Ruth Pfau: Leben ist anders. Lohnt es sich? Und wofür?
Bilanz eines abenteuerlichen Lebens
Freiburg u.a.: Herder 2014, 256 S. --- ISBN 978-3-451-33289-0 ---
Bilanz eines abenteuerlichen Lebens
Freiburg u.a.: Herder 2014, 256 S. --- ISBN 978-3-451-33289-0 ---
Ausführliche Beschreibung
Pakistan wird immer wieder von Terrormeldungen und Selbstmordattentaten erschüttert. Die Nachbarschaft zu Afghanistan macht dieses Land zu einem kontinuierlichen Unruheherd. Wenn jemand sein Leben in einer solchen Krisenregion einsetzt, dann muss dahinter eine unauflösliche Hoffnung und ein unerschütterliches Vertrauen stehen, das die Lebensbasis bestimmt. Die Ärztin Ruth Pfau (geb. 1929) hat diese Haltung als bewusste Christin in ihre Arbeit mit Leprakranken eingebracht. Durch ihren oft abenteuerlichen Kampf gegen den „Aussatz“ ist sie bekannt geworden und hat auch viele Ehrungen erhalten.
Pakistan wird immer wieder von Terrormeldungen und Selbstmordattentaten erschüttert. Die Nachbarschaft zu Afghanistan macht dieses Land zu einem kontinuierlichen Unruheherd. Wenn jemand sein Leben in einer solchen Krisenregion einsetzt, dann muss dahinter eine unauflösliche Hoffnung und ein unerschütterliches Vertrauen stehen, das die Lebensbasis bestimmt. Die Ärztin Ruth Pfau (geb. 1929) hat diese Haltung als bewusste Christin in ihre Arbeit mit Leprakranken eingebracht. Durch ihren oft abenteuerlichen Kampf gegen den „Aussatz“ ist sie bekannt geworden und hat auch viele Ehrungen erhalten.
In diesem Buch zieht sie
nun Bilanz, indem sie nach dem Sinn des
eigenen Lebens und nach dem Sinn eines (christlichen) Engagements für den
Nächsten fragt.
Ihre
Glaubensrichtung war zu Anfang noch keineswegs eindeutig und schwankte zwischen
Katholizismus und Protestantismus. Sie konvertierte schließlich zum
Katholizismus und trat 1957 in die
Kongregation der „Gesellschaft der Töchter vom Herzen der Maria“ ein. Es
handelt sich um einen Orden, der besonders in der Erziehung, der
Gesundheitsvorsorge und in der Sozialarbeit engagiert ist. Im Jahre 1960 – als
Frauenärztin auf dem Weg nach Indien – blieb sie gewissermaßen in Karachi
hängen. Die Begegnung mit Leprakranken in einem Elendsviertel dort wurde für
Ihr Leben bestimmend. Ihre Gründung des Marie
Adelaide Leprosy Centre (MALC) wurde schließlich in Pakistan zu einer
anerkannt herausragenden Gesundheitsinstitution. Als geschätzte Beraterin der
pakistanischen Regierung gelang es, die Lepra in Pakistan faktisch zu
beseitigen und dann ein Tuberkulose-Kontrollprogramm zu installieren. Hinzu kam,
dass sie durch die Begegnung mit Blinden in Gefängnissen auch die Blindenarbeit
intensivierte.
Die Ärztin und
Ordensschwester lässt nun bestimmte Ereignisse in ihrem Leben Revue passieren. Reichlich
gefährliche Situationen fließen immer wieder in ihre Reflexionen ein. Von der
Leitung ihres Krankenhauses MALC hat sie sich 2013 zurückgezogen. Das heißt
aber für sie keineswegs, nun in den „Ruhestand“ zu gehen.
„Man
kann immer etwas Sinnvolles tun. Irgendetwas. Man kann doch nicht einfach
zusehen. Natürlich: Es zwingt uns keiner. Man kann wegsehen. Man kann sich
weigern, sich auf solche Situationen überhaupt einzulassen. Aber mein Leben ist
das nicht. Deshalb also bin ich mit 83 noch einmal in die Behindertenarbeit
eingestiegen. Weil ich musste“ (S. 43).
Ihre
„Arbeit am Menschen“ hat je länger je
mehr auch eine interreligiöse Komponente
bekommen. Sie merkte gerade in dem von vielen religiösen und ethnischen
Spannungen geprägten Pakistan, wie schnell Hass und Gewalt aufkommen. Das traf
und trifft natürlich auch die christliche Minderheit im Lande. Ruth Pfau hat
immer größten Wert darauf gelegt, unbewaffnet zu sein, weil Waffen Konflikte
nur verschärfen (S. 160). Ihr liegt daran, immer wieder den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen. Ihre eigene
Gewaltlosigkeit und damit auch Verletzlichkeit macht sie oft nur durch kleine
Gesten überzeugend sichtbar. Dabei scheut sie nicht zurück, Ungerechtigkeiten
deutlich anzuprangern. Das betrifft gerade gesellschaftliche Zustände, wo
Reiche immer reicher und Arme immer ärmer werden und die von Gott gegebene
Menschenwürde mit Füßen getreten wird.
„Gemeinsamkeit,
konkretes Miteinander, gelebte Toleranz: in unserem Krankenhaus arbeiten
Schiiten, Sunniten, Christen, Hindus zusammen und ebenso auch im Außendienst.
>Khuda ka banda<, oder >Khada ki bandi> – wenn uns jemand aggressiv
nach unserer >Zugehörigkeit< ausfragt: >Wer bist du?!>, dann ist
die Antwort: >Von Gott erschaffen, was sonst?< Und in der gemeinsamen
Hingabe an den Kranken und Hilfsbedürftigen ist jeden Tag genügend Gelegenheit,
die Kostbarkeit jedes, jedes Menschen nicht nur zu reflektieren, sondern auch
zu leben. Und zu hoffen, dass sie diese Erfahrung gegen alle
menschenfeindlichen Tendenzen immunisiert. Das gilt für Karachi wie für Europa"
(S. 167).
Die
Bibel ist für sie tägliche
Lebensorientierung. Das schließt nicht aus, dass sie auch von Zweifeln geplagt
wird, gerade, was die Sinnhaftigkeit ihres Tuns betrifft. Gott bleibt der
schwer Verständliche. Hinzu kommen
theologische Hemmschwellen sowohl im Christentum wie im Islam. Oft wird
Behinderung als eine Folge der Sünde, als Fluch oder als das Einwirken böser
Geister ausgelegt. Dagegen setzt sie Jesus. Wie er mit den Kranken und
Ausgegrenzten umging, ist ihr immer wieder Mut machendes Vorbild. So erfährt
ihre Sicht des Glaubens eine theologische
Weitung und eine konfessionelle Entgrenzung. Wie gut ist es, dass sowohl im
Christentum wie im Islam Nächstenliebe
vorgeschrieben ist (S. 183). Die Unterschiede der Religionen bleiben, gerade
was den Kreuzestod Jesu betrifft oder den Umgang mit dem Leiden als Gottes
Fügung. Aber das respektvolle Miteinander wird dadurch keineswegs getrübt. Eine
solche Sicht ermöglicht vielmehr, die Heiligen des Alltags zu treffen und sich
mit ihnen verbunden zu wissen.
Und
wie steht es nun mit dem Sinn eines
solchen für Außenstehende beeindruckenden und erfüllten Lebens? Ruth Pfau
schreibt: „Das Leben bürdet Lasten auf. Die Einsamkeit wird größer, wenn man
sich dieser Wirklichkeit aussetzt. Wenn Sinn nicht sichtbar oder erfahrbar ist.
Ja, das Leben ist grausam, es ist dunkel und voller Leid … Ich stelle mich
trotzdem auf den Standpunkt: Das Leben kann nicht unsinnig sein. Ich verstehe
es nur nicht. Die Dunkelheiten sehen wir. Der Sinn wird geglaubt. Und ich bin
nach wie vor überzeugt: Das letzte Wort wird die Liebe sein“ (S. 240f). Eine
wichtige Antwort hatte sie schon zuvor gegeben: „Aber wenn man das Positive einmal
zulässt, dann wird es sich durchsetzen. Wenn nicht gleich im ersten Durchgang,
dann später“ (S. 211).
Angesichts
der brutalen Konflikte weltweit, aber auch im Zusammenhang mit den vielen
furchtbaren Anschlägen in Pakistan selbst, wird ihr Buch zu einem ermutigenden Friedenszeugnis. Diese Lebensbilanz
lädt zum helfenden Eingreifen ein, wo immer Menschen durch Krankheit, Armut
oder Verfolgung bedroht sind.
Reinhard Kirste
Rz-Pfau-Lepra, 31.12.14
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