Karl-Josef Kuschel: Martin Buber –
seine Herausforderung an das Christentum.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2015, 363 S.
(mit einer „Nachlese“ in eigener Sache)
--- ISBN 978-3-579-07086-5 ---
seine Herausforderung an das Christentum.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2015, 363 S.
(mit einer „Nachlese“ in eigener Sache)
--- ISBN 978-3-579-07086-5 ---
Ausführliche Beschreibung
Der katholische Theologe Karl-Josef Kuschel (geb. 1948) hat in Verbindung mit dem Weltethos-Projekt von Hans Küng und im Sinne einer Ökumene der Religionen auch „trialogische“ Schwerpunkte gesetzt. In besonderer Weise hat er dazu auch Schriftsteller und Dichter mit einbezogen. Er verdeutlicht damit, wie umfassend Dialog wirklich ist und wie die Gottesfrage in vielen Abschattungen die Theologen, Literaten und Dichter gleichermaßen bewegt. Mehr zum religionsökumenischen Denken Kuschels: hier
Der katholische Theologe Karl-Josef Kuschel (geb. 1948) hat in Verbindung mit dem Weltethos-Projekt von Hans Küng und im Sinne einer Ökumene der Religionen auch „trialogische“ Schwerpunkte gesetzt. In besonderer Weise hat er dazu auch Schriftsteller und Dichter mit einbezogen. Er verdeutlicht damit, wie umfassend Dialog wirklich ist und wie die Gottesfrage in vielen Abschattungen die Theologen, Literaten und Dichter gleichermaßen bewegt. Mehr zum religionsökumenischen Denken Kuschels: hier
So verwundert es eigentlich
nicht, wenn Kuschel sich im 50. Todesjahr von Martin Buber (1878–1965) diesem bedeutenden
jüdischen Philosophen und Theologen widmet. Bereits ein erster Blick in das Buch
zeigt, dass hier nicht einfach eine chronologisch-biografische
Darstellung vorliegt. Vielmehr richtet Kuschel die Linse auf den Gesamtduktus des
Werks und damit auch auf die deutlich erkennbare Herausforderung für das
Christentum, die durch Buber geschieht. Das betont der Autor schon in der Einleitung: „In diesem Buch geht es
darum, die Einzelfragen in das Ganze von Bubers Gottes- und
Religionsverständnis einzuordnen, sie von der Mitte seines Denkens her zu
verstehen“ (S. 29f). Bubers wichtige Lebensereignisse sind dabei geschickt mit
den Äußerungen in seinen Schriften verwoben.
Angesichts
der von Buber immer wieder herausgehobenen jüdischen Identität ergibt sich auf
der einen Seite eine deutliche Abgrenzung von christlichen Bekenntnissen und
Vereinnahmungen, auf der andern Seite auch eine Herausforderung an ein
assimiliertes deutsches Judentum. Die Arbeit an der Übersetzungsarbeit der hebräischen Bibel (mit Franz Rosenzweig bis zu dessen
Tod 1929, vollendet 1961 in Jerusalem) ist dafür ein beeindruckendes Werk (vgl.
S. 281–288). Diese Identitätsbestimmungen Bubers werden schließlich zu einem
entscheidenden Faktor ehrlicher christlich-jüdischer Begegnung. So kann Kuschel
die distanzierte und deutlich kritische Beurteilung des Christentums durch
Buber durchaus positiv sehen. Denn es ist dringend geboten, deutlich auf die
Christentumsgeschichte in ihrer Abgrenzungsmentalität gerade gegenüber dem
Judentum zu verweisen und jüdische Vorbehalte ernst zu nehmen.
Immer
wieder tauchen natürlich in der Gesamtdarstellung wichtige (christliche)
Gesprächspartner Bubers auf, besonders natürlich bei den „Gottes- und Religionsgesprächen“ (Kap. VIII), so etwa Leonard Ragaz und Hans Urs von Balthasar oder
nach dem 2. Weltkrieg Karl Heinrich Rengstorf, Otto Michel und Fridolin Stier.
Die Leser werden aber auch mit dem Antijudaismus und der Arroganz des
christlichen Bibelexegeten Gerhard
Kittel konfrontiert (Kap. IX).
Der Christ weiß besser als der Jude, wie das Alte Testament zu verstehen sei ...
(S. 175–180). Es mutet schon seltsam an, dass Kittel versuchte, Martin Buber
als eine Art Bundesgenossen für eine solche Haltung zu gewinnen (S. 181–184). Dagegen
erfährt Buber von Rudolf Bultmann und Ernst Lohmeyer echte Solidarität.
Kuschel hebt durch die
entsprechenden Belege bei Buber immer wieder heraus, wie dessen belastende
Kindheitserlebnisse im damals polnischen Lemberg und „Vergegnung“ und
„Fremdandacht“ statt Begegnung (Kap. I).
Wirkungsgeschichtlich konsequent thematisiert der Autor im Kap. II die antijüdische und
antisemitische Zeitstimmung im Blick auf die Päpste, besonders des 18./19.
Jahrhunderts und ordnet hier auch den protestantischen Antisemitismus seit
Luther ein. Bubers Reaktion zeigt sich in den Jahren vor dem 1. Weltkrieg in
einer starken jüdischen „Selbstemanzipation“ und der Annäherung an Theodor
Herzls Verständnis des Zionismus. Aber Buber plädiert stärker für einen „Kulturzionismus“. Dieser ist etwas
anderes als ein jüdischer Nationalismus: Darum stellt Buber Israel als
Bundesvolk Gottes mit politischen und sozialen Konsequenzen in den Vordergrund
(S. 57 und 58).
Entscheidend wirkt
sich Bubers Begegnung mit der chassidischen
Spiritualität aus (Kap. III),
einer „eigentümlichen Form von Mystik“ (S. 69). Sie bedeutet zugleich eine
Erneuerung der Religion von innen heraus. Sie steht gegen Gesetzesfrömmigkeit, also
gegen Halacha und Gottesdienstrituale (S. 80). Damit plädiert er für die
„Seelenkraft des Judentums“ (Prager Reden 1909/10). In den Anfängen des Christentums sieht er darum ein „Urjudentum“ (Kap. IV). Dieses verflüchtigt sich aber
leider schnell, und es entsteht eine Mischung „aus tausend Riten und Dogmen“
(S. 83). In dieser Auseinandersetzung – geradezu am Nazarener und seiner
Bewegung exemplifiziert – zeigt sich das jüdische Selbstbewusstsein Bubers. Er
wehrt sich dagegen, dass das Judentum christlich vereinnahmt wurde und wird. Bubers
Bild von Jesus und Paulus lebt von
diesem Gegensatz. Darauf geht Kuschel in Kap.
V. ausführlich ein. So grenzt sich der jüdische Religionsphilosoph scharf
von der Missdeutung der Lehre Jesu ab – für Jesus – gegen das Christentum. Paulus,
dem Theologen der frühen Kirche, wird
Buber wohl nicht in jeder Hinsicht gerecht.
Zugespitzt zeigt sich
die fundamental-theologische Auseinandersetzung im Jesus, der nicht der Messias sein kann (Kap. VI): „Für Buber
erscheint Jesu Messianität zurückblickend im Schatten eines höchst fragwürdigen
>Messias<, der am Ende vom jüdischen Glauben abfallen wird“ (S. 115). Aber
Buber ist bei aller Hervorhebung der Differenzen zugleich Dialogiker (Kap. VII/VIII). Das zeigt sein berühmt
gewordenes anthropologisches Konzept zur Sphäre des „Zwischen“ auf dem Weg von
der „Vergegnung“ (s. Kap. I) zur Begegnung. Das ist beeindruckend dokumentiert
in „Ich und Du“ (1923) sowie in „Zwiesprache“ (1929/1932) [vgl. Kap. VII, S.
127-144]. Kuschel geht darum auf den Bruderkuss mit dem Christen Florens
Christian Rang 1914 in Potsdam besonders ein (S. 142–144).
Die drei letzten Kapitel (X–XIII) zeigen Buber als dialogischen Menschen, der auf die
Andersheit des Anderen pocht und den Streit um das wahre Israel noch keineswegs
für geklärt hält (vgl. die Herausgabe der „Ekstatischen Konfessionen“, bereits
1909 und die posthume Zusammenstellung in „Das dialogische Prinzip“, 1973 bzw.
1984). Wichtig aus jüdischer Sicht ist jedoch, dass der Bund Gottes mit Israel
ungekündigt bestehen bleibt. Beim Ev. Kirchentag 1961 haben jüdische und
christliche Theologen mit der „Arbeitsgemeinschaft Christen und Juden“ (S.
226f) von diesen Überlegungen her ein maßgebliches Zeichen gesetzt. Der
Rezensent war damals als junger Theologiestudent dabei, als Helmut Gollwitzer dort
für die Notwendigkeit einer Christologie frei von (jeglichem noch so verdecktem)
Antijudaismus plädierte und vehement für einen Dialog auf soteriologisch
gleicher Ebene mit dem Judentum plädierte. Das haben die Kirchen erst nach und
nach in ihren Denkschriften einigermaßen verinnerlicht, wirklich hervor-ragend
bis heute der Beschluss der Ev. Kirche im Rheinland 1980 (S. 227). Damit wurden
Maßstäbe für den christlich-jüdischen Dialog gesetzt, hinter die man eigentlich
nicht zurückgehen kann. „Begegnung im Dialog schließt für Buber die
Verpflichtung von Juden und Christen ein, um die jeweils erkannte Wahrheit
Gottes noch zu ringen“ (S. 229).
Ausgesprochen
aufschlussreich ist der sich hier anschließende kurze Exkurs zu Karl Ludwig Schmidt, dessen ursprüngliche
Judenmissionstheologie ihn weder an der Ablehnung des Nationalsozialismus
hinderte noch an der intensiven Weiterarbeit zum Verhältnis Kirche und
Judentum. (S. 230f).
Die Bilanz angesichts der „zwei Glaubensweisen“ Christentum und
Judentum fällt für Buber ziemlich kritisch aus (Kap. XI). Innerhalb dieser kritischen Sichtung des Christentums –
gerade im Blick auf den Nationalsozialismus – leuchten wenige Wissenschaftler
solidarisch mit ihm hervor, so Rudolf Bultmann, Albert Schweitzer, Rudolf Otto
und Leonard Ragaz (S. 240).
Nun kommt neben den
grundsätzlichen Überlegungen auch noch die Erfahrung der Emigration im Frühjahr
1938 hinzu. Glücklicherweise musste er die Verwüstung seines Hauses in
Heppenheim während der Pogromnacht desselben Jahres nicht mehr miterleben.
Das Exil in Jerusalem bedeutete
für Buber jedoch eine weitere Herausforderung und zugleich die politische Probe
auf sein Zionismuskonzept. Seine Erfahrungen gipfeln enttäuschend in der nicht
zustande kommenden Verständigung mit den Arabern. Bubers Kulturen verbindendes Zionismusverständnis
schien ja einen Ausgleich möglich zu machen, aber er musste statt hebräischem
Humanismus nun israelischen Nationalismus erleben (S. 246). Die Verständigung
zwischen zwei Völkern und Religionen, ein Herzensanliegen Bubers ist faktisch
gescheitert – politisch und religiös. Und wie sieht es mit den Christen aus?
Wenn
in den Äußerungen des alt gewordenen Bubers das oft zitierte Wort von Jesus als
dem großen Bruder (S. 252) ins Blickfeld des christlich-jüdischen Dialogs
rückt, so mahnt Kuschel zur Vorsicht: Es handelt sich nicht um eine Bestätigung
des Glaubens an Christus, sondern um ein brüderlich-aufgeschlossenes und Wert
schätzendes Verhältnis zu Jesus (S. 253.261f). Da gibt es keine „Vergottung“
Jesu. Auch geht es nicht an, Gott durch den Christusglauben zu ersetzen (S.
267). Die Problematik des von Buber getadelten „Paulismus“ bleibt eine
Schwierigkeit im Dialog der beiden monotheistischen Religionen. Darum ist die
nicht zu überhörende Einladung Bubers besonders wichtig, dass sich die Christen
auf die jüdischen Wurzeln ihres Glaubens besinnen (S. 317), denn Israel ist
„unersetzbar und unvertretbar Gottes Volk“ (S. 317).
Mit einem eher
persönlichen gehaltenen Epilog Kuschels endet das Buch: Besuche Bubers in
Tübingen und überhaupt die Rückkehr des Vertriebenen nach Deutschland. Den 1953
an Buber verliehenen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels sah dieser als
Signal seiner Verständigungsbemühungen in Wort und Schrift an. Es sind Signale,
die für das Gespräch zwischen Juden und Christen zu den entscheidenden Orientierungsmarken
gehören.
Es ist Karl-Josef
Kuschel zu danken, die dialog-historische Bedeutung Bubers so deutlich und
weiterführend herausgearbeitet zu haben.
Reinhard Kirste
Rz-Kuschel-Buber, 30.06.15
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen