Samstag, 9. Februar 2019

Al-Qaida und der islamistische Terrorismus --- Hintergründe --- Entwicklungen (aktualisiert)


Behnam T. Said: Geschichte al-Qaidas.
Bin Laden, der 11. September
und die tausend Fronten des Terrors heute

München: C.H. Beck 2018, 240 S.,
Zeittafel, Videobotschaften, 
Register der Personen
und islamischen Organisationen
--- ISBN 978-3-406-72585-2 ---
English summary at the end of the review

Wer sich ein einigermaßen genaues Bild über die vielfältige Vernetzung der Terror-Organisationen verschaffen will, die „im Namen des Islam“ agieren, dürfte es nicht leicht haben. Zeitungsartikel, aber auch Internet-Beiträge sind meist zu sehr tagespolitisch orientiert. Außerdem verschwinden die Anfänge des islamistischen Terrors im Dunkel unterschiedlicher Interpretationen. 
Der Islamwissenschaftler Behnam Timo Said (geb. 1982) unternimmt es nun, strukturierendes Licht in die Zusammenhänge von al-Qaida und den sich selbständig machenden und konkurrierenden Ablegern zu bringen. 
Nicht nur seine Ausbildung, sondern auch seine Praxis in der Justizbehörde Hamburg zur Extremismusprävention und Resozialisierung bieten dem Autor eine solide Basis an Hintergrundinformationen und aktuellen Entwicklungen. 
Mit dem Bestseller Islamischer Staat hatte er schon 2014 die Thematik unter dem Fokus des sog. Islamischen Staats aufgearbeitet. 
Details mit Rezensionsnotizen: https://www.perlentaucher.de/buch/behnam-t-said/islamischer-staat.html


Ehe Said die Geschichte mehrerer islamistischer Führer aus dem arabischen Raum und Südasien nachzeichnet, verweist er in der Einleitung auf den „Nährboden“ für diese Entwicklungen. Es sind zwei Schüsselerkenntnisse:
1.  „Die militärische, technische und wirtschaftliche Überlegenheit des Westens und die Zwänge unter der Kolonialherrschaft führten zu neuen politischen und gesellschaftlichen Ideen wie der Rückbesinnung auf die religiösen Fundamente, der Reformierung des Kalifats, der Wiederentdeckung des arabischen Kulturerbes. All dies formte einen arabischen Nationalismus, der keinerlei Fremdherrschaft – ob durch Osmanen oder Europäer – mehr dulden wollte“ (S. 11).
2.  „Der Wunsch nach einem islamischen Staat, einer islamischen Gesellschaft oder der Wiedererrichtung des Kalifats ist bis heute die einigende Klammer aller Islamisten, ob sie sich friedlich betätigen oder Gewalt ausüben“ (S. 13). Ein sunnitisch und anti-schiitisch orientierter Islam wird faktisch auf der Basis der Ideologie von Sayyid und Muhammad Qutb propagiert (z.B. S. Qutb: „Zeichen auf dem Weg“ [1989], arabisches Original: 1964). Vielleicht könnte man sogar den ägyptischen Rechtsgelehrten und Fernsehprediger Yusuf al-Qaradawi (geb. 1926) als indirekten Ideengeber dazurechnen (vgl. z.B. Islamic Awakening between Rejection and Extremism [1991], arabisches Original 1984).
Allen Islamisten ist gemeinsam, dass sie die eigenen (Glaubens-)Interessen als Absolutheitsanspruch politisch und teilweise gewaltsam umsetzen wollen (vgl. dazu Osama bin Ladens religiöse Prägung, S. 32-33).
Von diesen Basiserkenntnissen her stellt der Autor den Ägypter Aiman al-Zawahiri (geb. 1951) vor, der zum Aufbau und der Koordination djihadistischer Terror-Zellen in Ägypten einen wesentlichen Beitrag leistete. An der Ermordung Anwar as-Sadats 1981 war er vermutlich nicht beteiligt, wurde aber verhaftet und gefoltert.
Nach seiner Entlassung verließ er Ägypten für immer und hielt sich in Saudi-Arabien und Pakistan auf. Der endgültige Abzug der Sowjetunion wurde von den Mudjaheddin als Sieg gedeutet und führte nach 1988 zur „Organisation der Basis des Djihad“ (kurz = al Qaida) sowie zur Ausweitung der Terroraktivitäten und der zuerst von Pakistan aus agierenden Taliban. Durch die vertiefte finanzielle und logistische Zusammenarbeit mit dem aus einer reichen Unternehmerfamilie stammenden Osama bin Laden (1957/59–11.05.2011) entwickelte sich diese Form des Djihad in Afghanistan zur Brutstätte eines sich international ausbreitenden islamistischen Terrorismus. Er richtet sich mit brutaler Gewalt gegen alles, was als „westlich“ angesehen wird. Erst langsam stieg Osama bin Laden dabei zur Schlüsselfigur auf. Höhepunkte wurden in diesem „War of Terror“ Anschläge spektakulärer Art, deren furchtbarster sich am 11. September 2001 in New York ereignete.
In dieser Entwicklungsgeschichte islamistischen Terrors beschreibt Said, dass nicht eine hierarchische Struktur, das internationale Terrornetz zusammenhielt, sondern Osama bin Laden als faktisch koordinierende Identifikationsfigur wirkte. Dies galt eine längere Zeit auch für die regionalen Ableger, die im Mittleren Osten entstanden, um dort insbesondere die USA bzw. den Westen zu bekämpfen. In diesem gewaltsamen antiwestlichen Islamismus ragten einige weitere Führerpersönlichkeiten wie z.B. der jordanische Djihadist al-Zarqawi (1966–2006) gefährlich hervor.
Angesichts des durchaus verschlungenen Lebensweges Osma bin Ladens sei hier herausgehoben, wie rasant sich Al-Qaida-Ableger in den meisten ehemaligen Kolonialländern Afrikas und Asiens ausbreiteten. Insbesondere der amerikanische Geheimdienst und das Militär der USA versuchten deshalb zusammen mit westlichen Verbündeten, diesem gefährlichen Treiben ein Ende zu machen. Sie setzten alles daran, Osama bin Laden zu fangen bzw. sogar umzubringen. Das führte schließlich zum Tod des islamistischen Heros durch eine Geheimdienstaktion der USA in Pakistan 2011. Allerdings war seit 2006 bereits Aiman az-Zawahiri (geb. 1951) zur rechten Hand Osama bin Ladens aufgestiegen und wurde faktisch der logistische Führer des al-Qaida-Netzwerks nach 2011.
Die politischen und militärischen Einflussnahmen des Westens – besonders der USA, im Mittleren Osten – der Syrienkrieg, die zunehmenden Spannungen zwischen Saudi-Arabien (sunnitisch) und dem Iran (schiitisch) heizten das Terrorklima auch in den maghrebinischen und ostafrikanischen Regionen und im Jemen weiter an.
In diesem Zusammenhang wird m.E. das 12. Kapitel des Buches besonders wichtig, weil hier der Aufstieg des sog. Islamischen Staats und die motivierende Kalifatsidee herausgearbeitet werden. Hier liegt auch einer der Gründe für eine Loslösung des Islamischen Staats von al-Qaida, verbunden mit einem verstärkten Einfluss auf gewaltbereite Islamisten in Europa.
Bilanz
Die Darstellung Behnam T. Saids gibt einen detaillierten Einblick in die Lebensgeschichten von Menschen, die ihre religiösen Überzeugungen und politischen Prägungen in terroristische Gewalt weiterhin umsetzen. Er macht deutlich, dass al-Qaida noch keineswegs am Ende ist, sondern „als Organisation, Netzwerk und Idee“ durchaus überlebt hat (S. 207). Die Fronten des Terrors werden sich zwar in Zukunft immer wieder verschieben. Auch Rivalitäten in den eigenen Reihen sind je nach politischer Situation ebenfalls zu erwarten. Die grundsätzliche Islamisierung des Westens steht jedoch immer noch als Vision im Horizont islamistischer Terrorideologie. Darauf wird sich die Politik der westlichen Staaten möglichst sachkundig und klug einstellen müssen. Dem Autor ist zu danken, dass er hier kompetent und gut lesbar „Verständnisschneisen“ gelegt hat, weil die Varianten islamistischer Gewaltideologie und militärischer Praxis schwer zu durchschauen sind.
English Summary
Behnam T. Said's portrayal provides a detailed insight into the life stories of people who continue to translate their religious beliefs and political imprints into terrorist violence. He makes clear that al-Qaeda is by no means at its end but has survived "as an organization, network and idea" (p. 207). The fronts of terror will shift in the future again and again. Also rivalries in the own ranks are to be expected depending on the political situation. However, the fundamental Islamization of the West still stands as a vision in the horizon of Islamist terror ideology. The policy of the Western states must be prepared in a qualified and knowledgeable manner. Thanks to the author for the fact that he has laid competent and well legible “aisles of understanding" here, because it is difficult to see through the variants of Islamist ideology of violence and military practice.


Vgl. Joseph Croitoru - 
Im Anschluss an "Die Deutschen und der Orient": hier
Der Märtyrer als Waffe. Die historischen Wurzeln des Selbstmordattentats
München: Hanser 2003, 304 S.


Der Märtyrer als Waffe
Reinhard Kirste
Rz-al-Qaida-B.T. Said, 05.10.18 

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