Karl Gabriel / Christian Spieß /
Katja Winkler (Hg.):
Modelle des religiösen Pluralismus. Historische, religionssoziologische und religionspolitische Perspektiven
Katholizismus zwischen
Religionsfreiheit und Gewalt, Bd. 5
Paderborn u.a.: Schöningh 2012, 364 S.
--- ISBN 978-3-506-77407-1 ---
InterReligiöse Bibliothek (IRB):
Buch des Monats Oktober 2012
Kurzrezension hier
Katja Winkler (Hg.):
Modelle des religiösen Pluralismus. Historische, religionssoziologische und religionspolitische Perspektiven
Katholizismus zwischen
Religionsfreiheit und Gewalt, Bd. 5
Paderborn u.a.: Schöningh 2012, 364 S.
--- ISBN 978-3-506-77407-1 ---
InterReligiöse Bibliothek (IRB):
Buch des Monats Oktober 2012
Kurzrezension hier
Ausführliche Beschreibung
Multikulturalität
und Multireligiosität sind Signalwörter für die Gesellschaft der Moderne, die
nicht nur von der Vielfalt der Kulturen, sondern auch von religiösem
Pluralismus geprägt ist. Neben den klassischen Glaubensformulierungen der
großen christlichen Kirchen, sind Bekenntnisse zu anderen Religionen teilweise
in Konkurrenz getreten. Diese veränderten Lebensstile werden nicht selten als
„Patchwork-Religiosität“ abgewertet, weil es sich um stark individualisierte
Glaubenstypen handelt.
Der hier vorzustellende Titel gehört in die Reihe „Katholizismus
zwischen Religionsfreiheit und Gewalt“.
Die Herausgeber zeichnen mit diesen Bänden eine Linie religiöser und
dogmatischer Veränderungen im Katholizismus auf, die nicht nur Europa bzw. den
„Westen“ betreffen:
- Religionsfreiheit und Pluralismus.Entwicklungslinien eines katholischen Lernprozesses (Bd. 1, 2010)
- Wie fand der Katholizismus zur Religionsfreiheit (in Vorbereitung)
- Religion – Gewalt – Terrorismus.Religionssoziologische und ethische Analysen (Bd. 3, 2010)
- Die Anerkennung der Religionsfreiheit auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil (Bd. 4, 2012).
Bei der
Darstellung der im vorliegenden 5. Band angesprochenen Modelle des religiösen
Pluralismus kommt ein großer Teil der Beiträger/innen vom Münsteraner
Exzellenzcluster „Religion und Politik“. Die pluralistischen Entwicklungen und
religionssoziologischen Erkenntnisse werden hier auf die
Religionsgemeinschaften und ihre gesellschaftlichen Lernprozesse ausgeweitet.
Dies geschieht unter historischen, soziologischen, politikwissenschaftlichen,
rechtswissenschaftlichen und sozialethischen Gesichtspunkten: Es ist übrigens
auch der endlich erfolgreiche Weg des Katholizismus zur Anerkennung der
Religionsfreiheit auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil und daraus folgende
Konsequenzen. Dazu ist ein Blick in die Frühgeschichte des Christentums
ausgesprochen hilfreich,
Martin Ebner (Neutestamentler,
Universität Münster) beginnt die geschichtliche Linie im frühen Christentum aufzuzeichnen, und zwar unter der Leitfrage,
ob sich das Urchristentum im Sinne einer uniformen oder organisatorischen
Einheit entwickelt hat. Angesichts der unterschiedlichen christlichen
Identitäten seit den Anfängen vor Paulus und über die biblische Kanonbildung
hinaus bleibt die Option auf eine christliche Pluralität richtungsweisend. Der
Religionswissenschaftler Christoph
Auffahrt (Universität Bremen) setzt die geschichtliche Linie ins Mittelalter hinein fort, und zwar
angesichts eines keineswegs zwingenden Absolutheitsanspruchs von Wahrheit und
Heil. Dadurch stehen bereits in jener Zeit verschiedene religiöse „Ideologien“
nebeneinander: Gewaltdurchsetzung und Gewaltverzicht. Allerdings setzte sich
eine Minderheit für die gewaltsame Durchsetzung von Glaubensprinzipien durch,
wie Inquisition und Kreuzzüge beweisen. Die pluralistischen Toleranz-Ansätze des Mittelalters sind darum umso
beachtenswerter. Auffarth zieht dazu einige interessante Dispute bedeutender Persönlichkeiten
heran: Petrus Venerabilis gegen Bernhard von Clairvaux, Nikolaus von Kues und
Anselm von Havelberg im Blick auf den Kreuzzug gegen Konstantinopel,
schließlich der China-Missionar Wilhelm von Rubruk am Hofe des
Mongolenherrschers Möngke Khan.
Wilfried Loth (Historiker,
Universität Duisburg-Essen) schwenkt mit dem Aufkommen der modernen Demokratie ins 19./20. Jahrhundert ein. Er zeigt das Engagement katholischer Laiengruppierungen
beim Aufbau demokratischer Gesellschaften in Deutschland, Italien, Schweiz,
Frankreich, Spanien und Österreich. Sie bilden einen Kontrapunkt zu der sich Macht-konservativ
antimodern gebärdenden kirchlichen Hierarchie. Aber bis zum 2. Vatikanischen
Konzil fehlt ein Bekenntnis zum politischen Pluralismus und der
uneingeschränkten Geltung der Menschenrechte. Die vorkonziliare Situation und die mit dem Vaticanum II eingeleitete
Neuorientierung beschreibt sehr umfassend Christian Spieß (Ethiker an der kath. Fachhochschule für
Sozialwesen Berlin). In der gegenwärtigen Situation scheint neben der
unbestrittenen Trennung von Religion und Politik und der Akzeptanz von
Säkularität allerdings wieder eine konfessionalistische Einengung von
Freiheitsspielräumen aufzutauchen. Streitpunkte gibt es in diesem Zusammenhang
immer wieder, wie der Mitherausgeber Karl
Gabriel (Universität Münster) angesichts der weltanschaulichen
Globalisierungstendenzen im Kontext von Säkularisierungs- und religiösen
(Re-)Vitalisierungsprozessen aufzeigt. Religionen sind darum besonders
herausgefordert. Das gilt für sie in doppelter Weise – als formales
Bezugssystem und in den Sakralisierungen menschlicher Personen. Ursprüngliche
Glaubensformen und-systeme verändern sich dabei ganz erheblich.
Was
Gabriel umfassend beschreibt, dem gehen statistisch Detlef Pollack und Nils Friedrich (beide Universität Münster) nach,
und zwar im Rahmen ihrer Disziplin, der Religionssoziologie. Sie benutzen einen
differenzierten Toleranzbegriff zwischen
bedingter Duldung und kultureller Bereicherung im Blick auf Muslime,
Hindus, Buddhisten und Juden. Sie haben dazu West- und Ostdeutschland
(getrennt), Dänemark, Frankreich, die Niederlande und Portugal ausgewählt und
Toleranz mehr oder weniger fördernde Einstellungen konkret benannt. Für
Deutschland sehen die positiven Toleranzeinschätzungen gegenüber den anderen
untersuchten Ländern allerdings am schlechtesten aus.
Ebenfalls Länder bezogen beschreiben Judith
Könemann (Praktische Theologin, Universität Münster) und Ansgar Jödicke (Religionswissenschaftler, Universität CH-Fribourg), wie sich
Religion innerhalb der Zivilgesellschaft
politisch einbringt. Die Volksabstimmungen in der Schweiz sind dafür ein
besonders geeignetes Beispiel, weil sich die christlichen
Religionsgemeinschaften hier jeweils aktiv beteiligen. Eine weitere
statistische Bestandsaufnahme präsentiert der Religionswissenschaftler Volkhard Krech (Ruhr-Universität
Bochum), der die religiöse Lage in
Deutschland angesichts der umfassenden Pluralisierung in der Gesellschaft
im Blick auf die unterschiedlichen Typen der Kirchenmitglieder analysiert, und
zwar für die Großkirchen wie für kleinere christliche Religionsgemeinschaften.
Aber auch Judentum, Islam, die asiatischen Religionen und neue religiöse
Bewegungen kommen in den Blick. Im Resümee schreibt er im Blick auf die
Gesamtsituation: „… nicht zuletzt erfreut sich Religion als semantische
Ressource innerhalb ethischer Problemlagen an den Grenzen instrumentellen Handelns
einer gewissen Konjunktur“ (S. 221).
Als
Rechtswissenschaftler (und Völkerrechtler) geht Christian Walter (Universität München) an das Verhältnis Staat – Kirche heran, sowohl was das 19. Jahrhundert,
den Weimarer Kirchenkompromiss und die Situationsveränderungen im
Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland (mit dem Grundgesetz)
betrifft. Unter politischen Gesichtspunkten setzt Ulrich Willems (Politikwissenschaftler an der Universität Münster)
an. Er thematisiert die Religionsfreiheit
unterschiedlich strukturierter westlicher Gemeinwesen, besonders
protestantischer oder katholischer Prägung. Religiös-plurale Veränderungen
erfordern eine Anpassung der religionspolitischen Ordnungen, für die
Verfassungsgerichte nicht sonderlich geeignet sind (S. 263). Diese müssen
jedoch grundlegende Rechte und notwendige Fairness
gegenüber religiösen Minderheiten absichern.
Hermann-Josef Große Kracht (Sozialethiker an der TU Darmstadt)
macht auf den „leer gewordenen Ort der Macht“ durch die Abschaffung des
monarchischen Gottes-Gnadentums aufmerksam (S. 271), ohne die Religion wieder
an diese Stelle setzen zu wollen. Stattdessen spricht er sich für eine bewusst öffentlich wirkende Komplementarität von
Religionen und Republik aus, und zwar im Sinne einer „soliden Säkularität“.
Der Rechtsprofessor Thomas Gutmann
(Universität Münster) untersucht die Zusammenhänge zwischen religiösem Pluralismus und den
Gegebenheiten des liberalen Verfassungsstaates, wie er von Hugo Grotius und
Thomas Hobbes eingeleitet wurde. Weltanschauliche Neutralität des liberalen
Rechtsstaates ist angesichts religiöser Vielfalt kaum eindeutig zu realisieren.
Politischer Liberalismus zeigt sich jedoch insgesamt religionsfreundlich, aber
nicht ohne institutionelle Begrenzungsschwellen. So wird auch die
institutionell-rechtliche Bevorzugung der christlichen Großkirchen (in
Deutschland) im Interesse von Gleichbehandlung angesichts starker religiöser Pluralisierung
beendet werden müssen.
Religionspolitik im säkularen Zeitalter – so Katja Winkler (Sozialethikerin,
Universität Tübingen) – braucht Kriterien des Säkularen, wie sie Charles Taylor
besonders klar herausgehoben hat: Säkularismus im Sinne der Unterscheidung von
öffentlich und privat, des Rückganges des Religiösen und der Option des
Nichtglaubens des Einzelnen. Die daraus sich ableitende Multikulturalität begegnet jedoch partikularen Ethikvorstellungen,
die den Menschenrechten zuwider laufen können und an der Trennungslinie von
religiös und antireligiös wahrgenommen und bearbeitet werden müssen (vgl. S.
232).
Schließlich geht der (katholische) Religionsphilosoph Thomas M. Schmidt (Universität
Frankfurt/M.) auf die Herausforderung durch den gesellschaftlich-religiösen Pluralismus ein. Er stellt die
klassischen theologischen Modelle vor: Exklusivismus, Inklusivismus und
religionspluralistische Theologie sowie die pluralistisch gewissermaßen abgeschwächte
komparative Religionstheorie. Der Autor selbst neigt durchweg zu einer inklusiven Linie. Diese führt er auch
politisch-liberal geweitet vor: Ein exklusiver Liberalismus erlaubt kein Heil
außerhalb der säkularen Vernunft. Liberaler Inklusivismus wirkt im Sinne eines
Filters, der sowohl bei den Religiösen wie den Säkularen Selbstkritik
ermöglicht.
Schließlich fixiert ein säkularer liberaler Pluralismus die
Gleichrangigkeit von religiösen und säkularen Argumenten. Diese Position
schränkt der Autor zugunsten eines „offenen Inklusivismus“ ein. Dieser nämlich
„erkennt … die potentielle Rationalität persönlicher und damit auch religiöser
Überzeugungen an“ (S. 360).
Bilanz
Herausgeber
und Autoren haben angesichts fortschreitender Säkularisierung und eines
wachsenden religiösen Pluralismus nicht nur die „Großwetterlage“ mit dem
Handwerkszeug ihrer jeweiligen Fachdisziplin sorgsam beschrieben, sondern die
Herausforderungen markiert, auf die politische Gemeinwesen aller
Größenordnungen reagieren müssen. Sie haben damit Grundlegendes geleistet und
zugleich eine Zukunftsorientierung für die bleibende Faktizität pluraler
Gesellschaften angesprochen. Das zeigt sich selbst an einer so einheitlich
scheinenden Gemeinschaft wie dem Katholizismus.
Das Zusammenleben von Menschen
unterschiedlicher religiöser Traditionen und Weltanschauungen erfordert eine
sorgsame Religionspolitik für eine gemeinsame gesellschaftliche Verantwortung.
Das betrifft unterschiedliche Gesellschaftstypen, allerdings im Hinblick auf
allgemein akzeptierte menschliche Werte für ein sinnvolles Leben aller Beteiligten.
Reinhard Kirste
Rz-Gabriel-rel-Plural, 30.09.12
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen