Ralf Konersmann (Hg.): Handbuch
Kulturphilosophie.
Stuttgart / Weimar: Metzler 2012, 468 S., mehrere ausführliche Register
--- ISBN 978-3-476-022369-8 ---
Stuttgart / Weimar: Metzler 2012, 468 S., mehrere ausführliche Register
--- ISBN 978-3-476-022369-8 ---
Ausführliche Beschreibung
Konersmann gehört zu den Vorreitern
einer Disziplin, die Zusammenhänge der „von Menschen gemachten Welt“ durchdenkt
und damit Kultur und Philosophie ständig miteinander ins Spiel bringt. Auf
seiner Universitäts-Homepage beschreibt der Kieler Philosophieprofessor, was ihn
vorantreibt. „Die Arbeit des Lehrstuhls ist von der übergeordneten Frage
bestimmt, wie Denken und Wissen das Selbstverständnis von Kulturen pragmatisch
bestimmen. Das heißt für die Kulturphilosophie, daß sie klären muß, was es
bedeutet, die Wirklichkeiten, in denen wir leben, in der Summe als
Ausdrucksgestalten menschlicher Kultur zu erfassen. Das heißt für die
Fachdidaktik, daß sie die sichtbare Seite der Philosophie, ihre
Beispielhaftigkeit und ihren kulturellen Anspruch verdeutlichen muß“. Als Lehr
und Forschungsschwerpunkte ergeben sich darum für ihn:
- Ausdrucksformen der Philosophie (Text/Bild)
- Bildungsansprüche und Bildungskonzepte
- Geschichte und Systematik der Kulturphilosophie
- Aktualität der Kulturkritik
- Metaphern und philosophische Metaphorologie
2003 hatte er bereits eine Einführung zur Kulturphilosophie geschrieben
(Hamburg: Junius-Verlag). Dort legt er dar, warum diese notwendig wurde, auf
welchen Grundbegriffen sie aufbaut und welches ihre wichtigsten Vertreter sind.
Das von ihm nun herausgegebene „Handbuch Kulturphilosophie“ bietet eine bisher
so nicht vorhandene Basis, die die Schwerpunkte und Übergänge benennt, Begriffe
und Geschichtsentwicklungen mit Hilfe einzelner Artikel vorstellt. Die
einzelnen Beiträge haben kompetente Fachleute verfasst, die in der Lage sind,
die in diesem Bereich sich überschneidenden Themenfelder genauer zu beleuchten.
Dies ist allerdings nicht leicht zu bewerkstelligen, weil sich eben nicht
„eingrenzen“, „definieren“ lässt, was „Kultur“ wirklich ist. Kulturphilosophie taucht
darum in vielen Disziplinen auf. Und so fokussiert das Handbuch die Antwort vorläufig
so: „Kultur ist die Welt des freigestellten Menschen“ (S. VII). Was dies
bedeutet, müssen die thematischen Schwerpunkte (Kap. II), die Systematik
der Übergänge (Kap. IV) und eine Begriffsauswahl (Kap. V) näher
erläutern. Als Definitionsstützen dienen dabei auch die Metaphern für Kultur
(Kap. VI). All dies sichern die AutorInnen an „Leitfiguren“ einigermaßen ab,
indem sie der Vorgeschichte der Kulturphilosophie (bis 1900), diejenigen
der entscheidenden Gründungsphase (1900-1945) und schließlich ihren Aktualisierungen
bis in die Gegenwart nachgehen (Kap. III). Für die einzelnen Phasen gibt es
eine bewusste Auswahl von Protagonisten:
- III.1. Vorgeschichte: Vico Giambattista, Jean-Jacques Rousseau, Immanuel Kant, Gottfried Herder, Friedrich Schiller, G.W.F. Hegel, Friedrich Nietzsche.
- III.2. Gründungsphase: Georg Simmel, John Dewey, Ernst Cassirer und seine Wirkungsgeschichte, Martin Heidegger, Ludwig Wittgenstein, Antonio Gramsci und Walter Benjamin,
- III.3. 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts u.a.: Max Scheler, Marx Horkheimer, Ludwig Marcuse, Siegfried Kracauer, Leo Löwenthal, Oskar Negt, Alexander Kluge, Max Horkheimer, Jürgen Habermas, Claude Lévi-Strauss, Hans Blumenberg, Michel Foucault und Richard Rorty.
Angesichts
der oft divergierenden Vielfalt sei auf entscheidende
Schnittpunkte verwiesen, die sich gut an den Unterschieden zwischen Georg Simmel
(1858-1918) und seinen Schüler Ernst Cassirer (1874-1945) festmachen lassen: Anders als Simmel
sieht Cassirer keine Notwendigkeit, eine heile Kultur wiederzugewinnen; für ihn
besteht die Kultur als Spielraum von Variationen. Dahinter entdecken die Artikel-Verfasser
Willfried Geßner, Ursula Renz, Isabella Woldt und Cornelia Richter eine ganz neue Vorstellung des kulturellen Werkes:
Es ist konstitutiver Teil eines Kommunikationsgeschehens zwischen Subjekten,
die als Schöpfer des Werkes ebenso wie als Interpret dem Werk überhaupt erst
Bedeutsamkeit verleihen. Damit ist die Rezeption eines Werkes keine rein
passive Angelegenheit, und es wird der Druck genommen, einen im Werk
verborgenen Sinn einholen zu müssen. Auch teilt sich die Kultur nicht mehr auf
in eine höhere Ebene des Schaffens und eine untergeordnete des Verstehens oder
Interpretierens; denn beide Seiten treffen sich aktiv und schöpferisch im Werk.
Nach den
stärker an Personen orientierten Darstellungen werden nun Beziehungsfelder
angesprochen, die sich – den eigenen Bereich übergreifend –
als Übergänge (Kap. IV) manifestieren,
und zwar in der
Architektur, im Design, in der Geschichte, der Gesellschaft, der Kunst, der
Moral, der Natur, der Politik, der Religion, der Rhetorik, der Sprache, der
Technik, der Wirtschaft und Wissenschaft. Diese „Querverbindungen“ stecken
zugleich einen ausgesprochen weitläufigen Rahmen ab, durch den die Vielfalt von
gesellschaftlicher Vergangenheit und Gegenwart als Lebenswirklichkeit präsent
wird. Es ist in einer solchen Rezension nicht möglich, diese Vielfalt
angemessen beschreibend zu berücksichtigen.
Den
Rezensenten macht es aus einer interreligiösen und interkulturellen Perspektive
neugierig, welche Rolle Religion in
einem solchen Kontext spielt. So werden Zusammenhänge besonders deutlich durch
die Überlegungen zu philosophisch geprägter Interkulturalität von Rolf Elberfeld (in Kap. II, S. 39-45). Birgit Recki stellt variierende Verständnisse von Moral dar. Diesen lassen sich dann Aspekte
von Religion zuordnen, wie das Michael
Moxter, systematischer Theologe an der Universität Hamburg ausführt.
„Identität“ (Jürgen Straub),
„Fremdheit“ (Kurt Röttgers) und
„Gastlichkeit“ (Harald Liebsch) entwickeln
sich dabei zu hermeneutischen Brücken. So passt es gut, dass Moxter auf der Basis von Sinndeutung Religion
untersucht. Die Gesichtspunkte von Projektion, Institutionalisierung und Mythos
erhalten dabei eine Leitfunktion für unterschiedliche Religionsverständnisse. Darum
braucht er Paul Tillichs Religionsbegriff als „Substanz von Kultur.“ Dieser wird
für ihn zum Ausgangspunkt einer knappen systematisierenden Beschreibung
verschiedener Religionstheorien wie denjenigen von Rudolf Otto, Hermann Lübbe,
Jacques Waardenburg und Niklas Luhmann. Besondere Beachtung widmet der Autor dem
Zusammenhang von Religion und Kunst, den er philosophie- und theologiegeschichtlich
anspricht. Zum Schluss des Artikels gibt es dann noch eine ausführliche
historisch angelegte Umschreibung von „religio“ und den dahinter stehenden
Deutungshorizonten.
Wie
unterschiedlich die jeweiligen Zugänge und Definitionsvoraussetzungen von
Kulturphilosophen auch sein mögen, dieses Buch schafft es, in der Auseinandersetzung
mit einer Fülle von Kulturverständnissen Kultur
als einen lebendigen Prozess zu sehen, der nie zu Ende ist. Man kann es als
eine Art systematisierendes Lexikon bezeichnen, das neben einem ordnenden
geschichtlichen Rückblick und einer thematischen Aufbereitung für eine Zukunftsoffenheit
von Kultur plädiert. Darum sind keine abschließenden Urteile möglich,
geschweige denn Verurteilungen. Die einzelnen Autoren machen zwar deutlich,
dass bestimmte Entwicklungen in der Kultur kritisch zu betrachten sind, Kulturpessimismus ist insgesamt jedoch
nicht angebracht. Es bleibt darum höchst
zweifelhaft, mit Adorno vom Misslingen der Kultur (S. 173f) zu sprechen, weil
er mit einem Kulturbegriff arbeitet, der die Humanität nicht von vornherein
einschließt. So dürfte Habermas generell weiterführend sein, der „für eine
Kultur der intersubjektiven Verständigung und der wechselseitigen sozialen
Anerkennung“ plädiert (S. 176).
Im Sinne des Letzteren werden die Leser dieses weit ausholende Werk dankbar annehmen, auch wenn natürlich nicht die vielen verwandten Strömungen im Horizont einer „crosscultural“ Philosophie besprochen werden konnten. So haben angesichts gegenwärtiger Trends und Moden z.B. die Freizeit und der Tourismus keinen eigenen Bearbeitungsschwerpunkt bekommen. Das ändert aber nichts daran, dass hier ein Standardwerk nicht nur zur Kulturphilosophie, sondern zum Kulturverständnis überhaupt entstanden ist, auf das man nicht mehr verzichten sollte. Wie sorgfältig die Beiträge in das lexikalische Gesamtkonzept eingearbeitet worden sind, lässt sich übrigens daran erkennen, wenn man die Ausdifferenzierung der Begriffe von Anthropologie, Geschichte, Kultur und Welt allein im Register näher betrachtet und von dort auf die einzelnen Artikel zugreift.
Im Sinne des Letzteren werden die Leser dieses weit ausholende Werk dankbar annehmen, auch wenn natürlich nicht die vielen verwandten Strömungen im Horizont einer „crosscultural“ Philosophie besprochen werden konnten. So haben angesichts gegenwärtiger Trends und Moden z.B. die Freizeit und der Tourismus keinen eigenen Bearbeitungsschwerpunkt bekommen. Das ändert aber nichts daran, dass hier ein Standardwerk nicht nur zur Kulturphilosophie, sondern zum Kulturverständnis überhaupt entstanden ist, auf das man nicht mehr verzichten sollte. Wie sorgfältig die Beiträge in das lexikalische Gesamtkonzept eingearbeitet worden sind, lässt sich übrigens daran erkennen, wenn man die Ausdifferenzierung der Begriffe von Anthropologie, Geschichte, Kultur und Welt allein im Register näher betrachtet und von dort auf die einzelnen Artikel zugreift.
Reinhard Kirste
Rz-Konersmann,
kulturphil, 08.02.13
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen