Peter Graf / Bülent Ucar (Hg.):
Religiöse Bildung im Dialog
zwischen Christen und Muslimen.
Interreligiöser Dialog in
gesellschaftlicher Verantwortung Band 1
Stuttgart: Kohlhammer 2011, 259 S.
ISBN 978-3-17-022033-1 ---
Mit dem 1.
Band der Reihe "Interreligiöser Dialog in gesellschaftlicher
Verantwortung" beginnt die Eugen-Biser-Stiftung wichtige Debatten um das
interreligiöse Lernen in einer säkularen Gesellschaft zu intensivieren: „Die
neue Reihe soll dazu beitragen, den in Deutschland – wie auch in andern Staaten
der Europäischen Union – geführten Dialog zwischen Menschen unterschiedlichen
Glaubens durch das Sichtbarmachen zentraler gemeinsamer Aufgabenstellungen
immer klarer zu konturieren“ (S. 7). Die beiden renommierten, interkulturell
orientierten Religionspädagogen der Universität Osnabrück, Peter Graf (christlich) und Bülent
Ucar (islamisch) haben dazu wichtige Vorarbeit geleistet. Ihnen ist ganz
erheblich die inzwischen gesicherte Etablierung der Islamischen
Religionspädagogik an der Universität Osnabrück zu danken – und das angesichts politischer und
theologischer Schwierigkeiten.
In diesem
Band kommen nun Vertreter der drei monotheistischen Religionen zu Worte, deren
Engagement für den interreligiösen Dialog schon über Jahre hinweg andauert.
Um einen
Einblick in die dialogischen Initiativen der Eugen-Biser-Stiftung zu geben,
berichtet zuerst Michael Kiefer
(Islamwissenschaftler, Düsseldorf/Erfurt) über die Zielsetzungen im
interreligiösen Dialog, zum islamischen Religionsunterricht, zur
Imam-Ausbildung und im Blick auf die islamische Theologie in Deutschland.
Grundsätzliche Überlegungen und Strukturelles werden anvisiert.
I. In den grundlegenden Dimensionen
des interreligiösen Dialogs hebt der katholische Religionswissenschaftler Adel Theodor Khoury (Münster) die
gemeinsamen religiösen Werte von Christentum und Islam hervor. Sie zeigen eine
doppelte Blickrichtung an – von Gott zum Menschen und vom Menschen zu Gott. Diese
Korrelation kommt besonders in der mystischen Liebe und Gotteserkenntnis zum
Ausdruck. Auf die unterschiedlichen Prioritäten im Verständnis von Individuum
und Gesellschaft weist der Religionswissenschaftler Peter Antes (Hannover) hin: Man muss fast fragen, ob der
Individualismus ein europäischer Sonderweg gegenüber islamisch geprägten
Gesellschaften ist. Als Pädagoge fragt der Mitherausgeber Peter Graf, wie die Einzigartigkeit (Andersartigkeit) der Person vom
Mittelalter an in Schule und ‚Bildung‘ generell) wahrgenommen und gefördert wurde.
In der Neuzeit wird immer deutlicher, wie interreligiöse Bildung (nur) als
Annäherung an das Absolute zu verstehen ist, weil niemand und keine Religion
Gott „besitzt“. Die schon lange im christlich-jüdisch-islamischen Dialog
engagierte türkische Religionspädagogin Beyza
Bilgin (Ankara) stellt Abraham als Beispiel und Vorbild dar. Abraham ist
der Vater vieler Völker, wie Bibel und Koran auf unterschiedliche Weise
bezeugen. Die Autorin denkt sogar, dass es sinnvoller wäre, nicht nur von den
Söhnen Abrahams in den drei Religionen zu sprechen, sondern von den Söhnen
Adams im Sinne der gesamten Menschheit.
II.
Wenn man so umfassend – wie in diesem Band geschehen – von religiöser
Bildung redet, muss der Blick auf religiöse
Bildung als Teil der europäischen Kulturgeschichte gelenkt werden. Das tut
der ev. Theologe Michael Fricke
(Regensburg), indem er geschichtliche Voraussetzungen und Grundlagen für den
christlichen Religionsunterricht in Deutschland beschreibt. Er verfolgt den Weg
von einem einheitlichen Bildungsideal im Mittelalter, über Reformation und
Aufklärung bis in die praktischen (rechtlichen) Umsetzungen in der Weimarer
Republik. Die sich dort abzeichnende Krise wird im Nationalsozialismus
verschärft und nötigt nach dem
2. Weltkrieg im Sinne von Neubeginn und Kontinuität zu reflektierter
Partnerschaft von Staat und Kirche.
Wie sieht in
solchen Kontexten die akademische
Rabbinerausbildung aus? Der Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs an der
Universität Potsdam, Walter Homolka,
zeigt, wie sich das Verständnis von Wissenschaft im Judentum mit den positiven
Wirkungen der Emanzipation in Deutschland seit Beginn des 19. Jahrhunderts
verbindet und dafür eingerichtete Hochschulen kompetente Rabbiner heranbildet.
Das sind Wissenschaftsstrukturen, die auch in anderen Ländern Europas und in
Amerika Signalwirkung haben. Der Holocaust brachte einen furchtbaren Einschnitt
– und erst langsam baut gerade das liberale bzw. Reformjudentum wieder passende
Rabbinerseminare im deutschen Sprachraum auf.
Interessant
ist zu sehen, wie die katholische Kirche die Imam-Ausbildung in Deutschland bewertet. Helmut Wiesmann vom Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz
zieht einige bereits praktizierte Ausbildungsbeispiele heran, aber man merkt
insgesamt eine gewisse offizielle Zurückhaltung im Blick auf die Ausgestaltung
einer universitären Imam-Ausbildung. Diese muss natürlich an der deutschen
Rechtsordnung ausgerichtet sein. Der Islamwissenschaftler Hans Vöcking vom Orden der Weißen Väter weitet den Blick auf die
europäische Landschaft. Gegenüber einer meist staatlichen „Islam-Verwaltung“ in
den Herkunftsländern der Immigranten, erfordern die unterschiedlichen
Vertretungsinstitutionen der Muslime andere Ausbildungsmodelle. Es gilt auch
die abweichenden europäischen Rechtsvoraussetzungen zu berücksichtigen, wie der
Autor an Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Österreich, Schweden und
der Schweiz zeigt. Die Politik muss gewährleisten, dass Kirchen und
Religionsgemeinschaften gleich behandelt werden, für die der säkulare Staat nur
den Rahmen bieten kann. Anders sieht es in den kleineren
Sozialisationsstrukturen, Familie, Kindergarten, Gemeinde und Schule aus. Der
Mitherausgeber Peter Graf hält vier
Konstitutiv-Merkmale fest: Soziale Kontakte, lebenslanges Lernen, Einbeziehung
gegenseitiger Erwartungen und Sozialisation als Kommunikation. Die verschieden
Glaubenden müssen sich dazu auf ‚religiöse Partnerschaft‘ (S. 176) einlassen
und gemeinsam ihre am Glauben orientierte Verantwortung wahrnehmen. Diese
erlaubt individuelle Selbstfindung, Verarbeitung von Differenz und
ganzheitliches Leben im Sinne gläubiger und zugleich dialogischer Existenz.
III. Der sich daraus ableitende 3. Abschnitt des Buches
untersucht die konkreten bereits gegebenen und zu wünschenden Möglichkeiten für
die Ausbildung von Religionslehrern und
Imamen an staatlichen Hochschulen. Zuerst kommt die staatkirchenrechtliche
Situation in den Blick. Der Kirchenrechtler Heinrich
de Wall (Erlangen-Nürnberg) verweist auf die Selbständigkeit, mit der
Religionsgemeinschaften ihre internen Angelegenheiten regeln. In Öffentlichkeit
und Gesellschaft gibt es allerdings gewisse Reibungsflächen mit den
verfassungsrechtlichen Besonderheiten theologischer Fakultäten für die
Ausbildung ihrer „Religionsdiener“. Was für die Kirchen relativ eindeutig ist,
wird für die islamische Seite neue Kooperationsformen notwendig machen, um für
die staatliche Seite kompetente Ansprechpartner im Blick auf die Qualifikation
der Lehrenden, der Studien- und Prüfungsordnungen zu haben. Als für die
Integration nicht so günstige Alternative bieten sich islamisch-theologische
Hochschulen in nichtstaatlicher Trägerschaft an. Die islamische Seite aus
universitärer Sicht beleuchtet Bülent
Ucar, der Leiter des Zentrums für Interkulturelle Islamische Studien an der
Universität Osnabrück. Er beschreibt die derzeitige Situation der islamischen
Theologie in Deutschland und hofft, dass die Imam-Ausbildung frei wird von
ausländischer Bevormundung und künftig fester sowie personell ausreichend in
deutsche Ausbildungsstrukturen integriert wird. Der Religionswissenschaftler Rauf Ceylan (Osnabrück) geht auf die von
Bülent Ucar angesprochenen Probleme ein, die mit den (nicht nur) türkischen
Imamen in Deutschland und deren religiöser Ausrichtung zusammenhängen. Diese
charakterisiert er so: traditionell-konservativ, traditionell-defensiv,
intellektuell-offensiv, neo-salafitisch. Neben Übergangslösungen zur
Imam-Schulung (in der Türkei und in Deutschland durch die Konrad-Adenauer-Stiftung)
muss unbedingt das Studium islamischer Theologie in Deutschland selbst ausgebaut
werden.
IV. Den Schlusspunkt setzen zwei
Beiträge zur religiösen Erziehung von
muslimischen Schülern In öffentlichen Schulen. Der Verwaltungsrechtler Janbernd
Oebbecke (Münster) bezieht sich auf die besondere deutsche Situation verfassungsrechtlicher
Vorgaben eines säkular geprägten Staates, der bestimmte Grenzen, besonders im
Blick auf die Schule gesetzt hat. Für die religiöse Bildung von Muslimen fordert
er, was für die christliche Seite längst gängige Praxis ist, nämlich die gemeinsame
Verantwortung von Staat und muslimischen Organisationen für das Schulleben. Diese
Überlegungen führen notwendigerweise zur Etablierung und Ausgestaltung des
Islamischen Religionsunterrichts im Blick auf die Integration und die religiöse
Mündigkeit muslimischer Schüler. Haci
Halil Uslucan, Leiter des Zentrums für Türkeistudien an der Universität
Duisburg-Essen, verweist auf die Bedeutung der Religiosität zur
Identitätsbildung im Zusammenhang der Migration. Ein Islamischer
Religionsunterricht bietet deshalb eine weiterführende Perspektive, weil
muslimische Schüler sich gegenüber den anderen mehr oder minder christlich
sozialisierten Kindern und Jugendlichen als gleichberechtigt sehen, die Verbindung
zu den Eltern hergestellt bleibt und so Integration wirklich gelingt. Das
zeigen auch Ergebnisse eines entsprechenden Schulversuchs in Niedersachsen.
Bilanz:
Religiöse Bildung gehört zu den Grundwerten unserer Gesellschaft. Dies machen alle Beiträge dieses Bandes unmissverständlich deutlich. Eine Gesellschaft, die nun zugleich multikulturell, multireligiös, säkular, und durch Migration stark geprägt ist, braucht jedoch Möglichkeiten, mit dieser Komplexität sachgemäß umzugehen. Wenn sich gemeinsame Verantwortung aller Beteiligten verstärkt herausbildet, können gesellschaftliche Spannungen abgebaut werden. Im Blick auf den eingewanderten Islam zeigen muslimische, jüdische und christliche Religionspädagogen, Juristen und Theologen Voraussetzungen auf. Diese beziehen sich sowohl auf kulturelle und religiöse Unterschiede wie auf rechtliche Vorgaben. Die Autoren benennen zugleich die Schwachpunkte und zeigen, dass im Blick auf Schule und Gemeinde die Ausbildung der Lehrenden zentralen Stellenwert bekommt. Sie zeigen zugleich breite Variationsmöglichkeiten des interreligiösen Dialogs und der multireligiösen Begegnung, die den Abbau von kultur- und religionsspezifischen Bremswirkungen bewirken können. Das sind auf Dauer weitere positive Impulse für die Integration gerade des islamischen Teils der deutschen Bevölkerung. Es ist zu wünschen, dass der 1. Band dieser „religionsökumenischen“ Reihe bald einen weiterführenden Nachfolger bekommt.
Religiöse Bildung gehört zu den Grundwerten unserer Gesellschaft. Dies machen alle Beiträge dieses Bandes unmissverständlich deutlich. Eine Gesellschaft, die nun zugleich multikulturell, multireligiös, säkular, und durch Migration stark geprägt ist, braucht jedoch Möglichkeiten, mit dieser Komplexität sachgemäß umzugehen. Wenn sich gemeinsame Verantwortung aller Beteiligten verstärkt herausbildet, können gesellschaftliche Spannungen abgebaut werden. Im Blick auf den eingewanderten Islam zeigen muslimische, jüdische und christliche Religionspädagogen, Juristen und Theologen Voraussetzungen auf. Diese beziehen sich sowohl auf kulturelle und religiöse Unterschiede wie auf rechtliche Vorgaben. Die Autoren benennen zugleich die Schwachpunkte und zeigen, dass im Blick auf Schule und Gemeinde die Ausbildung der Lehrenden zentralen Stellenwert bekommt. Sie zeigen zugleich breite Variationsmöglichkeiten des interreligiösen Dialogs und der multireligiösen Begegnung, die den Abbau von kultur- und religionsspezifischen Bremswirkungen bewirken können. Das sind auf Dauer weitere positive Impulse für die Integration gerade des islamischen Teils der deutschen Bevölkerung. Es ist zu wünschen, dass der 1. Band dieser „religionsökumenischen“ Reihe bald einen weiterführenden Nachfolger bekommt.
Reinhard Kirste
Diese Rezension erschien auch in einer verkürzten Fassung in:
"Dialog. Zeitschrift für Interreligiöse und Interkulturelle Bildung". 12. Jg. Heft 22+23 (2013), S. 131-133
"Dialog. Zeitschrift für Interreligiöse und Interkulturelle Bildung". 12. Jg. Heft 22+23 (2013), S. 131-133
Darjusch Bartsch
Die Korrelationsfrage
in der Islamischen Religionslehre
Die Korrelationsfrage
in der Islamischen Religionslehre
Interreligiöse Perspektiven
zu einem grundlegenden Phänomen
Bielefeld: Transcript 2022, 346 S.
Rz-Graf-Ucar-Bildung,
07.04.13, bearb. 18.11.2022
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