Fornet-Ponse,
Thomas: Ökumene in drei Dimensionen.
Jüdische Anstöße für die innerchristliche Ökumene.
Jerusalemer Theologisches Forum, Bd. 19.
Münster: Aschendorff 2011, 516 S., Register
(zugleich Diss. 2010, Kath. Theol. Fakultät
der Paris Lodron-Universität Salzburg)
--- ISBN 978-3-402-11023-2 ---
Jüdische Anstöße für die innerchristliche Ökumene.
Jerusalemer Theologisches Forum, Bd. 19.
Münster: Aschendorff 2011, 516 S., Register
(zugleich Diss. 2010, Kath. Theol. Fakultät
der Paris Lodron-Universität Salzburg)
--- ISBN 978-3-402-11023-2 ---
Ausführliche Beschreibung
Forschungsaufenthalte
in Jerusalem können das christlich-jüdische Gespräch in zuweilen etwas
vernachlässigte Denkrichtungen bringen. Dafür steht beeindruckend die leicht überarbeitete
Dissertation des katholischen Theologen Thomas Fornet-Ponse, der das vom 2.
Vatikanischen Konzil initiierte dialogisch-theologische Umdenken im Blick auf
das Judentum einfordert. Dies muss auch in Richtung auf die innerchristliche
Ökumene mit ihren unterschiedlichen Glaubenstypen geschehen.. Denn Kirche hat wesentliche
Strukturen ihrer Identität vom Judentum erhalten. Schlimm genug jedoch ist,
dass es weiterhin Reserven gegen eine konsequente Öffnung zum Judentum innerhalb
sich ökumenisch gebender Theologie gibt. Die Tatsache der Wiederaufnahme der
Fürbitte für die Juden im liturgischen Karfreitagsgebet durch Papst Benedikt
XVI. steht dafür als ein rückwärts gewandtes Beispiel. Und so stellt sich
unausweichlich die Frage: Denken die Kirchen (sowohl die katholische wie die
evangelischen) wirklich die durchgehende Beziehung zum Judentum wirklich mit?
In der Einleitung (Kap. 1) betont der Autor,
dass er das spezifisch Jüdische gezielt in die innerchristliche Diskussion
einbringen will. Bei den Grundlagen (Kap. 2) weist er auf interkulturelle
Philosophie- und Theologiemodelle hin, wie sie sich zukunftsweisend in der
lateinamerikanischen Theologie der Befreiung zeigen, so z.B. bei Raúl
Fornet-Betancourt: „Die interkulturelle Philosophie vertritt gegen die
totalitäre Intoleranz der neoliberalen Globalisierung einen alternativen
Entwurf, der eine ethische Option für Respekt, Toleranz und Solidarität ist“
(S. 70).
Eine
interkulturell ausgerichtete ökumenische Theologie kann nun allerdings einige
Probleme nicht umgehen, die sich besonders in der Spannung von Kontextualität
und Universalität sowie im Blick auf Differenzen zeigen, die durch
transkulturelle hermeneutische Ansätze entstehen. Aber es darf dabei nicht nur
um Abstrakta gehen. Konkretionen lassen sich am „Modell Jerusalem“, also
interkulturell plural verifizieren (S. 78).
Mit seiner
Beschränkung des interreligiösen Ansatzes auf die christlich-jüdischen
Zusammenhänge betont Fornet-Ponse in einem weiteren Schritt die entscheidende
Bedeutung des Judentums für die Identität des Christentums. Es fällt immer
wieder Ärgernis erregend auf, dass das Christentum
insgesamt ökumenisch mit seinen innerkonfessionellen Einheitsmodellen im Sinne eines
differenzierten Konsensus (Kap. 3) nicht
zurechtkommt. Die Unterschiede scheinen offensichtlich grundlegend kirchentrennend
zu sein. Die Frage ist, ob diese Differenzen kontradiktorisch oder
nicht-kontradiktorisch bestehen (S. 119). Für einen historischen
Klärungsversuch, geht Fornet-Ponse in die Kirchen- und Theologiegeschichte,
indem er die Spannung von Grundkonsens und Grunddifferenz untersucht. Er tut
dies mit der Intention herauszufinden, was sich denn nun wirklich
kirchenspaltend bzw. kirchentrennend ausgewirkt hat und auswirkt: Der Gegensatz
zwischen Ost- und Westkirche, die Reformation, die Anglikanische Kirche.
Dies führt
nun zur wesentlichen Auseinandersetzung im Blick auf die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (GER) 1999 (Kap. 4)
zwischen dem Lutherischen Weltbund (danach noch mit den Methodistischen
Kirchen) und der römisch-katholischen Kirche. Diese bilanziert Fornet-Ponse
vorläufig so: „Mithin sehe ich auch im Blick auf die reformatorischen Kirchen
die Grunddifferenz in der Ekklesiologie, wobei hinsichtlich des in CA VII ( =
Confessio Augustana VII) formulierten Kirchenverständnisses als um Wort und
Sakrament versammelte Gemeinde eine Nähe zum Kirchenverständnis des II.
Vaticanums ausgemacht werden kann“
(S. 232). Aber bleiben nicht dennoch kirchentrennende Differenzen oder arbeitet die Katholische Kirche mit unterschiedlichen Ökumenemodellen? (S. 235). Dies führt nun zur Veränderung der Blickrichtung hin auf ein Autoritätsverständnis, das vom jüdisch-christlichen Dialog her motiviert ist (Kap. 5), denn die Einigung der GER geschieht konsequent am Judentum vorbei. Darauf machen neben Brumlik und Menke besonders detailliert Friedrich-Wilhelm Marquardt [1] aufmerksam. In der Konsequenz des Ansatzes seines Lehrers Helmut Gollwitzer greift er mehr und mehr vom Judentum her die Problematik innerchristlicher Annäherung in der Rechtfertigungslehre auf: der jüdische Partner wird in der GER nicht nur nicht in den Blick genommen, sondern auch in seinem Gesetzesverständnis missverstanden. Das gilt gerade auch bei der Interpretation des paulinischen Rechtfertigungsverständnisses (S. 246).
(S. 232). Aber bleiben nicht dennoch kirchentrennende Differenzen oder arbeitet die Katholische Kirche mit unterschiedlichen Ökumenemodellen? (S. 235). Dies führt nun zur Veränderung der Blickrichtung hin auf ein Autoritätsverständnis, das vom jüdisch-christlichen Dialog her motiviert ist (Kap. 5), denn die Einigung der GER geschieht konsequent am Judentum vorbei. Darauf machen neben Brumlik und Menke besonders detailliert Friedrich-Wilhelm Marquardt [1] aufmerksam. In der Konsequenz des Ansatzes seines Lehrers Helmut Gollwitzer greift er mehr und mehr vom Judentum her die Problematik innerchristlicher Annäherung in der Rechtfertigungslehre auf: der jüdische Partner wird in der GER nicht nur nicht in den Blick genommen, sondern auch in seinem Gesetzesverständnis missverstanden. Das gilt gerade auch bei der Interpretation des paulinischen Rechtfertigungsverständnisses (S. 246).
Der Autor
versucht nun, diesen Mängeln dadurch beizukommen, dass er das religiöse
Autoritätsverständnis im Judentum untersucht, und zwar auf die Faktoren
„göttlich“ und „menschlich“ bezogen: zum Einen in der hebräischen Bibel – zugespitzt
auf Prophet, Priester und Tora-Interpretation, und zum Andern in der Halacha, der
mündlichen Auslegung, die sich im Talmud als autoritative Quelle etabliert hat.
Sie prägt bis heute das (rabbinische) Judentum und die daraus folgende
rabbinische Gesetzgebung. Rabbiner und besonders die Talmud-Gelehrten werden
damit zur kompetenten und autorisierten Teilnehmern in der Tora-Auslegung. Die
geschichtliche Entwicklung – gerade im Diaspora-Judentum – tut noch ein
Übriges, nämlich dass faktisch keine zentrale Autorität Deutungshoheit
erreicht. Auch die charismatische Autorität im Chassidismus hat ihre Grenzen.
So bleibt der Rabbiner auch heute überwiegend Experte der Halacha. Daran ändern
die gesellschaftlich hoch geschätzten Oberrabbinate nichts (S. 348ff). So kann
das Judentum erstaunlich gut mit unterschiedlichen Interpretationen leben und
trotzdem am Einheitsgedanken festhalten.
Das
Verhältnis von Identität und Differenz zeigt sich mehr und mehr als
hermeneutische Chance, auch innerchristlich aus einer vielfältigen Einheit
heraus zu denken. Die jüdische Seite macht dazu Mut, sich der Wahrheit in
pluralen Ausdrucksformen anzunähern. So müssen auch Differenzen nicht vorrangig
miteinander versöhnt werden, weil die
Einheit selbst Vielfalt erlaubt. In diesem letzten Teil (Kap. 6) von Fornet-Ponses Buch (S.
357-448) wird die jüdische Stimme ständig bei den Versuchen zur Vertiefung
innerchristlicher Ökumene mitgehört. Die jüdischen Erfahrungen der
„Regionalisierung“ bis hin zur Autorität von Einzelgemeinden laden dazu ein,
die Gesamtkirche bzw. Universalkirche nach katholischem Verständnis mit den
Ortskirchen korrelativ („perichoretisch“, S. 447) zu durchdringen. Das heißt,
dass Kirche viel stärker von der Ortskirche her gedacht werden sollte.
Orthodoxie und Protestantismus könnten so positiv auch auf das katholische
Amtsverständnis einwirken, wenn dieses durchgängig als Dienst an der (zu
erwartenden, aber vielfältig bleibenden) Einheit gesehen werden könnte.
Was übrigens
Friedrich-Wilhelm Marquardt mit seiner die jüdische Hermeneutik konsequent
einbezogenen Dogmatik geleistet hat [2],
holt nun Fornet-Ponse fundamentaltheologisch für die katholische Seite nach.
Wagt man die grundlegenden katholischen Probleme von Kollegialität der Bischöfe
und Primat des Papstes sowie die Jurisdiktionsaussagen im Kontext der Infallibilität
im Papstamt zu relativieren, könnte sich ein Weg für einen gesamtkirchlichen
„Petrusdienst“ eröffnen, in dem die Kollegialität der Bischöfe ebenso wie die
„Basis“ gehört werden (müssen). Es kann nicht so bleiben, dass in der Vielfalt
kirchlicher Stimmen die Dissonanzen eine mögliche Einheit verhindern. Die jüdischen Verstehensebenen von
Autorität, Einheit und Pluralität in der Auslegung der hebräischen Bibel und im
Talmud sind darum in die Debatten innerchristlicher Ökumene-Differenzen
einzubringen (Kap. 6).
Vom
lutherischen Kirchenverständnis her hat es übrigens immer wieder – auch
innerprotestantisch strittige – Signale gegeben, über die gesamtkirchliche Stellung
des Papstes als Ehrenprimat ins Gespräch zu kommen.[3]
Im Hoffnungsrahmen von Pluralität in der Einheit scheinen hier allerdings noch
viele Stolpersteine zu liegen. Und trotz einiger vom Autor herangezogenen ermutigender
Formulierungen Ratzingers muss man unter seiner Ägide als Benedikt XVI. doch
eine Tendenz wahrnehmen, in der sich die Gewichte zuungunsten einer Einheit in
versöhnter Verschiedenheit [4]
verschieben. So bleibt auch Fornet-Ponses Resümee
eine Vision (Kap. 7), deren Realisierung man sich jedoch endlich wünscht.
Man kann nur zustimmen, wenn er ausblickend sagt: „Gerade wenn vor dem
Hintergrund eines umfassenden (und nicht primär juridischen)
Kirchenverständnisses die petrinische Funktion vor allem als Pastoralprimat
konzipiert wird, könnte der römische Bischof diese Funktion für die gesamte
Christenheit ausüben, ohne dass die anderen Kirchen die geschichtlich
gewachsene römisch-katholische Rechtsstruktur übernehmen müssten“ (S. 448).
Vielleicht ist dazu denn doch ein Drittes Vatikanisches Konzil nötig, das wagt,
die Türen dafür aufzustoßen …
Reinhard Kirste
Rz-Fornet-Ponse,
22.12.12
[2] Vgl. schon Von Elend und Heimsuchung der Theologie.
Prolegomena zur Dogmatik. Gütersloh 1988 und dann ausführlich in seiner
siebenbändigen Dogmatik 1988-1997.
[3] z.B. der badische Bischof Helmut Fischer in
evangelisch.de vom 18.04.2010:
http://www2.evangelisch.de/themen/religion/bischof-fischer-fuer-ehrenprimat-des-papstes16072 (abgerufen 19.12.2012)
http://www2.evangelisch.de/themen/religion/bischof-fischer-fuer-ehrenprimat-des-papstes16072 (abgerufen 19.12.2012)
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