Klaus-Werner Haupt:
Okzident & Orient:
Die Faszination des Orients
im langen 19. Jahrhundert.
Wiesbaden: Weimarer Verlagsgesellschaft im Verlagshaus Römerweg [2015], 2019, 2. Aufl.,
246 S., Abb., Personenregister
Okzident & Orient:
Die Faszination des Orients
im langen 19. Jahrhundert.
Wiesbaden: Weimarer Verlagsgesellschaft im Verlagshaus Römerweg [2015], 2019, 2. Aufl.,
246 S., Abb., Personenregister
Was diesen Band mit den Biografie-Erzählungen
noch interessanter macht, ist, dass der Autor die von ihm dargestellten 17 Persönlichkeiten in ihrer geistigen Nähe und Vernetzung zur Sprache bringt.
Dabei werden oft auch die persönlichen Beziehungen zueinander sichtbar. Auf
diese Weise entsteht eine Art Sinn gebender Orientierung. Es entwickelt sich
gewissermaßen ein neues Narrativ.
Der Pädagoge
führt in essayistischer Form nicht einfach Lebensstationen vor, sondern jede
der Persönlichkeiten steht gewissermaßen unter einem Schwerpunkt, den der Autor
narrativ setzt. Dadurch lassen sich für die Lesenden auch viele interreligiöse
Bezüge entdecken, die sich vielleicht so komprimieren lassen:
- Germaine de Staёl (1766-1816, geb. und gest. in Paris): Der Orient-Eroberer Napoleon und seine Widersacherin – Die Wirkung des Buches: De l’Allemagne: „Deutschland für Franzosen“ – die Wirkungen des literarischen Weimar.
- Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832): Dialog
der Kulturen –West-östlicher Divan
und die persische Poesie von Hafis. - Lord George Gordon Noel Byron of Rochdale (1788-1824): Der vom antiken Orient und vom Freiheitskampf Griechenlands gleichermaßen faszinierte Dichter.
- Joseph Mallord William Turner (1775–1851): Der reisende Maler – Welt-Energie und verklärendes Licht.
- Carl Eduard Ferdinand Blechen
(1798–1840): Sehnsucht nach dem Süden –
Ahnungen verdunkelnden Lichts. - Hermann Fürst von Pückler-Muskau
(1785–1871): Den Orient entdecken
und in der Lausitz als Garten beheimaten. - Prinz Carl von Preußen (1801–1883): Geistesverwandter des Fürsten von Pückler-Muskau – Mittelmeer-Erfahrungen als bleibender Traum im Norden.
- Heinrich Heine (1797–1856): Al-Mansor
– Zeichen des Protestes
gegen die Missachtung der orientalischen Wurzeln des Abendlandes. - Die Schriftstellerin Ida Pfeiffer
(1797–1858) als forschende Weltreisende,
zugleich der Aufbruch der Frauen in die männlich dominierte Entdeckerwelt. - Gustave Flaubert (1821–1880): Der
dichterische Umgang
mit der Zerstörung Carthagos durch die Römer. - Thomas Cook (1808–1892): Der Beginn des organisierten Kultur-Tourismus.
- Carl Hagenbeck (1844–1913): Die
Tiere der Welt
in einem überschaubaren Rahmen präsentieren. - Karl May (1842–1912): Den Islam von
christlicher Warte sehen
und schließlich die Menschlichkeit betonen.
Vgl. Der Orientzyklus von Karl May (- Karl-May-Gesellschaft - ) - Osman Hamdi Bey (1842–1910): Als muslimischer Künstler
in den westlichen Metropolen - Osmanische Sultane als Brückenbauer zwischen Orient und Okzident
- Gabriele Münter (1877–1962) und
Wassily Kandinsky (1866–1944):
Farben, Gerüche, die fremden Geräusche und alles
im unendlichen Blau des die Kontinente verbindenden Himmels. - Rudolf Steiner (1861–1925): Goethe
als Lehrmeister
und die Theosophie als Inspiration für die Anthroposophie.
Die
vorgelegten Biografien sind natürlich eine notwendige subjektive Auswahl
angesichts der großen Zahl von Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts, die mehr
als nur vom Orient begeistert waren bzw. von dem europäischen Bild, das man
sich damals vom Morgenland machte.
Vgl. dazu den umfangreichen Band zur
umfangreichen Berliner Ausstellung (28.05.–27.08.1989):
Europa und der Orient. 800–1900. Hg.: Gereon Sievernich / Heinrich Budde.
München: Bertelsmann Lexikon Verlag 1989, 923 S., Abb., Register
Europa und der Orient. 800–1900. Hg.: Gereon Sievernich / Heinrich Budde.
München: Bertelsmann Lexikon Verlag 1989, 923 S., Abb., Register
So ist es
natürlich schade, dass insbesondere der Dichter und Sprachwissenschaftler
Friedrich Rückert (1788–1866) nicht ins Blickfeld rückt. Vielleicht schreibt
Klaus-Werner Haupt aber noch einen zweiten Band „Okzident & Orient“, in dem
dann neben Rückert u.a. mehr (Orient-)Maler und (Landschafts-)Architekten, aber
dann auch die im Buch mehrfach erwähnten Brüder Alexander (1769–1859) und
Wilhelm (1767–1835) von Humboldt dargestellt werden könnten. Auch der Theologe Friedrich
Schleiermacher (1768–1834), der Romantik-Dichter Novalis (1772–1801) und die
Salonnièren Henriette Herz (1764–1847) und Rahel Varnhagen (1771–1833) würden sehr
gut in diese Reihe passen.
Insgesamt
jedoch ist ein anregendes Buch entstanden, das Lust macht, noch mehr über das
wissensbegierige Orientverständnis des 19. Jahrhunderts zu erfahren. Hier lässt
sich nämlich lernen, wie innig Orient und Okzident in ihrer Geschichte, aber
auch in ihren Denkweisen miteinander verwoben sind. Das ist zugleich eine
Empfehlung, wie man heute mit dem reichen orientalischen Erbe in Deutschland
umgehen sollte.
Reinhard Kirste
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen