Freitag, 11. Juli 2014

Gerechter Krieg? Gerechter Frieden!



Leopold Neuhold (Hg.): Frieden, Frieden, aber es gibt keinen Frieden.
Theologie im kulturellen Dialog Band 24.
Innsbruck/Wien: Tyrolia 2014, 193 S.
--- ISBN 978-3-7022-3198-9 --- 

Ausführliche Beschreibung: hier
Die hier präsentierten Beiträge wurden im Rahmen einer Vortragsreihe an der Karl-Franzens Universität Graz im Wintersemester 2011/2012 gehalten. Der Grazer Sozialethiker Leopold Neuhold, der das Buch herausgegeben hat, sieht die Intentionen in folgende Richtung gehen: Es geht beim Thema „Frieden“ nicht nur um Gewaltminimierung, sondern um die wirkende Wirklichkeit“ der Menschenrechte in unmittelbaren Bezug zur persönlichen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Welt(S. 11).

Die ebenfalls fast durchweg von der Universität Graz stammenden Autoren und Wissenschaftler gehen diese Aufgabe unterschiedlich an – mit theologiegeschichtlichen Bezügen und geografischen Verdeutlichungen und mehr grundlegenden Klärungsversuchen. Dabei werden kirchenkritische Anfragen nicht ausgeblendet.

Mit einer theologiegeschichtlichen Betrachtung zu den Friedensvorstellungen bei Augustinus zieht die Patristin Anneliese Felber bereits eine Grenzlinie, die Kriege systematisch einschränken müsste. Nur Ungerechtigkeit der Gegenseite „rechtfertigt“ einen Krieg als „ultima ratio“. Krieg bleibt dennoch ein Übel – auch unter den Bedingungen von Gerechtigkeit und Liebe. Das Christentum ist offensichtlich keine pazifistische Religion, weil die Meinung vorherrscht, mit der Anwendung von Gewalt, eine gestörte Friedensordnung letztlich doch herstellen zu können. 

Der Dogmatiker Bernhard Körner dagegen beschränkt sich auf den innerkirchlichen Streit, gerade weil nicht immer Glaubens-Motivationen im Spiel sind. Der Autor sieht allerdings im Konflikt eine bewusste Chance, wenn es um das gegenseitige Verstehen und die Suche nach der Wahrheit und nicht um deren Fixierung geht. Was hier für eine Konfession zutrifft, lässt sich am Islam verdeutlichen. Der Religionswissenschaftler Karl Prenner prüft dazu die Deutungs- und Handlungsmuster von Dschihad, die offensichtlich in der gegenwärtigen Situation weit auseinanderdriften. Darum ist es wichtig, sich auf den Koran zu beziehen, dabei allerdings die historischen Bedingtheiten seiner Entstehung sowie die Tradition (Hadithe) zu berücksichtigen. Sie spiegeln ein gegenteiliges Verständnis von dem, was die modernen „Dschihadisten“ mit ihrem Terror umsetzen. Wie diese Entwicklungen in der islamischen Welt ausgehen werden, ist angesichts des in diesen Ländern immer stärker werden Wunsches nach Freiheit und Lebenssicherheit derzeit nicht abzusehen.
Zu Krieg und Frieden in Bosnien-Herzegowina äußert sich in einer Rede vom Januar 2012 Valentin Inzko, der Hohe Repräsentant des Landes. Er hofft, dass gerade die Internationale Gemeinschaft verstärkt mithilft, den Frieden in diesem ehemaligen Teil Jugoslawiens zu konsolidieren.
Die Religionswissenschaftlerin Ulrike Bechmann mischt sich in das ausgesprochen heikle Thema eines Friedens im „Heiligen Land“ ein. Neben einem geschichtlichen Abriss im Kontext der politischen Veränderungen Europas im 19. Jahrhundert, des Antisemitismus und des Kolonialismus geht sie näher auf die Konfliktlinien, Grenzveränderungen und die Flüchtlingsproblematik seit 1967 ein. Neben der gewaltsamen Intifada zeigt sie Beispiele von Aktionen der Gewaltlosigkeit durch Kultur auf, wie sie an mehreren Orten in Palästina u.a in Jenin und Bethlehem, aber auch von jüdischen Friedensinitiativen in Israel und Europa praktiziert wird. Der Frieden ist allerdings weiterhin in große Ferne gerückt.

Ein immer wieder verhandeltes Thema – ähnlich dem Augustin-Beitrag von Anneliese Felber – ist die Frage nach dem „gerechten Krieg“. Der Fundamentaltheologe Christian Wessely geht in einem ersten Schritt auf die Anfänge der Kirche im 2. Jahrhundert ein, um von der Diskriminierungs- und Verfolgungssituation her die politische Neuorientierung des Christentums seit 313 (Mailänder Edikt) anzusprechen. Im zweiten und dritten Schritt untersucht er dann alttestamentliche und neutestamentliche Gewalt- und Kriegsvorstellungen, die ihren Bezugspunkt jeweils in der Gerechtigkeit Gottes haben. Skizzenhaft geht der Autor hier auf die Eschatologie der Johannesoffenbarung ein, um von daher einige „Streiflichter“ auf die Geschichte und Lehre der Kirche zu werfen. Die Konstitution „Gaudium et spes“ des Vaticanum II wird ihm dabei zum Leitmotiv, und zwar so, dass die faktisch auf Verteidigung eingeschränkte dogmatische Ausformung „von einem >gerechten Krieg< trotz ihrer langen Tradition in der Lehre der Kirche heute letztlich eine paradoxe und eigentlich unangebrachte ist“ (S. 137f). Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, führt der Autor jedoch nicht mehr aus.
Josef Pichler als Neutestamentler untersucht im Kontext von Lukas 2,14, wie die „Pax Romana“ des Augustus nach einem fast 100jährigen Bürgerkrieg im Römischen Reich von den Profiteuren dieses Friedens durchweg positiv bewertet wird. Die Unterdrückten erfahren dagegen deren Tod bringende Konsequenzen, wie die Eroberung Jerusalems und die Niederschlagung der letzten jüdischen Aufstände zeigen. Immerhin beschreibt Tacitus erstaunlich offen die Ausbeutermentalität der kaiserlich-römischen Politik. Das Lukasevangelium setzt gegen diese Haltung eine Friedensperspektive, die die Gewaltminimierung und damit soziale Wohlfahrt zum Leitziel erhebt (S. 161).

Den Abschluss dieser viele Aspekte berücksichtigenden Themenreihe bildet Leopold Neuholds Beitrag zur Problematik der „humanitären Intervention“. Sie bleibt faktisch militärische Aufforderung zur Verwirklichung der Menschenrechte als ultima ratio, wie dies westliche Demokratien und die UNO propagieren. Kann man aber Menschenrechte durch Verletzung der Menschenrechte durchsetzen? In der konkreten Situation scheint dies ein unausweichliches Dilemma zu sein, so dass wegen des engen Zusammenhangs von Gerechtigkeit und Frieden die Lehre vom „gerechten Krieg“ in eine Lehre vom „gerechten Frieden“ verwandelt werden muss. Diese nimmt die Ohnmacht Gottes im Zeichen der Gewaltlosigkeit ernst und bezieht darum in besonderer Weise die Opfer mit ein, aber nicht im Sinne des Faktischen, sondern so, dass Opfer künftig vermieden werden müssen.
Der pessimistische Titel des Buches (aus Jeremia 6,14) wirkt als beunruhigendes Steuerungselement durch alle Beiträge hindurch. Schaden abwehrende Lösungsansätze für einen gerechten Frieden scheinen an der konfliktbeladenen Realität der heutigen Welt zu scheitern.
Vielleicht wäre es insgesamt weiterführender gewesen, wenn Beispiele konsequenten Pazifismus und der christlichen Friedensbewegung sowie Praktiken der Gewaltlosigkeit wie die von Gandhi oder Martin Luther King in diesem Kontext intensiver bedacht worden wären.
Vgl. auch den weiteren von Leopold Neuhold herausgegbenen Band:
Muss arm sein? Armut als Ärgernis und Herausforderung. Theologie im kulturellen Dialog, Band 15. Innsbruck 2008

Rezension: hier
Reinhard Kirste

Rz-Neuhold-Frieden, 11.07.14 

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