Montag, 16. Dezember 2019

Wieder im Blickfeld: Jean Paul --- Friedenspredigt an Deutschland aus dem Jahr 1808


Jean Paul:
Friedens-Predigt
an Deutschland 1808

mit einem Nachwort von Armin Schlechter


Heidelberg: Universitätsverlag Winter
 2008, 150 S. 
Nachdruck der Ausgabe von 1808
bei Mohr & Zimmer Heidelberg

Reihe: Jahresgabe des Verlages
--- ISBN
 978-3-8253-2008-9 ---
 Vorlage für den Nachdruck:
 Stadtbibliothek Nürnberg
Der Text zum Download im Projekt Gutenberg: gutenberg.spiegel.friedens-predigt
--- English summary at the end of the review
--- résumé français au bout du compte rendu
--- resumen español al final de la reseña

In einer Zeit bedrohlicher Konflikte, die ein Teil der Menschheit erleiden muss, lohnt es sich, einen Blick zurückzuzuwerfen. Der Dichter Jean Paul, ursprünglich Johann Paul Friedrich Richter (1763–1825), gehört zu denjenigen Dichtern, die erst nach großen Schwierigkeiten familiärer und literarischer Art den großen Durchbruch schafften, und zwar mit Hesperus oder 45 Hundposttage, von 1795. Dieser Roman bildete den krönenden Erfolg; und viele sahen in ihm dieselbe dichterische Qualität wie in Goethes Die Leiden des jungen Werther. Herder, Wieland und Gleim hielten große Stücke auf Jean Paul, selbst Königin Luise von Preußen verehrte ihn. Von der Universität Heidelberg wurde er zum Ehrendoktor ernannt, und die politisch aufstrebende Burschenschaft sah in ihm eine Leitfigur. Goethe und Schiller allerdings interessierten sich trotz seines Deutschland weiten Ruhmes nicht sonderlich für Richter.
Mehr zu Jean Paul: https://wortwuchs.net/lebenslauf/jean-paul/


Durchaus im Zusammenhang seiner poetischen Bedeutung als herausragender deutscher Schriftsteller steht Jean Pauls Friedens-Predigt im Horizont der kriegerischen Ereignisse seit der Französischen Revolution und dem Aufstieg Napoleons. Der Text wurde damals in verschiedenen Zeitungen abgedruckt und fand ein recht unterschiedliches Echo. Auch die weitere unabhängige Veröffentlichung bzw. im Rahmen seiner “Vermischten Schriften“ war von erheblichen Schwierigkeiten mit den jeweiligen Verlegern geprägt.
Inhaltlich war natürlich diese Friedens-Predigt eine Herausforderung. 1804 hatte sich Napoleon zum Kaiser gekrönt und zog aus, Europa zu erobern. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation (am Ende des Mittelalters kontinuierlich mit diesem Zusatz „Deutscher Nation“), war schon längst zu einer zersplitterten Landschaft der Fürstentümer und Kleinstaaten geworden. In der Doppelschlacht bei Jena und Auerstädt 1806 brachte Napoleon den Koalitionsheeren unter Preußens Führung eine verheerende Niederlage bei. Damit war das endgültige Aus von fast 900 Jahren des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation besiegelt. Preußen wurde zum Reststaat, der nur durch das Eingreifen Russlands überhaupt weiter existierte (Friede von Tilsit 1807).
In diesem dramatischen Horizont „konkretisierte der Schriftsteller Jean Paul seine über Deutschland hinausweisenden politischen Forderungen. Sie führen die Tradition seiner Romane konsequent fort, wo die Motive Revolutionsbegeisterung und Freiheitskrieg häufig erscheinen, genrebedingt aber unscharf bleiben. Im Hintergrund stand Jean Pauls Überzeugung, dass sich das Heilige Römische Reich Deutscher Nation längst überholt habe und die politische Zersplitterung Deutschlands mit dem Ziel überwunden werden müsse, als Teil Europas zu einer neuen friedvollen Ordnung zu gelangen“ (Armin Schlechter im Nachwort,
S 111f). Als Kind der Aufklärung lehnte Jean Paul den Krieg als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele konsequent ab. Diese pazifistische Tendenz, verbunden mit einer großen Wertschätzung Frankreichs, hat übrigens dazu geführt, dass die „Friedens-Predigt“ nach dem 1. Weltkrieg mehrere Auflagen erlebte, aber bei den nationalistischen Kräften und Anhängern der „Dolchstoßlegende“ sowie in der Nazizeit aufs Tiefste verachtet wurde. Nach dem 2. Weltkrieg geriet die „Friedens-Predigt“ wieder stärker ins Blickfeld.
Im Rahmen einer Auswahlausgabe in der „Bibliothek deutscher Klassiker“ erschien dieser Text 1968 auch in der DDR. (Aufbau-Verlag Berlin/Weimar 1968, S. 294–333, in Verbindung mit „Kriegserklärung gegen den Krieg, S.335–356).
Jean Pauls „Predigt“ ist kein konsequent aufgebauter Essay, lässt aber durchaus einen politischen und einen moralischen Teil erkennen. Die Vorrede und die folgenden 11 Kapitel zeigen den intensiven Impetus des Dichters: Der Krieg muss wirklich aufhören, und die politischen Fakten sind zu akzeptieren, nämlich die Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Das macht Jean Paul in den ersten 3 Kapiteln deutlich: Der kleine Krieg in der Brust, Die neuen Fürsten, Das deutsche Reich.
In
Kap. 4: Vaterlands- oder Deutschlands-Liebe betont er, dass diese sich auf Freiheitsliebe und Rechtschaffenheit gründe. Mit dem mehrfach hervorgehobenen Begriff der Wechselseitigkeit sieht er für die Deutschen eine Chance, Schwächen und Fehler auszugleichen. Jean Pauls Wertschätzung Frankeichs und das Engagement für wahre Humanität kommen in Kap. 5 und 6 zum Ausdruck, weil gebildete Nationen wie Franzosen und Deutsche nie einem Frieden der gegenseitigen Vernichtung zustimmen würden; vielmehr ergänzen sie einander im Sinne freier Völker. Die Kapitel 7-9 sind moralisch geprägt: Gegen Luxus, Unsittlichkeit und Egoismus setzt der Dichter auf eine moralische Erneuerung. Nach den vermischten Gelegenheitssprüchen von Kap. 10 endet das Buch mit Hoffnungen und Aussichten, Kap. 11. Jean Paul ruft auf, Mut zu haben, um die selbst verschuldeten Niederlagen zu überwinden und dem Geist die nötige Freiheit nicht nur zu gewähren, sondern auch aufrichtig (mit „vaterländischem Ehrgefühl“), umsichtig und mit einer gewissen Leichtigkeit das Leben trotzdem entschlussfreudig zu führen.
Zusammenfassung:
Friedenserziehung – auf dem Weg zu einem gemeinsamen Europa
Diese Friedenspredigt an Deutschland des Dichters Jean Paul (1763–1825) ist mehr als das Zeitzeugnis eines Romantikers in den Umbrüchen Europas des 19. Jahrhunderts. Sie macht nämlich deutlich, dass zwei große Nationen wie Deutschland und Frankreich als Teil Europas eine große politische und moralische Verantwortung haben. Charles de Gaulle und Konrad Adenauer haben dies nach dem 2. Weltkrieg zum Ausdruck gebracht und politisch umgesetzt. Denn zwischen der Friedens-Predigt von 1808, den Freiheitsaufbrüchen, der Neuordnung Europas durch den Wiener Kongress 1815 und dem Treffen von De Gaulle und Adenauer 1958 in Reims (= 150 Jahre!) liegt auch eine Zeit, in der Freunde zu Erzfeinden gemachten wurden. Vgl.: SWR-Zur Geschichte der deutsch-französischen Freundschaft >>>
Um Abgrenzungstendenzen und Vorurteilen entgegenzuwirken und die Möglichkeiten für ein glaubwürdiges freiheitliches Europa zu vertiefen, können Frankreich und Deutschland zu Vorbildern werden. So sah es schon Jean Paul. Auf diese Weise kann seine Friedens-Predigt ermutigen, den anderen mit den Augen der Sympathie zu sehen und nationalistische Verengungen zu überwinden.
English Summary:
Peace Education – Towards a Common Europe
This Sermon on Peace to Germany by the poet Jean Paul (1763-1825) is more than the contemporary testimony of a romantic in the upheavals of Europe in the 19th century. It makes clear that two great nations such as Germany and France have a great political and moral responsibility as part of Europe. Charles de Gaulle and Konrad Adenauer expressed and politically implemented this after the Second World War. Between the time when the sermon on peace of 1808 was published, the break-ups of freedom, the reorganisation of Europe by the Congress of Vienna in 1815 and the meeting of De Gaulle and Adenauer at Reims in 1958 (= 150 years!) there has been also a time when friends were made arch-enemies.
Cf.:
SWR-Zur Geschichte der deutsch-französischen Freundschaft >>>
France and Germany can become role models in order to counteract discrimination tendencies and prejudices and to deepen the possibilities for a credible free Europe. This was already the view of Jean Paul. In this way, his sermon on peace can encourage us to look at others with sympathy and to overcome nationalist constrictions.

Résumé français:
L'éducation pour la paix – vers une Europe commune
Ce Sermon sur la Paix pour l’Allemagne du poète Jean Paul (1763-1825) est plus que le témoignage contemporain d'un romantique dans les bouleversements de l'Europe au XIXe siècle. Il montre clairement que deux grandes nations comme l'Allemagne et la France ont une grande responsabilité politique et morale comme part de l'Europe. Charles de Gaulle et Konrad Adenauer l'ont exprimé et politiquement mis en œuvre après la seconde guerre mondiale. Car entre le sermon sur la paix de 1808, l'effondrement de la liberté, la réorganisation de l'Europe par le Congrès de Vienne en 1815 et la rencontre de De Gaulle et Adenauer à Reims en 1958 (= 150 ans !), il y a aussi un temps où les amis se faisaient des ennemis jurés. Cf.: SWR-Zur Geschichte der deutsch-französischen Freundschaft >>>
La France et l'Allemagne peuvent devenir des modèles pour contrer les tendances de discrimination et des préjugés et pour approfondir les possibilités d'une libre Europe crédible. C'était déjà le point de vue de Jean Paul. De cette façon, son sermon sur la paix peut nous encourager à regarder les autres avec sympathie et à surmonter les reserrements nationalistes.

Resumen español:
Educación para la paz. Hacia una Europa común
Este Sermón sobre la Paz para Alemania, del poeta Jean Paul (1763-1825), es más que el testimonio de un romántico contemporáneo con las convulsiones revolucionarias de la Europa del siglo XIX. Deja claro que dos grandes naciones como Alemania y Francia tienen una gran responsabilidad política y moral como parte de Europa. Charles de Gaulle y Konrad Adenauer lo expresaron y lo aplicaron políticamente después de la Segunda Guerra Mundial. Pues entre el sermón sobre la paz de 1808, las rupturas de la libertad, la reorganización de Europa del Congreso de Viena en 1815, y el encuentro de De Gaulle y Adenauer en Reims en 1958 (¡=150 años!) también hay un tiempo en el que los amigos se convirtieron en archienemigos. Cf.: SWR-Zur Geschichte der deutsch-französischen Freundschaft >>>
Francia y Alemania pueden convertirse en modelos a seguir para contrarrestar las tendencias de dicriminación y los prejuicios, y para profundizar las posibilidades de una Europa libre y creíble. Esta ya era la opinión de Jean Paul. De esta manera, su sermón sobre la paz puede animarnos a mirar a los otros con simpatía y a superar la estrechez de miras de los nacionalismos.

Traducción español: José María Vigil, Ciudad de Panamá

  Reinhard Kirste
Rz-Jean-Paul-Fridenspredigt, 14.12.2019 
CC


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