Donnerstag, 30. Mai 2019

Orest in Mossul - beunruhigende Vergegenwärtigung ---- der antiken Tragödie

Orestes in Delphi neben Athene und Pylades
zwischen den Erinnyen und Priesterinnen des Orakels.
Im Hintergrund wahrscheinlich Pythia hinter dem Dreifuß. 

Paestum-Stil: 
rot-figurierter Glockenkrater, um 330 v. Chr.
Die über alle Zeiten hinweg dramatisch gebliebene Sage von den Ereignissen Orestes  hat  den schweizerischen Regisseur Milo Rau dazu bewogen, diese Geschichte ins kriegszerstörte Mossul aktualisierend zu verlegen.
Der Hintergrund:
Aus der Orestie des Aischylos (entstanden 458 v. Chr.):

Der Trojanische Krieg ist gewonnen. König Agamemnon kehrt in die Heimat, nach Mykene, zurück. Seine Frau, die Königin  Klytämnestra, ist immer noch zutiefst erbost, weil vor dem Krieg nur die Opferung der gemeinsamen Tochter Iphigenie den nötigen Wind bringen würde, um nach Troja zu segeln. In der Abwesenheit von Agamemnon hat sie eine Liebesaffäre mit Aigisthos begonnen. Agamemnon kommt ungelegen und wird darum von beiden ermordet. Orestes, der Sohn des Agamemnon und der Klytämnestra (und der Bruder von Iphigenie) sieht nur die Möglichkeit, seinen Vater zu rächen und ermordet seine Mutter und deren Liebhaber. Aber ein solcher Mord wühlt die Tiefen der Seele auf - und so erscheinen die Rachegeister (Erinnyen) und treiben Orest in den Wahnsinn. Der Gott Apollon verkündet Orest, dass er Heilung nur erfahren kann, wenn er nach Tauris reist, dort eine Statue der Artemis aus dem Tempel raube und nach Athen bringe. Orest macht sich also mit seinem Freund Pylades zusammen auf den weiten Weg nach Tauris, wo (was er natürlich nicht weiß) seine Schwester Iphigenie lebt und alle Fremden (also auch: alle Griechen) opfern muss … Der Kreislauf der Gewalt droht sich fortzusetzen.

Der Regisseur Milo Rau überträgt nun mit einem Ensemble aus europäischen und irakischen Schauspielern  diese Geschichte in die  aktuelle politische Konfliktsituation der inzwischen völlig zerstörten - seit Stadt Mossul.
Mehr zu Mossul --- Ninive >>> 
Mossul während der Rückeroberung, Juni 2017
(Bild: Cadus.org)

Hier errichtete der sog. Islamische Staat (IS) 2014 das Kalifat und führte ein unbeschreibliches grausames Regiment,das das kulturelle Leben fast völlig vernichtete. Und dann die Befreiung 2017 durch die irakische Armee zusammen mit amerikanischen Streitkräften. Bilder können diese Apokalypse der Gewalt und der Zerstörung kaum wiedergeben.


Es stellt sich aber genauso wie damals in Griechenland die Frage:  Lässt sich überhaupt die nicht endende Kette der Gewalt durchbrechen?
Milo Rau antwortet: "Bei Aischylos kann nur die Göttin Athene die Gewalt stoppen: Sie bietet den Rachegöttinnen einen Platz in der Gesellschaft an. Einschluss statt Ausschluss. Umarmung statt Hass. Aber was tun wir mit Dschihadisten, wenn der IS überwunden ist und sie in ihre irakischen Dörfer (oder nach Europa) zurückkehren? Es gibt Kämpfer in aller Welt, die aus Kriegen heimkehren. Wie können sie wieder >zivilisiert> werden?"
(aus der Programmankündigung des Schauspielhauses Bochum)


Die Zuschauer/innen erleben in diesem bewegenden Schauspiel, dass sich die in Mossul gedrehten Filmaufnahmen mit den europäischen und irakischen Schauspielerinnen auf der Bühne der Kammerspiele in Bochum spiegeln. Theatralische Darstellung und Videosequenzen verschmelzen gewissermaßen ineinander. Sehr beeindruckend!
Eine Produktion von Schauspielhaus Bochum und NTGent In Koproduktion mit Tandem Arras-Douai --- Gefördert vom Romaeuropa Festival


  
Programmheft -  Schauspielhaus Bochum,      
Spielzeit 2018/2019 mit einer Sequenz
der Filmaufnahmen in Mossul






Kritiken zur Aufführung in den Kammerspielen Bochum:







 Rückseite des Programmheftes
mit irakischen Schauspielern


CC



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen