Max Bernlochner: Interkulturell-interreligiöse Kompetenz. Positionen und Perspektiven interreligiösen
Lernens im Blick auf den Islam.
Beiträge zur Komparativen Theologie Band 13.
Paderborn: Schöningh 2013, 390 S., Personenregister
--- ISBN 978-3-506-77665-5 --- (zugl. Diss. München 2012)
Beiträge zur Komparativen Theologie Band 13.
Paderborn: Schöningh 2013, 390 S., Personenregister
--- ISBN 978-3-506-77665-5 --- (zugl. Diss. München 2012)
Ausführliche Beschreibung
Der
Autor Max Bernlochner ist Politikwissenschaftler und seit 2011 Leiter des
Referats für interkulturelle Angelegenheiten im Ministerium für Integration des
Landes Baden-Württemberg. Er ist in der katholischen Theologie beheimatet. Darüber
hinaus hat er sich seit vielen Jahren engagiert um den christlich-islamischen
Dialog gekümmert. Auch hier konzentriert er sich auf die Begegnungsfelder
christlicher Traditionen und Dialogmöglichkeiten mit dem Islam. Sie sollen
jedoch wirklich weiterführend sein, darum lautet die Fragerichtung des Autors:
„Wie kann eine interreligiös ausgerichtete religionspädagogische Theorie
strukturiert sein, welche auf die Praxis der Begegnung von Menschen
unterschiedlichen Glaubens angewendet zu nachweislich signifikanten Lernerfolgen
bzw. Kompetenzzuwächsen … führt?“ (S. 11). Er hofft dabei tatsächlich auf die
Entwicklung einer interreligiösen (Religions)-Pädagogik und findet dafür eine
Reihe von Ansatzmöglichkeiten, die er im Buch dann ausbreitet.
1. In der Korrelation von Religion und Kultur
Dass der
Autor hier in einem unübersichtlichen Feld unterwegs ist, hängt bereits mit den
schwierigen Grundbegriffen von Kultur und Religion zusammen, zumal
interkulturelle und interreligiöse Begegnung immer ineinanderwirken. Für das
Kulturverständnis wird dem Autor wichtig, inwieweit in einem Rahmen von
Verhaltensspielräumen (Kultur-)Standards mehr oder minder flexibel sind, z.B. im
Blick auf Geschlecht, Alter, gesellschaftliche Rangfolge? (S. 25f). Für eine
Klärung angesichts der weit ausufernden Religionsbegrifflichkeit nähert sich
Bernlocher dem Tillichschen Religionsbegriff an, also „im Sinne dessen, was
mich unbedingt angeht“ (S. 30). Von daher ist der Weg frei, interkulturelles Lernen
im Sinne von „cross-cultural“ anzugehen und erste Weichen für Lernprozesse zu
beschreiben. Sie beginnen mit der Sensibilisierung für das Problemfeld und
müssen schließlich in den konkreten Anwendungsbereich interkulturell-interreligiöser
Kompetenz münden.
2. Kultur und Theologie in geschichtlichen
Zusammenhängen und in vergleichender Differenzierung
In
diesem Kapitel bündelt Bernlochner historische Entwicklungen, die er zuerst an dem
niederländischen Kulturwissenschaftler Geert
Hofstede verdeutlicht. Menschliche
Verhaltensweisen sind kulturabhängig, eine Erkenntnis, die seit der Antike gilt
und in der Völkerpsychologie seit dem 19. Jahrhundert systematisiert wurde.
Hofstede und weitere Forscherteams sprechen aufgrund ihrer Untersuchungen von
„länderspezifisch signifikanten Aussagen über das typische Verhalten einer
Region“ (S. 51). Solche Verhaltensmuster lassen sich als Rahmenbedingungen von Kulturstandards
definieren. Anschließend stellt Bernlochner die Gegensatzpositionen des
indisch-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlers und Philosophen Amartya Sen und des US-amerikanischen
Politikwissenschaftlers Samuel P.
Huntington gegenüber. Letzterer wurde durch seine Hypothese von der
Entstehung großer Konflikte als „clash of civilizations“ strittig berühmt.
Amartya Sen dagegen beurteilt eine singuläre Identitätsbestimmung als
Engführung, weil Lebenssituationen durch Pluralität gekennzeichnet sind. Bernlochner
hält sich allerdings im Sinne einer uneingeschränkt positiven Einschätzung von
Sens Ansatz noch bedeckt. Dafür geht er nun auf verschiedene Anwendungsbereiche
in der vergleichenden Psychologie ein, die sich in vielen Ergebnissen der „Cross-Cultural-Studies“
findet. Im Blick auf den Erwerb interkultureller Kompetenz werden die
Strukturierungen der Religionspädagogen Josef Freise und Werner Haußmann
besonders wichtig. Als Prüffeld dieser Überlegungen zeichnen sich die Zweifel
an „deutscher“ und „türkischer“ Kultur ab, da sich hinter solchen
Zuschreibungen Überlegenheitsmustern verbergen. Vielmehr gilt es die
Forschungsaufgaben für eine interkulturell-interreligiös geprägte
Religionspädagogik zu konstituieren. Diese braucht allerdings einen hohen
Sensibilitätsgrad. Am Beispiel des Management-Beraters Matthias Vött zählt der
Autor auf: Fremdkritik im Zusammenhang mit Selbstkritik, Achtung der
Menschenwürde, Konfliktfähigkeit, Authentizität und Durchhaltevermögen.
Die hier
gewonnen Einsichten kann der Autor nun auf die Begegnungsebenen von Christentum
und Islam übertragen. Mit einem kurzen Einblick in die ambivalente Geschichte
dieser Begegnungen versucht Bernlochner nun, das Trennende, Verwandte und Einende
genauer zu bestimmen. Dabei legt er den Schwerpunkt auf die Heilsbedeutung der
Person Jesu im Gegenüber zum Koran als Wort Gottes. Von der christlichen Antike
über Ramon Llull, der Problematik der sog. reconquista
bis hin zum neuen Aufbruch dialogischer Beziehungen im Zweiten Vatikanischen
Konzil führen die Beschreibungslinien. Im Fortgang werden die drei
Gebetstreffen in Assisi 1986, 1993 und 2002 hervorgehoben. Den nicht immer
förderlichen Initiativen Benedikts XVI. widmet Bernlocher einen weiteren
Abschnitt.
Ausführliche Bearbeitung benötigt nun das Thema des Interreligiösen Lernens auf
dem Hintergrund einer Theologie der Religionen, und zwar deshalb, weil Kirche
und Theologie durch die Begegnung mit anderen Religionen in ihrem
Selbstverständnis wie nie zuvor herausgefordert sind. Der Autor beschreibt hier
die klassischen Positionen – exklusivistisch, inklusivistisch,
religionspluralistisch. Er lässt sich dabei jedoch nicht auf die Möglichkeit
ein, die Religionen als wirklich „gleichwertige“,
weil er offensichtlich die Konsequenz einer Revision auch zentraler
Glaubensinhalte für zu riskant ansieht. Immerhin versucht er eine vermittelnde
Position einzunehmen (S. 130f) und die Grenzen und Chancen dieser
religionstheologischen Modelle auszuloten (S. 136ff). Das hat natürlich
Konsequenzen für den Religionsunterricht, die es zu beachten gilt. Denn diese
Positionen werden auch von Jugendlichen vertreten bis hin zu denjenigen, für
die religiöse Wahrheit keine lebensrelevante Bedeutung (mehr) hat (S. 144).
Als Zwischenbilanz plädiert Bernlochner von seinen Ansätzen her für den interkulturell-interreligiösen
Dialog im Klassenzimmer unter Einbeziehung und Organisation eines Islamischen
Religionsunterrichts. Religionsunterricht, interreligiös offen, aber doch weitgehend
konfessionsorientiert, sieht er als die günstigste Möglichkeit für die Zukunft
in der Schule an. Einen die Konfessionen übergreifenden interreligiösen
Religionsunterricht mit den entsprechenden universitären
Ausbildungsvoraussetzungen der Lehrenden möchte Bernlochner jedoch nicht das
Wort reden, eine intensive Kooperation mit dem ev. und kath.
Religionsunterricht sollte jedoch angestrebt werden.
3. Christliche und muslimische
Lebenswelten als Bewältigungsvoraussetzung
für die Übernahme (gesellschaftlicher) Verantwortung
für die Übernahme (gesellschaftlicher) Verantwortung
Was man neben der Aufarbeitung
empirischer Studien zu diesem Thema und der mehr oder weniger gelungenen
Bewältigungsstrategien im gesellschaftlichen Zusammenleben so nicht erwartet,
ist Bernlochners starke Fokussierung auf Religion, Theologie und Glaube. Erst
danach zieht er ethische Konsequenzen. Nun ist es angesichts der starken
Säkularisierungstendenzen in westeuropäischen Gesellschaften nicht
verwunderlich, dass gerade die Kirchen besonders herausgefordert sind.
Katholischerseits geht kein Weg an den Aufbrüchen des Vaticanum II mit dem
berühmten Dokument „Nostra Aetate“ vorbei. Von daher reichen in Deutschland die
bisherigen Maßnahmen zur Verbesserung des Verhältnisses der Konfessionen und
Religionen keineswegs aus.
Die Auswertungen einer Reihe von
empirischen Studien (wie z.B. die Shell-Jugendstudien 2006 und 2010) bringen
dabei immer die lebensweltliche, die gesellschaftspolitische und die
theologische Perspektive in den Blick. Es kann z.B. nicht angehen, dass
muslimische Jugendliche den Islam als Gegenwelt verstehen und aufbauen,
vielmehr geht es darum, Differenzen zu bewältigen und interkulturelle Öffnungen
mit verstärkten Bildungsangeboten umfassend zu ermöglichen. Nur so lassen
Vorurteilsverstärkungen und Parallelwelten verhindern und Integration auch in
und durch die Moscheen sichern. Die Schule hat hier eine entscheidende
Vermittlungsaufgabe zum Aufbau interkulturell-interreligiöser Kompetenz im
Kontext der Lebenswelt der SchülerInnen. Dazu gehört auch, sich mit dem eigenen
und dem fremden Glauben auseinanderzusetzen. Eine gewisse Angst durch
Relativierung von Glaubensinhalten ist dem Verfasser abzuspüren, dennoch setzt
er sich dafür ein, alle Überlegenheitsansprüche der jeweiligen Religion
abzubauen. Hermeneutische Knackpunkte im Dialog sind dabei der Koran als
Gotteswort und seine Auslegung, der Kreuzestod Jesu, seine Gottessohnschaft und
die Trinität. Von unüberbietbarer Wahrheit sollte man in diesem Zusammenhang
allerdings nicht reden
(vgl. dazu die Debatte mit Gerhard Gäde (S.249f).
(vgl. dazu die Debatte mit Gerhard Gäde (S.249f).
Neue Ansätze für den Verfasser
bietet hier die Komparative Theologie, wie sie in Deutschland besonders der
Paderborner katholische Theologe Klaus von Stosch vorantreibt. Dazu gibt Bernlochner
zuerst einen Überblick über gängige Religionstheologien. Sein weiteres
Interesse liegt darin, zentrale Glaubensaussagen der Religionen nicht „über
Bord zu werfen“ (S. 258). Darum bietet er ein leicht modifiziertes Modell
Komparativer Theologie an, das sich in der christlich-islamischen Begegnung
dadurch auszeichnen würde, dass in diesem Dialog, eigene verschüttete
Glaubenserkenntnisse wieder ans Licht kommen. Im eigenen christlichen
Interesse, jedoch durch Achtsamkeit und Respekt geprägt, muss darum die christlich-islamische
Begegnung ausgeweitet und auf diese Weise eine für alle „zur Zukunft
befähigende und deshalb zeitgemäße Religiosität“ entwickelt werden (S. 269).
Nun ist der Punkt erreicht, von dem
aus Bernlochner in systematischen Schritten weitergehen kann: Gemeinsame
ethische Orientierung als Basismöglichkeit in Christentum und Islam,
Übereinstimmungen von christlicher und islamischer Theologie im
Schöpfungsverständnis, Wirkebenen des barmherzigen Gottes, Verantwortlichkeit
in der Gegenwart als Heilsvoraussetzung. Im Blick auf das Handeln unterscheidet
der Autor dabei zwischen interreligiösen und intra-religiösem Handeln. Zum
ersteren gehört Hans Küngs Projekt Weltethos, zum zweiten geht es um
Grundmuster jeglicher religiöser Überzeugungen in der jeweiligen Religion. Solches
Verhalten lässt sich in Übereinstimmung mit
dem islamischen Theologen Mouhanad Khorchide auf Gerechtigkeit, Wahrung der
Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit aller Menschen und soziale Verantwortung
konzentrieren. So tauchen Grundrisse einer interreligiösen Ethik auf, die
gegenseitige Stärken und Fehleinschätzungen moralischer Art offenlegen und zu
gemeinsamen Engagement herausfordern, besonders im Blick auf Hilfsbedürftige
und den Schutz der Umwelt.
4. Konkretisierungen interkulturell interreligiöser
Kompetenz
In seinem Schlussabschnitt legt
Bernlochner ein solches Modell vor, das in der Korrelation von der Frage nach
der Wahrheit, der gelebten Religiosität, dem Ethos einer Religion und der Stärkung
ethischer Möglichkeiten besteht, und zwar als tieferes Erfahrungslernen durch
Dialog, Einbeziehung der Lebenswelten und Glaubensüberzeugungen des Anderen.
Das Wahrnehmen des Anderen aus der (nur möglichen) eigenen Sicht motiviert zum
gemeinsamen Handeln. Die Begründung liegt in den gemeinsam akzeptierten Geboten
Gottes in Christentum, Judentum und Islam. So werden in der Schule die
verschiedenen Lerndimensionen gewissermaßen in
eine kooperative Fächergruppe für ein gemeinsames Lernen „transferiert“, übrigens eine Empfehlung, die schon
1994(!) in der EKD-Denkschrift „Identität und Verständigung“ ausgesprochen
wurde. Der Verfasser fordert von daher eine kompetente Religionslehrerausbildung
an den Universitäten ebenso wie einen interreligiös-kooperativen
Religionsunterricht, dessen didaktische Ausformung auf die Elementarerziehung sowie
auf die unterschiedlichen Schulstufen gleichermaßen bezogen ist.
Bilanz
Insgesamt
gelingt es Bernlochner mit diesem umfassenden Ansatz religionsdidaktischer sowie
schul- und ausbildungsorganisatorischer Konkretionen, ein (Schul-)Modell
interkulturell-interreligiöser Kompetenz zu entwickeln und dies religionspädagogisch
als zwingend einzufordern. Studierende, Lehrende und Schüler behält er dabei
gleichermaßen religionsdialogisch im Blick und belegt dies immer wieder durch
praktische Beispiele. Ob in einem solchem theologisch-didaktisch orientierten Ansatz
angesichts der immer wieder vorsichtig angemahnten Unüberbietbarkeit der
Gottesoffenbarung in Christus doch noch gewisse christliche
Superioritätsansprüche stecken, muss allerdings gefragt werden.
Reinhard Kirste
Rz-Bernlochner, 21.04.2013
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