Dienstag, 1. Januar 2019

Lion Feuchtwanger: Die Jüdin von Toledo - verpasste Friedenschancen !

Berlin: Aufbau-TB 2008,  18. Aufl., 511 S.
Lion Feuchtwanger (07.07.1884 - 21.12.1958) stammte aus einer jüdischen Münchener Familie. Bereits 1933 wurde er von den Nationalsozialisten ausgebürgert. Seine Bücher kamen auf den Scheiterhaufen der "nicht-arischen" Literatur. Vor den Nazis flüchtete er nach Südfrankreich, wo er  1940 festgenommen wurde. Es gelang ihm aber noch die Flucht in die USA. Dort gab er zusammen mit Bertolt Brecht und Willi Bredel die Emigrantenzeitschrift "Das Wort" heraus. 
Besonders bekannt wurden von seinen Werken:

Feuchtwangers Romane greifen im Horizont der Historie entscheidende Lebensthemen und politische Konflikte auf. Das gilt auch für "Die Jüdin von Toledo" (1955). In gewisser Weise benutzt er das historische Trauerspiel von Franz Grillparzer, das 1872 in Prag uraufgeführt wurde, als Vorlage für seinen Roman.
Feuchtwangers Darstellung zielt darauf ab,  den Typ "Kriegsheld" in Frage zu stellen und angesichts der Kriegsgräuel konsequent für den Frieden einzutreten. 
Auch biblische Anklänge aus dem Buch Esther nimmt Feuchtwanger auf, und zwar die berühmte Geschichte der Esther, die unter dem persischen König Ahasveros das Volk der Juden rettet.
In gewisser Weise spiegeln sich die Katastrophen  des 1. und 2. Weltkriegs in dieser mittelalterlichen "Nacherzählung". Die engagierte Haltung seines Protagonisten Jehuda ben Esra, unbedingt den Frieden zu erhalten, ist nicht nur eine Herausforderung an die drei Religionen Judentum, Christentum und Islam, Versöhnung zu stiften, sondern auch ein Appell an die Vernunft.  Feuchtwanger bringt damit Ähnliches zum Ausdruck wie Heinrich Mann (1871-1950), Romain Rolland (1866-1944), Hermann Hesse (1877-1962), Albert Einstein (1879-1955), Stefan Zweig (1881-1942) und Rosa Luxemburg (1871-1919), die vehement deutlich gegen den 1. Weltkrieg Stellung nahmen.

So schreibt er: "Darstellen also will ich, welch ungeheure Widerstände der Kampf für den Frieden niederringen muss."

Toledo (wikipedia.es)
Historischer Hintergrund ist die Regierungszeit von Alfons VIII. von Kastilien (1155-1214), in der neben der Wiedereroberung des Heiligen Landes auch der Kampf gegen die Mauren, die almohadischen Herrscher, stand. 1195 hatte sein Vetter Alfons IX. in der Schlacht bei Alarcos eine schwere Niederlage erlitten (in Feuchtwangers Roman ist dies Alfons VIII.). Der Aufruf des  Papstes Innozenz III. zum Kreuzzug gegen die Mauren bot Alfons VIII. die Möglichkeit, seine Niederlage durch diesen von Papst Innozenz III. "abgesegneten" Kreuzzug zu rächen.  Der Sieg wurde mit großen Verlusten im Jahr 1212 bei Tolosa errungen.
Vgl. Auftakt zur Verdrängung der Mauren" (Deutschlandfunk,16.07.2012)

Die Handlung in Feuchtwangers Roman setzt nun dramatisch ein, als der aus Sevilla kommende jüdische Kaufmann Jehuda bin Esra von König Alfonso von Kastilien zum Finanzminister gemacht wird. Denn er soll ihm den Kreuzzug gegen die Muslime finanzieren. Hier kommt nun seine schöne Tochter Raquel mit ins Spiel. Der Legende nach war Raquel = Rahel la Fermosa die Mätresse Alfons VIII. So versucht Jehuda den König davon zu überzeugen, dass es sinnvoller ist, in den Aufschwung des Landes statt in den Krieg zu investieren.
Palacio La Galiana (wikipedia.en)
Zuerst ohne Erfolg. 

Aber die Begegnung des Königs mit Raquel entwickelt sich zu einer wilden Liebesaffäre, so dass Alfonso die Staatsgeschäfte, die Finanzen und auch den Kreuzzug völlig vergisst und für die Geliebte sogar das zerfallene islamisches Lustschloss Galiana am Stadtrand von Toledo  aufwendig renovieren lässt.
Das Land profitiert davon und blüht auf. Allerdings ist die Königin aufs Tiefste beleidigt und verletzt. In ihrer Eifersucht schafft sie es, Alfonso an seine ritterlichen Pflichten zu erinnern, so dass der König schließlich doch in die Schlacht gegen die Mauren  zieht, mit denen er zuvor einen Waffenstillstandspakt geschlossen hatte.
Die Niederlage für Alfonso ist verheerend. Das Volk macht im Sinne einer Verschwörungstheorie dafür  die Juden verantwortlich, die insgeheim an der Vernichtung der Christen gearbeitet hätten. Es kommt zu Pogromen, denen auch Jehuda bin Esra und seine Tochter Raquel zum Opfer fallen. Das gemeinsame Kind von Alfonso und Raquel allerdings ist rechtzeitig an einem geheimen Ort versteckt worden.

Die Vernichtung der kurzzeitig aufblühenden Landschaften hatte übrigens vor dem Kriegsausbruch der muslimische Gesandte prophezeit: Kastilien  muss, weil es das Feuer anfachte, viele Tränen weinen, um es zu löschen.


Sarkophage der Königs Alfonso VIII. (vorn) und seiner Gemahlin (dahinter)
im Monasterio de las Huelgas (Wikipedia.es).

Zur beeindruckenden Aufführung der "Jüdin von Toledo" am Schauspielhaus Bochum 12018/2019 erläutert der Dramaturg Koen Tachelet:
"In die Jüdin von Toledo beginnt die Liebesgeschichte zwischen einem christlichen König und einer Jüdin als eine Utopie. Raquel formuliert es so >Raquel Ibn Esra bin ich, aus dem Geschlecht von David, erzogen im Glauben an den Propheten Mohammed. Mir wurde ein gefährliches Glück zuteil, schwanger zu sein von einem Christen-König.< 
Toledo: Santa Maria la Blanca,
ursprünglich Synagoge Ibn Shusan
(Wikipedia)

Diese Liebesgeschichte ... hat ... große Folgen für die Politik. Alfonsos Verliebtheit lässt ihn zögern im Kampf gegen die >Ungläubigen<. Eine zentrale Rolle spielt Raquels Vater Jehuda, der als wichtigster Minister den Aufschwung Kastiliens organisiert. Beharrlich rät er dem König, den Frieden zu bewahren. Dafür benutzt er auch seine Tochter. Dieses mühsam errichtete Dreieck funktioniert gut, bis zu dem Moment, als Raquel einen Sohn von Alfonso bekommt. Was eigentlich ein Zeichen großer Hoffnung sein sollte - ein Kind der drei Religionen! - ist in Wirklichkeit der Anfang vom Ende."
Aus dem Programmheft des Schauspielhauses Bochum 2018/2019, S. 13


Vgl. dazu den Kommentar in "Die deutsche Bühne" vom 02.11.2018: hier

Und der Intendant Johan Simons betont die Aktualität dieses mittelalterlichen Stücks: "Wenn Lion Feuchtwanger als jüdischer Schriftsteller gleich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur die Scheußlichkeit des Rittertums beschreibt, sondern auch dessen große Anziehungskraft, dann finde ich das erstaunlich und mutig und für heute genauso wichtig."

Der "Engel der Kulturen" mit den Symbol-Andeutungen
 der drei monotheistischen Religionen


CC

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