Markus Witte und Tanja Pilger
(Hg.): Mazel tov
Interdisziplinäre Beiträge zum Verhältnis von Christentum und Judentum. Studien zu Kirche und Israel, Neue Folge (SKLNF), Bd. 1
Festschrift anlässlich des 50.Geburtstages des Instituts Kirche und Judentum
Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2012, 581 S., Register
--- ISBN 978-3-374-03012-5 ---
Interdisziplinäre Beiträge zum Verhältnis von Christentum und Judentum. Studien zu Kirche und Israel, Neue Folge (SKLNF), Bd. 1
Festschrift anlässlich des 50.Geburtstages des Instituts Kirche und Judentum
Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2012, 581 S., Register
--- ISBN 978-3-374-03012-5 ---
Ausführliche Besprechung:
1960 wurde an der damaligen Kirchlichen Hochschule in
Berlin-Zehlendorf das „Institut Kirche
und Judentum“ gegründet. Von 1883 bis 1956 gab es an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität,
der heutigen Humboldt-Universität, das „Institutum
Judaicum Berolinense“. Das 50jährige Bestehen des Instituts Kirche und
Judentum – nach Integrierung der Kirchlichen Hochschule in die
Humboldt-Universität nun ein Teil derselben, war Anlass für ein
Jubiläumssymposium, aus dem dieser umfassende Band erwuchs.
Der Alttestamentler und gegenwärtige Leiter des Instituts Kirche und Judentum, Markus Witte, und seine Mitarbeiterin Tanja Pilger haben daraus eine Festschrift zusammengestellt, in der sich renommierte Bibelwissenschaftler, theologische Systematiker, Judaisten, Kirchenhistoriker, Kunstgeschichtler (die meisten von der Humboldt-Universität = HU) zu Grundfragen und zur Ambivalenz christlich-jüdischer Begegnung quer durch die Jahrhunderte äußern. Sie gehen systematisch und (theologisch) aktualisierend vor und ziehen immer wieder jüdische und christliche Quellentexte heran, aber auch eindrückliche christliche Bilddokumente.
Der Alttestamentler und gegenwärtige Leiter des Instituts Kirche und Judentum, Markus Witte, und seine Mitarbeiterin Tanja Pilger haben daraus eine Festschrift zusammengestellt, in der sich renommierte Bibelwissenschaftler, theologische Systematiker, Judaisten, Kirchenhistoriker, Kunstgeschichtler (die meisten von der Humboldt-Universität = HU) zu Grundfragen und zur Ambivalenz christlich-jüdischer Begegnung quer durch die Jahrhunderte äußern. Sie gehen systematisch und (theologisch) aktualisierend vor und ziehen immer wieder jüdische und christliche Quellentexte heran, aber auch eindrückliche christliche Bilddokumente.
Neben den Laudationes
und Grußworten aus christlichem und jüdischem Munde in Kapitel I wird die Fülle des Materials durch die Strukturierung in
exegetische Beiträge, historische Beispiele bis zur Gegenwart,
kunstgeschichtliche Besonderheiten und Theologisches zum Gottesverständnis sowie
ausgewählten Predigten (mit einem kritischen Anmerkungsbeispiel) gebündelt. So
ist ein Kaleidoskop von Themen entstanden, das den Facettenreichtum des
christlich-jüdischen Dialogs zum Ausdruck bringt, zu dem das Berliner Institut
einen wichtigen Beitrag seit über einem halben Jahrhundert leistet. Dieser
teilweise disparaten Fülle kann nicht im Einzelnen nachgegangen werden, so dass
die Schwerpunktsetzungen des Rezensenten natürlich subjektiv geprägt sind.
Die fünf Exegetischen Beiträge des Kapitels II sprechen
Spannungsfelder der Bibelauslegung an. Mit einem alttestamentlichen
Schlüsseltext zur Nächstenliebe und der darin zugrunde liegenden Gemeinsamkeit
mit dem Verständnis Jesu (im Blick auf Leviticus 19) beginnt Matthias Köckert (HU). Demgegenüber
steht eine grundsätzliche Debatte, die Rüdiger
Liwak (HU) an der Forderung nach einer eigenständigen jüdischen
Bibelwissenschaft herausstellt, wie sie der liberale jüdische
Bibelwissenschaftler Benno Jacob
(1862-1945) forderte. Dabei sah dieser kaum eine Chance, mit christlichen
Bibelwissenschaftlern auf dieselbe Diskursebene zu kommen. Anselm C. Hagedorn (HU
Berlin) vergleicht die Hohelied-Interpretationen und Anklänge zweier
berühmter und zugleich politisch engagierter Künstler Griechenlands: Den Gedicht-Zyklus
„Mauthausen“ von Iakovos Kambanellis (1922–2011)
und dessen Vertonung von Mikis
Theodorakis (geb. 1925). Rainer
Metzner (Universität Leipzig) untersucht an der Jesus-Tradition, an Paulus
und dem 1. Petrusbrief unter Schwerpunktsetzung auf Markus 10,26 die Spannung
zwischen eschatologisch-apokalyptischem Dualismus und Tendenzen einer
Allversöhnung. Schließlich geht Christine
Zimmermann (HU) der verbindenden und dennoch abgrenzenden Interpretation
von der Kirche als dem neuen Israel im Galaterbrief und weiteren Textstellen
der Paulusbriefe nach.
Im wesentlich umfangreicheren Kapitel III: Historische
Beiträge stellt Reinhard Flogaus (HU)
christliche Texte in hebräischer Sprache aus dem 15./16. Jh. vor (mit
Bildbeispielen). Das Verhältnis von Pietismus und Judentum spricht Johannes Wallmann (Ruhruniversität, Bochum)
an. Durchaus auch anerkennende jüdische Einstellungen zur Lutherrezeption im
19. Jh. diskutiert Dorothea Wendebourg
(HU). Die Schieflage der gesamten Konversionsproblematik im 19. Jh. am
Beispiel der Familie Mendelssohn Bartholdy bringt Karl-Heinrich Lütcke (Vorsitzender des Kuratoriums des Instituts Kirche
und Judentum, Berlin) zur Sprache. Die Bedeutung jüdischer Philosophie,
ebenfalls im 19. Jh., würdigt Yehoyada
Amir (Hebrew Union College, Jerusalem). Ferner wird die christliche Palästinawissenschaft
an Gustav Dalman (1845–1941) und am jüdischen Forscher Joseph Gedalja
Klausner (1874–1958) gewissermaßen
über gegenseitige Buchwidmungen gespiegelt (Thomas
Willi, Universität Greifswald). Dann wird es ortskundlich konkret im Blick
auf die Mayersche Lehrsynagoge in Greifswald –jüdisches Museum oder Lehrschriftensammlung?
(Christfried Böttrich, Universität Greifswald).
Folkert Seigert (Universität Münster)
hebt unter Hervorhebung des Gedankens vom „ungekündigten Bund“ den konsequenten
Abschied von der Judenmission durch das Institutum
Judaicum Delitzschianum in Münster hervor.
Hartmut
Ludwig (HU) zeichnet
das Bild von Helene Jacobs
(1906–1993) nach – in ihrem Widerstand gegen den Nationalsozialismus und ihrem
Engagement für die Judenrettung. Die St. Annen-Kirche in Berlin-Dahlem spielte
dabei eine zentrale Rolle im Zusammenhang der Bekennenden Kirche. Diese damals
gemachten Erfahrungen führen nach dem 2. Weltkrieg dazu, die allgemeine humane Solidarität
durch die christlich-jüdische Solidarität zu vertiefen. Einen der wichtigen
Annäherungsschritte bildete die Gründung der Arbeitsgruppe „Juden und
Christen“, die sich zum ersten Mal auf dem Ev. Kirchentag in Berlin 1961
vorstellte. Sie blieb allerdings auch nach ihrer Konstituierung als „Arbeitsgemeinschaft
Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag“ eine von Krisen
geschüttelte christlich-jüdische Gruppierung. Der kontinuierliche Wegbegleiter
seit der Dahlemer Zeit war übrigens der Theologe Helmut Gollwitzer, der die
christliche Solidarität für die jüdische Seite gerade im gemeinsamen Lesen der
Bibel immer wieder einforderte.
Der frühere
Leiter des Instituts Kirche und Judentum,
Peter von der Osten-Sacken (HU), zeigt
umfassend auf, wie diese Einrichtung in ihrer (Forschungs-)Arbeit die
Solidarität mit dem jüdischen Volk besonders zum Ausdruck bringen wollte und
will. Rainer Kampling (FU Berlin)
nimmt diesen Impuls auf, die theologischen Wurzeln des Antisemitismus zu
beseitigen. Er legt das so an, dass die eigene christliche Auslegung der
kanonischen Schriften nur mit einem „Besitzverzicht“, also einem Verzicht auf
Deutungshoheit einhergehen kann. Denn Besitzen signalisiert eine Störung des
Gottesverhältnisses. Jonathan Magonet
(bis zur Emeritierung Direktor des Leo-Baeck-Colleges, London) reflektiert
beeindruckende Ergebnisse des neuen dialogischen Umgangs von Juden und Christen
anhand der viele Jahre in Deutschland durchgeführten jüdisch-christlichen
Bibelwochen.
Die kunstgeschichtlichen Beiträge in Kapitel IV nehmen das heikle Thema der
Darstellung von Juden und Judentum unter christlich-heilsgeschichtlichen
Gesichtspunkten auf. Es sind allerdings nur drei, allerdings ausgesprochen
bemerkenswerte Beispiele: Gerlinde
Strohmaier-Wiederanders (HU)
sieht sich die Darstellung von Juden in der St. Maria-Magdalena-Kirche
Greifswald genauer an und wundert sich über das aus diesem Gesamtrahmen
fallende Judenkapitell. Eindeutig polemisch antijüdisch geht es beim Göttinger
Barfüßer-Altar von 1424 zu, wie Michael
Brocke (Universität Düsseldorf) beschreibt. Erstaunlich dagegen sind
mexikanische Wandmalereien aus dem 16. Jahrhundert, die den Einzug der Synagoge
vor der Kirche ins neuentdeckte Amerika zeigen und heilgeschichtlich die
indigenen Völker (trotz späterer kirchlicher Verbote) dem „Alten Bund“ und
damit dem Judentum zuordnen und die nicht-christlichen sibyllinischen Verheißungen
auf den Erlöser mit einbeziehen (Margit
Kern, FU Berlin). Für die zum Verständnis wichtigen Fotos hätte man sich allerdings
eine bessere Qualität bei allen Beiträgen gewünscht.
Kapitel V präsentiert systematisch-theologische Beiträge. Rainer Hauke (HU) ringt sich schließlich zur Erkenntnis durch, dass
Juden und Christen an denselben Gott glauben, die Erkenntniswege aber unterschiedlich
sind – und der „Gottmensch“ (sic!, S. 470) Jesus Christus konstitutiv für das
Christentum und in Abgrenzung zum Judentum bleibt. Das nächste Spannungsfeld
umschreitet Notger Slenczka (HU) im
Blick auf die Trinitätslehre, deren Anstößigkeit für das Judentum auf der Hand
liegt. Er bezieht sich zuerst auf die Position des Wuppertaler Theologen Berthold
Klappert, der im Sinne einer christlichen Auslegung des Namens des Gottes
Israels eine (christliche) Neubestimmung der Identität Gottes in seinem
geschichtlichen Handeln erlaubt. Es ist eine Identitätsbestimmung – so meint Slenczka
dann, die „zwischen Stall und Kreuz in dem Gott Israels selbst begründet ist … Die
ausgeführte Trinitätslehre hält dabei fest, dass es sich bei dieser Identitätsbestimmung
nicht um einen Willkürakt des Menschen, sondern um eine Selbstdefinition Gottes
handelt“ (S. 487). Angesichts dieses metaphysischen Höhenfluges kann er dann die
bleibende Differenz zum Judentum festhalten. Ob das wirklich dialogisch weiterhilft,
muss allerdings bezweifelt werden. Der religionsphilosophisch begründete
ethische Universalismus von Hermann Cohen
(1842–1918) kommt dann wieder stärker auf den Boden religiöser und ethischer
Annäherungen von Judentum und Christentum zurück. Friedrich Lohmann (Bundeswehrhochschule München) zeigt in diesem
Beitrag, wie Cohen auf die ethischen Ressourcen der Religionen zurückgreift,
die letztlich eine unteilbare Ganzheit bilden (S. 490). Hier erlebt man bereits
den beeindruckenden Versuch einer Aussöhnung der Kulturen, die in der
Konkretisierung des Liebesgebots, einer kritischen Auseinandersetzung mit dem
Zionismus und in dem universalen Verständnis gipfelt, nämlich dass die eine
Menschheit (nur) Einen Gott hat, von dem sich keinerlei „Bild“ machen lässt. Schließlich
zeigt Wolf Krötke (HU), wie stark
Dietrich Bonhoeffer von den jüdischen Psalmen her lebte und sie im Beten,
Meditieren und Auslegen faktisch zur inneren Lebensmitte machte, allerdings –
wie der schwer auszuräumende Vorwurf lautet – im Sinne einer christlichen
„Hypostasierung“ alttestamentlicher Texte (S. 513). Wie dem auch sei, der
Anstoß auch für Christen, mit den Psalmen zu leben, hat jenseits der Kritik an
Bonhoeffer weiterhin seine Berechtigung.
Was sich
im Bonhoeffer-Aufsatz bereits als Impuls für eine christliche Spiritualität
andeutet, findet nun im „Kapitel VI: „Predigten
und ihre Reflexionen“ beispielhafte Realisierungen. Man könnte dieses
Kapitel auch überschreiben: „Das andere Predigen“. Martin Stöhr (Universität Siegen) nimmt die biblische Sodom- und
Gomorrha-Erzählung (1. Mose 18,20-33) als Beispiel menschlicher Humanität auf,
die im „Handel(n) mit Gott“ kulminiert, denn „Menschen werden gerettet, wenn
Einzelne oder eine Minderheit sich mutig weigern, sich der Überheblichkeit, der
Sattheit oder einer ruhigen Gleichgültigkeit anzupassen“ (S. 534). Einen
ungewöhnlichen Predigttext hat Hermann
Lichtenberger (Universität Tübingen)
ausgewählt: 2. Makkabäer 10,1-8, um in seiner Predigt den christlichen Advent
mit dem Chanukka-Tempelweih-Fest zu verbinden. Der Herausgeber Markus Witte nimmt in seiner Predigt zur
Bundesschluss-Ansage des Jeremia (31,31-34) Anklänge an den Fußball auf, indem
er von dem Vierklang Jeremias redet: „die Tora im Herzen, auf Gott bezogen,
Gott erkennen, die Sünde vergeben – das ist mehr als Weltmeister sein“ (S.
547). Da erscheint für die christliche Aktualisierung „Jesus selbst als Gottes
Tora“ (S. 548). Nicht christlich harmonisierend, sondern kritisch prüfend,
zeigt Thomas Wabel (HU) an Martin
Luther, wie Predigten zur Instrumentalisierung benutzt wurden und werden, um
sich christlich gegenüber dem Judentum in der eigenen Identität zu
stabilisieren („Überheblichkeit der Demut“). Ein „Klassiker“ ist dafür das
Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner (Lukas 18,9-14), der jüdische
Werkgerechtigkeit am Pharisäer festmacht und dagegen das christliche Evangelium
ausspielt. Durch Überwindung der Typisierungen lassen sich aber alternative
Möglichkeiten des Christ- und Menschseins aufzeigen (S. 568f).
Bilanz: Sieht man einmal von
den Grußworten der jüdischen Vertreter (Hermann Simon, Walter Homolka und den
jüdischen Textbeiträgen ab (Yehoyada Amir, Michael Brocke, Jonathan Magonet),
so spiegelt sich in den Ausführungen eine überwiegend christliche Debatte im
Kontext ursprünglicher und problematischer Abgrenzung vom Judentum. Christlich-jüdische
Begegnung findet – besonders nach dem Nationalsozialismus und der Shoah – unter
dringend notwendig gewordenen veränderten theologisch-heilsgeschichtlichen
Voraussetzungen statt. Die Spannbreite der Beiträge reicht dabei von der
kritischen Betrachtung judenfeindlicher Stereotypen, über weiterhin theologisch-abgrenzende
Dialogversuche bis hin zur generellen Neubestimmung des Verhältnisses zum
Judentum. Eine wichtige Herausforderung bilden dabei auch jüdische Vordenker
wie Hermann Cohen und christlich geprägte Einrichtungen wie das Institut Kirche und Judentum, dem diese
Festschrift in ihrer Vielfältigkeit zu Recht gewidmet wurde.
Das Institut wird weiterhin viel Besonnenheit, aber auch viel Glück („Mazel tov“) bei diesem dialogischen Handeln gebrauchen können.
Das Institut wird weiterhin viel Besonnenheit, aber auch viel Glück („Mazel tov“) bei diesem dialogischen Handeln gebrauchen können.
Reinhard Kirste
Rz-Mazel tov, 28.07.12
Rz-Mazel tov, 28.07.12
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