Lieven
Boeve / Mathijs Lambergts /
Terrence Merrigan (eds.):
The Contested Legacy of Vatican II. Lessons and Prospects.
Terrence Merrigan (eds.):
The Contested Legacy of Vatican II. Lessons and Prospects.
Louvain Theological & Pastoral Monographs,
vol. 43.
Leuven (B): Peeters 2015, XVII, 225 S.
--- ISBN 978-90-429-3206-7 ---
Ausführliche Beschreibung
Das
2. Vatikanische Konzil gehört zu den großen kirchenreformerischen Aufbrüchen in
der Katholischen Kirche., Es hat bis heute auch erhebliche Wirkungen auf die
anderen Konfessionen. Mit der Erklärung „Nostra Aetate“ wurden der Umgang und
die Begegnung mit anderen Religionen wegweisend. Die Kirche öffnete sich, um
den Dialog auf ein neues Fundament von Hochachtung und Respekt zu stellen und so
den anderen religiösen Traditionen auch Teilhabe an der göttlichen Wahrheit zuzugestehen.
50
Jahre danach lohnt darum ein Rückblick, besonders was den entscheidenden Anstoß
betrifft, den Papst Johannes XXIII. mit dem Wunsch nach aggiornamento gab und der in der Pastoralkonstitution
„Gaudium et Spes“ seinen aktuellen Ausdruck fand. Den
Herausforderungen der Moderne wollte man nicht mit den alten dogmatischen
Versatzstücken begegnen. Es galt vielmehr die Zukunft des christlichen Glaubens
und der (Katholischen) Kirche zu bedenken und für eine sich rasch ändernde Welt
vorzubereiten. Das hatte geradezu visionäre Kraft.
Was ist
daraus geworden? 2014 erschien in der Reihe „Theologie im kulturellen Dialog“
des Tyrolia-Verlags eine Art vorläufige Bilanz, vorgetragen und veröffentlicht
im Rahmen der Universität Graz. Sie trägt den nachdenklichen Titel: Zerbrechlich und kraftvoll. Christliche
Existenz nach dem Zweiten Vatikanum. Rezension: http://buchvorstellungen.blogspot.de/2015/07/das-2-vatikanische-konzil-und-seine.html
Es
ist erstaunlich, dass das davon unabhängige Buch im Horizont der Katholischen
Universität (KU) Leuven (Löwen) ähnliche Gedankengänge verfolgt. Bereits der
Titel ist Signal: „Das umstrittene Erbe
des 2. Vatikanums“. Hier sind die Analysen, Bewertungen und
Zukunftsaussichten von acht prominenten Konzilsspezialisten zusammengestellt. Sie
gehen bestimmten Schwerpunkten der konziliaren (Wirkungs)- Geschichte nach. Sie
halten dabei bewusst am Aufbruch in (neue) theologische Freiheiten fest, gerade
weil solche Veränderungstendenzen in der kirchlichen Hierarchie nachkonziliar teilweise
bewusst wieder blockiert wurden. Darauf verweisen bereits im Vorwort die
Herausgeber – die Systematiker Lieven Boeve (geb.1966) und Terrence Merrigan, beide von der
Katholischen Universität Leuven (KU Leuven).
Schon der erste
Beitrag von Joseph A. Komonchak
(geb. 1939) von der Katholischen Universität von Amerika in Washington DC hebt
das Vaticanum II als kirchengeschichtlich absolut herausragendes „Event“
hervor, das Karl Rahner als den Beginn einer offiziellen Wahrnehmung von Kirche
als „Weltkirche“ interpretiert und als epochale Wende benennt. Ähnlich
fundamental neu haben dies auch andere bekannte Theologen wie z.B. Yves-Marie
Congar gesehen. Als historisches Ereignis müssen auch seine Texte als
kirchliches Engagement in der Welt gesehen und entsprechend aktualisierend
ausgelegt werden.
Der
reformorientierte und bekannte kirchenkritische Dogmatiker Peter Hünermann (geb. 1929, Prof. em. Universität Münster) legt die
Kriterien dar, die für eine sachgemäße Umsetzung des Vaticanum II in der Kirche
insgesamt und in den einzelnen Ortskirchen beachtet werden müssen. Das Konzil
in seiner Einmaligkeit nahm Abschied von der Symbiose Staat-Kirche und hob die
Trennung von östlichen und westlichen Kirchen auf. Ähnliches deutete sich auch
für die bisherige Differenz von Katholiken und Protestanten an. Das Ende des
Konfessionalismus ist verbunden mit dem Ziel der Einheit der Kirche. Und
schließlich wurden die Blockaden gegenüber der Moderne gelöst. Die gegenwärtige
Krise der Kirche lässt sich nur lösen, wenn die vormoderne Gestalt des Glaubens
und des Kirchenlebens beendet wird – beharrlich mutige Schritte vorwärts in der
Kraft des Hl. Geistes. Der Fundamentaltheologe Christoph Theobald SJ (geb. 1938) von der Jesuitenhochschule
Centre-Sèvres in Paris führt dies besonders unter Heranziehung der dogmatischen
Konstitution „Lumen gentium“ weiter. Er
zeigt, wie durch die außerordentliche Bischofssynode von 1985 die im Konzil
„aufgeweichte“ Hierarchie-Struktur weiter kontrovers diskutiert wird. Das führte
dazu, dass die vom Konzil eingeforderte “normative Offenheit“ (S. 91)
historisch hinterfragt wurde. Wenn aber der Hl. Geist als ein „ökumenischer“ am
Werke ist, muss eine wirkliche „Reform der Hermeneutiken“ durchgeführt werden
(S. 104).Dies sollte natürlich unter Beachtung der „Historiografie“ des
Christentums und den Dogmen der Kirche geschehen.
Gilles Routhier (geb. 1953), Missiologe
und praktischer Theologe von der Universität Laval in Québec, Kanada, mahnt die
Verantwortung der Erben für das Vaticanum II an. Die theologische Fakultät der
KU Leuven ist hier besonders herausgefordert, aber auch jeder einzelne Gläubige.
Die Konzilstheologen Marie-Dominique Chenu (1895–1990) und Yves Congar (1904–1995)
haben gezeigt, dass Bezugnahmen auf die theologische Leitfunktion des Thomas
von Aquin die „zeitliche Distanz“ überbrücken muss (S. 118 mit Bezug auf H.-G.
Gadamer). Das heißt konkret: Die kreativen Ansätze und Schlüssel-Intentionen
des Vaticanum II sind aufzunehmen, um den „state of inventiveness“ (= Status
des Einfallsreichtums) wieder zu entdecken und zum „Sprudeln“ zu bringen (S.
123f).
Die
veränderte theologische Debattenlage durch das Konzil beschreibt Nicholas Lash (geb. 1934); Prof. em. Universität
Cambridge (UK). Er bezieht sich auf einige wegweisende Dokumente der
Kirchengeschichte mit dem keineswegs unproblematischen Bild von Christus als
Prophet, Priester und König und ihren Folgen für ein autoritatives oder gar
autoritäres hierarchisches Verständnis kirchlicher Lehre, wie es von Papst
Urban VIII über Leo XIII. bis hin zu Kardinal Ratzinger immer wieder zu sehen
ist. Dagegen gilt ein Wort Johannes XXIII., der angesichts von Unklarheiten und
Dissens als Orientierung einen geflügelten Spruch des 16. Jh.s zitierte: „In
notwendigen Dingen Einheit, in Zweifeln Freiheit, in allen Dingen
Nächstenliebe“ (S. 152). Sieht man sich allerdings die Entwicklung des
Katholizismus in Frankreich und in Westeuropa von Pius XII. bis zu Benedikt
XVI. an, so tut sich eine gefährliche Bruch- und Kampflinie zwischen Reformern
und Traditionalisten auf. Dies hängt unmittelbar mit der aufbrechenden
Reformbegeisterung zusammen, die Johannes XXIII. ermöglichte. So sieht es der
Historiker Étienne Foulloux (geb.
1941), Prof. em., von der Université Lumière in Lyon. Man denke nur an die Auseinandersetzungen
um die Theologie der Befreiung und die Ausgrenzung der berühmten Theologen Hans
Küng und Edward Schillebeeckx. So richtet sich der (traditionalistische) Blick
vom säkularen Europa wieder stärker hin zu den konservativen Ortskirchen Asiens
und Afrikas. Das Interesse konzentriert sich so auf Inseln der
Christentumsbewahrung und Sicherung in einem Ozean von Indifferenz (S. 193f).
In
ihrer Bilanz tragen der
Kirchengeschichtler Mathijs Lamberigts (geb. 1955) von der KU Leuven und Leo Declerck (geb. 1938, bis 1996 Generalvikar des Bistums Brügge,
Rektor eines Klosters ebenda) einige Beobachtungen zusammen, die mit den
Erinnerungsfeiern des Vaticanum II zwischen 2012 und 2015 zusammenhängen. Diese
signalisieren Kontinuität, Diskontinuität und Reform zugleich innerhalb der
Katholischen Kirche. Auch wenn Joseph Ratzinger als eine Art Schlüsselfigur
vielen eine rückwärts gewendete Lesart der Konzilstexte zu ermöglichen schien,
so gilt unzweifelhaft, dass auf Anathemata verzichtet werden muss. Die
Eröffnungsansprache Johannes XXIII. zum Konzil muss ihre Leitfunktion behalten.
Sie ging von der Freude der „Mutter Kirche“ aus:
„Given the diversity of positions at the Council and the diverse character of the
compromise texts, it will be evident that current interpretations can be
profundly different, but the discussions should be conducted in an atmosphere
wherein the Gaudet mater Ecclesia-expression
is still valid“ (S. 225).
Eine
Kirche, die dies durchhält, ist gewiss auf einem Zukunft weisenden Weg. Den Herausgebern
und Autoren ist zu danken, dass sie dieses wichtige Erbe der Kirche durch ihre
Beiträge trotz vieler quasi vorkonziliarer Bremsversuche in ein hoffnungsvolles
Licht gerückt haben. Das ist nicht nur für die Katholische Kirche ein wichtiges
Signal in einer sich wandelnden Welt.
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