Linda
Woodhead, Rebecca Catto (eds): Religion and Change in Modern Britain.
London / New York: Routledge 2012, 424 S., Abb., zahlreiche Literaturangaben, Index --- ISBN 978-0-415-57581-2
London / New York: Routledge 2012, 424 S., Abb., zahlreiche Literaturangaben, Index --- ISBN 978-0-415-57581-2
Die
Herausgeberinnen dieses umfassenden Bandes zu den religiösen Veränderungen in Großbritannien
sind Expertinnen ihrer „Zunft“: Linda
Woodhead arbeitet als Soziologieprofessorin an der Universität Lancaster
und ist zugleich Direktorin eines Forschungsprogramm zu Religion und
Gesellschaft, Rebecca Catto gehört
zum Team dieses Forschungsprogramms und hat wie Linda Woodhead mehrere
Veröffentlichungen zur Religionssoziologie sowohl theoretischer wie empirischer
Art herausgebracht.
Die Intentionen dieses Bandes sind, mit weiteren Fachleuten zu überprüfen, welche Auswirkungen Säkularisierung und De-Säkularisierung in der Gesellschaft des Vereinigten Königreiches nach dem 2. Weltkrieg haben.
Die Intentionen dieses Bandes sind, mit weiteren Fachleuten zu überprüfen, welche Auswirkungen Säkularisierung und De-Säkularisierung in der Gesellschaft des Vereinigten Königreiches nach dem 2. Weltkrieg haben.
Es zeigt
sich nämlich eindeutig, dass es nicht mehr den einen traditionellen Glauben gibt, der sich auf das Christentum
stützt. Vielmehr tritt eine „Wohlfahrts-Gesellschaft“ („welfare society“) in
den Vordergrund, in der alles im Grunde „gleich“ zu sein scheint. Hat der Staat
die Funktion der Kirchen übernommen mit einer Art Grundversorgung von der
Geburt bis zum Tod? Aber genau dies scheint der „Knackpunkt“ zu sein: Indem der
traditionelle (christliche) Glaube schwindet, füllen andere Religiositäten
diese Lücke und bringen neue Spiritualitätsformen hervor, ohne dass der
Einfluss der Kirchen völlig gegen Null geht. Gewissermaßen zwischen die Fronten
geraten die „Säkularen“. Die Beurteilungen der insgesamt 38 Autor/innen fallen
keineswegs eindeutig aus, zeigen z.T. aber scharf pointiert, welche
unterschiedlichen Richtungen religiöse und a-religiöse Entwicklungen genommen
haben.
Diese
Überlegungen wurden in der Einleitung der Herausgeberin, Linda Woodhead, bereits angesprochen und ein Überblick über die Gesamtstruktur
des Bandes gegeben. Es sei angemerkt, dass zum Verständnis der vielfältigen
Informationen der Band sehr geschickt aufgebaut ist: Zur Präzisierung
bestimmter Inhalte sind neben einer vorlaufenden Zusammenfassung (Abstract) des
jeweiligen Beitrags 22 „Textboxes“ übersichtlich eingefügt. Hinzu kommen
eingestreute Statistiken und vier Fallstudien. Diese Studien geben einen
exemplarischen, natürlich sehr begrenzten Einblick in die multireligiöse
Gemengelage zwischen traditionellem Christentum, zunehmender, eher
vagabundierender (Patchwork)-Spiritualität und fundamentalistischen
Verhärtungen.
In einer Art
einführender Verstärkung (S. 34-54) beschreiben Malory Nye (Universitäten in Dundee und Aberdeen [Schottland] und Paul Weller, Universität Derby) den
Streit um Religionen. Dazu gehören die neuen religiösen Bewegungen, feministische
Aufbrüche, aber auch religiöse Konflikte und terroristische Aktivitäten, die
zum einen auf nationalistischen und zum andern auf islamistischen Tendenzen
beruhen.
Die Lesenden
werden dann im Teil 1 auf die Änderung
religiöser Formen und Glaubensmuster sowie den religiösen Monopolverlust des
Christentums eingestimmt. Das verdeutlicht als positive Reaktion in der 1. Fallstudie die Formierung der United
Reformed Church (URC) in Schottland als Frucht ernsthafter ökumenischer
Bemühungen. Anschließend geht es um die gesellschaftliche Etablierung von Judentum, Sikhismus, Islam, Hinduismus und
Buddhismus seit 1945. Die 2. Fallstudie
geht dem Beziehungsgeflecht der vielfältigen Religionslandschaft im Horizont
sich bildender Netzwerke nach und zeigt dadurch die (erstaunliche) Entwicklung
interreligiöser Beziehungen in Großbritannien, also zwischen dem Christentum und
den „anderen“ Religionen überhaupt. Auf die alternativen Spiritualitäten sowohl
an den Rändern wie im „Mainstream“ gehen Graham
Harvey (Open University, UK) und Giselle
Vincett (Soziologin, Universität Edinburgh) ein, wodurch ein verändertes
Gottesverständnis mehr und mehr offenkundig wird. Dies belegt am Beispiel
junger Leute, die in Armut aufwachsen, die Fallstudie
3. Veränderte Rituale sind die logische Folge, zusammengefasst als
„Changing British Ritualization“. Solche neuen Rituale zeigen sich auffällig in
der Jugend- und Popkultur. Als ein exemplarisches Beispiel kultureller
Veränderungen steht die 4. Fallstudie:
Multireligiöse Räume als Symptome und „Agenten von Veränderung“. Die beigefügten
Bilder illustrieren nicht nur die
veränderte Gesamtsituation, sondern kommentieren
bildhaft diesen religiös beachtlichen Umbruch in der britischen Gesellschaft.
In Teil 2 geht es um weiter reichende
Einflüsse. Diese haben nicht unerheblich mit der Außenwirkung der Massenmedien
zu tun. Die 5. Fallstudie untersucht
dies im sensiblen Feld der Jugendkultur und der Identität stiftenden Pop-Musik,
beginnend in den 1960er Jahren über die New Age Spiritualität bis hin zur
religiösen Festivalkultur und den Veränderungen von der Generation X zur
Generation Y, die in den 1980er Jahren geboren wurde (vgl. S. 269). Die 6. Fallstudie unterlegt die Analyse von Adam Dinham (Goldsmiths University
London) und Robert Jackson (Universität
Warwick) über den engen Zusammenhang von Religion, Sozialstaat, Wohlfahrt und
Erziehung, zumal der Staat nicht alle sozialen Funktionen ausfüllt(e) und die
religiösen Organisationen weiterhin eine wichtige Rolle spiel(t)en. Gerade Organisationen,
die an der Basis arbeiten, z.B. beim Engagement für Obdachlose, gewinnen eine
neue Wertschätzung und Überzeugungskraft. Dies alles muss im politischen Kontext
gesehen werden. Die damit zusammenhängenden gesetzlichen Regelungen eines
säkularen Staates müssen gerade in der Erziehung religiöse Indoktrination in
öffentlichen Einrichtungen verhindern. Das verdeutlicht die 7. Fallstudie aus Nordirland.
Der kürzeste
Teil 3 ist eine theoretische
Aufarbeitung der hier dargelegten umfänglichen religionssoziologischen und
kulturanthropologischen Arbeiten, und zwar hinsichtlich sich daraus ergebender
kultureller, sozialer, religiöser und säkularer, teilweise sakralisierter
Perspektiven. Auffällig sind dabei „Einbrüche“ romantisierender Elemente und
eines neuen Atheismus in die Zivilgesellschaft. Die Religion ist keineswegs
verschwunden, aber ihre „Wiederkehr“ hat gegenüber dem jeweiligen religiösen
„Establisment“ ungewohnte Identitäten, die neue Sichtweisen im Bereich des
Sozialen, der Gender-Problematik und der Erziehung in Schule, Familie und
religiöser Gemeinschaft/Gruppe benötigen. Hier bleibt die spannende Aufgabe,
weiterhin die unterschiedlichen Ziele und die rivalisierenden Aktivitäten zu analysieren
und daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten, damit sich die Gesellschaft nicht
konfliktreich zersplittert.
Insgesamt liegt hier eine umfassende aktuelle
Bilanzierung vor, die nicht nur für Großbritannien wegweisend sein dürfte und auch für vergleichbare Untersuchungen in anderen Ländern Europas weiterführende Aspekte liefert.
Reinhard Kirste
Rz-Woodhead-UK, 14.06.12
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