Joseph Marko / Wolfgang Schleifer (Hg.):
Staat und Religion.
9. Fakultätstag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz,
16. Mai 2014.
Graz: Leykam 2014, 305 S. --- ISBN 978-3-7011-0308-9 ---
Staat und Religion.
9. Fakultätstag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz,
16. Mai 2014.
Graz: Leykam 2014, 305 S. --- ISBN 978-3-7011-0308-9 ---
Kurzrezension: hier
Ausführliche Beschreibung
Als kontinuierliche Herausforderung, Chance und Spannungsfeld erweist sich das Verhältnis von Staat und Religion(en) in der modernen (säkularen) Gesellschaft. Mit der verstärkten Einwanderung von Muslimen in westliche Gesellschaften hat dieses Thema oft unerwartete, ungewöhnliche und für viele beunruhigende Perspektiven erfahren.
Als kontinuierliche Herausforderung, Chance und Spannungsfeld erweist sich das Verhältnis von Staat und Religion(en) in der modernen (säkularen) Gesellschaft. Mit der verstärkten Einwanderung von Muslimen in westliche Gesellschaften hat dieses Thema oft unerwartete, ungewöhnliche und für viele beunruhigende Perspektiven erfahren.
Von daher war der interdisziplinär angelegte 9.
Fakultätstag der Juristischen Fakultät der Universität Graz der Versuch,
Strukturlinien im komplexen Zusammenhang von Staat und Religionen
aufzuzeichnen. Der Titel war bezeichnend: „100 Jahre Islamgesetz in Österreich.
Scharia und säkularer Rechtsstaat – ein unlösbarer Widerspruch?“
In der
Bilanz des Studientages heißt es: „Staat, Recht, Politik und Religion stehen
seit jeher in einem untrennbaren Zusammenhang. Migrationsbewegungen führten in den
letzten Jahrzehnten wieder zu einer Zunahme der politischen Bedeutung der
Religionen und warfen eine Vielzahl brisanter Fragen auf. Welchen Umfang hat
das Recht auf Religionsfreiheit? Wann kippt Meinungsfreiheit in Blasphemie? Wie
begegnet die Arbeitswelt religionsspezifischen Thematiken wie (z.B.) religiösen
Feiertagen? Inwieweit ist die Anwendung der Scharia durch österreichische
Gerichte erlaubt?“
Damit
thematisiert dieser Band zugleich das Thema der Religionsfreiheit. Das Attentat auf die französische Satirezeitschrift
„Charlie Hebdo“ am 7. Januar 2015 hat weitere Gewalttaten in asiatischen und
afrikanischen Ländern sowie in Dänemark zur Folge gehabt. Immer wieder treten
dadurch „der“ Islam und seine Rechtsverständnisse in den medialen Mittelpunkt.
So ist es den beiden Herausgebern von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät,
dem Staats- und Verfassungsrechtler Joseph
Marko und dem Rechts- und Translationswissenschaftler Wolfgang Schleifer zu danken, dass sie die Vielfältigkeit des
Themas weit über die engeren juristischen Zusammenhänge hinaus durch diese
Publikation einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen.
Da die
hier dokumentierte Konferenz durch Plenumsvorträge und Arbeitskreise geprägt
war, hat sich eine vielfältige und doch klar strukturierte Themenübersicht
ergeben, so dass man die Anstöße durch die Plenumsvorträge und die Ergebnisse
der Arbeitskreise als wichtigen Baustein für eine interreligiöse Praxis werten
kann.
I. Die Themenfelder der Plenarveranstaltung umfassten sowohl aktuelle Entwicklungen des
Religionsrechts als auch (unterschiedliche) Erfahrungen von Gerichten mit
islamischem Privatrecht in Österreich (Richard
Potz und Wilhelm Posch, Universitäten Wien und Graz). Die Einsichten in
multikulturelle und multireligiöse Veränderungen der Gesellschaften Europas in
Geschichte und Gegenwart sowie islamische-theologische Begründungen bieten
genügend Möglichkeiten, keine religiöse Grenzen aufzurichten, sondern davon
auszugehen, dass „die Erde Gottes keine Grenzen kennt“ (S. 65). Gerade religiöse
Menschen sind von ihren Glaubensgrundlagen gehalten, gesellschaftliche
Verantwortung zu übernehmen (Christian
Joppke und Ednan Aslan,
Universitäten Bern und Wien). Angesichts der Elastizität liberaler
Institutionen Europas kann man eigentlich davon ausgehen, dass mit den
Religionen der Einwanderer wirklich fair umgegangen wird (S. 61). Der
soziologisch orientierte Pastoraltheologe Paul
Michael Zulehner (Universität Wien) lenkte mit der Frage: „Wie säkular ist
die österreichische Gesellschaft?“ wieder in das Alpenland zurück. Seine
Ergebnisse im Blick auf veränderte Eheverständnisse bzw. Familienbilder nötigen
gerade die katholische Kirche zu einer „Modernisierung“ (S. 78) trotz
erheblicher Beharrungsversuche konservativer Kreise. Österreichische
Umfrageergebnisse lassen sich unter Berücksichtigung jeweiliger Besonderheiten
anderer Länder durchaus als typisch für West- und Mitteleuropa einschätzen.
Schließlich gehören Partnerschaftsprinzip und Gleichberechtigung von Mann und
Frau inzwischen zu den säkularen Basiswerten, wie besonders im Arbeitskreis
über Familienkonzepte betont wurde.
II. Die sieben Arbeitskreise (AK) repräsentierten die
Vielfalt der diskutierten Beiträge. Hier seien nur einige Schwerpunkte
herausgehoben, ohne auf die Impulsgeber im Einzelnen einzugehen. Im AK
„Moderne Familienkonzepte, Familienrecht und Religion“ (1) standen neben Fragen der Rechtsgeschichte das islamische
Familienrecht mit seinen praktischen Auswirkungen – gerade im Blick auf
Österreich – im Zentrum. Dies wurde besonders beim Thema Jungen-Beschneidung deutlich.
Das zeigt die Debatte um die Strafbarkeit dieses Eingriffs und die inzwischen
geltende Rechtssicherheit in Deutschland seit 2013 (S. 110ff, Thomas Schoditsch, Universität Graz). Im
Grunde noch heiklere Themen behandelte der AK „Blasphemie!“ (2). Nicht nur
Russland anlässlich der Aktionen der Gruppe Pussy Riot kam in den Fokus,
sondern auch die Schieflage der Blasphemiegesetze
in der Türkei zugunsten des Islam und gegen die anderen Religionen. Allerdings
haben auch Europa und die USA angesichts von Redefreiheit und öffentlichem Protest Probleme. Das gilt für die
sog. Hassprediger und Beleidiger im Zusammenhang mit dem Blasphemieverständnis,
aber auch für öffentliche Proteste an Orten, die sich als Schauplatz besonders medienwirksam
eignen. Die zurückhaltenden polizeilichen und strafrechtlichen Reaktionen, die
das Kölner Domkapitel immer wieder bei Gottesdienststörungen zeigte, mögen hier
als pragmatischen Lösungsansatz dienen. Das Thema Jungen-Beschneidung wurde schon im Rahmen des AK über Familienrecht angesprochen und tauchte wieder unter der
Vorgabe des Selbstverständnisses der Gläubigen auf. Hier muss der nicht leichte
Ausgleich zwischen Kindeswohl und Elternrecht getroffen werden. Den Schwerpunkt
auf den Islam legte der AK „Religionsfreiheit im Strafrecht“ (3). Die
Gerichte und Urteilsbegründungen der Richter stehen allerdings vor besonderen
Schwierigkeiten, wenn es um die religiös begründete (Voll-)Verschleierung oder
religiös bekräftigte Eidesformeln geht. Aber auch beim
Zeugnisverweigerungsrecht von Seelsorgern einer Religionsgemeinschaft sind um
der Strafaufklärung willen die Grenzen dieses Rechts besonders auszuloten. Am
Beispiel einer Demonstration mit Djihad-Flaggen kommt die Typik für westliches
Rechtsdenken zum Ausdruck: Es muss nämlich immer die anti-demokratische und
ggf. auch terroristische Motivation nachgewiesen werden (S. 164).
Nicht
minder schwierige Fragen hatte der AK „Staat Macht Religion – Religion Macht
Staat“ (4) zu bewältigen. Die Wechselfälle dieser Spannungsbögen zeigt
die Rechtsgeschichte. Sie wurde hier an Neuerungen im Staatskirchenrecht im
Blick auf das neue „Israelitengesetz“ und im Kontext der (österreichischen)
„Kirchenverträge“ verdeutlicht. Der AK „Verfassungsrechtliche und politikwissenschaftlichen
Aspekte des Verhältnisses von Religion und Recht“ (5) zeigte die Zurückhaltung von Rechtsäußerungen in der Europäischen
Union, wenn es um Religion geht. Das hängt damit zusammen, dass die EU keine
eigene Religionsidee entwickelte. Und noch einmal taucht die Jungenbeschneidung auf, dieses Mal in
europa- und völkerrechtlicher Perspektive, und zwar im AK „Religionsfreiheit“ (6),
der unter dem Gesichtspunkt des Schutzbedürfnisses von Gläubigen dazu
Entscheidungen und Tendenzen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte
in Straßburg und internationales Recht in den Blick nahm. Weiter individuelle
und gesellschaftliche Beispiele in diesem Kontext waren islamische
Bekleidungsvorschriften und die Geltung der (kooperativen) Religionsfreiheit im
Arbeitsrecht bis hin zu Feiertagsregelungen. Die letztere wurde erst im
AK „Religion/Religionsgemeinschaft/Kirche und Arbeitsrecht“ (7) verhandelt. Hier ging es länderspezifisch um Österreich und die Türkei mit Blick einerseits auf die Ausübung religiöser Praxis und andererseits um die „Erbringung einer Arbeitsleistung“ beim Arbeitgeber (katholische) Kirche oder einer anderen Religionsgemeinschaft. Weil Kirchen und Religionsgemeinschaften sehr stark durch ehrenamtliches Engagement geprägt sind, muss man u.U. das Verhältnis Arbeitgeber – Arbeitnehmer anders beurteilen als in säkularen Einrichtungen. Es muss allerdings auch bedacht werden, warum die Kirchen den Streik für ihre MitarbeiterInnen ablehnen.
AK „Religion/Religionsgemeinschaft/Kirche und Arbeitsrecht“ (7) verhandelt. Hier ging es länderspezifisch um Österreich und die Türkei mit Blick einerseits auf die Ausübung religiöser Praxis und andererseits um die „Erbringung einer Arbeitsleistung“ beim Arbeitgeber (katholische) Kirche oder einer anderen Religionsgemeinschaft. Weil Kirchen und Religionsgemeinschaften sehr stark durch ehrenamtliches Engagement geprägt sind, muss man u.U. das Verhältnis Arbeitgeber – Arbeitnehmer anders beurteilen als in säkularen Einrichtungen. Es muss allerdings auch bedacht werden, warum die Kirchen den Streik für ihre MitarbeiterInnen ablehnen.
III. Schließlich werden die Ergebnisse der Arbeitskreise im Buch zusammenfassend präsentiert.
Die Stimmungslage in den recht facetteneichen und lebhaften Diskussionen ist
offensichtlich durch herausragende Einführungen der AK-Referenten geprägt
worden. Sie markieren recht unterschiedlich die keineswegs einfache Balance von
demokratischem Staat und Religion(en) bzw. öffentlich wirkender Glaubenstradition.
Im AK „Verfassungsrechtliche und
politikwissenschaftliche Aspekte“ scheint mir das sehr schön auf den Punkt
gebracht zu sein: „Es kann … weder um die Wiederaufnahme noch Zulassung
vorneuzeitlicher religiöser Missionierungsversuche mit jeweils absolut
gesetztem Wahrheitsanspruch noch um die Etablierung einer staatlich verordneten
>Zivilreligion< gehen. Vielmehr bedarf es einer Ausgestaltung des
Religionsrechts, das Religion im öffentlichen Raum weder aggressiv ablehnt noch
>tolerant< ignoriert, sondern ein >religionsfreundliches
Trennungskonzept< im Bewusstsein dessen verwirklicht, dass auch der
liberal-demokratische Staat … nicht selbst die Werteressourcen generieren kann,
die er für sein Funktionieren und damit das Zusammenleben der Menschen, die
guten Willens sind, bedarf …“ (S. 290).
Bilanz: Mit der Aufbereitung
der Ergebnisse aus dem 9. Rechtswissenschaftlichen Fakultätstag der Universität
Graz ist der Spannungsbogen von Staat und Religion so abgeschritten worden,
dass zum einen die verschiedenen Entwicklungen des Religionsrechts zur Sprache
kamen; zum andern kann im Zusammenhang mit dem Islam für die Leser/innen
manches Vorurteil über das islamische Recht und die Scharia positiv korrigiert
werden. Insgesamt ist durch die Verbindung von Rechtstheorie und religiöser
Praxis bei der Darstellung durch die Mitwirkenden faktisch ein
Orientierungsbuch entstanden. Von hier aus bietet es sich an, auch weiter anstehende
Fragen im Sinne einer Werteordnung zu lösen, die auf der Basis des
freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates steht und sich zugleich kompatibel
mit religiös geprägten Rechtsvorstellungen zeigt. Insofern bietet dieses Buch
wichtige Anreize für die weitere Ausgestaltung des Rechts in
multikulturellen und multireligiösen Gesellschaften.
Reinhard Kirste
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