Mittwoch, 28. August 2019

Susanne Schröter: Der Islam als Religion und der politische Islam



Susanne Schröter:
Politischer Islam.
Stresstest für Deutschland

Gütersloher Verlagshaus 2019, 384 S.

  • ISBN-10: 357908299X
  • ISBN-13: 978-3579082998

VerlagsinformationenDie Mehrheit der Deutschen glaubt, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Sie verbinden die zweitgrößte Weltreligion vor allem mit dem Terror im Namen eines unbarmherzigen Gottes, der Unterdrückung von Frauen und Minderheiten sowie einer Ablehnung westlicher Werte. Für diese Assoziationen gibt es nachvollziehbare Gründe, die aus dem Erstarken des politischen Islam resultieren. Dieser übt durch machtbewusstes und strategisch geschicktes Agieren seiner Funktionäre großen gesellschaftlichen Einfluss aus und dominiert zunehmend die staatliche Islampolitik sowie den öffentlichen Dialog. Vielen Menschen fehlt jedoch das Wissen über die Ursprünge und die Ausprägungen des politischen Islam, um Konfliktsituationen richtig einschätzen, angemessen zu argumentieren und handeln zu können. Das vorliegende Buch schließt mit seinem fundierten und verständlichen Überblick diese Lücke.

HISTORISCHE URSPRÜNGE DES POLITISCHEN ISLAM
Der folgende Text mit den Fotos ist ein gekürzter Ausschnitt. Quellen, Verweise und tiefergehende Erläuterungen entnehmen Sie bitte dem Originaltext im Buch.

Der politische Islam ist ein Gegenentwurf zur säkularen Moderne und den Freiheitsrechten des Individuums. Seine Wurzeln gehen weit in die islamische Geistesgeschichte zurück und stehen häufig in Zusammenhang mit Enttäuschungen muslimischer Akteure über misslungene politische Expansionen oder den Verlust von Herrschaftsgebieten. Seine gegenwärtige Spielart stellt eine Reaktion auf den Zusammenbruch des osmanischen Kalifats und die weltweite Dominanz des Westens dar.

Was bedeutet politischer Islam?


Pilgerfahrt (Hadsch) nach Mekka: Umrundung der Kaaba

Das Phänomen, das in dieser Publikation als politischer Islam bezeichnet wird, erscheint in den Debatten der vergangenen Jahrzehnte unter mehreren Bezeichnungen, die jedoch nicht vollständig deckungsgleich sind. Einer der gebräuchlichsten Begriffe ist der des Fundamentalismus. 
Ursprünglich war er nicht islamisch konnotiert, sondern auf eine Bewegung amerikanischer Protestanten gerichtet, deren Anhänger zu Beginn des
20. Jahrhunderts die »Christlich-fundamentalistischeWeltvereinigung« gründeten. [...] Während das Weltbild christlicher Fundamentalisten auf einer wortwörtlichen Bibelexegese basiert, geht es im islamischen Fundamentalismus um die Exegese des Korans und um die Person Mohammed, der nach Meinung aller Muslime Prophet und Werkzeug der göttlichen Offenbarung gewesen sein soll. Der Koran soll Mohammed von Gott buchstäblich diktiert worden sein. 

Progressive Theologen deuten den Koran mit hermeneutischen Methoden zeit- und offenbarungsgeschichtlich, Fundamentalisten dagegen lehnen moderne wissenschaftliche Verfahren ab und betonen die ewige Wahrheit jedes Satzes. Bei Widersprüchen zwischen einzelnen Aussagen gilt der Grundsatz, dass neuere Texte ältere »aufheben«. Diese Herangehensweise begünstigt ein kriegerisches und patriarchalisches Religionsverständnis, da sich der Islam historisch von einer Minderheitenreligion in Mekka zu einer dominanten Staatsreligion in Medina wandelte und die Verse der mekkanischen Periode einen eher spirituellen Charakter besitzen, während die medinensischen problematische Aussagen wie Aufrufe zum Töten von Nichtmuslimen enthalten. [...]

Pilgerfahrt: Station am Berg Arafat

Islamischer Fundamenta-lismus kann unterschiedliche Formen annehmen.
In Situationen der Schwäche, wenn Muslime sich in einer Minderheitensituation befinden, geht es islamischen Fundamentalisten um eine Gemeindeordnung, in der die Frommen unter ihresgleichen nach ihren eigenen Regeln leben; grundsätzlich wird allerdings, so Gudrun Krämer, Leiterin des Instituts für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin, die Etablierung einer islamischen Ordnung (nizam islami) angestrebt, in der »die göttlichen Gebote und Verbote öffentlich wirksam durchgesetzt werden«.3


Der Islamwissenschaftler Martin Riexinger hält den terminologisch angelegten Vergleich mit dem christlichen Fundamentalismus daher für wenig hilfreich.Er votiert stattdessen für den Begriff Islamismus [...] Islamismus meint also letztendlich nichts anderes als einen politischen Islam, dessen Herrschaftsanspruch die gesamte Gesellschaft mit allen ihren Teilbereichen umfasst. Diese Politisierung der Religion bedeutet im Einzelnen u. a. die Reglementierung der Lebensführung von Muslimen anhand der Kategorien des Erlaubten (halal) und Verbotenen (haram). Was halal oder haram ist, wird dem Koran oder der Sunna entnommen. [...] Jede nur erdenkliche Handlung wird in das halal-haram-Raster eingeordnet, jede Person wird nach ihrer Unterwerfung unter die Ge- und Verbote des Islam beurteilt. [...]

Zum islamistischen Kanon gehört die Überzeugung einer Vorrangstellung des religiösen Gesetzes vor dem weltlichen. Das macht den politischen Islam in seinem Kern demokratiefeindlich, wenngleich sich islamistische Akteure unter gewissen Umständen an Wahlen beteiligen und sogenannte »moderate Islamisten« bekunden, die islamistische Transformation ganzer Gesellschaften mit demokratischen Verfahren durchführen zu wollen.


Im Zentrum des politischen Islam steht unangefochten die islamistische Genderordnung, deren augenfälligste Merkmale eine umfängliche Geschlechter-trennung, ein extremer Patriarchalismus, der partielle oder vollkommene Ausschluss von Frauen aus der Öffentlichkeit und die Fetischisierung der Bedeckung des weiblichen Körpers und Kopfes sind. Insgesamt handelt es sich beim politischen Islam um ein komplexes Gebilde religiös begründeter Normen, die die Grundlage einer alle Bereiche des Lebens umfassenden sozialen und politischen Ordnung darstellen. 

Der Fundamentalismus ist in einer engen Definition lediglich ein Teilbereich dieser Spielart des Islam, in seiner weiten Form aber identisch mit ihm. Der Begriff des Islamismus fällt ebenfalls weitgehend mit ihm zusammen, wird allerdings manchmal als Synonym »des« Islam missverstanden. Es sei betont, dass es in diesem Buch nicht um »den« Islam an sich geht, den es im Singular gar nicht gibt, sondern um eine spezifische Ausprägung dieser Religion, die auf die totalitäre Umgestaltung des Politischen und auf eine Unterwerfung von Gesellschaft, Kultur, Politik und Recht unter islamistische Normen zielt.


Anmerkung: Dies ist ein gekürzter Ausschnitt. Quellen, Verweise und tiefergehende Erläuterungen entnehmen Sie bitte dem Originaltext im Buch.


Zur Autorin:
Susanne Schröter, geb. 1957 in Nienburg/Weser; 1977 bis 1986 Studium der Anthropologie, Soziologie, Kultur- und Politikwissenschaften sowie der Pädagogik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Habilitation 1999; Lehrstuhlinhaberin seit 2004; seit 2008 Professorin für „Ethnologie kolonialer und postkolonialer Ordnungen“ im Exzellenzcluster „Herausbildung normativer Ordnungen“ an der Goethe-Universität Frankfurt. 
Aßerdem ist sie u.a. Direktorin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, Vorstandsmitglied des Deutschen Orient-Instituts, Senatsmitglied der Deutschen Nationalstiftung, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft, Mitglied der Hessischen Integrationskonferenz, Mitglied der Deutschen Islamkonferenz.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen