Sonntag, 3. Mai 2015

Erneut im Fokus: Martin Riesebrodt - Kult und Ritual als Heilsweg



Martin Riesebrodt: Cultus und Heilsversprechen.
Eine Theorie der Religionen.
München: C.H. Beck 2007, 316 S., Register
--- ISBN 978-3-406-56213-6 ---


Religion ist auf einmal wieder ein Thema, nicht nur aufgrund päpstlicher Auftritte bei großen Events, sondern auch im Blick auf Suchbewegungen nach Sinn und Orientierung in einer Welt, bei der es schwerer wird, Gesamtzusammenhänge noch zu erkennen. Die neuen Gottesleugner und Analytiker einer Vergiftung der Welt durch Religion bevölkern die Talkshows der Fernsehsender. Da greift man gern zu einem Buch, das offensichtlich davon ausgeht, dass Religion Bestandteil menschlicher Kultur ist und bleibt, wie auch immer diese Religion sich im einzelnen ausfächern mag.

Martin Riesebrodt ist von Hause aus Religionssoziologe, was übrigens manche Länge des Buches auch erklären mag. Er ist Professor an der Universität von Chicago und lehrt auch an der Theologischen Abteilung. Seine Forschungsschwerpunkte sind klassische Gesellschafts- und Religionstheorien, sowie Fragen des Fundamentalismus. Von daher hat er sich natürlich ausführlich mit Max Weber beschäftigt.
Nun erwartet den Leser mit diesem neuen Buch auch keine aktualisierte Religionsdebatte, sondern der Versuch einer Religionstheorie, die allerdings sehr sorgsam die verschiedenen Zeitströmungen weltweit beobachtet. So macht Riesebrodt zuerst deutlich, dass man auf den Religionsbegriff nicht verzichten sollte: „Aus meiner Sicht macht der Religionsbegriff als Handlungsbegriff aber Sinn und ist unentbehrlich“ (S: 23). Nach einer solchen pragmatischen Festlegung, setzt er sich mit der post-kolonialen Kritik des Religionsbegriffs auseinander, um schließlich wiederum fast pragmatisch auf die sozialen Bezüge der Religion aufmerksam zu mach en und „Religion“ von daher zu rechtfertigen. So braucht er sich auch nicht damit auseinanderzusetzen, ob der eher westlich geprägte Religionsbegriff für die östlichen Religionen passend ist oder nicht. Viel interessanter sind Inkulturationsprozesse, die zur gegenseitigen Anpassungen von religiösen Norm- und Wertesystemen führen, was sich in China konfuzianistisch-christlich zeigt, in Indien unter Akbar politisiert wurde und auf der Seidenstraße im Rahmen von Handel und Wirtschaft erfolgte.
Nachdem also im 1. Kapitel der Autor Religionsdiskurse und Religionskritik hat Revue passieren lassen und er im 2. Kapitel soziale Rahmenbedingungen von Religion aufgezeigt hat, folgen im 3. Kapitel die wissenschaftlichen Imaginationen mit ihren jeweiligen theologischen, politischen, sozialen, psychologischen, neurologischen, ökonomischen Konnotationen. So führt der Autor bereits an dieser Stelle die Perspektivenvielfalt von Religion und Religionen vor. In den weiteren Kapiteln geht er dann ihren Schwächen und Stärken nach, um von daher seine eigene Religionstheorie zu entwickeln.
Ohne sich für Religion im Entferntesten zu begeistern, folgt im 4. Kapitel Religionserklärung im Sinne eines Grundrisses, dem im 5. Kapitel die Praktiken und Rituale folgen. Dann setzt Riesebrodt im 6. Kapitel mit den radikalen Heilslehren und Heilspraktiken im Sinne asketischer Virtuosität den Schwerpunkt, und zwar von den traditionalen Religionen bis hin zu den großen Weltreligionen. Von daher kritisiert er deren Logik religiöser Virtuosen, weil sie sich auf Mächte beziehen, die Unheil abwehren und Heil spenden können (S. 209f).
Im 7. Kapitel durchleuchtet der Autor religiöse Propaganda, und zwar an den Beispielen: Konversion, Erleuchtung Messianität und Prophetie. Diese Begriffe spielt er an den monotheistischen Religionen, aber auch an den ostasiatischen Traditionen durch, um ihre Funktion im Sinne von Krisenbewältigung aufzuzeigen.
Hat die Religion überhaupt noch eine Zukunft? So fragt er schließlich im 8. Kapitel, um dann zu einem wiederum recht pragmatischen Ergebnis zu kommen: Wie sich Religion auch immer darstellt, es wird sie immer geben, sie lässt sich instrumentalisieren, abwandeln, aber sie ist für die moderne Gesellschaft ein Teilaspekt, der sich immer wieder umgestalten wird. Angesichts des derzeit immer wieder aufs Neue ausgerufenen „Kampfes der Kulturen“ entwickelt Riesebrodt darum eine Religionstheorie, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Er erzeugt damit eine sympathische Perspektive. Die unterschiedlichsten Kulturen haben zwar mit dem Kultus und ihren Heilsversprechen für jedermann und jederfrau Orientierungsmarken gesetzt, aber eben auch nicht mehr. Weniger sieht Riesebrodt dabei die Gefahr von Repression und Unterdrückung, obwohl Religion eben auch Unheil kultiviert hat und immer wieder kultivieren kann.
Riesebrodt gehört zu denjenigen Religionswissenschaftlern, die den Säkularisierungsschub in den westlichen Gesellschaften für keineswegs bedrohlich für die Religion halten, obwoh leider gilt: „die ‚Leitkultur’ ist nicht mehr christlich, sondern eher kapitalistisch“ (S. 248) …
Nun hat sich Riesebrodt schon längst mit Religionstheorien beschäftigt und bestimmte Ausprägungen entsprechend untersucht oder mit anderen diskutiert, wie z.B. sein mit Clemens Six und Siegfried Haas herausgegebener Band „Religiöser Fundamentalismus. Vom Kolonialismus zur Globalisierung“ (Innsbruck u.a.: Studienverlag 2005) zeigt. Bei religiösen Ansprüchen sollte eben nicht verschwiegen werden, dass es noch andere Bedürfnisse und Interessen gibt, die nicht in die Komplexität von Unheil, Krise und Heil gehören. So ist  für Riesebrodt Religion im gesellschaftlichen Kontext durchaus oft hilfreich, aber nicht das non plus ultra aller Lebensentwürfe.
Angesichts manch überbordender religiöser Tendenzen in Vergangenheit und Gegenwart ist diese Zurückhaltung Riesebrodts angenehm. So sichert die Entzauberung der Heilsansprüche das anthropologische Gegengewicht, um so jegliche Absolutheit von Religionsverständnissesn abzuwehren.
Reinhard Kirste
Rz-Riesebrodt., 21.12.07, bearb. 02.05.15

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