Mittwoch, 1. Juli 2015

Buch des Monats Juli 2015 - die dialogische Herausforderung Martin Bubers



Karl-Josef Kuschel: Martin Buber –
seine Herausforderung an das Christentum
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Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2015, 363 S.
(mit einer „Nachlese“ in eigener Sache)


--- ISBN 978-3-579-07086-5 ---


Ausführliche Beschreibung
Der katholische Theologe Karl-Josef Kuschel (geb. 1948) hat in Verbindung mit dem Weltethos-Projekt von Hans Küng und im Sinne einer Ökumene der Religionen auch „trialogische“ Schwerpunkte gesetzt. In besonderer Weise hat er dazu auch Schriftsteller und Dichter mit einbezogen. Er verdeutlicht damit, wie umfassend Dialog wirklich ist und wie die Gottesfrage in vielen Abschattungen die Theologen, Literaten und Dichter gleichermaßen bewegt. Mehr zum religionsökumenischen Denken Kuschels: hier     

So verwundert es eigentlich nicht, wenn Kuschel sich im 50. Todesjahr von Martin Buber (1878–1965) diesem bedeutenden jüdischen Philosophen und Theologen widmet. Bereits ein erster Blick in das Buch zeigt, dass hier  nicht einfach eine chronologisch-biografische Darstellung vorliegt. Vielmehr richtet Kuschel die Linse auf den Gesamtduktus des Werks und damit auch auf die deutlich erkennbare Herausforderung für das Christentum, die durch Buber geschieht. Das betont der Autor schon in der Einleitung: „In diesem Buch geht es darum, die Einzelfragen in das Ganze von Bubers Gottes- und Religionsverständnis einzuordnen, sie von der Mitte seines Denkens her zu verstehen“ (S. 29f). Bubers wichtige Lebensereignisse sind dabei geschickt mit den Äußerungen in seinen Schriften verwoben.
Angesichts der von Buber immer wieder herausgehobenen jüdischen Identität ergibt sich auf der einen Seite eine deutliche Abgrenzung von christlichen Bekenntnissen und Vereinnahmungen, auf der andern Seite auch eine Herausforderung an ein assimiliertes deutsches Judentum. Die Arbeit an der Übersetzungsarbeit der hebräischen Bibel (mit Franz Rosenzweig bis zu dessen Tod 1929, vollendet 1961 in Jerusalem) ist dafür ein beeindruckendes Werk (vgl. S. 281–288). Diese Identitätsbestimmungen Bubers werden schließlich zu einem entscheidenden Faktor ehrlicher christlich-jüdischer Begegnung. So kann Kuschel die distanzierte und deutlich kritische Beurteilung des Christentums durch Buber durchaus positiv sehen. Denn es ist dringend geboten, deutlich auf die Christentumsgeschichte in ihrer Abgrenzungsmentalität gerade gegenüber dem Judentum zu verweisen und jüdische Vorbehalte ernst zu nehmen.
Immer wieder tauchen natürlich in der Gesamtdarstellung wichtige (christliche) Gesprächspartner Bubers auf, besonders natürlich bei den „Gottes- und Religionsgesprächen“ (Kap. VIII), so etwa Leonard Ragaz und Hans Urs von Balthasar oder nach dem 2. Weltkrieg Karl Heinrich Rengstorf, Otto Michel und Fridolin Stier. Die Leser werden aber auch mit dem Antijudaismus und der Arroganz des christlichen Bibelexegeten Gerhard Kittel konfrontiert (Kap. IX). Der Christ weiß besser als der Jude, wie das Alte Testament zu verstehen sei ... (S. 175–180). Es mutet schon seltsam an, dass Kittel versuchte, Martin Buber als eine Art Bundesgenossen für eine solche Haltung zu gewinnen (S. 181–184). Dagegen erfährt Buber von Rudolf Bultmann und Ernst Lohmeyer echte Solidarität.
Kuschel hebt durch die entsprechenden Belege bei Buber immer wieder heraus, wie dessen belastende Kindheitserlebnisse im damals polnischen Lemberg und Vergegnung“ und „Fremdandacht“ statt Begegnung  (Kap. I). Wirkungsgeschichtlich konsequent thematisiert der Autor im Kap. II die antijüdische und antisemitische Zeitstimmung im Blick auf die Päpste, besonders des 18./19. Jahrhunderts und ordnet hier auch den protestantischen Antisemitismus seit Luther ein. Bubers Reaktion zeigt sich in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg in einer starken jüdischen „Selbstemanzipation“ und der Annäherung an Theodor Herzls Verständnis des Zionismus. Aber Buber plädiert stärker für einen „Kulturzionismus“. Dieser ist etwas anderes als ein jüdischer Nationalismus: Darum stellt Buber Israel als Bundesvolk Gottes mit politischen und sozialen Konsequenzen in den Vordergrund (S. 57 und 58).
Entscheidend wirkt sich Bubers Begegnung mit der chassidischen Spiritualität aus (Kap. III), einer „eigentümlichen Form von Mystik“ (S. 69). Sie bedeutet zugleich eine Erneuerung der Religion von innen heraus. Sie steht gegen Gesetzesfrömmigkeit, also gegen Halacha und Gottesdienstrituale (S. 80). Damit plädiert er für die „Seelenkraft des Judentums“ (Prager Reden 1909/10). In den Anfängen des Christentums sieht er darum ein „Urjudentum“ (Kap. IV). Dieses verflüchtigt sich aber leider schnell, und es entsteht eine Mischung „aus tausend Riten und Dogmen“ (S. 83). In dieser Auseinandersetzung – geradezu am Nazarener und seiner Bewegung exemplifiziert – zeigt sich das jüdische Selbstbewusstsein Bubers. Er wehrt sich dagegen, dass das Judentum christlich vereinnahmt wurde und wird. Bubers Bild von Jesus und Paulus lebt von diesem Gegensatz. Darauf geht Kuschel in Kap. V. ausführlich ein. So grenzt sich der jüdische Religionsphilosoph scharf von der Missdeutung der Lehre Jesu ab – für Jesus – gegen das Christentum. Paulus, dem Theologen der frühen Kirche, wird Buber wohl nicht in jeder Hinsicht gerecht.
Zugespitzt zeigt sich die fundamental-theologische Auseinandersetzung im Jesus, der nicht der Messias sein kann (Kap. VI):Für Buber erscheint Jesu Messianität zurückblickend im Schatten eines höchst fragwürdigen >Messias<, der am Ende vom jüdischen Glauben abfallen wird“ (S. 115). Aber Buber ist bei aller Hervorhebung der Differenzen zugleich Dialogiker (Kap. VII/VIII). Das zeigt sein berühmt gewordenes anthropologisches Konzept zur Sphäre des „Zwischen“ auf dem Weg von der „Vergegnung“ (s. Kap. I) zur Begegnung. Das ist beeindruckend dokumentiert in „Ich und Du“ (1923) sowie in „Zwiesprache“ (1929/1932) [vgl. Kap. VII, S. 127-144]. Kuschel geht darum auf den Bruderkuss mit dem Christen Florens Christian Rang 1914 in Potsdam besonders ein (S. 142–144).
Die drei letzten Kapitel (X–XIII) zeigen Buber als dialogischen Menschen, der auf die Andersheit des Anderen pocht und den Streit um das wahre Israel noch keineswegs für geklärt hält (vgl. die Herausgabe der „Ekstatischen Konfessionen“, bereits 1909 und die posthume Zusammenstellung in „Das dialogische Prinzip“, 1973 bzw. 1984). Wichtig aus jüdischer Sicht ist jedoch, dass der Bund Gottes mit Israel ungekündigt bestehen bleibt. Beim Ev. Kirchentag 1961 haben jüdische und christliche Theologen mit der „Arbeitsgemeinschaft Christen und Juden“ (S. 226f) von diesen Überlegungen her ein maßgebliches Zeichen gesetzt. Der Rezensent war damals als junger Theologiestudent dabei, als Helmut Gollwitzer dort für die Notwendigkeit einer Christologie frei von (jeglichem noch so verdecktem) Antijudaismus plädierte und vehement für einen Dialog auf soteriologisch gleicher Ebene mit dem Judentum plädierte. Das haben die Kirchen erst nach und nach in ihren Denkschriften einigermaßen verinnerlicht, wirklich hervor-ragend bis heute der Beschluss der Ev. Kirche im Rheinland 1980 (S. 227). Damit wurden Maßstäbe für den christlich-jüdischen Dialog gesetzt, hinter die man eigentlich nicht zurückgehen kann. „Begegnung im Dialog schließt für Buber die Verpflichtung von Juden und Christen ein, um die jeweils erkannte Wahrheit Gottes noch zu ringen“ (S. 229).
Ausgesprochen aufschlussreich ist der sich hier anschließende kurze Exkurs zu Karl Ludwig Schmidt, dessen ursprüngliche Judenmissionstheologie ihn weder an der Ablehnung des Nationalsozialismus hinderte noch an der intensiven Weiterarbeit zum Verhältnis Kirche und Judentum. (S. 230f).
Die Bilanz angesichts der „zwei Glaubensweisen“ Christentum und Judentum fällt für Buber ziemlich kritisch aus (Kap. XI). Innerhalb dieser kritischen Sichtung des Christentums – gerade im Blick auf den Nationalsozialismus – leuchten wenige Wissenschaftler solidarisch mit ihm hervor, so Rudolf Bultmann, Albert Schweitzer, Rudolf Otto und Leonard Ragaz (S. 240).
Nun kommt neben den grundsätzlichen Überlegungen auch noch die Erfahrung der Emigration im Frühjahr 1938 hinzu. Glücklicherweise musste er die Verwüstung seines Hauses in Heppenheim während der Pogromnacht desselben Jahres nicht mehr miterleben.
Das Exil in Jerusalem bedeutete für Buber jedoch eine weitere Herausforderung und zugleich die politische Probe auf sein Zionismuskonzept. Seine Erfahrungen gipfeln enttäuschend in der nicht zustande kommenden Verständigung mit den Arabern. Bubers Kulturen verbindendes Zionismusverständnis schien ja einen Ausgleich möglich zu machen, aber er musste statt hebräischem Humanismus nun israelischen Nationalismus erleben (S. 246). Die Verständigung zwischen zwei Völkern und Religionen, ein Herzensanliegen Bubers ist faktisch gescheitert – politisch und religiös. Und wie sieht es mit den Christen aus?
Wenn in den Äußerungen des alt gewordenen Bubers das oft zitierte Wort von Jesus als dem großen Bruder (S. 252) ins Blickfeld des christlich-jüdischen Dialogs rückt, so mahnt Kuschel zur Vorsicht: Es handelt sich nicht um eine Bestätigung des Glaubens an Christus, sondern um ein brüderlich-aufgeschlossenes und Wert schätzendes Verhältnis zu Jesus (S. 253.261f). Da gibt es keine „Vergottung“ Jesu. Auch geht es nicht an, Gott durch den Christusglauben zu ersetzen (S. 267). Die Problematik des von Buber getadelten „Paulismus“ bleibt eine Schwierigkeit im Dialog der beiden monotheistischen Religionen. Darum ist die nicht zu überhörende Einladung Bubers besonders wichtig, dass sich die Christen auf die jüdischen Wurzeln ihres Glaubens besinnen (S. 317), denn Israel ist „unersetzbar und unvertretbar Gottes Volk“ (S. 317).
Mit einem eher persönlichen gehaltenen Epilog Kuschels endet das Buch: Besuche Bubers in Tübingen und überhaupt die Rückkehr des Vertriebenen nach Deutschland. Den 1953 an Buber verliehenen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels sah dieser als Signal seiner Verständigungsbemühungen in Wort und Schrift an. Es sind Signale, die für das Gespräch zwischen Juden und Christen zu den entscheidenden Orientierungsmarken gehören.
Es ist Karl-Josef Kuschel zu danken, die dialog-historische Bedeutung Bubers so deutlich und weiterführend herausgearbeitet zu haben.

Reinhard Kirste

Rz-Kuschel-Buber, 30.06.15  

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