Samstag, 1. Februar 2020

Borobudur - Kosmologie im Bild (aktualisiert)

Peter Cirtek: Borobudur.
Entstehung eines Universums.
Englische Ausgabe:
Borobudur. Appearance
of a Universe.

Wissenschaftliche Beratung
durch den Malaiologen 
Prof. Dr. Peter W. Pink
(Universität Köln)
Hamburg: Monsun-Verlag 2016, jeweils 119 S., 80 Abb., 
3 Karten, 17 nummerierte Grafiken, Glossar, Register
2. Aufl. 2019
--- Deutsch - ISBN 978-3-940429-05-6
--- Englisch - ISBN 978-3-940429-06-

Flyer des Monsun-Verlags (2019), S. 2

Die Tempelanlage von Borobudur auf der indonesischen Insel Java gehört zu den beeindruckendsten Zeugnissen buddhistischer Kultur. 

Sie entstand im 8./9. Jahrhundert unter dem Einfluss der Architektur hinduistischer Tempel und Kultanlagen mit großen Stupas aus dem südostasiatischen Raum. Indonesien – mit einer Bevölkerung von über 220 Millionen Muslimen – betrachtet dies Monument mit großer Wertschätzung. Der Tempel war lange in Vergessenheit geraten. Er wurde erst 1814 wieder entdeckt. Eine groß angelegte Restaurierung von 1973–1984 machte die Bedeutung dieses riesigen Bauwerks auch international offenkundig. Es ist seit 1991 UNESCO-Kulturerbe. 


Was dieses Monument so besonders macht, ist neben der faszinierenden Konstruktion ihr symbolischer Gehalt. Hier wird das gesamte Universum dargestellt. Die Tempelanlage spiegelt eine atemberaubende Kosmologie in Stein. In dieser geformten buddhistischen Welt befinden sich Buddhastatuen in den Nischen der Galerien auf vier unteren Terrassen – ein Arrangement in indischer Zahlensymbolik:
  1. Terrasse =  104 Nischen
  2. Terrasse =  104 Nischen
  3. Terrasse =    88 Nischen
  4. Terrasse =    72 Nischen
  5. Terrasse =    64 Nischen –
                       also insgesamt 432 Statuen, von denen allerdings einige fehlen.

Auf den drei oberen, kreisförmigen Terrassen, befinden sich transzendente, meditierende Buddhas, die sich in 72, scheinbar perforierten kleinen Stupas befinden. Auf diesen oberen Rundterrassen nimmt die Zahl der Buddha-Statuen kontinuierlich ab:  32, 24, 16. Man muss also von insgesamt 504 Buddhastatuen ausgehen, von denen etwa 350 beschädigt sind oder völlig fehlen. Allein diese durchdachte Konstruktion lässt ahnen, wie differenziert die buddhistische Kosmologie hier architektonisch umgesetzt wurde.

Der (bisher nicht sichtbare) Fundamentsockel bzw. das Erdgeschoss stellt die Sphäre der Begierden dar. Umschreitet der Pilger aufsteigend die vier Stockwerke der Galerien, befindet er sich gewissermaßen in der Sphäre der (Wieder-)Verkörperungen bzw. Reinkarnationen der Buddhanatur. Von dort geht der Weg Schritt für Schritt über die drei Rundterrassen immer weiter in die Sphäre der Körperlosigkeit hinein, bis schließlich der Pilger am Hauptstupa angelangt ist. Der Stupa symbolisiert den Dharma, die buddhistische Lehre. Er ist das in Stein gehauene Wesenszentrum buddhistischen (kosmischen) Seins- und Weltverständnisses. Es wird durch die unterschiedlichen Buddhafiguren gewissermaßen ins Bild gebracht.
Peter Cirtek nimmt uns nun auf diese spirituelle Reise mit:         
Im ersten Abschnitt beschreibt er einige Gesichtspunkte der indischen Religionen bis zur Entstehung des Buddhismus durch Siddharta Gautama, den Buddha. Von der frühen buddhistischen Geschichte geht der Weg zu verschiedenen buddhistischen Schulen im Himalaya-Gebiet. Den tibetischen Buddhismus, den sog. Diamantweg (neben Hinayana und Mahayana) untersucht Cirtek später noch im Blick auf dessen Verbindungen zu Japan und Java. In einem weiteren Abschnitt kommt der Autor auf die Einwanderung des Buddhismus nach China zu sprechen. Durch die Verbindung mit dem schon länger existierenden Daoismus und dessen Seins- und Transzendenzkonzept entwickelten sich eigenständige buddhistische Verständnis- und Meditationsweisen (z.B. der Chan-Buddhismus, japanisch: Zen).
Der zweite Abschnitt beschreibt die Architektur von Borobudur mit der wahrscheinlichen  Entstehungsgeschichte zwischen 775 und 856 und die darin zum Ausdruck kommende Symbolik der Tempelanlage. Sie ist im Geist der Mahayana-Richtung entstanden. Vorbilder sind javanesische Hindutempel, die indischen Einfluss verraten. Für die Stupa-Struktur von Borobudur zieht der Autor Beispiele aus anderen asiatischen Regionen heran (z.B. aus China, Tibet, Nepal, Burma und Thailand). Auf den Balustraden der Galerien sitzen transzendente Buddhas. Sie zeigen die Himmelsrichtungen mit dem kosmischen Zentrum an, weiterhin die Wesenseigenschaften des Buddha und schließlich sein meditierendes, lehrendes und schützendes Handeln. Auf diese Weise werden zugleich die Weltzeitalter strukturiert.
Modell von Borobudur auf der Floriade in Venlo (NL) 2012

Im dritten Abschnitt erläutert der Autor die Geschichten auf den 1460 Reliefs. Es sind Darstellungen des täglichen Lebens allgemein, Stationen der Lebensgeschichte des historischen und legendarischen Buddha (natürlich auch mit den berühmten vier Ausfahrten) und Heldentaten des Buddha aus seinen früheren Leben. Der historische Buddha ist ja nur eine Personifikation früherer und späterer transzendenter Buddhas.          
Gegenüber den vergleichbaren Texten in Sanskrit oder Pali gibt es hier eine Reihe von Abweichungen.            
Hinzu kommen sog. Taten von himmlischen Helden -
aus dem sog. Divyavadana in Sanskrit (Ende 2. Jh. n. Chr.).

Es gibt jedoch noch mehr Narratives, und zwar von einigen Bodhisattvas auf den Relieftafeln. Sie beinhalten einen großen Teil des Avatamsaka Sutra. Besonders ragt hier die Pilgerreise des Sudhana hervor, einem Kind, das den Weg bis zur Erleuchtung geht.

In dieser Relief-Reihe zeigt sich auch die Begegnung mit Samantabhadra. Er gilt als Personifikation der allumfassenden Güte und Weisheit sowie Beschützer des Lotos-Sutra.

Bilanz:

Peter Cirtek ist offensichtlich daran gelegen, seine Beschreibungen durch Bezug auf die Originalquellen immer wieder abzusichern. Er berücksichtigt dabei die ältesten Belege im Pali-Kanon, bezieht sich jedoch insgesamt stärker auf den Sanskrit-Kanon und den chinesischen Kanon des Mahayana. Seine Beschreibungen mit einer gezielten Auswahl von (Bild-)Beispielen der Galerien und Terrassen mit ihren Skulpturen und Reliefs geben ein faszinierendes Bild von der Vielschichtigkeit des buddhistischen Welt- und Glaubensverständnisses. Gerade mehr meditativ Lesende und Betrachtende werden an dem herausragenden Kult-Kunstwerk Borobudur entdecken können, dass hier ein besonderer Annäherungsweg zum Heiligen eröffnet werden kann.

Reinhard Kirste

Neue Erkenntnisse:
Die Flachreliefs am Tempel von Borobudur ermöglichen Musikern heute,
die Musik 
des 8. Jahrhunderts zu rekonstruieren und zu spielen.
Les bas-reliefs du temple de Borobudur
pour restituer la musique du VIIIe siècle
 
(Koran Tempo, Jakarta, 21.01.2020 - über Courrier International)



Bildergebnis für Borobudur Reliefs Bilder"
Musiker mit ihren Instrumenten, Tempel von Borobudur
(wikipedia.en)


Rz-Cirtek-Borobudur, 25.09.16 , bearb. 01.02.2020

Lizenz: CC

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