den Gedanken und Empfindungen der anderen anpasst, ist gleich fähig,
seine eigene Natur zu erkennen, wenn man sie ihm zeigt,
aber auch selbst das Gefühl dafür zu verlieren, wenn man sie ihm verbirgt.
Bei
Angriffen militanter Trump-Anhänger und der Erstürmung des
US-Kapitols kam auch den Medien/sozialen Medien beim Umgang mit der Selbstinszenierung der Demonstranten eine besondere
Rolle zu. Die Erstürmung des Capitols
durch Trump-Anhänger erschüttert Menschen weltweit. Tote und
Verletzte sind zu beklagen. „Zitadelle der Demokratie“ nennt Joe
Biden das Kapitol. Kann
er den
Respekt und die Rolle der Vereinigten Staaten wiederherstellen?
Aufgrund
der außergewöhnlichen Ereignisse in den USA seien hier einige Buchhinweise präsentiert - Gedanken und Rezensionen aus Anlass der Amtseinführung von Joe Biden
am 20. Januar 2021 - ergänzend zur
Wahl in den USA am 3. November 2020.
Die amerikanischen Verhältnisse sind eigentlich ein Vorbote für
das, was auch in Europa geschieht. Ich habe auch daran gedacht, wie Menschen versucht haben – viel, viel weniger als in den USA und letztlich ohne Erfolg - am 30. August 2020 den Reichstag zu stürmen. Das zeigt, dass die Tendenz, die es in Amerika gibt, sich auch in westeuropäischen
Staaten breitmacht. Da müssen wir sehr wachsam sein.
1.
Timothy Snyder:
Die amerikanische Krankheit
Vier Lektionen der Freiheit aus einem
US-Hospital.
München: C.H. Beck 2020, 158 S.
Verlagsinformation mit Leseprobe und Inhaltsverzeichnis >>>
Aus dem
Amerikanischen [ausgezeichnet] übersetzt von Andreas
Wirthensohn:
Our
Malady: Lessons in Liberty from a Hospital Diary.
New York et alii: Penguin Random
House 2020
Der bekannte Historiker Timothy Snyder, Professor an der Yale-University, betrachtet das amerikanische Gesundheitssystem vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie und eigener Erlebnisse.
Das spannend geschriebenes Buch ist eine vernichtende Kritik an den US-Regierungs-Reaktionen auf die Corona-Pandemie. Snyders Analyse ist ein persönlicher Krankenbericht und eine dringende Warnung, die Kommerzialisierung der Medizin zu verhindern und den Sozialstaat nicht aus der Hand zu geben.
Der Autor als Beispiel:
Am 29.
Dezember 2019 wurde der Historiker Timothy Snyder schwerkrank. Er
konnte nicht mehr stehen, kaum noch klar denken und wartete
stundenlang in der Notaufnahme, bevor er untersucht und eilig in den
Operationssaal gebracht wurde. Während sein Leben an einem seidenen
Faden hing und das neue Jahr begann, wurde ihm bewusst, wie
profitorientiert das Gesundheitswesen in den USA ist, und eine
allgemein gute medizinische Versorgung nicht dazu gehört.
Dann kam
die Pandemie. Die Regierung von Donald Trump machte alles noch viel
schlimmer durch absichtliche Ignoranz, Desinformation und
Machtspiele. Das Gesundheitssystem stand vor seinem ultimativen Test,
und es versagte. Tausende von Amerikanern starben.
In diesem Kontext
rekonstruiert Snyder die Entwicklungen, die zu dieser
Lage führten. Er beleuchtet dabei
dunkle Momente und
zeigt, welche Prinzipien beherzigt werden müssen, um von der
“amerikanischen Krankheit” geheilt zu werden.
Der
Inhalt beginnt mit einem Prolog:
Einsamkeit und Solidarität, danach folgt die Einleitung:
Unsere Krankheit, S.19.
Ausgesprochen lesenswert sind die vier Kapitel-Prinzipien:
1. Lektion- Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht, S.
25Ff
2. Lektion- Erneuerung fängt bei den Kindern an, S.
61
ff
3.
Lektion-
Die Wahrheit wird uns frei machen S.79
ff
4. Lektion - Ärzte sollten das Sagen haben, S.
107ff.
Im
Schluss: Unsere Genesung , S.129ff
und
als
emotionaler „Epilog:
Wut und Empathie“, S.
137 ff.
Abschließende Bilanz: „Um frei zu sein, brauchen wir unsere Gesundheit,
und für unsere Gesundheit brauchen wir einander“ (S. 140).
2. Über die Tyrannei. Zwanzig Lektionen für den Widerstand.
Übersetzung
aus dem Amerikanischen von Andreas Wirthensohn.
München: C.H. Beck, München 2017
Original: On
Tyranny: Twenty Lessons from the Twentieth Century“.
New York: Tim Duggan
Books, New York 2017
In diesem
Kontext zeigt der Bestsellerautor Snyder:
„Wir
sind nicht klüger als die Menschen, die erlebt haben, wie überall
in Europa die Demokratie unterging und Faschismus,
Nationalsozialismus und Kommunismus kamen. Aber einen Vorteil haben
wir. Wir können aus ihren Erfahrungen lernen. Daher
Leiste
keinen vorauseilenden Gehorsam.“
Es sind 20 Lektionen für den Widerstand, mit denen Timothy Snyder die
BürgerInnnen der
Vereinigten Staaten von Amerika auf das vorbereitet , was kürzlich
noch unvorstellbar schien: einen Präsidenten, der die
etablierte
amerikanische Demokratie
und Republik
gefährdet.
Doch nicht nur in den USA sind Populismus und autoritäres Führertum
auf dem Vormarsch. Auch in Europa rückt die Gefahr von rechts immer
näher – als ob es das 20. Jahrhundert und seine Lehren niemals
gegeben hätte. Snyders historische Lektionen, die international
Aufsehen erregt haben, sind ein Leitfaden für alle, die jetzt
handeln wollen - und nicht erst, wenn es zu spät ist.
Inhalt:
Kap. 1. Leiste keinen
vorauseilenden Gehorsam.
Kap.
2. Verteidige
Institutionen.
Kap. 3.
Hüte dich vor dem
Einparteienstaat.
Kap.
4. Übernimm
Verantwortung für das Antlitz der Welt
Kap. 5. Denk an deine
Berufsehre.
Kap. 6.
Nimm dich in Acht vor
Paramilitärs;
Kap. 7.
Sei bedächtig, wenn du
eine Waffe tragen darfst; Spannend
das
Kap. 8. (spannnend!] Setze ein
Zeichen.
Kap. 9. Sei
freundlich zu unserer Sprache.
Kap. 10. Glaube an die
Wahrheit.
Kap. 11. Frage
nach und überprüfe.
Kap. 12. Nimm Blickkontakt
auf und unterhalte dich mit anderen.
Kap. 13. Praktiziere
physische Politik.
Kap. 14. (mit wichtigen weiterführenden Überlegungen): Führe ein
Privatleben.
Kap.
15. Engagiere dich für
einen guten Zweck.
Kap. 16. Lerne von
Gleichgesinnten in anderen Ländern.
Kap. 17. Achte auf
gefährliche Wörter.
Kap. 18. Bleib ruhig,
wenn das Undenkbare eintritt.
Kap. 19. Sei
patriotisch.
Kap.
20. Sei so mutig wie
möglich.
Es ist ein
lesenswertes und spannendes Buch zu einer aktuell
und künftig sehr wichtigen Thematik.
München: C.H. Beck 2018, 376 S., 10 Karten
Mit
dem Ende des Kalten Krieges hatten die liberalen Demokratien des
Westens gesiegt. Von nun an würde die Menschheit eine friedvolle,
globalisierte Zukunft erwarten. In den 1990er ging der Einfluss von
West nach Ost: mit der Übernahme von ökonomischen und politischen
Vorbildern, der Verbreitung der englischen Sprache, der Erweiterung
der Europäischen Union und der NATO. Dabei deregulierten
alle. Reiche Russen lebten und leben in
einem
Reich ohne
Ost-West-Geographie, vielmehr unterhalten sie Offshore-Bankkonten, Briefkastenfirmen und organisieren anonyme Deals, bei denen
das Vermögen gewaschen wird, das dem russischen Volk gestohlen
wurde. In Russland und in der Ukraine entstanden journalistische
Initiativen, um die Thematik Kleptokratie/Korruption öffentlich zu machen.
Dazu
kann Snyder
Untaten Putins nennen und - wie eng der Immobilienhändler Trump mit
„Oligarchen“ aus GUS-Ländern verbunden war, auf deren
Fluchtkapital sein Geschäftsmodell wesentlich beruhte. Snyder
schildert darum die beängstigenden Kontakte zwischen russischen Oligarchen
und Donald Trump, und er warnt uns vor den Konsequenzen.
Daher ging
der Einfluss in den 2010er Jahren stärker von Ost nach West.
Seit Putin seine
Macht in Russland etabliert hat, rollt eine Welle des Autoritarismus
von Osten nach Westen, die Europa durch das
Aufkommen antidemokratischer Politik erfasst. Es ist zugleich die Abwendung Russlands von
Europa mit der Invasion der Ukraine, die Freude am Brexit-Referendum und der Wahl
Trumps.
Ich teile nicht vollständig die
vielen positiven Urteile zu
diesem Buch von „BR24“,
„Foreign Affairs“, „Guardian“,
„Huffington Post“, „Spiegel Online“, „Tagesspiegel“, „The
Times“, „TIME“, „Welt“ u.a.
Ich erinnere vielmehr auch an die
Mitverantwortung der Clinton-Administration für die Reformpolitik Boris Jeltzins.
4. Arthur M. Schlesinger Jr.: Die Spaltung Amerikas.
Überlegungen zu einer multikulturellen Gesellschaft
Hg.: Stefan Luft / Elham Manea /Sandra Kostner
Stuttgart: ibidem 2020, 172 S.
Mit dem Bestseller The
Disuniting of America legte Arthur M. Schlesinger Jr. (1917–2007), Sonderberater von
John F. Kennedy 1998 eine interessante Langfrist-Diagnose vor, die
angesichts der gegenwärtigen Ereignisse in den USA beklemmend
aktuell ist.
Open Access >>>
Ergänzend:
1. “1619 Project” der New York im Jahr 2020, "which places slavery at the heart of the American
founding. 1619 African slaves were first brought to the United
States, or to the land that would become the United States, late in
the next century.
https://www.nytimes.com/interactive/2019/08/14/magazine/1619-america-slavery.html
2. Der
Trumpismus
als
rechtskonservative-neonationalistische oder national-populistische
Bewegungen in westlichen Demokratien spaltet
die USA und in anderen Ländern weiter. Vgl.:
- Bob
Woodward: Fear. Trump in the White House.
New York: Simon & Schuster, New York 2018 - Regula
Stämpfli: Trumpism. Ein Phänomen verändert die
Welt.
Basel: Münsterverlag, Basel 2018 sowie - Stanley Feldman (January 29, 2020):
"Authoritarianism, threat, and intolerance".
In: Eugene Borgida - Federico; Miller (eds.):
At the Forefront of Political Psychology:
Essays in Honor of John L. Sullivan. Taylor & Francis
3. Zum Gesundheitssystem der USA -
ein Kommentar des Rechtsanwalts Romano Minwegen, Bonn
Im Ärzteblatt vom 15.03.2018 war ein Beitrag, warum das US-Gesundheitssystem so teuer ist.
2016
betrug der Anteil des Gesundheitswesens ca. 17,8 % des BIP, in zehn
anderen Ländern, mit einer ähnlichen Wirtschaftsleistung, zwischen 9,6 %
(Australien) und 12,4 % (Schweiz). Dabei beträgt die Lebenserwartung in
den USA, 78,8 Jahren, in Deutschland liegt sie bei 80,7 Jahren und in
Japan bei 83,9 Jahren. Das
amerikanische System ist also ineffizient. Dabei fallen z.B. psychisch
Kranke aus dem Raster und landen häufiger als Obdachlose auf der Straße.
Gründe können sein, dass
Medikamente erheblich teurer sind als z.B. in Deutschland. Als Beispiel
kann Advair (Fluticason plus Salmeterol) dienen: Kosten in den USA, 155
US-Dollar, versus 38 US-Dollar in Deutschland. Auch sind die
Verwaltungskosten erheblich höher. Und Ärzte und Krankenpfleger
verdienen erheblich mehr als in Deutschland. Timothy Snyder hat also recht, wenn er einen Umbau des amerikanischen Gesundheitswesens fordert.
Angesichts der aktuellen Ereignisse in den USA - beklemmend ist ein Rückblick:
5. Hannah
Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft,
von der
Verfasserin übertragene und neubearbeitete Ausgabe
Frankfurt a. M.
1955, 5. deutsche Ausgabe, ungekürzt wieder: München 1986.
Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft:
I.
Antisemitismus; II. Imperialismus; III. Totale Herrschaft, Ebd., S. 13f.
Vgl. auch:
- The Origins of Totalitarianism, New York 1951
- The
Burden of Our
Time, London 1951.
Dazu vgl.:
Jörg Echternkamp: Kriegsideologie, Propaganda und Massenkultur (bpb, 30.04.2015)
Dazu lohnt ein Blick in diese Bücher:
6. Evan Osnos: Joe Biden,
The Life, the Run, and What Matters Now,
New York: Scribner 2020,
177pp.
Deutsch: Joe Biden – Ein
Porträt
Aus
dem Englischen von Ulrike Bischoff und Stephan Gebauer.
Berlin: Suhrkamp
2020, 263 S.
Inhaltsverzeichnis und Leseprobe >>>
Verlagsinformationen:
„A
concise, brilliant, and trenchant examination of Joseph R. Biden
Jr.’s successful lifelong quest for the presidency by National Book
Award winner. President-elect Joseph R. Biden Jr. has been called
both the luckiest man and the unluckiest—fortunate to have
sustained a fifty-year political career that reached the White House,
but also marked by deep personal losses and disappointments that he
has suffered.
Yet even as Biden’s life has been shaped by
drama, it has also been powered by a willingness, rare at the top
ranks of politics, to confront his shortcomings, errors, and
reversals of fortune. As he says, “Failure at some point in your
life is inevitable, but giving up is unforgivable.” His trials have
forged in him a deep empathy for others in hardship—an essential
quality as he leads America toward recovery and renewal.
Blending
up-close journalism and broader context, Evan Osnos, who won the
National Book Award in 2014, draws on nearly a decade of reporting
for The New Yorker to capture the characters and meaning of
2020’s extraordinary presidential election. It is based on lengthy
interviews with Biden and on revealing conversations with more than a
hundred others, including President Barack Obama, Cory Booker, Amy
Klobuchar, Pete Buttigieg, and a range of activists, advisers,
opponents, and Biden family members. This portrayal illuminates
Biden’s long and eventful career in the Senate, his eight years as
Obama’s vice president, his sojourn in the political wilderness
after being passed over for Hillary Clinton in 2016, his decision to
challenge Donald Trump for the presidency, and his choice of Senator
Kamala Harris as his running mate.
Osnos ponders the difficulties
Biden faces as his presidency begins and weighs how a changing
country, a deep well of experiences, and a rigorous approach to the
issues, have altered his positions. In this nuanced portrait, Biden
emerges as flawed, yet resolute, and tempered by the flame of
tragedy - a man who just may be uncannily suited for his moment in
history“ (Verlagsinfo: Scribner).
"Joe Biden ist zugleich der unglücklichste und der glücklichste
Mensch, den ich kenne."
Das sagt ein Weggefährte über den
Mann, der bei der Präsidentschaftswahl 2020 Donald J. Trump
herausforderte. Der Journalist Evan Osnos begleitet den Kandidaten der
Demokratischen Partei seit Jahren und hat ihn immer wieder
interviewt, zuletzt im Sommer 2020. Diese und weitere Gespräche mit
Angehörigen und Weggefährten wie Barack Obama bilden die Grundlage
dieser brillanten Nahaufnahme des 1942 geborenen Biden, in dessen
Werdegang sich die Veränderungen der politischen Kultur der USA
spiegeln. Mit gerade einmal 29 Jahren wurde der Sohn eines
Autohändlers in den US-Senat gewählt. Seinen Amtseid legte er ab,
nachdem er nur wenige Wochen zuvor seine erste Frau und seine Tochter
bei einem Autounfall verloren hatte.
Nach Höhen und Tiefen führte
ihn seine Karriere schließlich als Vizepräsident ins Weiße Haus.
Joe Biden hat dramatische Schicksalsschläge und überraschende
Wendungen erlebt. Vielleicht versetzt ihn gerade das in die Lage,
eine zerrissene Nation zu einen, die Wunden der Trump-Ära zu heilen
und einen neuen politischen Aufbruch zu ermöglichen"
(Verlagsinfo Suhrkamp).
Dazu: Süddeutsche Zeitung: SZ, 30.11.2020
In einer Doppelrezension bespricht Matthias Kolb zwei Titel, die helfen können, den neuen Präsidenten der USA zu verstehen. In diesem Porträt wird das gesamte Leben von Joe Biden gezeigt und der New Yorker Reporter habe gut herausgearbeitet - findet der Kritiker - wie sich jemand aus einfachen Verhältnissen und zudem mit einem Stottern behaftet, zum Erfolg hocharbeitet. Es gibt tiefe Einblicke auch in Überheblichkeiten, politischen Opportunismus und kleine Angebereien am Rande. Wichtig ist dem Kritiker aber zu betonen, dass der Autor hier einen sehr erfahrenen Mann vorstellt, der immerhin einmal "Schlüsselfigur" in den Bereichen Justiz und Außenpolitik war. Er sei ein Mensch, so ist der Rezensent überzeugt, der sowohl die Flügel seiner Partei zusammenbringen als auch mit dem politischen Gegner reden kann, eine Fähigkeit, die er für seine "neue Politik der Fairness" brauchen wird.
Joe Biden: Versprich es mir. Über Hoffnung am Rande des Abgrunds.
München: C.H. Beck 2020, 250 S.
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