Samstag, 15. Juni 2013

Revisionen im Christentum: Update für den Glauben



Klaus-Peter Jörns: Update für den Glauben.          
Denken und leben können, was man glaubt.
        
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2012, 272 S., Abb.
--- ISBN 978-3-579-08145-8 ---

Kurzrezension: hier
 Ausführliche Besprechung
Klaus-Peter Jörns, Gemeindepfarrer, Vikarsausbilder und schließlich Hochschullehrer in Berlin ist eigentlich erst nach seiner Emeritierung durch herausfordernde Vorträge und Publikationen populär und ein wenig umstritten geworden. Der praktische Theologe und Religionssoziologe entwickelte sich zum theologischen Kritiker christlicher Traditionen aus der Erfahrung religiöser Umbrüche in unserer Gesellschaft, die er ausführlich soziologisch recherchierte. 

Dazu sind erschienen: Was die Menschen wirklich glauben (gemeinsam mit C. Großeholz, Gütersloh 1998), und: Die neuen Gesichter Gottes (München 1997, 2. Aufl. 1999).

Jörns macht mit seiner radikalen Kritik auch vor der Bibel nicht Halt. Das belegt besonders das Buch für ein neues Liturgieverständnis: Lebensgaben Gottes feiern. Abschied vom Sühnopfermahl: eine neue Liturgie (Gütersloh 2007). Dem kritischen Theologen geht es also nicht nur um Dekonstruktion, sondern um Neuformulierung christlicher Glaubensinhalte. Dabei muss allerdings einiger Ballast über Bord des kirchlichen Dogmenschiffes geworfen werden.


Das kam bereits 2004 publikumswirksam zum Ausdruck: Notwendige Abschiede. Auf dem Weg zu einem glaubwürdigen Christentum (Gütersloher Verlagshaus 2004, 5. Aufl. 2010). Praktisch orientiert setzte der Autor zweifach nach: Mehr Leben, bitte! Zwölf Schritte zur Freiheit im Glauben (Gütersloh 2009) und Glaubwürdig von Gott reden. Gründe für eine theologische Kritik der Bibel (Stuttgart 2009).
Im Herbst 2012 erschien dann gewissermaßen eine Zwischenbilanz des bisherigen Weges: Update für den Glauben. Denken und leben können, was man glaubt. Die auch von anderen Autoren schon angesprochene Neuorientierung religiöser Traditionen fordert die Religionen viel mehr heraus, als manche immer noch wahrhaben wollen. So verbietet es sich auch, den Gott der Bibel gegen andere Götter und Göttinnen auszuspielen (S. 234). Angesichts der längst schon selbstverständlich gewordenen Evolutionstheorie und der Ergebnisse aus der Quantenphysik (vgl. S. 241ff. 245ff) weist Jörns vehement eine Sonderwirklichkeit von Glaubensgestalten mit ihren kirchlichen Überwucherungen zurück. Mit der 2012 von Jörns mitgegründeten „Gesellschaft für Glaubensreform“ entwickelt sich ein Forum, das den in dieser Debatte auftauchenden Fragen detailliert nachgeht. So ist bereits im April 2013 der erste Band der neuen Schriftenreihe Schriften zur Glaubensreform erschienen, der die von Jörns mehrfach angesprochene Theodizee-Frage erneut aufnimmt: Lässt Gott leiden? (Gütersloh 2013). Bedenkt man diesen durchaus aufregenden Weg eines mit der kirchlichen Tradition ursprünglich intensiv verbundenen Theologen, dann spürt man in „Update für den Glauben“ den reformerischen Impuls des Autors.

In einem 1. Abschnitt untersucht Jörns Beispiele aus der Bibel, zeigt religionsgeschichtliche Überschneidungen und Einflüsse auf, ordnet sie historisch ein und zeigt dann ihre Aktualisierung. Es sei hier nur die ägyptische Göttin Isis und die „Gottesmutter“ Maria genannt. Von solchen biblischen Bezügen geht der Autor dann auf das Entmythologisierungsprogramm Bultmanns im Sinne einer existentialen Interpretation und auf die feministische Theologie im Zusammenhang der Genderforschung ein. Jörns betont, dass Religionen schon immer ihre alten Überlieferungen veränderten Lebensbedingungen angepasst, also „Updates“ gemacht haben. 

Im 2. kurzen Abschnitt verweist Jörns auf einen Systemwechsel in einigen Religionen. So wird die Sonne Glaubenszentrum sowohl in Nordeuropa wie im Alten Ägypten, die jüdische hebräische Bibel erweitert sich zur interreligiös offenen christlichen Bibel und weiter zum Koran. Hier sieht der Autor eine stringente Entwicklungslinie.

Updates sind also nichts Ungewöhnliches, erweisen sich jedoch für einen lebendigen Glauben als nötig. Darum geht es im ausführlichen 3. Abschnitt.  Das Christentum hat hier keine Sonderstellung! Alle Religionen sind nur Auslegungswege und keineswegs eindeutig, wenn sie von Gott reden. In diesem Kontext muss Bibelauslegung dazu anleiten, innerhalb der Vielfalt der Religionen, Menschen zu einem eigenständigen Glauben zu verhelfen und nicht alte Sprachmuster – etwa ausgesprochen problematische Opfervorstellungen – weiter zu tradieren. Damit kommen immer wieder die entscheidenden Lebensfragen auf die Tagesordnung: Das Ende und Ziel des Lebens, die Bedeutung des Himmels, Unsterblichkeit und Paradies. Gott kehrt sozusagen aus dem „Jenseits“ wieder in die Wirklichkeit des Lebens zurück (S. 121f). Eine so verstandene Menschwerdung Gottes wird zum Muster und Vorbild von Menschlichkeit, wie dies etwa die Seligpreisungen Jesu ausdrücken (S. 215ff).
Die Quintessenz des Buches sehe ich in Jörns‘ offenem Gottesverständnis. Dass er nicht auf Religionstypen eingeht, die ohne Gott auskommen wie der Buddhismus und der Taoismus, verwundert etwas. Denn der Autor versteht unter Bezug auf Teilhard de Chardin Gott als (evolutionären) Geist der Liebe (S. 100f). Vielleicht wird er hier – ähnlich der religionspluralistischen Theologie – weiter vorangehen, so dass er weniger von Gott und mehr vom Göttlichen oder einer letzten entscheidenden Realität zu reden bereit ist. Ein Ansatz dazu ist mit dem Gedanken der Wahrnehmungsgestalten Gottes bereits gemacht:
„Die strikte kategoriale Trennung zwischen den Göttern der >Religionen< und dem Gott >der Bibel< … ist von dem Ansatz meines theologischen Denkens her nicht mehr möglich. Und natürlich sind die Göttinnen gleichrangige Wahrnehmungsgestalten Gottes … Welche Gotteswahrnehmungen dazu helfen, Gott zu verstehen, kann nicht vorweg entschieden werden … Das friedliche Zusammenleben der Religionen mit unterschiedlichen Wahrnehmungsgestalten Gottes ist vielmehr die neue integrale Gestalt von Religion, die es zu suchen gilt“ (S. 234f).

Wir erleben bei Jörns also keinen „Verriss“ von Religion und Glaubensformen, sondern ein religionsgeschichtlich bedachtes, glaub-würdiges und revidierbares Verstehen eigenen Glaubens unter den Bedingungen der Gegenwart.

Reinhard Kirste

 Rz-Jörns-Update, 15.06.13


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