Gerald Willms: Die wunderbare Welt der Sekten.
von Paulus bis Scientology.
Mit einem Vorwort von Marco Frenschkowski.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012, 320 S.
--- ISBN 978-3-525-56013-6 ---
von Paulus bis Scientology.
Mit einem Vorwort von Marco Frenschkowski.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012, 320 S.
--- ISBN 978-3-525-56013-6 ---
Ausführliche Beschreibung
Gehören für den Soziologen Gerald Willms die „Sekten“
zur wunderbaren Welt dazu? Der Autor lässt daran kaum Zweifel. Die Vorzeichen
vor dem, – wie dann auch immer gedeuteten Begriff: „Sekten“, -– waren im
gewohnten Denken mit einer Minusklammer versehen. Gerald Willms bleibt in
Beschreibung und Beurteilung unterschiedlicher religiöser Phänomene geschmeidig
und leichtfüßig. Dabei liefert er einer Fülle von wissenschaftlichen Fakten,
die seine Sichtweise bestätigen. Unspektakulär klärt der Autor in einer Sprache
auf, die in den Überschriften, keine Panik aufkommen lässt.
Willms eigene Zugangsweise unterscheidet sich
von den bekannten kirchlichen Kompendien. Die großkirchlich eingeleitete Frage:
“Ist eine bestimmte Gruppe mit den Richtlinien der Großkirche in
Übereinstimmung zu bringen, oder eben nicht?“, entfällt bei Willms. Die Frage:
„Darf man – oder darf man nicht?“, wurde bis dato kirchlich erörtert. Willms
hingegen sortiert nicht „gut und böse“ aus. Er lässt das Spektrum religiöser
Erscheinungen einfach nebeneinander existieren. Für Willms trifft die gängige
Anti-Sekten-Polemik nicht zu. Das gewohnte „Schwarz-Weiß-Denken“, fordert
deshalb bei der Lektüre der wunderbaren Welt einige konzentrierte Veränderungen.
Das Buch ist im
eigentlichen Sinne die endgültige Aufgabe der ehemaligen alleingültigen kirchlichen
Deutungshoheit: Was als „richtig“ oder „falsch“, „wahr“ und „unwahr“
einzuschätzen ist, definierte im christlichen Abendland die Religion in Gestalt
der Großkirchen. Was im Glauben „richtig oder falsch“ war, wurde von Gewalt und
Inquisition durchgesetzt, und mit dem Aufkommen von Sektenbeauftragten Anfang
der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts weitergesponnen. In der Gegenwart, wo
Groß-Kirchen um gesellschaftliche Bedeutung ringen, wird diese Frage
mittlerweile entspannter angegangen. Der notwendige Dialog hat auch in den
Kirchen an Bedeutung gewonnen, abgesehen von einer geringer werdenden Zahl von
Sektenbeauftragten, die immer noch lautstark rufen: „Es muss doch wenigstens
einen Bösewicht geben!“ „Warum?“ fragt man nach der Lektüre des Buches – wenn
auf einmal kein Bösewicht mehr auszumachen ist?
Was wäre wenn der deutsche Papst und der EKD- Ratsvorsitzende diese Leichtigkeit im Umgang mit religiösen Fragen an den Tag legen würden?
Was wäre wenn der deutsche Papst und der EKD- Ratsvorsitzende diese Leichtigkeit im Umgang mit religiösen Fragen an den Tag legen würden?
Das Entspannende an
dem Buch ist: Der Autor muss nicht gegen jemanden oder gegen eine religiöse
Richtung opponieren. Man ist bei der Einteilung in „recht“ und „unrecht“ schon
auf sich selbst gestellt. Willms nimmt sich die Freiheit heraus, eigenständig
zu entscheiden, was er selbst erarbeitet hat. Sogar das eigene Urteil zu
Scientology hält der Autor einer angstverzerrten weltanschaulichen Opposition
entgegen. Ich verstehe das als einen möglichen demokratischen Akt, der in der
Religions- und Weltanschauungsfreiheit garantiert ist.
Ohne „Aus“- oder
„Nicht-Ausgrenzen“ zu müssen, entspannt sich die religiöse Lage von selbst. Von
selbst kann es zum heiteren Dialog werden. So lässt sich der Leser vom Autor
zum eigenen entspannten Überblick von den Anfängen des Christentums bis in die
Gegenwart mit einem Schuss Humor einladen. Jeder mag sich wie der Autor, eine
eigene wunderbar- entspannte Welt erschaffen. Willms folgt seinem literarischen
Vorbild: „IRRE, wir behandeln die Falschen. Unser Problem sind die Normalen.“
Der Kölner Psychiaters und Theologe Manfred Lütz stellte schon 2009 die Frage,
wie gefährlich die Normalen sind.
Oder lassen die
Normalen nur Humor vermissen? Oder wird es normaler, wenn bei der persönlichen religiös
weltanschaulichen Einschätzung sogar mit einem Schuss Humor gedeutet wird? Der
Drehbuchautor und Schriftsteller David Safir („Jesus liebt mich“, „Mieses
Karma)“ nutzt die gegenwärtige weltanschauliche Verunsicherung ebenso wie der
Kabarettist Dieter Nuhr (Nuhr wer´s glaubt wird selig). Welche Befreiung wird erlebt, wenn sogenannte Glaubenswahrheiten
im Lichte des Humors zusammengestellt und verstanden werden? Glaubenswahrheiten
humoristisch neu verpackt, scheinen sich sogar zunehmend als Geschäftsideen zu
entwickeln.
Mit Willms darf ich
persönlich anmerken: Entspannt kann die Evangelische Kirche ihre Suche nach dem eigenen Profil aufgeben. Die Menschen selbst entwickeln bereits in jeder
religiösen Richtung unterschiedlich vorhandene Profile. Wie gut ist, dass der
Dialog, – vielleicht auch schon der Humor bei der Evangelische Zentralstelle
für Weltanschauungsfragen (EZW) Einzug gehalten hat. Das Buch bietet weitere
wunderbare Möglichkeiten, eigene Bilder zukünftiger Religiosität zu entwerfen.
Da Willms in der
wunderbaren Welt der Sekten Martin Luther und sein Wirken eher negativ
beurteilt, fühle ich mich als ev. Pfarrer herausgefordert, bei aller
berechtigten Kritik an dem Reformator doch gegenzusteuern. Mich fasziniert auch
heute noch der junge Luther. Jiddu Krishnamurti beschrieb ihn 1929 mit einem
Satz: „...denn ich behaupte, dass die
einzige Spiritualität, die Unbestechlichkeit des Selbst ist.“
Und man vergesse es
nicht: Zur zeitlos gültigen
Unbestechlichkeit gehört auch Humor. Gerald Willms verbindet Sachlichkeit mit dieser
heiter gestimmten Gelassenheit. Sie macht das Buch so sympathisch.
Gerhard Kracht
ehemaliger Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen
der Evangelischen Kirche von Westfalen
ehemaliger Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen
der Evangelischen Kirche von Westfalen
Rz-Willms-Sekten, 08.12.12
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