Handbuch Interkulturelle Theologie
Umbrüche – Zugänge – Horizonte
Hg.: Franz Gmainer-Pranzl, Judith Gruber, Anja Middelbeck-Varwick
Living Edition
Living Edition
Verlagsinformation (Springer Link) >>>
Thomas Schreijäck / Knut Wenzel (Hg.): Kontextualität und
Universalität.
Die Vielfalt der Glaubenskontexte und der Universalitätsanspruch des Evangeliums.
25 Jahre „Theologie interkulturell“.
Stuttgart: Kohlhammer 2012, 176 S. ISBN 978-3-17-022293-9
Die Vielfalt der Glaubenskontexte und der Universalitätsanspruch des Evangeliums.
25 Jahre „Theologie interkulturell“.
Stuttgart: Kohlhammer 2012, 176 S. ISBN 978-3-17-022293-9
Seit 25 Jahren gibt es an der Goethe-Universität
Frankfurt das Projekt „Theologie interkulturell“. Jeweils im Wintersemester
wird ein/e deutschsprachige Gastprofessor/in aus Afrika, Asien oder
Lateinamerika an die Katholisch-Theologische Fakultät eingeladen, um
Gesichtspunkte aus der weltweiten (katholischen) Kirche in einem umfassend
interreligiös und interkulturell gewordenen Zusammenhang herauszuarbeiten. Thomas
Schreijäck, der Pastoraltheologie, Religionspädagogik und Kerygmatik lehrt, ist
erster Vorsitzender von ''Theologie interkulturell'' und der
Fundamentaltheologe und Dogmatiker Knut Wenzel stellvertretender Vorsitzender.
Die beiden nehmen diesen Zeitraum der 25 Jahre, um Bilanz zu ziehen:
„Theologie interkulturell möchte bewusst
machen und vermitteln, dass religiöser Glaube, theologisches Denken und
solidarisches Handeln aus einer religiösen Grundüberzeugung heraus nicht auf
ein Christentum westlich-europäischen Zuschnitts begrenzt sind. Die Kirche
macht es sich so zur Aufgabe, über den eigenen eng begrenzten Rahmen des
religiösen, kulturellen, gesellschaftlichen oder nationalen Eigeninteresses
hinauszugehen“ (S. 9).
Man kann die
Welt umfassende katholische Kirche heute mit fast einer Milliarde Mitgliedern nun
gewissermaßen als einen Spiegel nehmen, in dem sich die religiöse und
gesellschaftliche Vielfalt der Moderne auf unterschiedliche Weise bricht. Dabei
ist auffällig, welch innovative Ideen und Projekte an anderen Orten gerade dort
umgesetzt werden, wo das Christentum nicht die Mehrheit bildet oder
dramatischen Veränderungen unterworfen ist. In diesem Zusammenhang wurde und
wird es spannend, wie kompetente Vertreter aus den jeweiligen Kulturkreisen die
Spannung von Kontextualität und Universalität zur Sprache bringen und der
Kirche Mut machen, sich gerade in der Begegnung mit anderen Religionen und
Kulturen immer wieder zu erneuern. „Theologie interkulturell“ bietet für diesen
Austausch eine ausgesprochen hilfreiche Plattform. Dies zeigt sich auch in der
geschickten Auswahl der jeweiligen Vertreter, allesamt Katholiken mit einem
weltoffenen Profil.
In der
vorliegenden Zusammenstellung kommt als erster Josef Estermann zu Wort, Missionswissenschaftler aus Bolivien: Er
betont die wichtigen Anstöße der Befreiungstheologie gerade in der Aufwertung
indigener Kulturen. Er hebt dabei die allumfassende, universale und Mensch
gewordene göttliche Gerechtigkeit als Kennzeichen des Reiches Gottes hervor.
Das Wort „Chakana“ = Brücke in der Quechua- und Aymara-Sprache nimmt die
Menschwerdung Jesu im andinen Kontext auf und verbindet es mit der
Universalität des globalen Waltens Gottes.
Im
Horizont des islamisch geprägten Indonesien bezieht sich der Sozialphilosoph Franz Magnis-Suseno SJ aus Jakarta auf
den Universalitätsanspruch des christlichen Glaubens. Angesichts dieser
islamischen Herausforderung in einem Land mit ca. 220 Mio Einwohnern und einer
verschwindend kleinen christlichen Minderheit kann dies nur in konsequenter
Auslegung der dialogischen Aussagen des Vaticanums II geschehen, das heißt:
Mission ist demütiges und friedfertiges Zeugnis-Geben, ohne dass der geringste
Zwang ausgeübt wird. Gott möge dann alles Weitere tun. Dies ist im Grunde eine
konsequent inkusivistische Linie, die immerhin viele Dialogmöglichkeiten mit
den muslimischen Partnern ermöglicht.
Etwas
weiter wagt sich Francis X. D’Sa SJ,
hinaus, Spezialist für indische Religion und Theologie der Religionen aus Pune
(Indien). Er bringt es auf den Punkt: „Der Evangeliumswahrheit kommt der Universalitätsanspruch zu, aber nicht der
Wahrheit des Evangeliumsausdrucks“
(S. 45). Das bedeutet, das eine
Geheimnis in der Vielfalt der Glaubenskontexte zu entdecken und auf
unterschiedliche Weise davon sprechen. Die Vielfalt der Glaubenskontexte lebt
von unterschiedlichen Selbstverständnissen und der grundlegenden
Verschiedenheit von Kulturen. Es geht nicht darum, wer z.B. im karmischen oder
anthropischen Geschichtsverständnis recht hat
(S. 53), sondern es gilt, in jeder Glaubenswelt sich von der Universalität der
göttlichen Wahrheit in Anspruch nehmen zu lassen.
Noch
weiter geht der Dogmatiker Luis Gutheinz
SJ aus Taipeh (Taiwan). Er setzt sich konsequent für einen interreligiösen
Dialog ein, der die dringenden Probleme der Welt von heute aufnimmt. Es geht
nicht um die Ausbreitung des eigenen christlichen Glaubens, sondern um die
Bekräftigung einer letzten Realität bzw. Wahrheit, die sich in verschiedenen
Glaubenskonzepten ausdrückt und diese als authentische Wege zum „höchsten Gut“
ansieht (S. 68). Dies schließt im Dialog weder das Zeugnis noch die
Verkündigung des eigenen Glaubens aus.
Afrikanische
Gesichtspunkte bringt der Fundamentaltheologe Simon Matondo-Tuzizila aus dem Kongo ein. Dieses riesige Land
Zentralafrikas hat trotz der kolonialistischen Gewalt eine Art „Christliche
Kultur“ unter Einbeziehung der Ahnenüberlieferung entwickelt (S. 72). Das
bedeutete aber zugleich die Aufnahme des „fremden“ Jesus im Sinne von Bedrohung
und Chance. Die Chance konzentriert sich auf die Beseitigung der Hexerei, durch
die anderes Leben systematisch zerstört wird. Jesus als „König der Könige“ und
die konsequente Vergottung Jesu bildet so einen heilsamen Gegenpol. Jesus als
das Wort Gottes inkulturiert sich dabei im Sinne befreiender Lebenspraxis gegen
die Heilsanmaßungen von Hexerei und Fetischismus.
Der
Religionspädagoge Alphonse Ndabiseruye
aus Burundi zieht das Begriffspaar „Evangelisierung“ und „Inkulturation“ heran,
um Jesus Christus nicht als Objekt, sondern als Ur-Inkulturation im Sinne der
Menschwerdung zu beschreiben, die auch christologisch und jeweils muttersprachlich
in den afrikanischen Kontext eingebunden werden muss. Dieses Inkulturieren
konkretisiert sich als Befreiungsbotschaft in die politischen und
gesellschaftlichen Bedingungen hinein.
Der
Bonner Fundamentaltheologe und Religionsphilosoph Hans Waldenfels bietet gewissermaßen einen systematischen
Verstehensrahmen für die jeweiligen „Länderprofile“ unter den unterschiedlichen
Ansätzen und Weiterentwicklungen von Inkulturation. Das Ende der
Kolonialherrschaft und das langsame Zurückdrängen eurozentrischen Gedankengutes
ermöglicht für die bisher oft marginalisierten indigenen Kulturen eine
wesentliche Aufwertung. Die Kirche im Sinne von Weltkirche erlebt die
Verschiebung ihres Lebenszentrum in den Raum zwischen Asien, Australien und der
Westküste der USA. Besonders herausfordernd wirkt sich der postkoloniale Aufschwung
des Islam weltweit aus, der durch eine bedeutende „Westwanderung“ geprägt ist.
Das Christentum in Europa gerät angesichts dieser Entwicklungen vom ehemaligen religiösen
Zentrum an den Rand. Der Säkularismus sowie der damit teilweise parallel
laufende religiöse Pluralismus/Relativismus in den europäischen Gesellschaften
tun ein Übriges. Wird Religion jedoch als Offenheit für Transzendenz
verstanden, werden die Christen
angesichts der religiösen Suchbewegungen glaubhafte Wegbegleiter der unterschiedlich
Suchenden werden.
Der
Frankfurter Fundamentaltheologe Siegfried
Wiedenhofer setzt sich mit der Spannung von Partikularität und
Universalität der Kulturen und Religionen in der Moderne auseinander. Er führt
damit im Grunde die Überlegungen von Hans Waldenfels systematisierend fort. Die
Moderne hat die Relativierung religiöser Absolutheitsansprüche beschleunigt.
Dem setzt er ein „transzendentalphilosophisches Modell“ (Richard Schefflers)
entgegen, das Offenbarung als Begegnung mit dem Geheimnis Gottes auch außerhalb
des christlichen Glaubens möglich macht. Dies ist der Ermöglichungsgrund des
interreligiösen Dialogs, wie sich z.B. beeindruckend an Henri Le Saux zeigen
lässt.
Den
Abschluss bildet der Beitrag von Werner
G. Jearond, Systematiker an der Universität Glasgow, der das bisher noch
nicht intensiv angesprochene Feld von „Interkulturalität“ und „Interreligiosität“
genauer untersucht und eine Hermeneutik der Liebe als dialogische
Verständigungsbasis vorschlägt. Die bisherigen Ansätze von Hans Küng mit dem
Weltethos, mit John Hick und der religionspluralistischen Theologie sowie die
an Attraktivität zunehmende Komparative Theologie erfahren dabei eine kritische
Würdigung. Aber die Theorien scheinen hinter der interreligiösen Praxis in
unserer Gesellschaft längst hinterher zu hinken. Darum nimmt Jearond Hans Georg
Gadamer, Paul Ricoeur, Erzbischof Rowan Williams und Catherine Cornille auf und
argumentiert, „dass es die Aufgabe einer kritischen interdisziplinären
Hermeneutik der Liebe ist, die allen Menschen gemeinsame Kommunikations- und
Liebesgabe als den Horizont zu ergründen, in dem religiöse Traditionen
betrachtet, verstanden, erforscht, gedeutet und transformiert werden können“
(S. 171).
Die
katholische Kirche als Weltkirche erlebt außerhalb des europäischen Kulturraums
erhebliche Aufschwünge. Sie ist angesichts der religiösen Veränderungen aber
auch besonders herausgefordert. Die im Buch versammelten Beiträger nehmen diese
Herausforderung im Geist des 2. Vatikanischen Konzils auf und wagen dialogische
Schritte im Blick auf die gemeinsame Weltverantwortung aller Religionen –
manchmal eher vorsichtig, zuweilen jedoch auch mutig und bisherige Grenzen
überschreitend. Sie setzen sich so auf Zukunft hin orientiert mit
kulturell-religiösen Umbrüchen auseinander und diskutieren Ansätze der
notwendigen Begegnung der Religionen in Respekt und Demut. Das alles gilt natürlich
in vergleichbarer Weise auch für die durch die Reformation entstandenen Kirchen
und ebenfalls im weltweiten Kontext. Insofern hat dieses Buch durchaus
„protestantischen“ Charakter.
Reinhard Kirste
Ergänzende Besprechung auf der Rezensionsseite
„Ein-Sichten“:
Thomas Schreijäck (Hg.): Theologie interkulturell. Glaubenskommunikation in einer gewandelten Welt. Paderborn u.a.: Schöningh 2009, 263 S.
Thomas Schreijäck (Hg.): Theologie interkulturell. Glaubenskommunikation in einer gewandelten Welt. Paderborn u.a.: Schöningh 2009, 263 S.
Rz-Schreijäck-Kontext,
12.04.12 u.ö.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen