Mittwoch, 13. Februar 2013

Interreligiöses Lernen in Schule und Gemeinde - Zwischenbilanz 2005

Werner Haußmann, Johannes Lähnemann (Hg.): Dein Glaube – mein Glaube. Interreligiöses Lernen in Schule und Gemeinde.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005, 1. Aufl., 200 S.
--- ISBN 3-525-61556-6 ---
Buchempfehlung aus rpi-virtuell
von Manfred Spieß, Universität Bremen

Die religionspädagogische Wirklichkeit an Deutschlands Schulen wird zunehmend differenzierter. Auch der konfessionell orientierte RU beteiligt sich stärker an der Auseinandersetzung in der religiösen Vielfalt.  „Interreligiöses Lernen“ ist aus der religionsdidaktischen Diskussion und vor allem aus der Praxis nicht mehr wegzudenken. Nachdem in den vergangenen Jahren/Jahrzehnten zahlreiche Bücher zur Religionskunde der Weltreligionen erschienen sind, wendet sich die Diskussion nun mehr der praktischen Dialogarbeit zu. Die Herausgeber und Autoren sind keine Neulinge bei diesen Themen, sie können auf einschlägige Erfahrungen mit Tagungen, Dialogveranstaltungen und Vereinigungen vor Ort zurückgreifen.

 Grundregeln
Mit seinem einführenden Beitrag „Religionsbegegnung als Perspektive für den Unterricht“ stellt Johannes Lähnemann die Rahmenbedingungen vor, innerhalb derer die dialogische Begegnung stattfindet. Wichtige Grundregeln sind: den anderen ernst nehmen, seine Lebenskontexte wahrnehmen, gemeinsame Fragen und Aufgaben anerkennen. So können durch Offenheit und Klarheit – ohne Missionsbestrebungen! – neue Wege entdeckt und gegangen werden.
Religiöse Artefakte
Genau für den letztgenannten Aspekt bietet das Buch viel Interessantes. Werner Haußmann stellt das „Lernen mit religiösen Artefakten“ vor (25-49).
 Mag der Begriff auch noch etwas sperrig klingen – die Sache ist hochinteressant und pädagogisch verheißungsvoll. Es geht dabei um den religionspädagogischen Umgang mit „Dingen“ und Erfahrungen, die im religiösen Erfahrungsbereich der Menschen eine starke Bedeutung haben. Haussmann greift zur Umschreibung auf das Prinzip der „originalen Begegnung“ (Roth) zurück und verbindet die Lernmöglichkeiten mit dem symboldidaktischen Ansatz (Halbfas). „Lernen mit religiösen Artefakten“ ist auch vom lebendigen „Zeug-nis“ (Karlo Meyer) geprägt. In dieser Zusammengehörigkeit kann sich diese Lernform in ihrer religiösen und interreligiösen Wirksamkeit entfalten. Im angelsächsischen Raum ist diese Lernmöglichkeit u.a. von John Hull geprägt worden. Einfach ist die praktische Verwirklichung jedoch nicht! Haussmann ist zuzustimmen: „Es stellt stets eine religionspädagogische Gratwanderung dar, wenn Schülerinnen und Schüler unter Verwendung eines religiösen Artefaktes einen ‚Ritus’ imitieren“ (31). Er warnt vor der Gefahr einer „religiösen sight-seeing-tour“. Deshalb stehen am Anfang der Materialien grundlegende Hinweise für den Umgang mit religiösen Artefakten, die in den Lerngruppen beachtet werden sollen. Hilfreich sind auch die vielseitigen Impulse, die der Erschließung dienen (M2). Die weiteren Materialien führen zu Begegnungen mit dem Islam, mit dem Judentum und mit dem Buddhismus.
Islam
Johannes Lähnemann ermuntert in einem Beitrag Lehrkräfte und Schüler zu einer konkreten Begegnung mit dem Islam. Welche Mindestinformationen sollten nichtislamische Besucher haben bzw. erfragen („Fragen an einen Imam“)? Die „Exemplarischen Bausteine“ geben hilfreiche Hinweise zur fachlichen Vorbereitung eines Moscheebesuchs. Informations- und Lückentexte mit Wissensüberprüfungen machen diese erfahrungsgesättigten Bericht zu einer guten Hilfe für die Arbeit in den Klasse 5 – 7 und 8 – 10.
Judentum
Der Beitrag von Heidemarie Glöckner ist der Begegnung mit dem Judentum gewidmet: „Die Synagoge erkunden –Dem Judentum begegnen“ (71 – 94). Die Autorin beschreibt zunächst die komplexen Ausgangssituationen, die das Gespräch zwischen Nichtjuden und Juden in Deutschland schwierig machen. Dialogsuchende wissen um diese Probleme und beziehen sie ein. Ein guter Anknüpfungspunkt kann die geschichtliche Ebene sein, auf der die Geschichte der Synagogen in Deutschland und speziell vor Ort erforscht wird. Hier werden hilfreiche Ansätze geboten. Besonders  weist Heidemarie Glöckner auf die Bedeutung des Alltäglichen im interreligiösen Gespräch hin: „Die gesunde Neugier von Kindern und Jugendlichen ist zuerst auf das Naheliegende gerichtet. Sie interessieren sich für das Kleinmaschige der alltäglichen Lebensvollzüge, durch die ja erst deutlich wird, wodurch sich Menschen verschiedener Religionszugehhörigkeit unterscheiden“ (75). In den „Exemplarischen Bausteinen“ werden Informationskarten für den Synagogenbesuch, Fragekarten für Quiz und weitere erfahrungsorientierte Lernformen vorgestellt.
Schöpfung
Um den Schöpfungsglauben in den abrahamitischen Religionen geht es in dem gemeinsamen Beitrag von Marcus Schalom Schroll, Johannes Lähnemann, Rabeya Müller. Bedeutsam ist hier, dass das Verhältnis zur Naturwissenschaft thematisiert wird und auch die Weltbildbezogenheit religiöser Schöpfungstexte. Im Vordergrund stehen in dieser interreligiösen Betrachtung die Geschöpflichkeit des Menschen und seine Verantwortung für die Schöpfung. An einigen Stellen wünscht man sich mehr Konkretion und stärkere Ausführlichkeit. Man spürt, dass dies ein erster, tastender Versuch ist, religionspädagogische Arbeit gemeinsam zu planen. Ist es dieser Unsicherheit zu verdanken, dass man an dieser Stelle den Klassiker von Jörg Zink „Die letzten sieben Tage der Erde“ erneut abgedruckt findet (108)?
Hinduismus
Schülerinnen im Übergang von Sekundarstufe I zu Sekundarstufe II sollen besonders mit dem Thema „Hinduismus, Gandhi und die Christen“ angesprochen werden ( 111 – 148). Hier werden zahlreiche religionskundliche Basisinformationen geboten, die unterrichtlich gut eingesetzt werden können. Die Erfahrungs- und Reiseberichte von Klaus und Susanne Wild, Werner Haußmann und Johannes Lähnemann geben dem Thema eine persönliche Würze. Der religionsübergreifende Ansatz vergleicht Gandhis Ethik mit Worten Jesu. Zu ergänzen wäre der Hinweis:wo die lokalen Verhältnisse es zulassen, sollten auch Begegnungen mit indischen Gläubigen organisiert werden. 
 Buddhismus
 Reizvoll und anspruchsvoll zugleich sind die Unterrichtsideen zum Buddhismus, die Christiane Lähnemann vorlegt: „Buddha und Jesus“ (149 – 180). Sachkundig werden hier auch zahlreiche Literatur- und Unterrichtshilfen vorgestellt. Weitere Schwerpunkte: Meditation, Richtungen des Buddhismus, Leben und Worte von Buddha im Vergleich mit Jesus, Mönchtum. Es fehlt auch nicht der Hinweis auf zentrale Internetangebote zum Buddhismus und die Anregung, den nächstgelegenen buddhistischen Treffpunkt zu besuchen. Wenn die Schulmöglichkeiten auch nur teilweise eine Verwirklichung dieser Anregungen zulassen, so können die Schülerinnen und Schüler doch tief in die fremde Materie eindringen.
Weltethos
Das Projekt Weltethos ist den meisten Religionspädagogen bekannt. Es gibt ausführliches Film- und Internetmaterial dazu. Günther Gebhardt und Stefanie Schnebel verweisen auf die vorliegenden Unterrichtsmodelle und stellen kurz eigene Entwürfe dar. Diese können schulische Projektarbeit anregen und fächerübergreifendes Lernen anregen. Mit diesem ethischen Beitrag schließt sich der Kreis der Unterrichtsanregungen dieses empfehlenswerten Buches.
Fazit
Der Religionsunterricht der Zukunft wird sich intensiver mit interreligiösen Fragestellungen beschäftigen als es bisher der Fall war. Daher ist es sehr zu wünschen, dass diese Anregungen in der Ausbildung von Religionslehrkräften und in der täglichen Schulpraxis eine kreative Umsetzung erfahren können. Die Synthese von vertiefender Fachinformation und anregenden Unterrichtsmaterialien ist gut gelungen.


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