Sonntag, 1. Juli 2012

Buch des Monats Juli 2012: Philosophie der Religionen als interkultureller Brückenschlag



Johann Figl: Philosophie der Religionen. Pluralismus und Religionskritik im Kontext des europäischen Denkens.  

 Paderborn u.a.: Schöningh 2012, 308 S., Personenregister
  --- ISBN 978-3-506-72448-9

Es gibt eine Fülle religionsphilosophischer Untersuchungen, aber wenige, die sich bewusst auf die Herausforderungen in der jeweiligen gesellschaftlichen Situation einlassen. Johann Figl, Theologe und Religionswissenschaftler an der Universität Wien, sieht in der Pluralität der Religionen die entscheidende Herausforderung:

 „Um … nämlich einerseits (und primär) dem Faktum der religiösen Pluralität, und andererseits zugleich den Problemen des Atheismus und der Religionskritik gerecht zu werden, ist es notwendig, das religionsphilosophische Konzept der Aufklärung … weiterzuführen, und zwar in dem Sinn, dass die neuzeitliche auf das Christentum und Europa zentrierte Verengung überwunden wird“ (S. 11).


Damit ist eine Linie vorgegeben, die zuerst auf die Geschichte und Gegenwart Europas eingeht und dazu eine relativ präzise Definition von „Religionsphilosophie“ bzw. „Philosophie der Religion“ gibt, die nach dem Verständnis von Figl nur eine „Philosophie der Religionen“ sein kann. Hier hat sich im historischen Kontext der Philosophie nun auch Religionsgeschichte und Religionswissenschaft einzuordnen. Die philosophiehistorischen Gesichtspunkte erlauben weiterhin, nicht nur hermeneutisch vorzugehen, sondern auch den religionspluralistischen Aspekt zu betonen: „Wenn Philosophie sich auf die allen Menschen gemeinsame Vernunft bezieht, dann entsteht notwendigerweise die Frage, welche Bedeutung die de facto gegebene Pluralität religiöser Auffassungen haben könnte“ (S. 23). Die geschichtsgeprägte hermeneutische Gewichtung bestimmt letztlich auch die Gliederung des gesamten Bandes von der frühen griechischen Philosophie bis in areligiöser Tendenzen und interkultureller Perspektiven der Gegenwart. 

Im 1. Teil geht Figl der Frage nach dem Wesen des Göttlichen und der Religionskritik in einem polytheistischen Kontext nach. Seine Skizzierung reicht von mythologischen Vorstellungen, über Anaximander, Pythagoras, Xenophanes bis zu Sokrates, Plato und Aristoteles. Genaueres kommt dann im Zusammenhang von hellenistischen Gottesvorstellungen und Weisheitslehren zur Sprache und die Betonung eines religionsgeschichtlichen Pluralismus in der Spannung von Skeptizismus und Neuplatonismus.  

 Der 2. Teil geht dann zum monotheistischen Kontext über mit der Leitfrage: Wie geht christlicher Monotheismus angesichts des Atheismusvorwurfs und polytheistischer Umfeld-Bedingungen vor? Die Logos-Lehre gewinnt hierbei zentral-hermeneutische Kraft im Sinne einer universalistisch geprägten Würdigung resp. Abwertung der Vielfalt der Religionen. Das führt auch in die Apologetik nicht nur gegenüber hypothetischen Atheismen, sondern auch im Blick auf das Verhältnis der drei monotheistischen Religionen untereinander. Peter Abaelards Toleranzschrift hat hier eine hermeneutische Schlüsselfunktion. Damit ist Figl von der Antike ins Mittelalter und der Prägekraft der Gottesbeweise gewechselt. Weiterführend geht er auf Nikolaus von Kues und auf die („vernünftige“) Theismuskritik in der frühen Neuzeit und der Aufklärung ein.  

Wesentliche religionsphilosophische Verände-rungen bringt dann der 3. Teil durch die Deutung der Religionen, und zwar systematisch-philosophisch unter Einbeziehung atheistischer Kontexte. Diese Herausforderungen des 18./19. Jahrhundert machen eine grundlegende Religionsphilosophie nichtchristlicher Religionen notwendig. Hier spricht Figl die Würdigungen des religiösen Pluralismus hauptsächlich bei Kant, Schleiermacher, Hegel, Schopenhauer, Feuerbach, Marx und Nietzsche an. 

Die Religionsphilosophie wird im 4. Teil unter den pluralistischen, interkulturellen und gleichzeitig säkular(istisch)en Vorzeichen des 19./20. Jahrhunderts herausgestellt – zugleich im Kontext von Idealismus, Interkulturalität  und Atheismus. Ausgehend von Friedrich Max Müller, Nathan Söderblom, Otto Pfleiderer, Ernst Troeltsch und Rudolf Otto differenziert Figl in der Religionskritik sowohl im Sinne des kritischen Rationalismus wie des evolutionistischen Atheismus. Wichtig wird ihm dabei, welche Funktion und welchen Stellenwert die außerchristlichen Religionen haben. Dadurch „schwankt“ die Argumentation zwischen religionsphilosophischen, religionswissenschaftlichen und theologischen Zuschreibungen, jedoch gewinnt die Religionsphilosophie zugleich transkulturelle Perspektiven und eine neue Gewichtung in der analytischen Philosophie. Das alles beeinflusst sowohl katholische Denker wie Karl Rahner und evangelische wie Paul Tillich. Die neuere Religionskritik und der sog. neuen Atheismus (Kap. 10, S. 217–236) scheinen bereits in einen spannenden Dialog mit einer skeptischen Religionsphilosophie geraten zu sein, wie das Kap. 11. u.a. an W. Weischedel, W. Trillhaas und W. Dupré zeigt. 

Bilanz: 
Was das Buch von seinem philosophiegeschichtlichen Ansatz und der hermeneutischen Umsetzung in jeweilige Zeitzusammenhänge so spannend macht, ist der Aufbau einer Philosophie der Religionen unter interkulturellen Vorzeichen. Das sind wichtige Fortschritte hin  zu einer pluralistischen Religionsphilosophie (unter Einschluss feministischer Religionsphilosophie). Es sei angemerkt, dass der englische Theologe und Religionsphilosoph John Hick (1922-2012) eine pluralistische Religionstheologie gewissermaßen unter neukantianischen Vorzeichen bereits entwickelt hat. Auf diese gibt es allerdings nur einen Hinweis im Blick im Zusammenhang mit Ludwig Wittgenstein (vgl. S. 248).

Interkulturelle Religionsphilosophie steht damit vor der Frage unterschiedlicher Religionskonzeptionen – mit oder ohne „Erlösungsdimension“ (S.265). Eine Weiterführung muss darum nach Figl so geschehen, dass über die methodologische Ebene hinaus, „Perspektiven für die inhaltliche Behandlung im Hinblick auf verschiedene Kulturräume und philosophische Traditionen“ eröffnet werden (S. 267). Damit nähert sich Figl sowohl den Konzepten einer Praktischen bzw. Angewandten Religionswissenschaft und schafft einen bemerkenswerten Brückenschlag zwischen Religionsphilosophie, Religionswissenschaft und Theologie. Diese Verbindung bedeutet keineswegs, die Differenzen besonders zwischen Asien und Europa zu relativieren. Die geschichtliche Bedingtheit religiöser Vorstellungen erlaubt jedoch keine neutralen Beschreibungen: „Insgesamt kann somit angenommen werden, dass die praxisbezogene Intention der Religionsphilosophie der Aufklärung gerade auch in der Gegenwart ihre Bedeutung hat … in einer globalisierten Welt, in der eine viel größere Pluralität und Komplexität religiöser und weltanschaulicher Auffassungen direkt aufeinander trifft“ (S. 284).
Dank des humanistischen Verständnisses von Toleranz  gewinnt Religionsphilosophie auf diese Weise zugleich einen ethischen Impetus im Blick auf inakzeptable Praktiken, Menschenrechte und Sinnorientierungen.
Reinhard Kirste
Rz-Figl-Phil-Rel, 29.06.12

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