Samstag, 6. Juni 2015

Heilige Schriften der Abrahamsreligionen kennen lernen



Clauß Peter Sajak (Hg.): Heilige Schriften.
Texte - Themen – Traditionen. Sekundarstufe I und II.
Lernen im Trialog Heft 3. Ein Projekt der Herbert Quandt-Stiftung.
Paderborn: Schöningh 20
15, 96 Seiten, Abb.
– mit Materialiensammlung und Glossar
---  ISBN 978-3-14-053652-3 ---

Ausführliche Besprechung
Mit dieser didaktischen Hinführung und Materialbearbeitung zu den Heiligen Schriften der drei monotheistischen Religionen hat der Münsteraner Religionspädagoge Clauß Peter Sajak einen weiteren wichtigen „Baustein“ zum interreligiösen Lernen vorgelegt. 
Vorarbeiten finden sich dazu in dem 2010 herausgegebenen Band:
 Trialogisch lernen. Bausteine für interkulturelle und interreligiöse Projektarbeit“.
Details:
http://www.herbert-quandt-stiftung.de/buecher/trialogisch_lernen_sajak

In der Reihe „Lernen im Trialog“ sind bereits erschienen:
--- Heft 1: Gotteshäuser. Entdecken – Deuten – Gestalten (2012)
--- Heft 2: Feste feiern. Jahreszeiten – Mahlzeiten – Lebenszeiten (2013)
--- Heft 4 in Vorbereitung: Mensch und Schöpfung

Vgl. das schon 2010 erschienene Buch „Kippa, Kelch, Koran. Interreligiösen Lernen mit Zeugnissen der Weltreligionen“, das neben den drei monotheistischen Religionen praktische Orientierungen auch für den Hinduismus und den Buddhismus bietet.        
Rezension:
https://docs.google.com/file/d/0B35EiO88xc00QTJQQ3dXOWllR0E/edit


Im vorliegenden Heft – wiederum zusammen mit einem fachkundigen Team erstellt – geht es darum, die Heiligen Schriften der abrahamischen Religionen im Sinne von kompetentem Basiswissen zu erschließen. Sajak bezieht sich dazu auf den Religionswissenschaftler Gustav Mensching. Seine Definition „Heiliger Schriften“ gipfelt in den „zu einem Kanon zusammengefassten religiösen Schriften mit religiöser Autorität“ (zitiert S. 9).
Es geht dann konkret exegetisch, rituell und didaktisch zuerst um die hebräische Bibel, TeNaK, christlich gesprochen um das Alte Testament mit: Tora = Gesetz, Nebiim = Propheten, Ketubim = Schriften. Es folgen die christliche Bibel und der Koran (vgl. S. 15). Aufgrund der didaktischen Zielorientierung lassen sich von hier aus Themen entwickeln, die eine Auseinandersetzung mit zentralen Personen der drei monotheistischen Religionen ermöglichen.


Gerade biblische und koranische Gestalten haben jedoch im Laufe der Geschichte eine recht unterschiedliche Wirkungsgeschichte (gehabt). Solche Überlegungen bleiben jedoch nicht in der Theorie stehen. Es werden bereits Erfahrungen einbezogen, die zu diesen Schwerpunkten an einigen Schulen gemacht wurden.
So spürt man sowohl im Theorieteil (I) (wissenschaftlich verständlich und zugleich fachlich fundiert) wie im Praxisteil (II), wie intensiv und spannungsgeladen Tenach, Bibel und Koran historisch zusammenhängen. Auch die unterschiedliche Rezeption(sgeschichte) und Verehrungstypik als Gottes Wort innerhalb der drei Religionen gerät ins Blickfeld.
Für den Praxisbereich ist es dem Herausgeber und zugleich Autor wichtig, die Kompetenzbereiche des „trialogischen“ Lernens zu klären. Dazu gehören: 1. Die Relevanz der abrahamischen Religionen erkennen. Dadurch wird 2. der Dialog gefördert. Dazu bedarf es 3. der Anerkennung des Anderen in seinem Anderssein. Aus solchen Erkenntnissen erwächst 4. die Aufgabe, die eigene Identität weiter zu entwickeln (S.37). Die thematischen Bausteine dazu sind:

  •  Orientierungswissen erwerben
  • Vergleich von Tenach, Bibel und Koran
  • Begegnungen mit Personen aus den Heiligen Schriften ermöglichen (z.B. mit Ruth, Noah).

Schwierig ist es natürlich, die religiösen Traditionen sachgemäß und diskursiv  zu erschließen. Szenische Spiele können hier besonders kompetenzfördernd wirken. Zu guter Letzt gilt es eine Art trialogisch bilanzierende Zusammenfassung zu erreichen – im Sinne einer Lernstation: „Am Ende der Lernstation sollen die Schülerinnen und Schüler jeweils einen Steckbrief für die drei Heiligen Schriften entwerfen, auf dem die wichtigsten Informationen festgehalten sind“ (S. 62).
Die Arbeitsblätter im Schlussteil zeigen sehr schön. wie bei aller auch immer vorhandenen Distanz zu den biblischen und koranischen Texten dennoch ein jugendgemäßer Zugang mit einer gezielten Sachorientierung möglich ist. Damit wird interreligiöse Kompetenz nicht nur kognitiv erarbeitet, sondern auch affektiv und meditativ zugänglich gemacht und kann „ganzheitlich“ verarbeitet werden.
Man kann am Thema der Arche Noah zusammenfassen, was in diesen Lernfeldern geschieht: Eine heutige Reise mit der Arche. Dazu muss man in einem (zu bastelnden) Koffer Wichtiges mitnehmen. Hier wird besonders deutlich, was es letztlich durch die Lerneinheiten zu entdecken gilt: „Gemeinsam in einem Boot“ (S. 83). Das „Lesetagebuch“ mit Lessings Nathan dem Weisen (S. 86) wird dann zur Erkenntnis sichernden Fortsetzung.
Dieses Aufklärungsdrama gibt faktisch eine Schlüsselqualifikation vor: In den einzelnen Figuren des Stücks erfahren die Schüler/innen nicht nur etwas über die abrahamischen Religionen, sondern lernen zugleich, wie (religiöse) Konflikte überwunden werden können. Lessing stellt darum die drei Religionen auf dieselbe spirituelle, geistige und weltanschauliche Ebene. Dies ist eine Basis, auf der interkulturelle und interreligiöse Kompetenz immer wieder neu eingeübt werden sollte – gewiss nicht nur für Schülerinnen und Schüler! 
Das vorliegende Trialogheft leistet letztlich für alle „trialogisch“ Interessierten einen hilfreichen und weiterführenden Beitrag.
Reinhard Kirste 

Rz-Sajak-Heilige Schriften, 06.06.2015

Mittwoch, 3. Juni 2015

Ramadan im Kindergarten - ein Beispiel für interreligiöses Lernen (aktualisiert)



Naciye Kamçılı-Yıldız / Şenay Biricik / Katharina Kammeyer
/ Claudia Tombrink:       
Kinder feiern Ramadan.
Ein interreligiöses Praxisbuch für den Kindergarten
.             
München: Don Bosco 2015, 96 S., farbig illustriert, inklusive einem Downloadcode für Zusatzmaterial wie Bastelvorlagen, bildhafte Erzählvorlagen, Elternbriefe u.ä.
--- ISBN: 978-3-7698-2111-6 ---



Ausführliche Beschreibung
In einer multikulturellen Gesellschaft rücken die Rituale und Feste anderer Religionen verstärkt in den Blickpunkt. Das gilt wohl am stärksten für den Islam mit seinen etwa 4 Millionen Anhängern in Deutschland. Die Öffentlichkeit nimmt besonders zwei Festzeiten besonders wahr: den Fastenmonat Ramadan und das Opferfest mit der Wallfahrt nach Mekka. Es gibt dafür auch gute Informations- und Unterrichtsmaterialien Zum Verständnis des Ramadan mit seinem Fest des Fastenbrechens ist nun ein Praxisbuch für den Kindergarten herausgekommen. Gerade Kindergarten und Schule haben eine wichtige Vermittlungs- und Verstehensfunktion für die Heranwachsenden. Wo Kinder und Jugendliche verschiedener religiöser Glaubenstraditionen zusammenkommen, ist es wichtig, Genaueres vom „Anderen“ in der Begegnung zu erfahren. Damit kann man nicht früh genug beginnen. Darum ist dieses „Kindergartenbuch“ zum Thema „Ramadan“ ein wichtiger Verständigungsschritt im Sinne des gemeinsamen Erlebens und Feierns.

In den Kindergärten hat sich in den letzten Jahren dazu eine besondere Sensibilität entwickelt, weil es nicht nur darum gehen kann, die christlichen Feste kindgemäß zu feiern, sondern ebenso die der anderen religiösen Traditionen.
Die Autorinnen dieser interreligiösen Orientierung kommen aus dem universitären Bereich, aus der Schule und dem Kindergarten. Sie bringen sowohl in der Reflexion wie in der praktischen Situation vor Ort „inter-religionspädagogische“ Kompetenzen mit. Außerdem wird nicht nur aus einer religiösen Sicht berichtet, sondern die Autorinnen stellen bewusst ihren jeweils christlichen bzw. islamischen Hintergrund dar. Im Sinne einer Lern-Kooperation legen sie eine Handreichung vor, indem sie knapp und präzise zuerst die Motivation und die Ziele interreligiöser Erziehung beschreiben, und zwar im Umgang miteinander unter Berücksichtigung der jeweiligen Biografie-Zusammenhänge der Kindern. Das bedeutet, Gemeinsames und Fremdes zu entdecken sowie Kooperationen und Verhaltensweisen zu entwickeln, die allen im Kindergarten guttun (S. 13-15). Akzeptanz und Wertschätzung wird so nicht nur von den Kindern praktisch eingeübt, sondern bildet auch eine Herausforderung für Eltern und ErzieherInnen. Ich selbst hätte mir gewünscht, dass im Blick auf die interreligiöse Erziehung die Gleich-Wertigkeit (nicht Gleichheit) von Islam und Christentum stärker betont worden wäre, weil so aufkommende (oft verdeckte) Gedanken der Minder-Wertigkeit der andern Religion nur sehr schwer zum Zuge kommen können – vgl. dazu Thesen zum religiösen Pluralismus und zur Gleichwertigkeit der Religionen:   http://textmaterial.blogspot.de/2014/02/thesen-zum-religiosen-pluralismus.html
Vom Aufbau dieses Konzepts ist es logisch, ausführlicher über die Bedeutung des Ramadan im islamischen Kontext zu schreiben. Die Zusammenhänge mit der Offenbarung des Korans und der Begründung der Fastenriten mit dem jeweiligen Fastenbrechen am Abend (Iftar) und am Schluss des Ramadan kommen sehr schön zur Sprache.
Damit ist nun die Tür aufgetan – zu vielen Anregungen, (Rollen-)Spielen, Bastelanleitungen, Nacherzählungen auf der Verstehens-Ebene der Kinder zwischen 3 und 6 Jahren: Einen Mondkalender basteln, Ramadan aus Mäusesicht …, Einladungskarten zum Iftar-Essen, Spielzeug spenden usw. usf.
Besonders angemerkt sei hier, dass durch die jahrzehntelange Begegnung von Christen und Muslimen auch der beliebte christliche Adventskalender eine islamische Variante als Ramadan-Kalender bekommen hat, eine schöne interreligiöse Verbindung, um besondere Fasten- und Festzeiten vertiefend zu erinnern.
So finden Eltern und ErzieherInnen viele Ideen und praktische Vorschläge, um neben christlichen und säkularen Ausprägungen auch die „islamische“ Seite eines Kindergartens interkulturell zu verstärken und entsprechend zur Geltung zu bringen. Auf diese Weise werden allen Kindern der Kita praktische interreligiöse Gemeinschaftserfahrungen ermöglicht. So entstehen Schritt für Schritt Fundamente, die in späteren Lebensabschnitten vielleicht ein leichteres Umgehen mit Menschen anderen Glaubens und Denkens ermöglichen.
Das vorliegende „Kindergarten-Ramadan-Buch“ füllt damit eine Lücke, denn auf das interreligiöse Lernen und die interkulturelle Kommunikation im Kindergarten wurde bisher nicht ein so großes Schwergewicht gelegt, wie auf Unterrichtsmaterialien für die Schule – vgl. als Übersicht eine ausführliche Materialzusammenstellung - Begegnung der Religionen im Kindergarten.
http://religiositaet.blogspot.de/2014/05/begegnung-der-religionen-im-kindergarten.html
So kann man nur wünschen, dass dieses hilfreiche Buch in vielen Kindergärten bald zum Basismaterial wird.
Reinhard Kirste
Rz-Kammeyer-Kita-Ramadan, 07.04.2015