Thorsten Dietz / Harald Matern (Hg.):
Rudolf Otto. Religion und Subjekt.
Christentum und Kultur, Band 12. Zürich: TVZ 2012, 264 S, Register --- ISBN 978-3-290-17608-2
Rudolf Otto. Religion und Subjekt.
Christentum und Kultur, Band 12. Zürich: TVZ 2012, 264 S, Register --- ISBN 978-3-290-17608-2
Die
Diskussion um das berühmte Buch des evangelischen Theologen und
Religionswissenschaftlers Rudolf Otto (1869–1937) hat bis heute eine intensive
Auseinandersetzung zur Folge. Otto hatte das „religiöse Gefühl“ für das
„Heilige“ mit transzendentalphilosophischen und phänomenologischen
Theorieelementen verbunden und eine für viele Fachkollegen fragwürdige Kriteriologie dafür entwickelt. Im 1977 erschienenen
Sammelband „Die Diskussion um das Heilige“ drückt der herausgebende Religionswissenschaftler
Carsten Colpe sein Unbehagen u.a. folgendermaßen: aus1: „Würde ich gefragt, wie ich … über das Problem selbst
schreiben würde, dann hätte ich etwa zu antworten: Herauslösung von Ottos
Heiligem aus der Zweideutigkeit zwischen psychologischem und transzendentem
Apriori (mit Paus); Einführung einer wieder an Kant orientierten Bedingung der
beiden Möglichkeiten: der erkenntnistheoretischen, das Heilige als formales
Prinzip der Weltdeutung zu kategorisieren (mit Feigel …) und der ethischen, die
Empirie des unfreien Willens innerhalb einer Ontologie des Bösen transzendental
zu deduzieren (mit Ricœur …) …“
Das hier
vorzustellende Buch, das die beiden Theologen Thorsten Dietz (Ev. Hochschule Tabor in Marburg) und Harald Matern (Universität Basel und Erlangen)
herausgegeben haben, stellt das Ergebnis eines Forschungssymposiums zu Rudolf
Otto vom Dezember 2010 in Marburg vor. Der Schwerpunkt hat sich hier – wie
schon im Vorwort angesprochen - auf die Begründungszusammenhänge religiöser
Subjektivität verschoben, und zwar in vierfacher Hinsicht:
religionswissenschaftlich, religionsphilosophisch, religionspsychologisch und
narrativ-theologisch. Dazu treten exemplarisch die Interpretationen und
unmittelbaren Bezüge Ottos zu Martin Luther (1483–1546), Immanuel Kant
(1724–1804), Friedrich Schleiermacher (1768–1834), Friedrich Jakob Fries
(1743–1843), Nathan Söderblom (1866–1931), Wilhelm Wundt (1832–1920) und Paul
Tillich (1886–1965).
Der Band
beginnt mit einem wieder veröffentlichten Reisebericht Ottos nach Teneriffa
1911. Statt einer Kommentierung dieses Berichts untersucht der
Religionswissenschaftler Gregory D. Alles
aus Maryland (USA) Ottos Wirken religionsökonomisch – und die Nordafrikareise
wird zum unausgesprochenen Beleg: Ottos große Reisen, gar eine „Weltreise“
1911/19112 verstärken einen Kulturaustausch im Sinne eines Import-Exports von West
nach Ost, aber auch von Ost nach West. Dem liegt ein kolonial geprägter
Eurozentrismus bzw. Kulturimperialismus zugrunde, der sich mit einer subjektiv
bestimmten Religionstheorie mischt. So tritt neben das kolonialistisch-ökonomisch-elitäre
Denken eines deutschen Nationalismus der Gedanke der Bildungselite und ihren
Errungenschaften als zu verbreitendes Exportgut. Allen bringt es auf den Punkt:
Es ist die Wiedergeburt des Kulturimperialismus in der „Religionswissenschaft“.
Indem sich Otto jedoch von der Religionsphilosophie zur Religionsgeschichte
wendete, führte ihn die Niederlage Deutschlands nach dem 1. Weltkrieg zu einem
eher post-kolonialen Denken, das die Überlegenheit der eigenen Nation allerdings
beibehielt. Von daher ist auch die Religionskundliche Sammlung Ottos in Marburg
zu betrachten. Diese kulturimperialistische Haltung konnte sich
erstaunlicherweise mit einer liberalen Theologie, dem religiösen Sozialismus
und dem von Otto favorisierten „religiösen Menschheitsbund“ verbinden. Das
schloss politischen Opportunismus allerdings nicht aus.
Einen
anderen Aspekt bringt der erste Herausgeber Thorsten
Dietz ins Spiel: Ottos Luther-Rezeption im Zusammenhang des „religiösen
Gefühls“, der „ Kontrast-Harmonie“ in der Erfahrung des „Heiligen“ und seine anthropologische
Deutung von Luthers „homo spiritualis“. Der
zweite Herausgeber, Harald Matern, untersucht
Ottos religionsphilosophischen Gefühlsbegriff, der von Schleiermacher geprägt
ist, aber insgesamt für Otto nicht ausreicht. Hinzu kommen Weiterentwicklungen
auf der Basis der Religionsphilosophie von Kant und F.J. Fries (S. 117f.129ff),
so dass „Gefühl“ als spezifizierte Emotion verstanden wird, „vermittelt durch
nicht-begriffliche Reflexion“ (S. 149). Stephanie
Gripentrog (Universität Basel) zeigt bei Otto religionspsychologische Prägungen
in seiner Religionstheorie mit Bezügen auf William James und Wilhelm Wundt.
Otto wird darum auch für die religionspsychologische Forschung wichtig. Der
Theologe Stefan S. Jäger macht darauf
aufmerksam, dass der religionsgeschichtliche und religionsethnische Einfluss
des späteren Bischofs Nathan Söderblom – mehr als bisher gedacht – erhebliche
Auswirkungen auf Otto Verständnis des „Heiligen“ zwischen Fascinosum und Tremendum hatte. Mit dem „Heiligen“ haben beide eine
religiöse Grundkategorie gesetzt. Ein weiterer bedeutender Theologe wird durch Peter Schütz (Universität Marburg)
eingeführt: Paul Tillich. Bereits vor den persönlichen Begegnungen nimmt Otto den
Sprachduktus des Unbedingten, Absoluten und der „unermesslichen Fülle des
Seins“ (S. 200) auf, entwickelt ihn aber eigenständig in der Marburger Zeit
weiter. Die Themenfelder bleiben jedoch gemeinsam: Politik und Gesellschaft, Gottesdienst
und religiöse Praxis sowie die Mystik. Und die inhaltlichen Diskussionen sind
zugleich freundschaftlich geprägt. Zum Schluss zeigt Dirk Johannsen (Universität Basel), wie bei Otto eine
„erzähltheoretische Umwendung in textstrukturellen Aspekten des ‚Heiligen“
bereits angelegt ist“ (S. 240). Der numinose Wert und die von Poesie und Malerei
dafür entwickelte Ausdruckskraft, sind für Ottos Verständnis des „Heiligen“
wesensbestimmend (S. 254). Das hat dann bei sich abgrenzenden Theologen wie
Karl Feigel dazu geführt, die Rede vom „Numinosen“ für die Theologie zu
verwerfen (S. 250).
Bilanz: Die mit diesem Symposium aufgezeigten transdisziplinären
Zugänge lassen religiöse Kriterien im Kontext des „Heiligen“ in verändertem
Licht erscheinen und eröffnen neue Verstehenszugänge für Ottos Religionstheorie.
Denn sowohl transzendental-philosophisch als auch subjektiv-emotional bekommt
sein Heiligkeitsverständnis eine durchaus aktuelle Relevanz für die
theologische und religionswissenschaftliche Theoriebildung.
Reinhard Kirste
Rz-Otto-Dietz, 31.05.12
Anm. 1: Carsten Colpe (Hg.): Die Diskussion um das
„Heilige“. Wege der Forschung CCCV. Darmstadt 1977, S. XXV
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