Mittwoch, 30. April 2014

Die Frage nach Gott im Kinderbuch



Oscar Brenifier und Jacques Després:
Was, wenn Gott einer, keiner oder viele ist?
Aus dem Französischen von Anja Kootz und Tobias Scheffel.
Stuttgart: Gabriel-Verlag (Thienemann) 2013, 32 S., Abb., Jugendsachbuch, geeignet für Kinder ab 12 Jahren
--- ISBN 978-3-522-30345-3 ---

Kurzrezension: hier


Ausführliche Beschreibung
Der algerische Philosoph und Schriftsteller Oscar Brenifier begann seine schriftstellerische Karriere 2010 mit dem Schreiben von philosophischen Leitfäden und Lebenswegweisern. Besonders bekannt für seine Literatur ist die Buchreihe „Philosophieren mit neugierigen Kindern“, in welcher Brenifier existentielle Fragen des Alltags und der Philosophie für Kinder erläutert bzw. seine kleinen Leser zum Fragen und Diskutieren anregt. All dies wird durch entsprechende bunte Illustrationen erläutert. Themen wie 'Ich – Was ist das?' oder: 'Leben – Was ist das?' knüpfen an die Diskussionen und Problemanalysen der großen philosophischen Denker an. So versucht Brenifier u.a. Sartres Existentialismus oder Platons Ideenlehre in seiner Buchreihe für Kinder greifbar zu machen und sie somit an die zentralen Fragen des menschlichen Lebens heranzuführen.


Das gleiche Konzept bzw. die gleiche Idee lässt sich in Brenifiers Werk „Was, wenn Gott einer, keiner oder viele ist?“ (‚La question de Dieu’) wieder erkennen. Das mit kurzen Texten untermalte Bilderbuch reflektiert bzw. erörtert auf kinderfreundliche Art und Weise die Frage nach Gottes Existenz. Es geht hierbei nicht darum, einen Gottesbeweis oder eine Gotteskritik zu formulieren, sondern vielmehr die sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen präsenten Fragen offen zu legen, wie beispielsweise ‚Ist Gott mächtig oder machtlos? Sind Gott und Allah identisch?’ So regt er generell zum Diskutieren und Nachdenken an.
In zwölf gegensätzlichen Illustrationen und Aussagen versucht Brenifier eine Aussage darüber zu treffen, was wir glauben bzw. nicht glauben und besonders wozu wir glauben. Dabei ist die Frage nach einem bestimmten Gott relativ unwichtig. Es geht vielmehr um ein individualisiertes Glaubensverhältnis jedes einzelnen. Man könnte sagen, dass sich der Ansatz einer Pluralistischen Religionstheologie (John Hick) zwischen den Seiten des Bilderbuches versteckt hält, denn egal welcher Religion man sich zuordnet, es lassen sich stets Elemente der betreffenden Glaubensrichtung in Brenifiers Aussagen und den zugeordneten Illustrationen wieder finden. Das Buch ist damit weder katholisch, noch evangelisch, weder schiitisch, noch sunnitisch, auch nicht humanistisch oder buddhistisch, sondern präsentiert sich als konfessionsübergreifendes religionsphilosophisches Kinderbuch.
Obwohl der Titel erst 2013 veröffentlicht wurde, hat Brenifiers “Bilderbuch“ bereits eine Vielzahl an Preisen gewonnen, so u.a. den Deutschen Jugendliteraturpreis und den Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis.
Betrachtet man die Lektüre im Detail, so lässt sich erkennen, dass sprachliche Präzision und gekonnt eingesetzte Schlichtheit dem Werk von Oscar Brenifier und Jacques Després einen einzigartig treffenden Charakter universeller Zugänglichkeit verleihen.
Die Illustrationen von Jacques Després ermuntern den Leser, sich auf eine Forschungsreise in eine andere und gleichzeitig vertraute Welt zu begeben. Die futuristisch wirkenden Bilder erzeugen durch klare Linien und eindringlich harte Farben eine laborartige, kalte Umwelt, die von uniformierten Gestalten in Ganzkörperanzug entdeckt und bevölkert wird. Zugleich erscheinen die von Després erschaffenen Wesen fremd und isoliert, aber auch von menschenähnlicher Natur, da sie mit ihrem Gesichtsausdruck neugierig fragen, bestimmend oder geheimnisvoll dreinblicken und sich dem Leser/Zuschauer in verschiedenen Rollen präsentieren. Mal abwesend, abseits und allein, dann wiederum bestärkend in Beziehung zu einander verbunden und mit aufmunterndem Zuspruch.
Das Geschick der Illustration besteht darin, dass die sprachlich treffend formulierten Gegensätze in eine ebenso treffende Bildsprache übertragen werden, indem die Bilder ähnlich einfach und konkret „sprechen“ wie die Texte. Der inhaltliche Gegensatz wird unter anderem durch farbliche Kontraste (schwarz und weiß) unterstützt. Passende Symbole (wie beispielsweise Licht klar gebündelt oder vielfach geteilt) veranschaulichen die Aussagen.
Darüber hinaus zeigen die Illustrationen den bewussten Einsatz eines Konzepts räumlicher Struktur, das Größenordnungen schafft und dadurch Gewichtungen in der Bedeutung stimmig mit dem Text verknüpft.
Inhaltlich gelingt es den Übersetzern Anja Kootz und Tobias Scheffel, das französische Original Oscar Brenifiers in ein konkretes, ansprechendes und recht genau formuliertes Deutsch zu übertragen.
Die Aussagen darüber, welche konträren Vorstellungen von Gott existieren, bestechen durch ihren einfachen und präzisen Charakter. Das Gesagte scheint universell nachvollziehbar, da Merkmale religiöser Eigenarten und Sichtweisen gegenübergestellt werden, ohne dabei wertend zu beurteilen oder konkrete Religionen oder Gruppierungen zu benennen. Die 12 formulierten Gegensätze begegnen sich mit einer Offenheit, die sich in allen Perspektiven gemeinsam finden: Sie wollen Antworten auf Fragen des menschlichen Lebens geben. Es ist die Suche nach diesen Antworten, die jeder Sichtweise bzw. Vorstellung ihre Berechtigung erteilt und die Sehnsucht des Menschen nach Erklärungen seines Selbst in der Welt in den Mittelpunkt stellt. Ein Vorzug liegt auch darin, dass der Text unterschiedliche Perspektiven und Herangehensweisen in Bezug auf Religion, Kultur und Freiheit zum Ausdruck bringt. Es wird implizit in den Vordergrund gestellt, dass der Mensch grundsätzlich eine Wahl- und Entscheidungsfreiheit über sein Denken besitzt. Damit regen die Worte zum Nachdenken, Zweifeln und zu einer Auseinandersetzung mit religiöser Vielfalt an. Auch auf das Konfliktpotenzial gegensätzlicher Weltanschauungen wird explizit hingewiesen, so dass menschliches Denken und Handeln in einen folgenreichen Zusammenhang gestellt wird.
Dadurch, dass keine Position über eine andere gestellt wird, verdeutlicht Brenifier die Komplexität der Fragestellung und die Grenzen menschlicher Problemlösungsfindung, da keine universell eindeutige Antwort gegeben werden kann. Richtig und falsch werden nicht gegeneinander gesetzt, sondern ein Diskurs, ein Nachdenken und „Sich-Austauschen“ wird angeregt. Gleichzeitig wird aber auch die Entfernung der einzelnen Positionen zum Ausdruck gebracht, die mitunter zu weit auseinander liegen, um sich in einer Art „Kompromiss“ treffen zu können.
Bilanz
Sowohl Text und Bild schaffen in ihrer Komposition einen sehr gelungenen, ansprechenden Zugang zu der Frage nach Gott, die eine Pluralität an Antworten eröffnet und diese gleichberechtigt nebeneinander stellt.
Allerdings fehlt ein Hinweis darauf, dass der gegenseitige Respekt und die Akzeptanz gegensätzlicher Denkweisen als grundlegende Haltung anzusehen ist. Nur so können Unterschiede in einem übergreifenden Zusammenhang zusammengebracht werden. Es wird nämlich nicht explizit erklärt, wie nun mit den unterschiedlichen Vorstellungen umgegangen werden soll. Es lässt sich im klassischen Sinn kein Fazit oder eine konkrete Handlungsanweisung ableiten, die beispielsweise darauf hinweisen könnte, dass die Vielfalt vom Austausch lebt, und zwar von einem Austausch auf respektvolle und anerkennende Art und Weise.
Die Lektüre spricht mit ihrer Fragestellung grundsätzlich eine altersübergreifende Zielgruppe an, wobei die inhaltlichen Aussagen von Kindern und Jugendlichen unter 12 Jahren wohlmöglich nicht hinlänglich erfasst werden können. Dennoch dient das Werk zur Inspiration und zur Legitimation religiöser Vielfalt und kann dementsprechend eingesetzt werden.
Die Übersetzung des französischen Titels (‚La question de Dieu’) in: ‚Was, wenn Gott einer, keiner oder viele ist?’ greift über eine wörtliche Übersetzung hinaus und nimmt dadurch inhaltlich etwas vorweg, was der Originaltitel so nicht benennt. Das erscheint jedoch nicht unpassend und erzeugt sprachlich eine interessante und reizvolle Fragestellung.
Rezension von Anna Cristina Paldino und Jost Benedikt Rudloff
im Rahmen des Seminars „Interreligiöse Horizonte“
TU Dortmund, Sommersemester 2014

Rz-Brenifier-Gott-TU-DO, 22.04.14  


Freitag, 18. April 2014

Interreligiöse Begegnungen: Gebete, Lieder, Besinnungen



Johannes Lähnemann / Religionen für den Frieden Nürnberg / Religions for Peace: Spiritualität multireligiös. 
Begegnungen der Religionen in Gebeten, Besinnungen, Liedern.
Berlin: EB-Verlag 2014, 184 S. --- ISBN 978-3-86893-129-7



Ausführliche Beschreibung 
Johannes Lähnemann (geb. 1941) gehört zu den Wegbereitern interreligiöser Begegnung, besonders im Bereich einer interkulturell offenen Religionspädagogik. Er hatte viele Jahre einen religionspädagogischen Lehrstuhl für Evangelischen Theologie der Universität Erlangen-Nürnberg inne. Mit den alle 2 Jahre stattfindenden Nürnberger Foren zog er international renommierte Referenten und Fachleute sowie religiös Interessierte und Engagierte in großer Zahl an. Seit 1988 leitet er die Nürnberger Gruppe „Religionen für den Frieden“, ist Mitglied am „Runden Tisch der Religionen in Deutschland“ und Chairman der „Peace Education Standing Commission“ von „Religions for Peace“ (früher WCRP – Weltkonferenz der Religionen). Das vorliegende Buch zeigt, dass ihm neben der wissenschaftlichen Vertiefung im Blick auf das interreligiöse Lernen gerade auch die spirituell-praktische Begegnung am Herzen liegt.

Bei der Begegnung mit Menschen anderen Glaubens wird sehr schnell deutlich, dass neben der Diskussion um Glaubensinhalte gerade Erfahrungen und auch Gefühle sehr wichtig sind. Sie kommen in Meditation und Gebet besonders intensiv zum Ausdruck. Wenn sich nun auf dieser Ebene Menschen zusammentun, macht sich bei allen Unterschieden eine große Gemeinsamkeit bemerkbar. Das hat dazu geführt, dass es seit vielen Jahren interreligiöse Gebete in einer ganzen Reihe von Städten gibt – nicht nur in Deutschland. Aber Johannes Lähnemann wäre nicht der sorgsam achtende Theologe, wenn er nicht auch Sorgen und Ängste im Zusammenhang dieser Gebete aufzeigte. Sie betreffen die Angst vor Religionsvermischung, Verleugnung des jeweiligen Wahrheitsanspruchs und gegenseitiger Vereinnahmung; und schließlich geht es um den Verdacht, hier solle nur eine religiöse Schau präsentiert werden (S. 28). Thematische Konzentrierung und „das offene authentische Einbringen des eigenen Glaubenszeugnisses“ (S. 31) sind ihm besonders wichtig. Darum redet Lähnemann lieber von „Spiritualität. Multireligiös“. Vielleicht aber schwingt hier doch zu viel theologische Abgrenzungs-Vorsicht mit, denn immer wieder zeigt die Erfahrung, dass sich VertreterInnen anderer Religionen gern und ohne jeden psychologischen Druck ein Stück weit in die fremde Religion hineinnehmen lassen, oder bewusst Gebete gemeinsam aus verschiedenen Traditionen heraus formulieren. Hier entstehen neue ungewohnte und bereichernde Erfahrungen im Blick auf die eigene Religion und über diese hinaus.
Wie dem auch sei, es lässt sich an den im Buch zusammengestellten 20 Gebetsstunden durchaus ahnen, inwieweit die dort meditierten und gebeteten Texte, die symbolischen Rituale sowie die musikalischen Klänge und gesungenen Lieder auch in einer anderen Religion verinnerlicht werden können. Das gilt auch für die Themen, die Menschen aller Glaubensformen und sicher auch vielen Nicht-Glaubenden zum Teil auf der Seele brennen.
Schon in der 1. Gebetsstunde von 1989 kommt der tief menschliche Wunsch zum Ausdruck, Gräben zu überwinden und Brücken zu bauen und setzt sich fort im Zusammenhang mit der Erinnerung an das 1. Friedensgebet in Assisi 1986, die interreligiöse Arbeit im Rahmen der Organisation „Religionen für den Frieden“ sowie in praktischen Nürnberger Pilgerwegen. So tut sich insgesamt eine Vielfalt von Themen auf: Buße-Umkehr-Reinigung des Geistes, religiöse Positionen gegen den Terrorismus, Bewahrung der Schöpfung und Schutz der Erde in mehreren Variationen, Schritte zur Gerechtigkeit, Gastfreundschaft, Friedensverantwortung, Beistand für die unterdrückten Gläubigen aller Religionen, Menschenrechte, Zukunft für unsere Kinder.
Aus solchen Begegnungen heraus ist 1992 auch „Die Nürnberger Erklärung der Religionen zur Bewahrung des Lebens“ entstanden. Dort heißt es u.a.: „In der Verschiedenheit unserer Bekenntnisse wissen wir uns doch verbunden in der >Ehrfurcht vor dem Leben< (A. Schweitzer) und in der Suche nach neuer Geschwisterlichkeit. … Erkennt, dass andere religiöse und ethnische Gruppen unter euch Reichtum, nicht Verarmung bedeuten. Die Beschneidung ihrer Rechte und Entfaltungsmöglichkeiten macht euer Leben ärmer … Im Bewusstsein der ganzen Vielfalt und Schönheit der belebten und doch so bedrohten Welt wollen wir mittragen an der Verantwortung für das Leben um uns und auf der ganzen Erde“ (S. 183.184)

An diesen seit 25 Jahren praktizierten Gebetsstunden wirk(t)en VertreterInnen aller großen Religionen mit. Sie sind darum zu Markierungs-Impulsen für die interreligiöse Begegnung geworden, die zugleich auch auf das gesellschaftliche Klima einer Stadt einwirken (können).
Das Buch der Nürnberger Gebetsstunden ist sehr praktisch ausgerichtet und bietet viele Anregungen, die dort präsentierten Texte und Anregungen auch für die eigene interreligiöse Arbeit zu übernehmen. Zur Erleichterung beim Auswählen dient auch ein ausführliches Inhaltsverzeichnis, so dass man leicht die einzelnen Materialien auffinden kann. Auch die theologische Vorbesinnung des Autors ist hilfreich, auch wenn der Rezensent die Akzente noch „interreligiöser“ setzen würde. Dennoch: „Spiritualität. Multireligiös“ kann hervorragend als Vademecum für die eigene auch öffentlich zu machende interreligiöse Praxis dienen.

Reinhard Kirste

Rz-Lähnemann-multirel, 16.04.14