Donnerstag, 19. Oktober 2017

Faszination der Zisterzienser - eine nachwirkende Ausstellung

LVR-LandesMuseum Bonn (Hg.): Die Zisterzienser. Das Europa der Klöster

Darmstadt: Theiss (WBG) 2017,
368 S., Abb., Glossar
--- ISBN: 978-3-8062-3492-3 ---
Hinweise zur Ausstellung
(bis 28.01.2018):

 Wie stark religiöse Reformen die kulturelle Landschaft verändern, zeigt in besonderer Weise diese Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum Bonn. Die Ordensgründungen der Zisterzienser haben nicht nur die Kirche zu Reformen genötigt, sondern haben sehr schnell von Frankreich aus geografische, gesellschaftliche und sprachliche Grenzen überschritten. Insofern ist dieser Orden ein wesentlicher Brückenpfeiler für das Verständnis eines gemeinsamen Europas.
Der zur Ausstellung erschienene ausführliche Begleitband arbeitet anhand von Texten, Bildmaterial und den informativ präsentierten Ausstellungsstücken diese europäische Impulsepoche ein Stück weit systematisierend auf. Besonders auffällig ist, dass sogar der konsequent gelebte Armutsgedanke der Zisterzienser nach und nach beeindruckende Werke der Kunst und Architektur ermöglichte. Es ist die Faszination der Einfachheit im kreativen Durchbruch.
I. Die Hauptteile des Buches

                  1. Essays zu den Hintergründen der Zisterzienserklostergründungen
            und ihrer Entwicklungsgeschichte
– Die Beiträge sind auf die
            Architektur, Skulptur und Malerei sowie auf die Liturgie und auf die
            Herstellung von Büchern und die wirtschaftlichen Aktivitäten bezogen
            (S. 16–131).
                  2. Ein Blick in die aktuelle Regionalforschung: Marienstatter Tafeln,
            Kloster Altenberg, Abteikirche Kamp, Gutshöfe (Grangien) des Klosters
            Hardehausen (S. 135–171).
      3. Der reich bebilderte und klar beschriebene Katalogteil bezieht sich auf  die Gründungsphase des Ordens, die Kirche als Ort der Anbetung, die Liturgie, die Klausur, das Aufblühen der Frauenklöster, die Konversen (Laienbrüder) zur Sicherung des Klosterunterhalts, verstärkt durch die außerhalb gelegenen Gutshöfe und Stadt-Dependancen. Die Wirtschaft wurde also zu einem wesentlichen Faktor des neuen Reformordens. Der Katalog bietet weiterhin wichtige Einblicke in das Skriptorium und damit die Bedeutung von Büchern für ein Kloster. Schließlich gibt es noch eine Reihe von Zeugnissen zur
„Basis-Persönlichkeit“ des Ordens: Bernhard von Clairvaux. 
Nicht nur weil 2017 das Jahr der Reformation ist, sondern auch weil die Bezüge Bernhard von Clairvaux – Martin Luther immer wieder auffallen, gibt es eine Art kirchenkritischen Epilog (S. 295–296). Das gilt im Blick auf Gefährdungen der Kirche, die ihre Ursprünge missachtet. Es geht also um notwendige Reformen der Kirche – ganz im Sinne Martin Luthers: Ecclesia semper reformanda.
Der Reformator schätzte nämlich Bernhard von Clairvaux außerordentlich – nicht nur wegen der Kraft seiner Spiritualität, sondern auch wegen dessen kirchenkritischen und kirchenreformerischen Ansätzen.
Es folgen im Katalog noch Dokumente, und kurze Porträts ausgewählter Abteien mit Schwerpunkt im deutschsprachigen Raum (S. 300-329). Die zu diesen Klöstern gehörenden Dokumente und Objekte sind Teil der Ausstellung. Der Rezensent, der selbst mehrere Jahre (ev.) Pfarrer in Hildesheim Marienrode war, hätte es allerdings gern gesehen, dass auch dieses ehemalige Zisterzienserkloster im beeindruckenden Ausstellungsband erwähnt worden wäre (S. 174–299). Mehr zum Kloster Marienrode: hier
Glossar
(S. 332-334) und ein ausführliches Literaturverzeichnis (S. 335–367) schließen den Band ab.

II. Die thematischen Schwerpunkte der Beiträge
Gert Melville (Mediävist von der TU Dresden) zeigt mit seiner Analyse der Anfänge, warum die Zisterzienser so erfolgreich wurden. Etablierte Klöster und verfestigte hierarchische Kirchenstrukturen forderten angesichts großer gesellschaftlicher Umbrüche im 11./12. Jahrhundert Kirchenreformen heraus. Aus asketischen und eremitisch lebenden Gruppen erwuchsen Impulse, die man anfangs kaum erwartet hätte. Die erneute und zugleich auf die veränderte Situation bezogene Benediktsregel durch die Zisterzienser, ihre Einhaltung in strikter „Reinheit“ und Einfachheit sowie die das gemeinsame Leben fixierende Carta Caritatis verstärkten eine genossenschaftliche Willensbildung. Sie findet ihr Zentrum im Generalkapitel, das neue zukunftsfähige Strukturen ermöglichte. In den Anfangsjahren führte die Auseinandersetzung um den unsteten und umstrittenen Benediktinerabt Robert von Molesme (um 1028–1101) als Gründer von Cîteaux in eine kritische Situation. Klarheit brachte im Grunde erst der Eintritt Bernhards in den Orden, sein Auszug mit einigen Brüdern aus Cîteaux und die Gründung des Klosters Clairvaux. „Die Zisterzienser hatten es ausgezeichnet verstanden, Grundprinzipien der religiösen Avantgarde mit dem Traditionalismus der Benediktsregel zu verbinden, um damit zu einer eigenständigen und individuell verantworteten Spiritualität der Weltentsagung in klarer normativer Rahmung zu gelangen, die Willkürlichkeit ausschaltete“
(S. 34f).
Solche Klarheit kam auch in der Architektur und Raumkonzepten der Mönche für das Kloster zum Ausdruck: Einfachheit in Holz und Stein. Darauf macht der Kunsthistoriker Markus Thome (Universität Tübingen) aufmerksam, wenn er einerseits auf die beachtlichen Großbauten der Kirchen und die differenzierten Klosteranlagen und andererseits auf den Verzicht des Überflüssigen in der Innenarchitektur verweist (keine Skulpturen und Malereien, weder bunte Glasfenster noch sorgfältige Auslegung der Fußböden. Der Kunsthistoriker Jens Rüffer (Universität Bern) stellt den monastischen Alltag des (liturgischen) Betens und Arbeitens dar – auch die Debatten um Nahrung im Kontext des einfachen Lebens, wie es bis heute praktiziert wird. Hier lohnt ein Vorblick auf den Beitrag von Christian Hillen (Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln) über zisterziensisches Wirtschaften (S. 123–131), so dass man sogar von einem Wirtschaftswunder im Zusammenhang mit diesem Orden reden könnte. Unbestrittenes spirituelles Zentrum aber sind die liturgischen Gebete (Stundengebete) und die Gottesdienste. Sie erfordern besondere Berücksichtigung. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Schriftkunst, denn schließlich braucht man Chorbücher und liturgische Texte, so der britische Germanist Nigel F. Palmer (Universität Oxford). Harald Wolter von dem Knesebeck (Kunsthistoriker an der Universität Bonn) zeigt, wie sich verstärkt im Spätmittelalter ein Kunstverständnis entwickelte, das von den strengen Regeln des Anfangs um einiges abwich, wenn es um Altäre und Bilder, (skulpturelle) Ornamentik, Grabdenkmäler sowie Buntglasfenster ging. Trotzdem hielten die Zisterzienser hier weiterhin erhebliche Distanz zu den „liberaleren“ Benediktinern.
Angesichts der geradezu als Weltflucht wirkenden Existenz der Klöster fällt auf, dass das scheinbar gegensätzliche Verhältnis Kloster – Welt durch viele Verbindungen gegenseitiger Wahrnehmung und Kommunikation geprägt war. Darauf macht die britische Mittelalter-Forscherin Emilia Jamroziak (Universität Leeds) in ihrem Beitrag „Cistercensians and the world. Intercession, patrons and neihghbours“ aufmerksam.
Die Beiträge aus der aktuellen Forschung geben interessante Einblicke in die Marienstatter Tafeln als Schlüsselpunkt gotischer Klostermalerei, die Klausurarchitektur von Altenberg, die mittelalterliche Ausstattung der Abteikirche Kamp und die außerhalb liegenden Gutsbetriebe (Grangien) des Klosters Hardehausen.

III. Bilanz und Weiterführendes
Die Essays und die sorgfältig zusammengestellten Bildkommentare haben ausgewiesene Kenner des Mittelalters und besonders der europäischen Ordensgeschichte geschrieben. Sie wirken als Verstehens-Vertiefung der vielen, auch großformatigen Bilder in guter Druckqualität. Die Fotos  sind darum nicht bloße Illustrationen, sie machen in des Wortes originaler Bedeutung die Korrelation von Kunst, Architektur und Klostergestaltung im Horizont des mönchischen Lebens sichtbar. Die Leser/innen und Betrachter/innen der Bilder erfahren so eine Erweiterung des eigenen Verständnisses über eine Zeit erheblicher gesellschaftlicher Umbrüche, wirtschaftlicher Veränderungen und notwendiger kirchlicher Reformen. Interessierte und Fachleute werden auch nach dem Ausstellungsende gern auf diesen Band zurückgreifen, um sich bestimmte Aspekte und gesellschaftliche Folgewirkungen der Zisterziensergeschichte zu vergegenwärtigen.
Mehr zur Geschichte der Zisterzienser mit den Schwerpunkten:

Reinhard Kirste

Rz-Zisterzienser-Ausstellung, 31.07.2017

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