Frank Vogelsang: Soziale Verbundenheit: Das Ringen um
Gemeinschaft und Solidarität in der Spätmoderne,
Freiburg u.a.: Karl Alber (Herder) 2020,240 S.
--- ISBN-13: 9783495491485 --- 32,00 €
--- ISBN-13: 9783495491485 --- 32,00 €
Verlagsinformation,
Leseprobe
mit Inhaltsverzeichnis:
https://www.herder.de/philosophie-ethik-shop/soziale-verbundenheit-kartonierte-ausgabe/c-27/p-18215/
mit Inhaltsverzeichnis:
https://www.herder.de/philosophie-ethik-shop/soziale-verbundenheit-kartonierte-ausgabe/c-27/p-18215/
Als Autor nimmt sich Akademiedirektor Dr.
Frank Vogelsang, Evangelische Akademie im Rheinland, vieles vor und liefert
auch vieles, wie vorher in einer Vielzahl von Publikationen mit
philosophisch-theologischer Wirklichkeitsdeutung. Die neue, gut gegliederte Arbeit hat er in zwölf Kapitel
unterteilt. Der Diplomingenieur und promovierte ev. Theologe
beschreibt den „Gesellschaftlichen Zusammenhalt“ und den
spürbaren sozialen Wandel. Daher hat die Evangelische Akademie im Rheinland
2019 den neuen Themenbereich „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ begründet. Was können
die Kirchen, Christinnen und Christen beitragen – durch Erfahrungen
im entwicklungspolitischen Arbeiten und Engagement für ein gerechtes
Zusammenleben in der Gesellschaft.
Vgl.: https://www.kirche-arbeit-wirtschaft.de/veranstaltungseintrag.php
Vgl.: https://www.kirche-arbeit-wirtschaft.de/veranstaltungseintrag.php
Vogelsang zeichnet zunächst die
Entwicklung in gegenwärtigen Gesellschaften in den Kapiteln 1 und 2 nach, und
zwar durch hegemoniale Diskurse der
Spätmoderne als Entwicklung europäischer Gesellschaften. Die ambivalente
Entwicklung danach (Kapitel 3/4) hat große Errungenschaften mit sich gebracht,
und zwar die zentrale Bedeutung von Werten wie Autonomie und Universalität,
aber gleichzeitig die gesellschaftlichen Formen der Verbundenheit geschwächt.
Interessant ist dabei der Exkurs S. 109 ff:
Ökologische Pfade – Spuren der Verbundenheit mit der Umwelt. Das Kapitel 7: Im Wandel
der Formen der Verbundenheit in Zeiten großer Transformationen basiert auf
dem Vergleich der Jahre 1820 und 2020* sowie auf unterschiedlichen
Vorstellungen von Solidarität und Gemeinschaft (Kapitel 8/9): Die konservative
Vorstellung von Gemeinschaft setzt andere Akzente wie die progressive
Vorstellung von Solidarität (vgl. dazu Marx/Engels, aaO S.172 ff.) oder die bürgerliche Form von Vereinen oder
Unternehmen. Bedeutung haben auch religiöse Gemeinschaften wie Christliche
Formen der Verbundenheit (Kapitel 10, vgl. dazu Bonhoeffer S. 187 ff.).
Tendenzen und Vorstellungen von Gemeindeverwirklichung spielen hier eine
wichtige Rolle.
Die letzten 50 Jahre sind durch ein
dynamisches und weltweit verteiltes Wirtschaftssystem (Globalisierung) und eine Betonung der Perspektiven flexibler
einzelner Menschen bestimmt. Bereits 2000 hat Robert Putnam für die USA einen
kontinuierlichen Rückgang von Sozialkapital diagnostiziert, d.h. im Blick auf Werte und Normen, die
solidarisches und auf die Gemeinschaft bezogenes Denken und Handeln
unterstützen und die gesellschaftliche Entwicklung fördern. Der Verlust von längerfristigen Formen der
Verbundenheit hat auch die europäischen Gesellschaften erfasst. Die Gesellschaft der Spätmoderne ist geprägt durch eine
grundlegende Ausrichtung auf Menschen als flexible Individuen und auf abstrakte
soziale Systeme (z.B. das Wirtschaftssystem). Daher ist es schwierig, stabile
Formen von Solidarität und Gemeinschaft zu entwickeln. Das demonstrieren
derzeit die Parteien, Gewerkschaften, Vereine und religiöse Gemeinschaften (man
denke an die Kirchenaustritte), denn heute haben
Werte wie Autonomie und Universalität zentrale Bedeutung. Das
ideale Leben ist ein Mischverhältnis von Verbundenheit und Distanz. Kann die
aktuelle Solidarität auch über die Corona-Krise hinaus den Rückgang von
gesellschaftlicher Verbundenheit ausgleichen und Lösungsansätze für
Gemeinschaft und Solidarität längerfristig wieder gefunden werden?
Als Formen der Verbundenheit in der
Zukunft können digitalen Medien eine wichtige, aber keine alles bestimmende
Bedeutung erlangen. Vogelsang verweist darum zum Schluss des Buches in Kapitel 11 auf hybride Netzwerke, die
sich ebenso durch digitale Medien wie lokale Verortung positionieren. Viele
bekannte Beispiele für sporadische Solidarisierungen „Fridays for Future“, #
MeToo usw. können komplexe politische Prozesse nicht ersetzen. Auch christliche Formen der Verbundenheit basieren auf
offenen Netzwerken des alltäglichen Lebens am gleichen Ort sowie von Anfang an
auf der „weltweiten“ Ökumene. „Wahrscheinlich werden sich die Kirchen in solch
hybriden Netzwerken weiter entwickeln, Hierarchien und Zentralität werden immer
weniger bedeutsam sein“ (S. 217). Wichtiger ist es, die gegenseitige
(Mit-)Verantwortung und (Mit-)Verpflichtung zu betonen.
Abschließend in Kapitel 12 stellt der Autor „Eine
universalistische Perspektive“ für Politik im historischen Kontext sowie
Formen und Institutionen der Verbundenheit vor (z.B. die UNO/WHO und andere
ethisch orientierte Organisationen). Durch die Corona-Pandemie 2020, werden mit
einem Male global alle Bereiche des persönlichen Lebens sowie das Gesundheitswesen,
politisch-wirtschaftliche Systeme usw. erfasst. Dazu bedrohen große Migrations-
und Rassismus-Auseinandersetzungen die Gesellschaften. Angesichts hegemonialer
Ansprüche (America First...etc.), demografischer Entwicklungen (bald 10
Mrd. Menschen?) und Gefahren durch den Klimawandel,
die Umweltzerstörung und Pandemien können nur sozial-technische Innovationen zukünftig die
gesellschaftliche Verbundenheit erhalten.
Das Ringen um Gemeinschaft und
Solidarität war schon wichtig vor der Spätmoderne: Bereits in der Reformation
war Glaubensfreiheit als Thema wichtiger als ein gerechtes Zusammenleben in der
Gesellschaft. Vogelsang verweist hier auf Martin
Luthers prägnante Doppelthese "Von der Freyheyt eyniß
Christenmenschen“ 1520.In der Abhandlung
„Von Kaufshandlung und Wucher“ 1524 zeigt Luther bei global agierenden
Handelsgesellschaften (Fugger, Welser usw.) auch Vorgehensweisen, wie soziale
Verbundenheit verletzt wird (vgl. Fußnote 1, S. 220).
Generell beweist Vogelsang wieder sein profundes Verständnis der Materie und lässt spüren, dass er
sich gern damit beschäftigt, komplexe Themenbereiche verständlich zu machen. Diese
gute Neuerscheinung ist ein lesenswertes und weitsichtiges Werk. Zur
weiteren Orientierung verfügt das Buch über ein erhellendes Autorenregister und
ein aufschlussreiches Literaturverzeichnis (S. 229-234).
English Abstract
Frank
Vogelsang, Director Protestant Academy Rhineland (EKiR), presents much, as
before in many publications with philosophical-theological interpretation. He
has divided the new, well-structured work into twelve chapters: describing
"social cohesion" and noticeable social change. Academy EkiR in 2019
founded the new subject area "Social Cohesion" on: What can churches
and Christians contribute for a just coexistence in society? He first traces
the development in contemporary societies in Chapters 1 and 2, using hegemonic
discourses of modernity as the
development of European societies. The ambivalent development (Chapter 3/4)
brought great achievements, central importance of values such as autonomy and
universality, but at the same time weakened all social forms of connectedness.
Ecological paths as connectedness with the environment is presented in this
context. Conservative ideas of community sets other accents as the progressive
ideas of solidarity (see Marx/Engels, ibid. p.172 ff.) or bourgeois form of
associations or companies. Religious communities such as Christian forms of
solidarity are also important (Chapter 10, see Bonhoeffer pp. 187 ff.).
The last
50 years are characterized by dynamic globalization and an emphasis on flexible
individuals. Robert Putnam diagnosed 2000 a continuous decline in social
capital for the USA, i.e. in terms of values and norms that support solidarity
and community-based thinking and action and promote social development. This loss of longer-term forms of solidarity
affected European societies: demonstrated by political parties, trade unions,
associations and religious communities (D- exodus from churches). Ideal life is
a mixture of solidarity and distance. But can current solidarity in Corona crisis compensate for the decline
in social connectedness and can solutions for community and solidarity be found
again in future? As forms of
connectedness in the future, digital media can bring an important significance as
in chapter 11 hybrid networks via digital media as via localization. Bur examples of sporadic solidarity
"Fridays for Future", # MeToo etc. cannot replace complex political
processes for socio-political challenges and sustainable development. Christian
forms of solidarity are based on open networks of everyday life in the same
place and from the beginning on "worldwide" ecumenism. Finally
Chapter 12 he presents "A Universalist Perspective" in historical
context as well as forms and institutions of connectedness (e.g. UN/WHO and
other organizations). Corona Pandemic 2020 affets all areas of personal life:
health care, political-economic systems, etc. Also large migration and racism
conflicts threaten the societies. In view of hegemonic claims (America
First...etc.), demographic developments (soon to be 10 billion people?) and the
dangers of climate change, environmental destruction and pandemics, only
social-technical innovations can maintain social cohesion in the future. Vogelsang shows enjoys
making complex topics understandable.
Prof. Dr. rer. pol. Eckhard Freyer, Bonn
Ergänzende Informationen: Der Blog von
Frank Vogelsang
Einige Thesen des Buches sind in der Sendung „Philosophisches Radio“ auf WDR 5 vorgestellt worden:
χ – Chiasmus- Aus elementarer Verbundenheit leben = Blog von Frank Vogelsang:
https://frank-vogelsang.de/soziale-verbundenheit/
Einige Thesen des Buches sind in der Sendung „Philosophisches Radio“ auf WDR 5 vorgestellt worden:
χ – Chiasmus- Aus elementarer Verbundenheit leben = Blog von Frank Vogelsang:
https://frank-vogelsang.de/soziale-verbundenheit/
Die Beiträge dieses Blogs bewegen sich
zwischen zwei Spannungspolen unserer Zeit, zwischen dem Pol von moderner
Gesellschaft, von Wissenschaft und Technik auf der einen Seite und dem Pol von
Erfahrungen von elementarer Verbundenheit auf der anderen Seite. Im Alltag
orientieren wir uns in einem offenen Feld, das irgendwo dazwischen liegt. Das
Leben zeigt sich als ein Mischverhältnis von Verbundenheit und Distanz.
Unsere Kultur neigt dazu, die Seite der
Distanz zu betonen und die Seite der Verbundenheit eher gering zu schätzen.
Diese einseitige Betonung hat Folgen: Menschen werden dann zu sich selbst
verwirklichenden Individuen in abstrakten gesellschaftlichen Systemen (Markt).
In der Gesellschaft werden die Formen langfristiger sozialer Verbundenheit
immer schwächer (Parteien, Gewerkschaften, Vereine, Kirchen). Darüber hinaus
verengt sich unser Verhältnis zur Welt auf einen technisch-objektivierenden
Zugang, auch in vielen Umwelt- und Klimadiskussionen. Unter diesen
Voraussetzungen löst auch die Nachricht einer Verbundenheit mit Gott immer
weniger Resonanz aus. Die elementare Verbundenheit ist aber ein unauflöslicher
Anteil unserer leiblichen Existenz. Sie zeigt sich in der sozialen
Verbundenheit mit anderen Menschen, sie zeigt sich in der
Verbundenheit mit der Welt als der Umwelt, sie zeigt sich in der
Verbundenheit mit Gott in dem von ihm zugesagten Bund. Die elementare
Verbundenheit ist nicht trivial, sondern weist auf das Geheimnis der Welt.
Dieses Geheimnis zeigt sich in der Nähe, nicht aus der Ferne. Der Chiasmus (X)
deutet an, dass auch alles Gegenüber aus einer ursprünglichen Verschränkung,
aus einer elementaren Verbundenheit stammt. Die oft übersehene Dimension von
Verbundenheit der menschlichen Existenz wieder in den Blick zu nehmen und neu
zu entdecken ergreifen die Beiträge des Blogs aktuelle gesellschaftspolitische,
philosophische und religiöse Themen
(Vgl. Dazu: Das Problem mit den Fakten und den „fact news“:
https://frank-vogelsang.de/2020/06/11/das-problem-mit-den-fakten-und-den-fact-news/
(Vgl. Dazu: Das Problem mit den Fakten und den „fact news“:
https://frank-vogelsang.de/2020/06/11/das-problem-mit-den-fakten-und-den-fact-news/
Rz-Vogelsang-Freyer, 12.06.2020
Lizenz: CC
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