Dienstag, 17. November 2015

Das Erbe des 2. Vatikanischen Konzils: Wirkungen und Visionen



Lieven Boeve / Mathijs Lambergts /
Terrence Merrigan (eds.):
The Contested Legacy of Vatican II. Lessons and Prospects.

Louvain Theological & Pastoral Monographs,
vol. 43.

Leuven (B): Peeters 2015, XVII, 225 S.
--- ISBN 978-90-429-3206-7 ---

Ausführliche Beschreibung
Das 2. Vatikanische Konzil gehört zu den großen kirchenreformerischen Aufbrüchen in der Katholischen Kirche., Es hat bis heute auch erhebliche Wirkungen auf die anderen Konfessionen. Mit der Erklärung „Nostra Aetate“ wurden der Umgang und die Begegnung mit anderen Religionen wegweisend. Die Kirche öffnete sich, um den Dialog auf ein neues Fundament von Hochachtung und Respekt zu stellen und so den anderen religiösen Traditionen auch Teilhabe an der göttlichen Wahrheit zuzugestehen.
50 Jahre danach lohnt darum ein Rückblick, besonders was den entscheidenden Anstoß betrifft, den Papst Johannes XXIII. mit dem Wunsch nach aggiornamento gab und der in der Pastoralkonstitution „Gaudium et Spes“ seinen aktuellen Ausdruck fand. Den Herausforderungen der Moderne wollte man nicht mit den alten dogmatischen Versatzstücken begegnen. Es galt vielmehr die Zukunft des christlichen Glaubens und der (Katholischen) Kirche zu bedenken und für eine sich rasch ändernde Welt vorzubereiten. Das hatte geradezu visionäre Kraft.

Was ist daraus geworden? 2014 erschien in der Reihe „Theologie im kulturellen Dialog“ des Tyrolia-Verlags eine Art vorläufige Bilanz, vorgetragen und veröffentlicht im Rahmen der Universität Graz. Sie trägt den nachdenklichen Titel: Zerbrechlich und kraftvoll. Christliche Existenz nach dem Zweiten Vatikanum. Rezension: http://buchvorstellungen.blogspot.de/2015/07/das-2-vatikanische-konzil-und-seine.html
Es ist erstaunlich, dass das davon unabhängige Buch im Horizont der Katholischen Universität (KU) Leuven (Löwen) ähnliche Gedankengänge verfolgt. Bereits der Titel ist Signal: „Das umstrittene Erbe des 2. Vatikanums“. Hier sind die Analysen, Bewertungen und Zukunftsaussichten von acht prominenten Konzilsspezialisten zusammengestellt. Sie gehen bestimmten Schwerpunkten der konziliaren (Wirkungs)- Geschichte nach. Sie halten dabei bewusst am Aufbruch in (neue) theologische Freiheiten fest, gerade weil solche Veränderungstendenzen in der kirchlichen Hierarchie nachkonziliar teilweise bewusst wieder blockiert wurden. Darauf verweisen bereits im Vorwort die Herausgeber – die Systematiker Lieven Boeve (geb.1966) und Terrence Merrigan, beide von der Katholischen Universität Leuven (KU Leuven). 
Schon der erste Beitrag von Joseph A. Komonchak (geb. 1939) von der Katholischen Universität von Amerika in Washington DC hebt das Vaticanum II als kirchengeschichtlich absolut herausragendes „Event“ hervor, das Karl Rahner als den Beginn einer offiziellen Wahrnehmung von Kirche als „Weltkirche“ interpretiert und als epochale Wende benennt. Ähnlich fundamental neu haben dies auch andere bekannte Theologen wie z.B. Yves-Marie Congar gesehen. Als historisches Ereignis müssen auch seine Texte als kirchliches Engagement in der Welt gesehen und entsprechend aktualisierend ausgelegt werden.
Der reformorientierte und bekannte kirchenkritische Dogmatiker Peter Hünermann (geb. 1929, Prof. em. Universität Münster) legt die Kriterien dar, die für eine sachgemäße Umsetzung des Vaticanum II in der Kirche insgesamt und in den einzelnen Ortskirchen beachtet werden müssen. Das Konzil in seiner Einmaligkeit nahm Abschied von der Symbiose Staat-Kirche und hob die Trennung von östlichen und westlichen Kirchen auf. Ähnliches deutete sich auch für die bisherige Differenz von Katholiken und Protestanten an. Das Ende des Konfessionalismus ist verbunden mit dem Ziel der Einheit der Kirche. Und schließlich wurden die Blockaden gegenüber der Moderne gelöst. Die gegenwärtige Krise der Kirche lässt sich nur lösen, wenn die vormoderne Gestalt des Glaubens und des Kirchenlebens beendet wird – beharrlich mutige Schritte vorwärts in der Kraft des Hl. Geistes. Der Fundamentaltheologe Christoph Theobald SJ (geb. 1938) von der Jesuitenhochschule Centre-Sèvres in Paris führt dies besonders unter Heranziehung der dogmatischen Konstitution „Lumen gentium“ weiter. Er zeigt, wie durch die außerordentliche Bischofssynode von 1985 die im Konzil „aufgeweichte“ Hierarchie-Struktur weiter kontrovers diskutiert wird. Das führte dazu, dass die vom Konzil eingeforderte “normative Offenheit“ (S. 91) historisch hinterfragt wurde. Wenn aber der Hl. Geist als ein „ökumenischer“ am Werke ist, muss eine wirkliche „Reform der Hermeneutiken“ durchgeführt werden (S. 104).Dies sollte natürlich unter  Beachtung der „Historiografie“ des Christentums und den Dogmen der Kirche geschehen.
Gilles Routhier (geb. 1953), Missiologe und praktischer Theologe von der Universität Laval in Québec, Kanada, mahnt die Verantwortung der Erben für das Vaticanum II an. Die theologische Fakultät der KU Leuven ist hier besonders herausgefordert, aber auch jeder einzelne Gläubige. Die Konzilstheologen Marie-Dominique Chenu (1895–1990) und Yves Congar (1904–1995) haben gezeigt, dass Bezugnahmen auf die theologische Leitfunktion des Thomas von Aquin die „zeitliche Distanz“ überbrücken muss (S. 118 mit Bezug auf H.-G. Gadamer). Das heißt konkret: Die kreativen Ansätze und Schlüssel-Intentionen des Vaticanum II sind aufzunehmen, um den „state of inventiveness“ (= Status des Einfallsreichtums) wieder zu entdecken und zum „Sprudeln“ zu bringen (S. 123f).
Die veränderte theologische Debattenlage durch das Konzil beschreibt Nicholas Lash (geb. 1934); Prof. em. Universität Cambridge (UK). Er bezieht sich auf einige wegweisende Dokumente der Kirchengeschichte mit dem keineswegs unproblematischen Bild von Christus als Prophet, Priester und König und ihren Folgen für ein autoritatives oder gar autoritäres hierarchisches Verständnis kirchlicher Lehre, wie es von Papst Urban VIII über Leo XIII. bis hin zu Kardinal Ratzinger immer wieder zu sehen ist. Dagegen gilt ein Wort Johannes XXIII., der angesichts von Unklarheiten und Dissens als Orientierung einen geflügelten Spruch des 16. Jh.s zitierte: „In notwendigen Dingen Einheit, in Zweifeln Freiheit, in allen Dingen Nächstenliebe“ (S. 152). Sieht man sich allerdings die Entwicklung des Katholizismus in Frankreich und in Westeuropa von Pius XII. bis zu Benedikt XVI. an, so tut sich eine gefährliche Bruch- und Kampflinie zwischen Reformern und Traditionalisten auf. Dies hängt unmittelbar mit der aufbrechenden Reformbegeisterung zusammen, die Johannes XXIII. ermöglichte. So sieht es der Historiker Étienne Foulloux (geb. 1941), Prof. em., von der Université Lumière in Lyon. Man denke nur an die Auseinandersetzungen um die Theologie der Befreiung und die Ausgrenzung der berühmten Theologen Hans Küng und Edward Schillebeeckx. So richtet sich der (traditionalistische) Blick vom säkularen Europa wieder stärker hin zu den konservativen Ortskirchen Asiens und Afrikas. Das Interesse konzentriert sich so auf Inseln der Christentumsbewahrung und Sicherung in einem Ozean von Indifferenz (S. 193f).
In ihrer Bilanz tragen der Kirchengeschichtler Mathijs Lamberigts (geb. 1955) von der KU Leuven und Leo Declerck (geb. 1938, bis 1996 Generalvikar des Bistums Brügge, Rektor eines Klosters ebenda) einige Beobachtungen zusammen, die mit den Erinnerungsfeiern des Vaticanum II zwischen 2012 und 2015 zusammenhängen. Diese signalisieren Kontinuität, Diskontinuität und Reform zugleich innerhalb der Katholischen Kirche. Auch wenn Joseph Ratzinger als eine Art Schlüsselfigur vielen eine rückwärts gewendete Lesart der Konzilstexte zu ermöglichen schien, so gilt unzweifelhaft, dass auf Anathemata verzichtet werden muss. Die Eröffnungsansprache Johannes XXIII. zum Konzil muss ihre Leitfunktion behalten. Sie ging von der Freude der „Mutter Kirche“ aus: „Given the diversity of positions at the Council and the diverse character of the compromise texts, it will be evident that current interpretations can be profundly different, but the discussions should be conducted in an atmosphere wherein the Gaudet mater Ecclesia-expression is still valid“ (S. 225).
Eine Kirche, die dies durchhält, ist gewiss auf einem Zukunft weisenden Weg. Den Herausgebern und Autoren ist zu danken, dass sie dieses wichtige Erbe der Kirche durch ihre Beiträge trotz vieler quasi vorkonziliarer Bremsversuche in ein hoffnungsvolles Licht gerückt haben. Das ist nicht nur für die Katholische Kirche ein wichtiges Signal in einer sich wandelnden Welt.

Reinhard Kirste 

Rz-Vaticanum II, 17.11.15

Montag, 16. November 2015

Eine hinduistische Erzählung für Kinder: Mythisches über den Ganges



Vijay Singh / Pierre de Hugo:
Die Göttin, die sich in einen Fluss verwandelt.
Eine Erzählung aus dem Hinduismus.

Lahr: Kaufmann / Stuttgart: Klett 1994, 40 S., zahlr. Abb.

Aus: Eine interreligiöse Sachbilderbuch-
und Nacherzählungsreihe,
die leider nur noch antiquarisch erhältlich ist.

Hier die Rezension der Reihe:
"Geschichten vom Himmel und der Erde"

Beschreibung von Ganga, Shiva und dem Ganges
 Das Buch handelt von Ganga, der Tochter des göttlichen Himavat, der König des himmlischen Gebietes in den Bergen des Himalayas war. Ganga war wunderschön, doch sie wusste auch, dass man sie schön fand. Daher war sie nicht nur schön, sondern auch eigenwillig und ungestüm. Ganga besaß die Gabe von Schuld reinzuwaschen.
Eines Tages besuchte Brahma Himavat in seinem Königreich. Brahma bat Himavat darum, dass seine Tochter Ganga auf die Erde herabsteigen möge, um die Seelen der Ahnen des Thronfolgers Bagiraths reinzuwaschen, da dieser sonst den Thron des Vaters nicht besteigen möchte. So berichtete Brahma von der Geschichte Bagiraths:
Auf der Erde regierte der reiche König Sagar. Doch da Sagar kinderlos war, betete er die Götter an, sie mögen ihm Kinder schenken. Eines Tages erschien ihm Shiva und prophezeite, dass seine Frauen ihm Kinder schenken werden. Doch seine starken und mutigen Söhne werden umkommen. Nur ein Sohn seiner Frau Keschini wird überleben und sein Thronfolger werden. Die Prophezeiung Shivas traf ein, doch sein prophezeiter Thronfolger bereitete ihm später nur Sorgen.
Zuerst jedoch war die Freude über seine starken und mutigen Söhne groß und der König wollte den Göttern ein weißes Pferd opfern. Doch Ingra, der König der Götter, erlaubte sich einen Scherz und stahl das weiße Pferd, bevor es geopfert werden konnte. Da es kein größeres Unglück als ein misslungenes Opfer gibt, schickte der König seine starken Söhne los, das Pferd zu suchen. Als die Söhne das Pferd nicht fanden, kam dem ältesten Sohn die Idee, unter der Erde nach dem Pferd zu suchen. Sie gruben ein Loch und kamen zum Erdmittelpunkt. Sie sahen acht riesige Elefanten auf denen die Erde ruhte. Als sie auch dort das Pferd nicht fanden, gingen sie weiter und entdeckten einen betenden Mann mit einem weißen Pferd. Sie stürzten sich mit den Worten „Erbärmlicher alter Dieb! Du hast unser Pferd gestohlen! Gib es sofort her!“ auf den Mann. Dieser wurde wütend schrie „Wer wagt es, mich einen Dieb zu nennen?“ und er blies mit seinem Mund Flammen auf die Königssöhne. Sie verbrannten zu Asche.
Als der König bemerkte, dass seine Söhne und das Pferd nicht zurückkommen würden, bekam er Angst vor den Zorn der Götter. Er schickte Ansuman, den Sohn seines Thronfolgers, um das Pferd zu suchen. Dieser wurde in die Unterwelt gelotst. Auch er traf auf den Mann mit dem weißen Pferd, doch er begegnete ihm mit Ehrfurcht. Nachdem Ansuman den Mann gefragt hatt, wo seine Onkel seien, sagte dieser, sie würden wegen der Beleidigung in der Hölle büßen. Als Ansuman anfing zu weinen, bekam der Mann Mitleid und erklärte, dass nur Ganga seine Onkel retten könne, indem sie auf die Erde hinabsteigt und sie von ihrer Sünde reinwäscht.
Ansuman brachte das Pferd dem König und berichtete. Als dieser von der Geschichte hörte, verließ er den Thron und ging in die Wälder, in denen er verstarb. Thronfolger wurde Ansumans Sohn Dilipa, denn auch Ansuman ging in die Wälder, um als Einsiedler zu leben. Doch der Sohn Dilipas – Bagirath – weigerte sich, den Platz des Vaters einzunehmen, so lange Ganga seine Ahnen nicht reingewaschen habe. Er lebte als Einsiedler am Fuße des Himalayas. Da bekam Brahma Mitleid mit ihm und entschied, Ganga zu fragen, ob sie Bagirath helfen möge. Doch da Ganga ungestüm und wild war, hatte Brahma Bedenken, sie auf die Erde zu lassen. Da nur Shiva sie zähmen konnte, sollte dieser Ganga bewachen.
So versprach Himavat, dass seine Tochter Bagiraths Ahnen reinwaschen würde und schickte sie auf die Erde. Ganga wollte frei sein und tun was sie mochte. Als sie auf die Erde kam und Shiva entdeckte, wusste sie, dass dieser sie zähmen sollte. Unberechenbar schlug sie den Himalaya herunter und stieß dabei Haken. Die Erde bebte und Wogen der Flut gingen hoch. Da griff Shiva ein, damit nicht alle Menschen weggespült werden würden. In seinen Haaren hielt er Ganga gefangen. Shivas Güte ging in Ganga über.
Shiva überließ sie Baghirat, der sie über die Erde zu seinen Onkeln führte. Ganga folgte auf Grund der erfahrenen Güte. Überall wo sie lang gingen verströmte Ganga ihr Wasser. Das Wasser hatte die Macht reinzuwaschen, zu heilen und von Leid zu erlösen. Die Menschen badeten darin. Baghira stieg mit Ganga in das Innere der Erde zu den Aschehaufen seiner Onkel. Als ihr Wasser die Asche berührte, wurden diese wieder lebendig. Sie badeten im Fluss Gangas und ihre Schuld wurde vergeben.
Im Anschluss an diese Geschichte ist eine Art kindgerechtes Lexikon angehängt. Es wird dort die geographische und geschichtliche Lage des Ganges beschrieben. Es folgen weiter ein paar kurze informative Artikel über den Hinduismus, seine Götter, Bräuche und Feste.
Eine empfehlenswerte, gut verständliche Darstellung, die sich auch zum Vorlesen in der Schule eignet.

Janine Dohle
im Rahmen des Seminars „Östliche Religionen im Überblick“
an der TU Dortmund, WiSe 2015/16

 Rz-Göttin-Ganga, 16.11.15