Dienstag, 4. Februar 2014

Den Islam kennenlernen - ein Arbeitsbuch nicht nur für die Sekundarstufe II



Werner Trutwin: Islam.  
Weltreligionen. Arbeitsbücher Sekundarstufe II.
Religion – Ethik – Philosophie.
München: Bayerischer Schulbuch Verlag 2010, 143 S., Abb., Glossar
--- ISBN 978-3-7627-0420-1---
Besprechung: Solveig Maaßen      
im Rahmen des Seminars an der TU Dortmund:
Vielfalt des Islam
(WiSe 2013/2014)
Vgl. auch die Kurz-Rezension unter „Ein-Sichten“
(auch mit Hinweisen zum Autor):    
http://buchvorstellungen.blogspot.de/2012/01/weltreligionen-material-fur-die.html
Gliederung des Arbeitsheftes
  • Das Heft ist in 12 Abschnitte gegliedert
  • Jeder Abschnitt hat nochmal 4–8 Unterabschnitte
  • Die verschiedenen Abschnitte bauen aufeinander auf: Die Religion, Mohammed, Koran, Gott, der Mensch, Pflichten, Gemeinschaft, Politik, Bezug zu Judentum und Christentum

Zu den einzelnen Kapiteln:
Sie bieten Anregung für die eigene Arbeit, und zwar wird ein Überblick geboten, wie und wo man von den einzelnen Unterrichtsfächern her sich am besten dem Islam annähert. Zunächst einmal könnte man dem Aufbau des Buches folgen, weil dadurch ein systematisches Herangehen an den Islam möglich wird.
Des Weiteren kann man die Schüler fragen, auf welche Aspekte/Probleme, besonders in der Gegenwart, sie sich beziehen möchten, z.B.: Ausdehnung, Islam in der modernen Welt, Fundamentalismus, Reformen, Frauen.
Von hier aus kann man dann weiter gehen und die theologischen, anthropologischen und historischen Voraussetzungen des Islam hinterfragen.
Im Folgenden werden dann noch mögliche Arbeitsweisen vorgeschlagen, sowie geeignete Medien und andere Materialien und Impulse. Mit „anderen Impulsen“ sind hier beispielsweise Kontakte und Gespräche mit Muslimen usw. gemeint.
Das Arbeitsheft bietet konsequent Quellen aus der  islamischen Welt, weshalb es sich selbst sehr gut als hilfreiche Basis für verschiedene Themen zum Islam eignet.
Im Folgenden wird versucht, den Zugang zum Islam etwas zu erleichtern. Dabei wird am Anfang darauf hingewiesen, dass der Islam ein sehr komplexes Thema ist, das nicht  pauschalisiert werden kann, da der Islam von Land zu Land unterschiedlich praktiziert wird. Dementsprechend liegt das Verständnis in der „Optik“ des Betrachters.
Weiterhin wird darauf eingegangen, dass es nicht nur für Nicht-Muslime schwer ist zu verstehen, dass man den Islam nicht verallgemeinern kann, sondern auch für die Muslime selbst bzw. dass die Praktizierung des islamischen Glaubens von Person zu Person unterschiedlich ist.
Im Sinne von sachgemäßer Orientierung geht das Materialheft auf Mohammed, den Koran und weitere Grundlagen des Islam ein, die bereits im Seminar besprochen wurden. 
Anders als in anderen Religionsbüchern wird in diesem nicht nur auf die Religion, ihr Selbstverständnis und das  Gottesbild eingegangen, sondern auch auf den Menschen als solches. Also: Welche Stellung hat der Mensch?, Welche Stationen durchläuft er in seinem Leben?
Ganz besonders wichtig und interessant finde ich den viel diskutierten Punkt, der sich um die Stellung der Frau dreht. Der Unterabschnitt beginnt zunächst mit einem Zitat aus der 4. Sure, die schon die Überschrift „Die Frauen“ trägt. In verschiedenen Unterabschnitten wird dann die Situation der Frauen beschrieben. Die Darstellung beginnt in der Zeit vor Mohammed, in der Frauen keinerlei Rechte besaßen und Männer sogar ihre neugeborenen Töchter lebendig begraben durften. Mit Mohammed kam die Wende, dass Männer und Frauen in religiöser Hinsicht im Prinzip gleichberechtigt waren. Allerdings sind auf Grund bestimmter Koran-Auslegungen und der Theologie als Männer-Domäne Frauen immer noch benachteiligt. Männer sehen sich (immer noch) den Frauen überlegen, ja Männer haben gewissermaßen einen intellektuellen Vorrang. Das zeigt sich z.B. darin: Wenn Frauen widerspenstig sind, dürfen sie geschlagen werden, auch wenn dieses „Schlagen“ je nach Auslegung zwischen Züchtigung und symbolischem Schlagen im Sinne von Ermahnung schwanken kann. Außerdem erben Söhne das Doppelte gegenüber den Töchtern.
Vor Mohammeds Zeit durfte ein Mann so viele Frauen haben, wie er wollte, doch mit dem Koran wurde die Polygamie (eigentlich Polygynie) auf maximal vier Frauen begrenzt. Dies hatte in erster Linie einen wirtschaftlichen Grund, denn welcher Mann kann schon mehr als vier Frauen ernähren? Außerdem gab es in der damaligen Gesellschaft nicht das Phänomen der weiblichen Singles. Nach Mohammeds Tod verschlechterte sich die Lage der Frau allerdings wieder. Die Scharia im Sinne der Rahmenbedingungen für das Leben der Gläubigen zeigt zwar positive und negative Dinge über Frauen auf. Dennoch werden meist nur die negativen Aspekte berücksichtigt. In der Neuzeit schließlich gelang es Theologen, Juristen und Literaten, die Stellung der Frau zu verbessern. Dabei geht es in erster Linie um Gleichberechtigung.
Ein wichtiger Punkt, der wahrscheinlich auch viele Schüler interessieren könnte, dem ein ganzer Unterabschnitt gewidmet ist, ist das Thema Schleier für die Frau in der islamischen Welt. Der weiblichen Kopfbedeckung ist darum ein ganzer Unterabschnitt gewidmet
Der Schleier eine vierfache Bedeutung.
1.     Er soll die Frau in der Öffentlichkeit als Muslima ausweisen.
2.     Er bezeichnet soziale und regionale Unterschiede, sowie Modeartikel.
3.     Moralische Schutzfunktion.
4.     Schleier als erotischer Ausdruck.
Auch das Thema der Beschneidung von Frauen (Klitoris-Beschneidung) wird in dem Religionsbuch angesprochen. Die eindeutige  Aussage des Buches ist, dass der Koran keine Frauenbeschneidung kennt!
Das letzte Kapitel, das ich noch ausführlicher ansprechen möchte, betrifft das Verhältnis von Islam, Judentum, Christentum zueinander.          
Das Kapitel beginnt mit dem Unterabschnitt  „Abrahamische Religionen“, in dem darauf hingewiesen wird, dass die drei monotheistischen Religionen, Islam, Judentum, Christentum, alle auf den Stammvater Abraham zurückzuführen sind. Dort wird zunächst einmal jede Religion für sich kurz beschrieben, um dann eine sachgemäße Verbindung herzustellen. Ähnlichkeiten und Unterschiede kommen zur Sprache.      
In den folgenden Unterabschnitten werden dann jeweils das Judentum und der Islam und das Christentum und der Islam gegenüber gestellt, wobei man hier erwähnen muss, dass der Unterschied zwischen Islam und Christentum viel mehr Gewichtung hat, bzw. es wird mehr auf Islam und Christentum, als auf Islam und Judentum eingegangen. Im Vergleich wird nicht nur die Sicht vom Islam auf das  Christentum, sondern auch die christliche Sicht auf den Islam beschrieben. Am Ende Kapitels werden dann noch einmal Auseinandersetzungen und Annäherungen detaillierter  aufgelistet.
Als Anhang bietet das Glossar Erklärungen zu wichtigen islamisch-arabischen Begriffe an.

Rz-Trutwin-Islam-TU-DO-Wise 2013-14 - 02.02.14   


Sonntag, 2. Februar 2014

Buch des Monats Februar 2014: Abbé Pierre - Wirkungen eines Glaubenden



Abbé Pierre: Memoiren eines unbeugsamen Christen.
Aus dem Französischen von Luigi Clerici.
Innsbruck-Wien: Tyrolia 2013, 176 S., Abb. --- ISBN 978-3-7022-3283-2 --- 
Französischer Originaltitel: "Mémoire d'un croyant". Paris: Fayard 1997



Ausführliche Beschreibung
Der aus einer reichen Lyoner Familie stammende katholische Priester Abbé Pierre (eigentlich Henri Antoine Grouès (1912-2007) ist auch in Deutschland durch 
die Emmaus-Bewegung (http://de.wikipedia.org/wiki/Emmaus_%28Organisation%29)
bekannt geworden. Er gründete sie 1949. Wie diese Initiative entstand, fasst Abbé Pierre so zusammen: „ … mit einem Vatermörder, dessen Suizid misslang, einer Familie mit zwei Papas, einem Ingenieur, der seine Industriellenfamilie gegen die Fremdenlegion eintauschte. Kurz, mit verwundeten Vögeln aller Art“ (S. 24). Zu dieser
internationalen Einrichtung gehören heute über 300 Gruppen und Gemeinschaften in 36 Ländern. Sie haben alle das Ziel, den Ausgegrenzten der Gesellschaft Heimat und Menschenwürde (zurück) zu geben.
Die Spannbreite der Arbeit reicht darum von der Bekämpfung der Obdachlosigkeit, über die Einrichtung von Schulen in Afrika, die Durchsetzung der Rechte für Straßenkinder in Lateinamerika, Engagement für die Palästinenser – bis hin zum Kampf gegen den weltweiten Frauenhandel. Als politisch Engagierter gehörte er von 1945 bis 1951 als Mitglied der Französischen Nationalversammlung an. Er mahnte immer wieder die Verbesserung der sozialen Bedingungen an und setzte sich intensiv um eine Ausweitung des sozialen Wohnungsbaues ein.
Das Leben das Abbé Pierre verlief von Anfang an höchst dramatisch. Unter diesem Decknamen arbeitete er im 2. Weltkrieg in der Résistance gegen die deutsche Besatzung und half vielen jüdischen Flüchtlingen, in die neutrale Schweiz zu kommen. Dass er nur knapp der Gestapo entrann und seinem Verräter nach Kriegsende sogar verzieh, gehört zu der erstaunlichen Glaubensgröße dieses Priesters (S. 147f).             Er bat 2005 schließlich darum, nicht mehr auf dieser Prominentenliste geführt zu werden.

Dass ein solcher, auch unbequemer Glaubenszeuge in der eigenen Kirche aneckt, muss nicht verwundern. Anstöße gibt es genug: Verhütung, Abtreibung, Homosexualität, Aids. So sparte Abbé Pierre auch nicht mit Kritik an Johannes Paul II., was dessen Kirchendisziplin und Sexuelle Moralvorstellungen betraf (S. 100). Zwar haben die Kirchenoberhäupter letztlich die kirchliche Lehre nie dem Irrtum preisgegeben. Aber für die Leitung der Kirche gilt: „Da ist der Heilige Geist nicht der Regent. Er assistiert zwar den legitimen Autoritäten, aber es war nicht er, der die Prälaten erleuchtete, als sie Galilei verurteilten!“ (S. 100f). Es muss auch nicht verwundern, dass der Priester für die Armen in seiner Kapitalismuskritik der lateinamerikanischen Theologie der Befreiung nahestand. Dom Helder Camara zählte zu seinen Freunden: „Für einen gläubigen Christen kann wirtschaftliche und politische Befreiung nie Selbstzweck werden, den man mit jedem möglichen Mittel betreibt. Wahre Befreiungstheologie ist die Befreiung von Ungerechtigkeit durch eine mächtigere Liebe“ (S. 108).

Es gibt glücklicherweise auch die andere Seite dieser Kirche, die sich liebevoll zur Gesellschaft hin öffnet und den sich den Armen, Verstoßenen, Behinderten und Flüchtlingen nicht nur mit wohlgesetzten Worten zuwendet. Eine beeindruckende Phase betrifft darum die Zeit, als der spätere Papst Johannes XXIII. Nuntius in Paris und auch der Beichtvater von Abbé Pierre war. Dies ereignete sich in den sozial unruhigen Jahren während der Parlamentstätigkeit des Abbé und dessen politischen Kampf gegen sie wachsende soziale Ungerechtigkeit, die sich am Rande der Großstädte besonders dramatisch zeigte.

Und es verwundert schließlich nicht, dass Abbé Pierre auch der interreligiösen Begegnung ausgesprochen zugetan war. Er beruft sich auf den berühmten französischen Orientalisten Louis Massignon (1883-1962), dem „Sucher nach dem Absoluten“. Der „sagte wohl zu Recht, dass der Islam die Religion des Glaubens, das Judentum die der Hoffnung, das Christentum die der Liebe sei“ (S. 85). Allerdings gaben und geben gerade die drei monotheistischen Religionen keineswegs immer ein glaubwürdiges Zeugnis ab. Sie lieferten immer wieder erschreckende Beispiele von Fanatismus und Brutalität. Also sollte man besser selbstkritisch vor der eigen Tür kehren, um somit den „Gotteskarikaturen“ z.B. eines Blutopfer fordernden Gottes und den fundamentalistischen „Glaubenskarikaturen“ entgegenzutreten.

Abbé Pierre setzt sich auch intensiv mit dem Tod auseinander[1], zumal er mehrfach in Todesgefahr war und auf einem sinkenden Schiff um Haaresbreite dem Tod entging (S. 141f). Ihn haben diese Erlebnisse ständig begleitet, so dass er den Tod als ein lange verschobenes Rendezvous mit einem Freund bezeichnen kann: (S. 143). Aber Abbé Pierre wäre nicht der in sich selbst Stimmige, wenn er nicht daran erinnern würde, dass angesichts des Todes Verantwortung vor Gott hier und jetzt beginnt: „Im Moment, da man aus dem Schatten tritt, um ins Licht zu gelangen, sieht man sich selber als den, zu dem man sich im Lauf des Lebens gemacht hat: entweder als einen solidarischen oder einen selbstsüchtigen Menschen“ (S. 144).

Es ist ein Glücksfall, dass Abbé Pierre auf Anraten seines Freundes Frédéric Lenoir (geb. 1962), einem bekannten Religionswissenschaftler, seine Memoiren niederschrieb. Schon im Vorwort blickt er zum einen in Dankbarkeit zurück, zum andern aber bittet er um Vergebung, weil er trotz seines ehrlichen Bemühens, in Liebe und Wahrheit gleichermaßen konsequent zu leben, doch Menschen verletzte. Dass er selbst oft auf das Übelste angegriffen wurde, solle am „Jüngsten Tag“ in die gegenseitige Vergebung einfließen. Auf diesem Hintergrund wird seine beeindruckende Lebensmotivation noch überzeugender:
„Als alter Mann endlich (warum sollte ich es verschweigen?), nach so vielem unermüdlichen Protestieren und Demonstrieren, Kämpfen und Polemisieren gegen eine selbstgenügsame bourgeoise Gesellschaft, die sich nicht um ihre schwächsten Glieder, die Besitzlosen, kümmern will, verlange ich je länger, desto intensiver nach Aussöhnung und Frieden“ (S. 9).
 
Der rastlose Kämpfer für Gerechtigkeit und Liebe für die Ausgegrenzten bleibt weiterhin ein leuchtendes Beispiel dafür, göttliche Liebe konsequent in menschlich-solidarische Tat umzusetzen.
Reinhard Kirste
                                        Rz-Abbe-Pierre-Memoiren, 31.01.14







[1]  Vgl sein Buch aus dem Jahr 1999 (deutsch 2012): „Was ist das der Tod?“: 
ttp://buchvorstellungen.blogspot.de/2012/07/buch-des-monats-august-2012-wahres.html