Ming-huei Lee: Konfuzianischer Humanismus. Transkulturelle Kontexte.
Reihe: Der Mensch im Netz der Kulturen.
Humanismus in der Epoche der Globalisierung Band 19.
Bielefeld: Transcript 2013, Personen- und Begriffsregister --- ISBN 978-3-8376-2515-8 --
Reihe: Der Mensch im Netz der Kulturen.
Humanismus in der Epoche der Globalisierung Band 19.
Bielefeld: Transcript 2013, Personen- und Begriffsregister --- ISBN 978-3-8376-2515-8 --
Ausführliche Beschreibung
Bereits der Untertitel
des Buches verrät, dass es hier nicht um die nationalen Zusammenhänge etwa der
Volksrepublik China geht, sondern um ein Humanitätsverständnis, das chinesische
Geistes- und Lebenshaltungen prägt.
Der Autor
Ming-huei Lee, Forscher an der Academia Sinica in Taipeh (Taiwan), macht von
vornherein deutlich, dass man den Konfuzianismus nicht vorschnell als
Philosophie oder Religion klassifizieren sollte. Vielmehr zeigt sich, dass
gerade der Konfuzianismus seit den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts mit dem
Begriff Humanismus in enge Verbindung gebracht wird (S. 11f).
Der Verfasser
lässt sich allerdings nicht auf eine komplizierte entwicklungsgeschichtlich zu
differenzierende Humanismusdebatte ein, sondern hebt die folgende
Grundbedeutung heraus: „Der Humanismus ist keine Schule, sondern eine geistige
Richtung, die ausgehend von menschlicher Selbstbesinnung, dem Rang des Menschen
neuerlich Anerkennung verschafft“ (S. 10). Die folgenden Kapitel und
Textinterpretationen sind auch keine geschlossene systematische Darstellung,
sondern eine Art Zusammenschau weitgehend früher schon veröffentlichter Texte.
Nun machen
schon eine erste Durchsicht der hier vorgestellten klassischen Texte und die
Diskussion um die Bedeutung Kants im Kontext des Konfuzianismus deutlich, wie
facettenreich und keineswegs einlinig die Geistesgeschichte Chinas ist. Bedeutung
humanistischer traditioneller Werte und Rückkehr zu einem Kulturkonservatismus
sind Signale für eine Neuverortung des Humanismus, wie ihn der chinesische
Konfuzianismus geradezu vorbildhaft repräsentiert (S. 15).
Wenn ich
mich in meiner Besprechung stärker auf die im Buch zur Sprache kommenden religiösen
Elemente des Konfuzianismus beziehe, so lässt sich an den Beiträgen Lees gut
erkennen, dass die hier angestoßene humanistische Wertedebatte nicht nur ein
wesentlicher Beitrag zum interkulturellen, sondern gerade auch zum
interreligiösen Dialog ist. Das erscheint mir deshalb so wichtig zu sein, weil
in der Begegnung der Religionen gerade des Konfuzianismus und Taoismus im
Westen meist nur ausschnitthaft wahrgenommen werden. Im Diskurs westlicher
Religionsverständnisse setzen dagegen im Osten Transformationen ein, deren
Endlinien noch nicht abzusehen sind. Die von Lee gesetzten Beispiele und
Schwerpunkte sind darum besonders aufschlussreich:
Im Kapitel 1 (S. 21–41) steht die konfuzianische Ethik am Beispiel der
Debatte um die dreijährige Trauerzeit in
Lunyü / Lunyu 17.21 (aus den Gesprächen/Analekten des Konfuzius / Kungfutse) im
Mittelpunkt. Angesichts des Todes nächster Angehöriger wird die Verkürzung der Trauerphase diskutiert
und gerät zu einem Orientierungspunkt
für die Leitung eines Menschen durch das Gewissen. Eine kürzere Trauerzeit wird
nur dann als sinnvoll angesehen, wenn der Mensch wirklich zuvor schon innere
“Ruhe“ gefunden hat (S. 33f). Daraus leitet Lee ab, dass für Konfuzius und seinen Reform-Nachfolger Mengzi Gefühl und Vernunft eng zusammengehören. Das
hat zur Folge, dass das „Herz“ für die moralische Entscheidung wesentlich ist. Kant
argumentiert hier anders.
Im 2. Kapitel (S. 43–52), die Autonomie des Herzens als
philosophischer Deutung, wird vertiefend auf das „Herz“ eingegangen, und
zwar mit einer Text-Interpretation von Mengzi (Buch 2A2). Der Autor kommt aktualisierend zu
dem Schluss: „Wenn wir bei der Entscheidung der Normen und Werte nicht auf das
moralische Ich als letzte Instanz dafür, sondern auf die theoretische Vernunft
rekurrieren, können wir wirklich von unseren Neigungen oder Vorurteilen gelenkt
werden, deren wir uns nicht bewusst sein mögen. Hierin finden alle
ideologisierten Doktrinen ihren Ursprung“ (S. 52). Lee
ist sich der Zustimmung Kants sicher. Man ahnt es bereits: Es entwickelte sich in
China eine mehr als hundertjährige gemeinsame Denklinie zwischen dem
Königsberger Philosophen und dem chinesischen Meister.
Quasi
als Gegenüberstellung hin zur Moderne zeigt sich das 3. Kapitel (S. 53–76) im wirkungsgeschichtlichen Kontext der Philosophie Immanuel Kants im modernen China. Liberalismus und Marxismus
bauten trotz ihrer gegensätzlichen Position eine gemeinsame Feindschaft gegen
Kants Philosophie auf. Aber gerade der Neokonfuzianismus bildet nach den
ideologischen Abgrenzungen der Vergangenheit wieder eine Brücke – selbst im
(noch) kommunistischen heutigen China.
Die
transformierende Interpretation des Dinges
an sich ist der Schwerpunkt in
Kapitel 4 (S. 77–90):
Sie ist aktualisierend dem Dialog zwischen Kant und dem 1995 verstorbenen neokonfuzianischen Philosophen Mou Zongsan (Mou Tsungsan) gewidmet. Das geschieht in schöpferischer und durchaus adäquater Weiterentwicklung bei Mou und im kritischen Rückblick auf die deutsche Debatte um Kant bei Fichte, Hegel und Nietzsche, Schleiermacher, Schopenhauer u.a.
Sie ist aktualisierend dem Dialog zwischen Kant und dem 1995 verstorbenen neokonfuzianischen Philosophen Mou Zongsan (Mou Tsungsan) gewidmet. Das geschieht in schöpferischer und durchaus adäquater Weiterentwicklung bei Mou und im kritischen Rückblick auf die deutsche Debatte um Kant bei Fichte, Hegel und Nietzsche, Schleiermacher, Schopenhauer u.a.
Weil nun
aber – wie Kapitel 5 beschreibt – Kants
moralische Religion (S. 91–128) eine Entsprechung im Konfuzianismus
findet, ist für den Autor klar, dass das weite Tillichsche Religionsverständnis
in Verbindung mit Kant sowohl das „Unbedingte“ wie die Kultur adäquat und
transkulturell zur Sprache bringt. Darauf hat auch der neukantianisch
ansetzende religionspluralistische Theologe John
Hick (Druckfehler – nicht Hicks!) aufmerksam gemacht. Konfuzianismus lässt
sich also durchaus als Religion verstehen; und Kant wird zu einem wichtigen
Brückenbauer des religiösen West-Ost-Dialogs, denn die Einheit von Himmel und Mensch
zeigt die untrennbare Zusammengehörigkeit von Humanismus und Religion. Darauf
legen neokonfuzianische Philosophen ausgesprochen Wert (S. 99).
Wenn man
nun noch den Schlussbeitrag zum derzeitigen chinesischen Konfuzianismusfieber (S. 129–143) berücksichtigt, so bietet sich
durchaus die positive Möglichkeit, Religion als Orientierung hin zu einer
umfassenderen Wirklichkeit zu verstehen. Der west-östliche Religionsdialog bekommt
ganz erstaunliche, auch widersprüchliche Konturen trotz und gerade wegen der
weiterhin geltenden „Orthodoxie“ des Marxismus in China. Dennoch scheinen im Zusammenhang
eines umfassenden Humanismus ermutigende Konvergenzen zwischen dem Westen und
dem Fernen Osten möglich zu werden. Dass Ming-huei Lee westliche LeserInnen
darauf aufmerksam gemacht hat, ist der große Vorzug dieses Buches.
Reinhard Kirste
Im Sinne einer grundsätzlichen Einführung vgl. Joseph A. Adler: Chinesische Religionen.
Religiöse und ethische Ideale einer großen Kultur.
Freiburg u.a.: Herder spektrum 5863, 2007. Rezension: hier
Religiöse und ethische Ideale einer großen Kultur.
Freiburg u.a.: Herder spektrum 5863, 2007. Rezension: hier
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