Reinhold Bernhardt / Perry Schmidt-Leukel (Hg.):
Interreligiöse Theologie. Chancen und Probleme.Beiträge zu einer Theologie der Religionen (BThR), Band 11.
Zürich: TVZ 2013, 296 S., Personenregister
--- ISBN 978-3-290-17718-8 ---
Interreligiöse Theologie. Chancen und Probleme.Beiträge zu einer Theologie der Religionen (BThR), Band 11.
Zürich: TVZ 2013, 296 S., Personenregister
--- ISBN 978-3-290-17718-8 ---
Ausführliche Beschreibung
Die beiden
Herausgeber Reinhold Bernhardt, Professor
für Systematische Theologie an der Universität Basel und Perry Schmidt-Leukel, Professor für Religionswissenschaft und
Interkulturelle Theologie an der Universität Münster, haben sich als kompetente
und engagierte Promotoren des interreligiösen-theologischen Dialogs schon seit
langem einen Namen gemacht. In der vom Theologischen Verlag Zürich betreuten
Reihe (seit 2005) haben sie wichtige Denkanstöße für die sich weiter
entwickelnden interreligiösen Theologien gegeben. Dieser Band stellt nun eine
Art Zwischenbilanz dar, und zwar nicht nur auf der Basis der christlichen
Tradition, sondern im Zusammenhang verschiedener religiöser Traditionen. So
lassen sich hier in Verbindung von Theologie, Religionswissenschaft und dank
wichtiger theologischer Entwicklungen neue Horizonte entdecken.
Die
bisherigen erschienen 10 Bände BThR haben verstärkt einzelne Schwerpunkte
interreligiösen Theologisierens angesprochen. Vgl. die Besprechungen:
http://buchvorstellungen.blogspot.de/2013/12/auf-dem-weg-zu-einer-universalen.html
http://buchvorstellungen.blogspot.de/2013/12/auf-dem-weg-zu-einer-universalen.html
Der neueste
Band bezieht sich auf eine Fachtagung im November 2012 in der Nähe von Basel.
Hier wird programmatisch benannt, welche
Funktion eine interreligiöse Theologie angesichts unterschiedlicher
Entwicklungstendenzen hat: „Wie immer das Spannungsverhältnis zwischen
konfessioneller Herkunft und religionsdialogischer Orientierung im Einzelnen
gelöst wird, so setzt interreligiöse Theologie in jedem Fall die Annahme
voraus, dass theologisch relevante Wahrheitserkenntnis nicht auf die eigene
religiöse Tradition oder Konfession begrenzt ist (S. 11). Im Konzept einer solchen
interreligiösen Theologie werden zwangsläufig neue Einsichten erkennbar,
dennoch erhebt eine solche Theologie „den Anspruch, traditionelle
religionsspezifische Theologie in erkennbarer Kontinuität fortzuführen“ (S.
15).
Die hier
versammelten z.T. international renommierten Fachleute decken in ihren
Beiträgen nun Problemfelder und Chancen
eines interreligiös theologischen Ansatzes aus verschiedenen Perspektiven auf.
Im 1. Teil geht es um systematische und methodologische Aspekte einer Theologie, die komparativ
ansetzt und sich interreligiös auswirkt. Die Herangehensweise der Autoren ist
dabei recht unterschiedlich. Der Mitherausgeber Perry Schmidt-Leukel fordert eine interreligiöse Lern- und Revisionsbereitschaft ein, die nur möglich
ist, wenn die Verschiedenheit der Religionen ebenso wie ihre essentielle
Gleichwertigkeit betont wird. Zurückhaltender äußert sich der andere
Herausgeber, Reinhold Bernhardt, dass
interreligiöse Theologie die Verwurzelung
in der eigenen Tradition braucht und so fähig wird, sich in andere
religiöse Traditionen hineinzudenken (S. 45), und zwar im Sinne einer
transreligiösen Theologie (S. 65f). Dies macht heutzutage jedoch nur im
globalen Rahmen Sinn, wie Bernhardt an ausgewählten Theologen katholischer
Provenienz wie z.B. an Francis Clooney oder an dem Anglikaner wie Keith Ward
zeigt und sich dabei immer wieder auf Schleiermacher beruft. Sigrid Rettenbacher (Universität
Salzburg) dagegen betont die Notwendigkeit
eines postkolonialen Fokus, von dem her inter-religiöse Theologie ihre
Glaubwürdigkeit gewinnt. „Wie immer das Konzept einer interreligiösen Theologie
auch näher bestimmt werden mag, es geht darum, den eigenen konfessionellen
Glaubensstandpunkt mit einem Bewusstsein für religiöse Pluralität
zusammenzudenken“ (S. 79) und mit einem postkolonialen Identitätskonzept bei
der Wahrnehmung des „Anderen“ zu verbinden (S. 87). Dies wird in der Spannung
von Universalität und Partikularität geschehen müssen. In einem solchen Prozess
können hegemoniale Strukturen entlarvt (S. 92) und Identitäten in ihrer
Pluralität und Besonderheit respektiert werden. Ulrich Dehn (Universität Hamburg) setzt sein interreligiöses
Theologieverständnis bei der Kommunikationstheorie an und spielt dies mit Hilfe
der buddhistischen Traditionen durch. Dazu benutzt er die unterschiedliche
Auslegungs-Verwendung des berühmten Gleichnisses von den Blinden, bei ihrer
Begegnung mit einem Elefanten. So geraten über die Erzählung/ die Narrative
Wahrheitsdiskurse in den Vergleich. Kontextuelle
Theologie des Christlichen zwischen Partikularität und Universalität erweitert
sich auf diese Weise hin zu interreligiöser Universalität, ohne dass man dazu
den übergeordneten Begriff einer „interreligiösen Theologie“ braucht (S. 126),
weil dieser Begriff fast als Tautologie erscheint (S. 127).
Die
Formulierung von den „Grenzen
interreligiöser Gastfreundschaft“ im Titel des Beitrags von Marianne Moyaert, Professorin für
interreligiösen Dialog an der Universität Amsterdam, verwundert zunächst etwas.
Ist doch die Gastfreundschaft das Band, das gerade unterschiedliche Glaubende
erst einmal zusammenbringt, und „rituelle Partizipation“ scheint doch ein
besonderer, eben nicht nur kognitiver Weg des Dialogs zu sein. Aber die Autorin
sieht auch unangebrachte Grenzüberschreitungen. Darum möchte sie die „Dualität
von Anziehung und Widerstand von der spezifischen Eigenart symbolischer Praktiken
her … verstehen“ (S. 156f). Denn es geht um ein tieferes Verstehen des religiös
Anderen (S. 142ff). Welche Konsequenz ist daraus zu ziehen? Kann man nicht mehr
als respektvolle Anwesenheit der „Anderen“ bei den eigenen religiösen Ritualen
erwarten, zumal diese ja aus ihrer „Vorformung“ leben und religiöse Symbole
nicht einfach austauschbar sind? Eingeladene und Einladende brauchen natürlich
eine entsprechende Sensibilität für den Anderen. Offenbar bewegt die Angst der „eigenen
religiösen Bindung untreu [zu] werden“ (S. 156), manches gläubige Gemüt doch
recht intensiv. Ich frage mich allerdings, ob die Angst vor der eigenen
dialogischen Courage wirklich der beste Ratgeber ist.
Im kürzeren 2. Teil des Bandes werden mögliche und sich realisierende
Konkretionen angesprochen. Catherine
Cornille (Boston College) als Hauptherausgeberin der Reihe „Christian
Commentaries on Non-Christian Sacred Texts“ geht von einem breit angelegten
Verständnis “Komparativer Theologie” aus. Die theologische Beschäftigung mit
anderen religiösen Traditionen führt natürlich zu einer bewussten Auswahl der
Dialogpartner (S. 164). Das Weiterwirkende daran ist, dass heilige Texte von „anderen“ oft „katalysatorische“ Rückwirkungen
haben können (S. 167). Interreligiöse Hermeneutik wagt jedoch Deutung aus
einem anderen religiösen Kontext heraus (S. 170). Sie ermöglicht in christlich-theologischer
Verantwortung geoffenbarte Wahrheit in anderen Religionen zu entdecken. Anja Middelbeck-Varwick (Freie
Universität Berlin) schlägt den Bogen noch etwas weiter, indem sie ekklesiologische
Fragen (innerhalb der römisch-katholischen Theologie) im Gespräch mit der
islamischen Theologie entfaltet. Dazu dienen die „Umma“ im islamischen und „Kirche“ im katholischen Verständnis.
Kirche als Widerschein Christi (S. 193) wirft auch ein neues Licht auf
muslimisches Gemeinschaftsverständnis bis hin zur Überlegung, ob nicht der
analoge Begriff zu „Kirche“ „Islam“ sei (nach Felix Körner, vgl. S. 200). Das
gemeinsame Tun wird zum einigenden Band, Umma und Kirche bleiben in ihrem gemeinsam
möglichen Verständnis „lernoffen“. Ebenfalls auf der komparativ-theologischen
Ebene liegt der Beitrag von Michael
Hüttenhoff (Universität Saarbrücken), der das nicht zentrale Thema der Freundschaft vergleichend an einem buddhistischen
Text durchspielt und interreligiöse übergreifende
Freundschaft wegen unterschiedlicher Heilsvorstellungen in Frage stellt. Um
exklusivistische Tendenzen abzufangen, müsste also eine interreligiöse
Tugendlehre der Freundschaft erst entwickelt werden. Der
Religionswissenschaftler Wolfgang Gantke
(Universität Frankfurt/M.) bedenkt die Probleme einer „pluralistischen
Blickentschränkung“ (S. 235). Er geht dabei den ungewohnten Weg im Sinne einer religiösen Lebensphilosophie, die zwischen
interreligiöser Theologie und interkultureller Religionswissenschaft
changiert. Eine solche Position enthält sich angesichts der Unergründlichkeit
des Lebens aller Verabsolutierungen. Ein Stück weit dient dem Verfasser
Nietzsche, aber noch mehr Sri Aurobindo als Vorbild. Dieser hat das starre
Entweder-Oder hinter sich gelassen und gibt dem Geist des jeweils Entgegengesetzten
immer Platz. Der Missionswissenschaftler Werner
Ustorf (Birmingham) grenzt seine Überlegungen auf den australischen Anthropologen Ted Strehlow (1908–1978) ein. Aufgrund
dessen spirituellen Offenheit gegenüber den Aborigines lehnte er die autoritäre
Variante des Missionschristentum ab, entwickelte jedoch keine synkretistische
Identität. Er versuchte vielmehr aboriginale Religion in ihrer Regionalität
theologisch in sein eigenes Glaubensverständnis mit einzubeziehen, auch was den
Weg zum Heil und die Gemeinschaft mit den Ahnen betrifft.
Am Schluss
spricht sich der Münchener Religionswissenschaftler, Zen- und Yoga-Lehrer, Michael von Brück, sehr persönlich
autobiographisch für eine religiöse Praxis aus, die Tendenzen der „negativen
Theologie“ aufnimmt und sich jenseits
von Theismus und Atheismus ansiedelt. Es ist ein Leben mit und in einem
nicht-dualen, einem ökosophischen
Weltbild (S: 282). Seine theologische Theorie geht auf eine Pluralität in wechselseitigen Relationen
hinaus, die er als Inklusivität versteht, d.h. die eigene Religiosität ist von
„inklusivem Pluralismus und plualistischer Inklusivität“ geprägt (S. 289). Die
eigene Ego-Stabilität muss offensichtlich bei einer solchen „interreligiösen
Theologie“ zugunsten eines pluralistischen Denkens aufgegeben werden.
Markierungen für eine interreligiöse
Theologie
Interkulturelle,
kontextuelle, Komparative und interreligiöse Theologie sind Begriffe, die
zunehmend und nicht immer eindeutig gebraucht werden. Die Autoren haben hier
methodologische und systematisierenden Klärungsschritte vorgenommen und auch
ungewöhnliche Ansätze gewagt. Wenn man es aber genauer bedenkt, so scheint sich
die hier dokumentierte Problemlage überwiegend um eine christlich-interreligiös offene Theologie der Religionen zu drehen
als tatsächlich um eine Theologie, die mehrere Religionen einbeziehend transzendieren
kann. Auf die umfassenden Religionstheorien und bewussten theologischen
Grenzüberschreitungen im Sinne universaler Wahrheiten von Wilfred Cantwell
Smith oder des im „the Real“ gipfelnden Konzepts von John Hick wird relativ
wenig eingegangen. Paul Schwarzenau mit Ansätzen zum Verständnis eines
„Größeren Gottes“ in einer „nachchristlichen Theologie“ kommt gar nicht ins
Blickfeld. Dennoch: die hier vorgestellten Ansätze bieten Möglichkeiten,
interreligiöse Theologie als Herausforderung durch andere religiösen
Traditionen, aber zugleich konsequent dialogisch – und nicht nur
religionswissenschaftlich vergleichend – voranzutreiben.
Reinhard Kirste
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