der „natürlichen Theologie“ die Rechtfertigungslehre eine essentielle Spannung bringt.
Im Blick auf Asien (Lateinamerika behandelt Repp nicht), werden drei Missionskonzepte ausführlich vorgestellt: das des kulturell rücksichtslos vorgehenden Japan-Missionars Francisco de Xavier SJ, das interkulturell offene Konzept von Matteo Ricci SJ in China und der ebenfalls interkulturell weiterführende Ansatz des lutherischen Südindien-Missionars Bartholomäus Ziegenbalg.
Schließlich endet die Darstellung mit zwei durchaus ähnlichen Positionen interkultureller Religionstheologie des 20. Jahrhunderts, derjenigen von Carl Heinz Ratschow und derjenigen von MUTO Kazuo. Hier positioniert Repp vorsichtig eine christliche Religionstheologie. Sie wirkt trotz Zurückweisung exklusivistischer, inklusivistischer und pluralistischer Theologiemodelle der Religionen dennoch inklusivistisch. Immerhin: Eine solche Theologie der Religionen bietet die Möglichkeit, interreligiöse Kommunikation auf der Ebene des Respekts vor der Wahrheit des Anderen voranzutreiben, und zwar mit dem Ziel, interreligiösen Dialog auch im Engagement für den gesellschaftlichen und politischen Frieden praktisch wirksam werden zu lassen.
English Summary
The comprehensive volume begins with an insight into divergent understandings of a theology of religion(s). The Protestant theologian Martin Repp – with many years of experience in Japan – attempts a detailed passage through the history of theology and mission. Even though this opens connections to a historical development, it  seems rather general and the conclusions are not always convincing.
The author starts with biblical interpretations of soteriology and cosmology in the horizon of a monotheism in Israel which separates itself from other gods. This monotheism develops in a Trinitarian manner in the New Testament, a thesis of the author which needs to be questioned. The apostle Paul, the Early Church and famous theologians of the Middle Ages hold the sustained tension between (Christian) revelation and natural theology, and shows thus the need for "pagan mission"; because salvation (christologically understood) is basically for all people. Thus, the various concepts often fluctuate between apologetics, polemics and attempts of missionary dialogue, which increases rationality in the discourse (Thomas Aquinas, Ramon Llull and Nicholas of Kues).
The theologies of religions of Luther and Lutheran Orthodoxy seem inconsistent as the revival of "natural theology" brings the doctrine of justification into an essential tension.
With regard to Asia (Repp doesn’t treat Latin America), three missionary concepts are presented in detail: that of the culturally ruthless Japanese missionary Francisco de Xavier SJ, the intercultural open concept of Matteo Ricci SJ in China and the likewise cross-cultural approach of the Lutheran Missionary in South India, Bartholomew Ziegenbalg.
Finally, the presentation ends with two quite similar positions of intercultural theology of religion of the 20th century, the one of Carl Heinz Ratschow and the one of MUTO Kazuo. Carefully Repp opts here for a Christian theology of religions. In spite of his rejection of exclusivistic, inclusivistic and pluralistic theological models of religions, his position nevertheless looks inclusivistic. After all, such a theology of religions offers the opportunity to promote interreligious communication at the level of respect for the truth of the other, with the aim of making interreligious dialogue effective – also in its commitment to social and political peace.
English translation: Prof. Dr. mult. Manfred Kwiran, Wülperode

Vgl. auch die Beiträge von Martin Repp in der Reihe Religionen im Gespräch (RIG)
,
Hg.: Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau / Udo Tworuschka. Balve: Zimmermann 2004/2006        
  • RIG 8/2004, S. 268–272: Einübung in den Dialog mit ostasiatischen Religionen.
    Das „Interreligious Studies in Japan Program“ (ISJP) in Kyoto
  • RIG 9/2006, S. 44–59: From Disputations to Dialogue – An Inquiry into Forms of Religious Communication in Japanese Buddhism and European Christianity
  • RIG 9/2006, S. 314–316: NCC-Center – Laughing Faces – The First Three Years of the “Interreligious Studies in Japan Program” (ISJP) 
Reinhard Kirste

Rz-Repp-Gott-Götter, 29.08.18, bearb.

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