Montag, 17. Mai 2021

SAID - sensibler Chronist, lyrischer Brückenbauer, herausfordernder Denker (aktualisiert)

SAID bei einer Präsentation der  Literatur-Zeitschrift Außer.dem
im 
Lyrik Kabinett 2014 (Wikipedia)

SAID (Künstlername - immer in Großbuchstaben, bürgerlich: Said Mirhadi) wurde am 27.05.1947 in Teheran geboren und lebte seit 1965 im deutschen Exil in  München.
Zuerst musste seine Familie vor dem Schah Reza Pahlevi fliehen. Nach der Revolution durch Khomeini 1979 kehrte er für kurze Zeit in den Iran zurück. Allerdings wurde das Leben für SAID binnen weniger Wochen wieder unerträglich und damit das Exil erneut unausweichlich. So ist er gewissermaßen doppelt ins Exil gegangen - aus seiner persischen  Heimat und gleichermaßen in Deutschland. Er starb am 15. Mai 2021 in München.

Zum Tod des Dichters 

Pressestimmen zu SAID (seit 1995, Said.shop.at) >>>




Dichterporträt von Mayryam Aras in Faust-Kultur (2017)

SAID gehört zu den engagierten Dichtern, sowohl was die politischen Probleme als auch die religiösen Fragen betrifft. Seine Freiheit des Denkens hat ihm ein unruhiges Leben beschert, ihn aber besonders glaubwürdig gemacht, wie etwa diese Beiträge zeigen: 

--Ich und der Schah. Die Beichte des Ayatollah. Hörspiele.    
      Hamburg: Perspol 1987, 60 S.

--- Der lange Arm der Mullahs. Notizen aus meinem Exil
     München: C.H. Beck 1995, 3. Aufl. 2001, 138 S.


Seine Dichtungen und Essays sind aber keineswegs nur politische Stellungnahmen,
sondern zugleich "West-östliche Betrachtungen": 


SAID: Das Niemandsland ist unseres.
West-östliche Betrachtungen. 
München: Diederichs (Random House) 2010
--- Inhaltsverzeichnis und Leseprobe >>>



Interview Eren Güvercin mit dem Dichter SAID:

"Ich habe meine Religiosität
vor der Islamischen Republik verteidigt"

Seit 1965 lebt der iranische Dichter SAID im deutschen Exil. Er hat in der deutschen Sprache eine neue Heimat gefunden. In seinem neuem Essay-Band verstrickt SAID Morgenland und Abendland in ein Gespräch über gemeinsame kulturelle Wurzeln. 
(Qantara.de, 02.07.2010)
So gerät SAID ins Niemandsland  zwischen Orient und Okzident. In dieser Situation werden ihm Hafis und Goethe ermutigend-tröstende Weggefährten:

Mehr zu SAID: hier (Wikipedia)
Von 2000 - 2002 war er deutscher PEN-Präsident.
Er wurde mit zahlreichen Ehrungen bedacht:
  • 1991: Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis 
  • 1994: Premio Letterario Internazionale "Jean Monnet"  
  • 1996: Preis der Stadt Heidelberg "Literatur im Exil"
  • 1997: Verleihung der Hermann-Kesten-Medaille für sein politisches Engagement
             und seinen persönlichen Einsatz für verfolgte und inhaftierte Schriftsteller
  • 1997 Stipendiat der Villa Aurora in Los Angeles
  • 2005: Goethe-Medaille des Goethe-Instituts


Beeindruckend ist in diesen umfassenden Zusammenhängen auch sein kleines Bändchen:

SAID: ich jesus von nazareth 
Würzburg: Echter 2018, 59 S.

--- ISBN 978-3-429-04452-7 ---

English summary at the end of the review

Weitere Bücher von SAID am Schluss der Besprechung
More books from SAID at the end of the review


Jesus - in besonderer Weise Menschensohn:
Wer war Jesus wirklich? Wer ist Jesus für Menschen von heute? Die Jesusbilder der Geschichte schwanken, je nachdem, wie der Betrachter auf diesen faszinierenden Menschen schaut, der vom christlichen Glauben zum Gottessohn erhoben wurde. Erich Garhammer , Prof. em. für Pastoraltheologie an der Universität Würzburg, stellt in seinem Nachwort kurz einige dieser Jesusbilder hervor, die Theologen und Dichter von Anbeginn gleichermaßen beschäftigen.  
Er hebt besonders jene hervor, die herkömmliche Glaubensweisen in Frage stellen: Der skandalöse Jesus, der restlos vertraute Jesus, Der nahe fremde Jesus.
Schließlich kommt er auf das Jesus-Bild von SAID zu sprechen:
Sein vom Kreuz gekommener Jesus ist nicht der sanfte Dulder.
Dieses Zitat möge als Hinweis dafür dienen:

"ich sage euch, ich, jesus von nazareth, brauche keine flügel und keinen jünger; ich erreiche euch auch so, dann schaffe ich die einrahmungen ab: eure Kardinäle, bischöfe, priester und sonstigen mitesser an meiner seele, und abermals werde ich die geldwechseler aus den tempeln jagen, aus allen tempeln - ungeachtet der religionen, denn ich, jesus von nazareth, der gesandte gottes, ich bin empfänglich für alle zungen, kein kopftuch, kein schleier, kein kreuz, keine haube, keine klagemauer; ich komme barfuß und benötige kein gehäuse, und deswegen knie ich vor niemandem und will niemanden vor mir knien sehen" (S. 11f).
Und die Auferstehung und das Wiederkommen dieses Jesus von Nazareth ist nicht die Auferstehung eines Gottessohnes. Er braucht kein Podest, denn damit versuchte man, ihn seiner subversiven Kraft zu berauben (S. 21). 
"ich bin der, der ich bin, ein würdiger nachfolger von spartakus
[Sklavenaufstand im 1. Jh. v. Chr. unter Spartacus in Rom], der mir den weg gewiesen hat, dort bin ich geendet, vermeintlich hat mich mein gott verlassen, doch  ich bin dort gereift, an jenem kreuz, und ich bin wiedergeboren aus der finsternis und dränge daher stets nach licht" (S. 23f). Und der Protest gegen Versklavung und der Aufruf dieses Jesus zur Befreiung des Menschen gipfelt in der Aussage: 

"dieses mal lasse ich nicht zu, daß ihr mich wieder an das kreuz schlagt, nur weil mein antlitz allein eure augen blenden, barfüßige werden mich schützen vor euch und eurer falschheit, und ich verhökere dann meine wundmale auf dem jahrmarkt und mache mich auf den weg, denn ich bin der verlorene sohn, der immer heimkehrt, ich bin ahasver [Ahasver = der ewige Jude], der weg und das leben" (S. 34). 
Dieser Jesus mit seinem scheinbar so zornigen Ausbruch nimmt ganz anders die Nähe von Gott und Mensch wahr, wenn  er (wieder) an den Pranger gestellt wird: "und ich werde an eurem pranger mein letztes gebet murmeln, darin berühre ich, zum ersten mal, das geheimnis der einheit zwischen mensch und gott ... und ich lasse mich auch nicht von gott täuschen, denn ich begehre nichts ... ich rufe nur meine liebe in die welt hinaus, bis sie zum aufruhr wird und euch erfasst" (S. 35f).
Dies ist eine ungewöhnliche Einlassung auf Jesus, nicht in Groß[spurigen] Buchstaben, sondern aus der Kraft tiefster, erlittener Menschlichkeit. Dieser Jesus ist darum mehr als ein Gottessohn, vielmehr ein revolutionärer Mensch, der gegen Hass und Rache der wahren Religion zum Aufbruch und Durchbruch verhelfen will - der Religion der Liebe!

Sehr nachdenklich legt man diese widersprüchlich-aufwühlende literarische Skizze
aus der Hand ...


English summary
Jesus of Nazareth- as presented by the poet SAID - is not a gentle sufferer. He doesn't wish to be the Son of God. This dubious honor - dogmatically established by church and religion - would prevent him to initiate the revolution of love as true religion. This impetus in complete freedom leads into the inner closeness of God. Therefore Jesus is more than a son of God, but in fact  the son of man, because - coming from the cross - he experienced the power of deepest humanity in suffering and hope. This image of Jesus is a challenge to change hate and revenge into love.



Rezension von Alexander Block

im Rahmen des Seminars an der TU Dortmund:
Heilswege und Brückenbauer


SAIDs Werk „Ich Jesus von Nazareth“ entwirft ein Jesusbild, welches es schafft, in keine Schublade geschoben zu werden. Die LeserInnen werden SAIDs Jesus gegenübergestellt. Dieser hält eine Rede über sich, wer er ist und wer nicht. In dieser flammenden, bildlichen Rede wendet sich SAIDs Jesus an diejenigen, die ihn (falsch) charakterisieren. Vor allem wird das joviale Reden und Entscheiden über ihn selbst verurteilt. So vor allem durch die kirchliche Institutionen. Aber auch das Instrumentalisieren seiner Person verurteilt er. Mit all diesen weltlichen Angelegenheiten und Streitereien will SAIDs Jesus nicht verbunden werden. Als seine Freunde und Verbündeten sieht er „die Barfüßigen“. Mit diesem literarischen Stilmittel der Synekdoche verdeutlicht SAID, dass "sein" Jesus „nackte“ Gläubige als seine wahren Jünger ansieht und als solche dijenigen anerkennt, die ihn wirklich verstehen. 
Was meint dieser Jesus von Nazareth nun mit dieser metaphorischen Nacktheit? Menschen, die unvoreingenommen Jesus kennenlernen und anbeten wollen? Die zufrieden sind mit dem, was Jesus ihnen als Antwort auf die Frage liefert, wer er ist? Dementsprechend gibt SAIDs Jesus Antworten in johanneischer Tradition, nämlich in „Ich bin“-Sätzen. Doch was wird Jesus mit all dem „Ballast“ tun, der ihm (oder dem Bild von ihm) aufgeladen wurde? Seine „Welle der Liebe“ wird „tabula rasa“ machen, also eine Welt schaffen, in der Jesus neu und „spartanischer“ betrachtet und behandelt wird, lediglich anhand seiner „Ich bin“-Sätze und indem die Menschen „barfuß“ auf ihn zukommen und ihn auf dieselbe Weise empfangen.
Was bleibt am Ende des kurzen aber aussagekräftigen Werkes zu sagen? SAID schafft sein ganz eigenes Jesusbild und macht somit deutlich, dass es einen Jesus ohne eine spezifische Vorstellung von ihm nicht geben kann. Die Form des Werks und allein der Titel stehen im Widerspruch zu anderen Jesusbildern. Das ist, der Lehre dieser Jesusrede folgend, auch nicht problematisch. Es liegt nicht am Menschen, Jesu Wirken oder seine Ankunft auszumalen und an spezifischen Indizien festzuketten, sondern „barfuß“, ohne Erwartungen, ohne Privilegien, ohne Vorurteil, ohne Schutz beim Laufen soll man Jesus entscheiden lassen, wer er ist. Denn als Mensch ist man nicht mächtig oder weise genug, dies zu entschlüsseln, selbst dann nicht, wenn man sich dieser Erkenntnis, wie SAID es mit „Ich Jesus von Nazareth“ verarbeitet, bewusst wird.

Durch diese „Entschlackung“ der Jesusbilder (auch wenn uns zu Beginn der dargestellte Jesus vielleicht roh und aggressiv erscheinen mag) wird eine Chance eröffnet, Brücken zu schlagen, zumindest im eigenen Kopf. SAIDs Jesus geht es vor allem in hoher Intensität um die Befreiung seines Seins und somit die Öffnung Jesu für alle, allerdings nicht für solche, die sich theologisch, philosophisch, kommunistisch, kapitalistisch oder auf viele andere Weisen ihren eigenen Jesus zurechtbiegen. Jesus mag nur für Christen der Christus sein, aber SAID hebt diesen Titel nicht hervor, da Jesus weltweit eine Bedeutung besitzt. „Ich Jesus von Nazareth“ kann helfen, eine Öffnung in all den Ecken der Welt und in allen Köpfen der Welt, in denen Jesus wichtig ist, zu schaffen.



Weitere Bücher von SAID, vorgestellt bei "Perlentaucher"

Said: auf der suche nach dem licht

Cover
Peter Hellmund Buchverlag, Würzburg 2016
ISBN 9783939103707, Gebunden, 128 Seiten, 14.00 EUR
Der Leinenband versammelt 111 erstmals in Buchform veröffentlichte Gedichte von Said. das gedicht - / ein schatten / auf der suche nach dem licht / das ihn geworfen hat - / harrt im dunklen und / teilt…

Said: Psalmen

Cover
C.H. Beck Verlag, München 2007
ISBN 9783406557507, Gebunden, 113 Seiten, 14.90 EUR
Mit einem Nachwort von Hans Maier. Seit langem schreibt Said, der eine unkonventionelle und nicht-konfessionelle Spiritualität sucht und um sie ringt, Psalmen. Die biblischen Psalmen ...…

Said: Das Rot lächelt,
das Blau schweigt. Geschichten über Bilder

Cover
C.H. Beck Verlag, München 2006
ISBN 9783406550706, Gebunden, 112 S. 18.00 EUR
Bilder erzählen Geschichten, aber es braucht einen Dichter, um sie zur Sprache zu bringen. Seit Jahrzehnten beschäftigen Said bestimmte Gemälde und Zeichnungen, Aquarelle und Holzschnitte......…

Said: Ich und der Islam

Cover
C.H. Beck Verlag, München 2005
ISBN 9783406535536, Kartoniert, 164 S. 14.90 EUR
Said, der diese Religion nie ausgeübt hat, ist in einem islamischen Land aufgewachsen, dem Iran, in einer liberalen Familie, die ihm keine Religion aufgezwungen hat. Aber die Eindrücke des Kindes …

Said: In Deutschland leben.
Ein Gespräch mit Wieland Freund

Cover
C.H. Beck Verlag, München 2004
ISBN 9783406517112, Gebunden, 127 S.
Seit beinahe vierzig Jahren lebt der iranische Lyriker Said "in Deutschland". Mit dem "dritten Ohr" des Exilierten hat er den Deutschen zugehört, mit den Augen des Fremden hat er sie beobachtet.....…

Said: Außenhaut Binnenträume. Gedichte

Cover
C.H. Beck Verlag, München 2002
ISBN 9783406493157, Broschiert, 98 S.
Die Sprache, die Liebe, die Einsamkeit - und der Tod, vor dem alles fragwürdig wird und der sich zu oft schon im Leben eingenistet hat, die deutsche Sprache, die nicht die Muttersprache ist........…

Said: Friedrich Hölderlin empfängt niemanden mehr.
Ein Hörspiel. 1 CD

Cover
C.H. Beck Verlag, München 2002
ISBN 9783406496486, CD
Sprecher: Cornelius Obonya, Ulrike Grote und Said; Musik von Peter Zwetkoff. Friedrich Hölderlin ist 37 Jahre alt, als er den Turm im Hause der Familie Zimmer in Tübingen bezieht.............

Said: Landschaften einer fernen Mutter

Cover
C.H. Beck Verlag, München 2001
ISBN 9783406471537, Broschiert, 80 S.
Wenige Tage nach seiner Geburt wird Said von seiner Mutter getrennt: die Scheidung der Eltern vollzog sich bereits während der Schwangerschaft, und es war beschlossene Sache, dass das Kind ausschließlich….......

Said: Dieses Tier, das es nicht gibt. Ein Bestiarium

Cover
C.H. Beck Verlag, München 1999
ISBN 9783406452901, Broschiert, 84 S.
Seit Franz Bleis "Bestiarium der Literatur" ist diese sehr ausgefallene Zoologie zu einer eigenen literarischen Gattung geworden. 
Said lässt das Genre wiederaufleben und..........

CC

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