Bärbel Beinhauer-Köhler,
Mirko Roth,
Mirko Roth,
Bernadette Schwarz-Boenneke
(Hg.):
(Hg.):
Viele Religionen –
ein Raum?! Analysen, Diskussionen
und Konzepte
ein Raum?! Analysen, Diskussionen
und Konzepte
Berlin: Frank & Timme 2015, 240 S.,
zahlreiche Abb.
--- ISBN 978-3-7329-0065-7 ---
Ausführliche Besprechung
Die
kulturellen Veränderungen in unserer Gesellschaft haben in den letzten Jahren
nicht nur immer stärker werdende Säkularisierungseffekte gebracht, sondern auch
neue religiöse Sicht- und Zugangsweisen. Dazu gehört ganz konkret inzwischen eine
beachtliche Zahl von Räumen der Stille, des Gebets und der Andacht, die nicht
nur für eine Kirche oder Konfession, sondern für alle Religionen offen sind. Die
Gestaltungsformen sind vielfältig und spiegeln wie in einem Brennglas
multireligiöse Markierungspunkte unserer Gesellschaft.
Ein gern besuchter Ort ist der schon seit 1994 existierende Raum der Stille am geschichtsträchtigen Brandenburger Tor in Berlin:
(vgl. den Bericht von K.-W. Tröger in RIG 8/2004).
Inzwischen haben sich viele
Krankenhäuser, Sportstadien, Parlamente, Flughäfen, Bahnhöfe, Universitäten ...
mit ihren Andachtsstätten allen Religionen geöffnet. In diesen Räumen der
Stille kommt der Respekt vor den anderen Glaubenstraditionen durch die
Ausgestaltung mit Bildern, Lichtinstallationen oder Symbolen zum Ausdruck.
Gespräche und spirituelle Begleitung sind möglich.
Das
vorliegende Buch reflektiert eine Tagung vom Juli 2013 an der Universität
Marburg. Sie behandelte Fragen, die durch verstärkte Interessen an Religion(en)
besonders wichtig werden:
Welchen Stellenwert haben (multi-)religiöse Räume insgesamt? Aus welchen
Gründen wurden/werden solche Räume eingerichtet? Ist es nur der Raum für eine
Religion, aber offen für andere Glaubensweisen? Sollen mehrere unterschiedliche
Räume in einem „Haus der Religionen“ sein? Soll der Raum „leer“ sein oder mit
Symbolen der Religionen versehen werden? Wie stellt man sinnvolle Regeln
gemeinsamer Nutzung eines multireligiösen Raumes auf?
Als
Herausgeber des Bandes zeichnen zwei Religionswissenschaftler von der
Universität Marburg verantwortlich, Bärbel
Beinhauer-Köhler und Mirko Roth
sowie Bernadette Schwarz-Boenneke, die als Leiterin des „Trialogs der Kulturen“
mitwirkte. Hier handelt es sich eine interreligiöse Initiative der
Herbert-Quandt-Stiftung mit dem Schwerpunkt auf Schulen. Bernadette
Schwarz-Boenneke hebt bereits in der Einleitung die grundsätzliche Motivation
hervor, Räume der Stille einzurichten:
„Der Raum soll allen offen stehen, unabhängig von Konfession, Religion oder
Weltanschauung. Angesichts des zunehmenden Bewusstseins für die
weltanschauliche und religiöse Vielfalt in Deutschland werden diese so
genannten Räume der Stille als Möglichkeit gesehen, dieser Vielfalt Platz zu
geben, einen Begegnungsraum zu schaffen und – so in einigen Fällen die Intention
– den Dialog zu fördern“ (S. 7).
Die Tagungsstruktur aufnehmend, werden folgende Themenfelder
angesprochen:
- Reflexionen: Machtstrukturen, Konfliktfelder, Nutzungskonzepte
- Raumtypen: Institutionen auf der Suche nach religiösen Gemeinschaftsräumen
- Einblicke: Räume zwischen den Religionen in Deutschland und der Schweiz
- Ausblick: Weg-Orientierungen für religiös plurale Räume
Im 1. Teil stellt der
Soziologe Markus Schroer (Universität
Marburg) ein wenig mit Erstaunen fest, wie der Einfluss einer bestimmten Religion
im Umgang mit sakraler Architektur und der Gestaltung multireligiöser Räume nicht
im Vordergrund bleibt. Während die klassischen Kirchen oft in säkulare Räume
(aus-)wandern, kommen die Künste verstärkt in religiöse Räume. Insgesamt muss die
Begegnung mit anderen Religionen in multireligiösen Räumen als Herausforderung
gesehen werden, nämlich, wie sich die eigene Religion vermittelt und
präsentiert, insbesondere in welcher Weise Religionen solche Räume (auch
gemeinsam) nutzen. Die von dem Sozialwissenschaftler Alexander-Kenneth Nagel (Universität Bochum) eingebrachte religionssoziologische
Perspektive weist anhand von Beispielen aus dem Ruhrgebiet auf die Ambivalenz
multireligiöser Innen-Räume hin: Kontaktzone, Spannungsfeld oder gar
konfessionelle Abgrenzungsmuster? Die Mitherausgeberin Bärbel Beinhauer-Köhler zieht indische Beispiele aus der Geschichte
des Subkontinents heran, ferner den Raum der Stille im UNO-Gebäude New York sowie
das Baha’i-Haus der Andacht in Hofheim-Langenhain. Solche Örtlichkeiten können
Anlass für religiöse Konflikte sein, aber auch als offene Erfahrungsräume mit
entsprechenden (gestalterischen) Arrangements. Besonders schön wirkt das
Beispiel der ev. Kirche in Mümling-Grumbach (Hessen) mit dem dort innen eingebauten
vorchristlichen Matronenstein. Ute
Verstegen, Archäologin und Kunstgeschichtlerin (Universität Marburg) befragt
die Geschichte heiliger Orte. Das betrifft z.B. die Konfliktfelder des
Jerusalemer Tempelberges, der Grabeskirche oder des indischen Ayodhya. Aber es
gibt auch gemeinsame Verehrungsorte von Christen und Muslimen, die in unmittelbarem
Zusammenhang mit Maria, der Mutter Jesu, stehen. Besonderheiten bilden in der
Geschichte sog. Zweiraumkirchen für den byzantinischen und lateinischen Ritus
und mitteleuropäische „Simultankirchen“ in nachreformatorischen Zeit.
Im 2. Teil werden die
bisher mehr grundsätzlich angesprochenen Themen hinsichtlich der Raumtypen vertieft.
Das führt die im interreligiösen Lernen engagierte Alina Bloch (Universität Kassel) vor, und zwar durch Raum- und
Konzeptbeschreibungen ausgewählter Schulen mit ihren Räumen der Stille (Schulen
in Riedstadt, Darmstadt, Marsberg). Wesentlich scheinen die Aspekte des
Zur-Ruhe-Kommens und des (inter-)religiösen Feierns zu sein. In der Hektik des
Schulalltags haben sich solche Räume in besonderer Weise bewährt. Ich würde
dies durchaus „Tankstelle oder Rastplatz für die Seele“ nennen (vgl. S. 121). Stephanie Matthias (Universität
Hannover) schaut sich mit einer ähnlichen Motivation Räume der Stille an säkular
geprägten Universitäten an. Der angestrebten weltanschaulichen Offenheit
solcher Räume der Besinnung steht jedoch die faktische Wahrnehmung einer
religiösen Prägung gegenüber. Interessant ist darum nicht nur die Ausrichtung
des Hauses der Stille an der Universität Frankfurt/M., sondern auch die Stille-Räume
an den Universitäten Paderborn, Oldenburg (nicht mehr existierend) und Hannover.
Sie zeigen eine religiöse „Verdichtung“ allerdings nicht in konfessioneller Prägung.
Die Berechtigung solcher Räume an einer Hochschule bleibt offensichtlich
strittig, wie der Rezensent für die TU Dortmund bestätigen kann, weil die
Universitätsleitung aufgrund ihrer bewusst säkularen Ausrichtung solche Räume
offiziell an der Universität ablehnt.
Im 3. Teil geht es
schließlich um die Darstellung einzelner
Räume in Deutschland und der Schweiz, eine vielfältige höchst interessante
Auswahl, in der nun ausführlich Rudolf
Steinberg, von 2000–2008 auch Präsident der Goethe-Universität Frankfurt,
das „Haus der Stille“ auf dem Westend-Campus
vorstellt. Ihm folgt Gerda
Hauck-Hieronimi, die Koordinatorin des Hauses
der Religionen in Bern. Hier haben sich seit 2013 die Aktivitäten und der
Dialog zwischen den dort beheimateten acht Weltreligionen erweitert und
vertieft. Die offizielle Eröffnung konnte am 14.12.2014 gefeiert werden (vgl. die
Homepage https://www.haus-der-religionen.ch/de/europaplatz).
Dagegen ist das Bet- und
Lehrhaus Berlin: The House of One noch in der Planungsphase (ein Entwurf
diente den Herausgebern als Buchcover). Die theologisch Verantwortlichen der
Kirchengemeinde St. Marien – St. Petri, Gregor
Hohberg und Roland Stolte, stellen
vor, wie die drei Abrahamsreligionen in Räumen nebeneinander zu Hause sein
sollen. Zugleich kann der der leere Mittelraum ein Begegnungsforum bilden. Wie
man dazu ein baulich stimmiges Konzept umsetzen will, erläutert der mitverantwortliche
Architekt Wilfried Kuehn.
Schließlich kommt – von Bärbel
Beinhauer-Köhler und dem international erfahrenen Betriebswirt Christian Meyer – die besondere
Situation des Frankfurter Flughafens zur Sprache, und zwar mit den einzelnen Gebetsräumen
für Juden, Christen und Muslime, also faktisch ein religiöses Nebeneinander in
den Terminals. Eine bisher einmalige Besonderheit bildet die entwidmete
katholische Kirche in Taunusstein, die der Bestattungsunternehmer Wortmann
gekauft und zu einem bewusst multireligiösen Raum umgebaut hat. Christa Frateantonio,
Religionswissenschaftlerin mit Schwerpunkt Bestattungskultur (Universität
Marburg) beschreibt hier die Möglichkeiten von Trauerfeiern für Menschen
unterschiedlichster Glaubensweisen und Weltanschauungen.
Der Ausblick im 4. Teil von Bärbel Beinhauer-Köhler ist der
Versuch einer thesenartigen Zwischenbilanz, die angesichts unterschiedlicher,
divergierender, aber auch auf bewusstes Miteinander ausgelegten Konzepte und Realisierungen
erste Orientierung geben kann. Der Weg zum religiös pluralen Raum in einer
säkularen Gesellschaft bietet viele Möglichkeiten und Stolpersteine. Darum sind
klare Funktionszuweisungen, sorgsame Beachtung im Blick auf die Nutzer und
mediatorische Begleitinstrumente nötig, um Missverständnisse, Ärger und
Schwellenängste abzubauen bzw. zu verhindern.
Die Tagung in Marburg selbst brachte durch die Darstellung und
Diskussion vieler (inter-)religiöser Initiativen und Besinnungsorte in den
Workshops neben den zentralen Veranstaltungen noch ein weit umfassenderes Bild ein,
wie der Rezensent selbst erleben konnte. Die Fragestellung „Viele Religionen –
ein Raum?! wird also weiterhin zu intensiver Beschäftigung anregen und nötigen.
Die von den Herausgebern vorgelegte und systematisierende Zusammenstellung mit
ausgewählten Beispiel-Orten und wichtigen erläuternden Fotos ist ein
entscheidender Schritt, dieses Thema im Sinne eines friedlichen Zusammenlebens
von Menschen unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen voranzubringen.
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Verlagsinformation des Titels, Hg.: Reinhold Bernhardt / Verena Grüter (TVZ 2019) - Lernorte – kulturell, religiös, interreligiös >>>
Reinhard
Kirste
Rz-Beinhauer-religiöser-Raum, 31.03.15 , mehrfach überarbeitet: 30.07.2019
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