Aelred von Rievaulx: Über spirituelle
Freundschaft.
Hg.: Wolfgang Buchmüller OCist,
Übersetzung: Moses Hamm OCist.
St. Ottilien: EOS 2018, 197 S.,
Anhang mit Bibliografien und Personenregister
--- ISBN 978-3-8306-7876-2 ---
Hg.: Wolfgang Buchmüller OCist,
Übersetzung: Moses Hamm OCist.
St. Ottilien: EOS 2018, 197 S.,
Anhang mit Bibliografien und Personenregister
--- ISBN 978-3-8306-7876-2 ---
InterReligiöse Bibliothek (IRB):
Buch des Monats März 2019
Buch des Monats März 2019
- English summary at the end of the review
- Résumé français au bout du compte rendu
Einen mittelalterlichen Text zu vergegenwärtigen, bringt immer gewisse
Verständnisprobleme mit sich. Denn die Spiritualität „von damals“ lässt sich
nicht einfach „heutig“ verstehen. Dennoch gibt es anthropologische Grundmuster
des Lebens, die auch heute zum Nachdenken anregen. Das gilt auch beim Thema
„Freundschaft“. Nun spricht der Autor des vorliegenden Buches, der
Zisterzienserabt Aelred von Rievaulx (1110–1167), im Stile antik-mittelalterlicher
Dialoge von geistlicher Freundschaft (de
spirituali amicitia), die er in den Zusammenhang weltlicher Erfahrungen der
Zeit einbindet. Die leicht zu lesende Neuübersetzung des lateinischen Textes und
die Kommentare haben Mönche der Zisterzienserabtei Heiligenkreuz bei Wien
erarbeitet. Der Herausgeber, Wolfgang Buchmüller, ist übrigens seit kurzem
Rektor der zum Kloster gehörenden Theologisch-Philosophischen Hochschule.
Zum besseren Verständnis haben die Herausgeber in einer ausführlichen Einleitung (S. 11–26) neben
grundsätzlichen Fragen zu einem mittelalterlichen Lehrdialog auch ausführlich
die biografischen Linien und den theologisch-mystischen Horizont im Denken
Aelreds vorgelegt.
Biografische Linien (S. 26–59)
Aelred (1110–1167), Zeitgenosse des berühmten Erzbischofs Thomas Becket
(1118–1170), wurde als Sohn eines Priesters in einer politisch
unruhigen Zeit – auch kirchlicher Umbrüche – nahe der Grenze zu Schottland in
einer renommierten Familie geboren. Er war der Sohn eines Priesters. Das war zu
jener Zeit noch kirchenrechtlich möglich, stand aber bereits heftig zur
Debatte. Seine Erziehung erhielt er durch die Benediktiner in Durham. Vor
seiner Mönchszeit spielte er eine wichtige politische Rolle zwischen England
und Schottland und anstehenden Kirchenreformen. So war Aelred – lebensfroh,
aber auch von inneren Krisen bewegt – schon als junger Mann der höchste
Hofbeamte (Palastmarschall) und Finanzverwalter des schottischen Königs David
I. und unternahm für ihn auch diplomatische Aufträge.
Auf einer dieser Reisen zum Erzbischof von York
kam er in das
Zisterzienserkloster
Rievaulx (Yorkshire).
Auf einer dieser Reisen zum Erzbischof von York
kam er in das
Zisterzienserkloster
Rievaulx (Yorkshire).
Rievaulx Abbey (Wikipedia.en) |
Dort war er vom Leben der Mönche so
fasziniert, dass dies für ihn zu einem Lebensumschwung führte. Er wurde
mit 24 Jahren Novize, kümmerte sich aber sehr bald bereits um die gesamten
Finanzen des Klosters. Nach kurzer Zeit als Novizenmeister wurde er 1141 zum
Abt des neugegründeten Kloster Revesby gewählt und 1147 Abt des bedeutenden Mutterklosters,
der Abtei Rievaulx. Seine Wirkung auf das Klosterleben bereits in der ersten Entwicklungsphase
des Zisterziensererordens war beeindruckend, denn allein die Zahl der Mönche
nahm in dieser Zeit beträchtlich zu. Mehr noch: von 1128 (Gründung der Waverley
Abbey) bis 1153 wurden auf den britischen Inseln 58 Abteien
gegründet, deren Zahl auch nach dem Tod Aelreds weiter wuchs. Aber Aelred wurde
nicht nur Organisator und Ökonom im Mönchsgewand der Bescheidenheit, sondern
ein meisterhafter Prediger und theologischer Schriftsteller.
Davon zeugen in besonderer Weise neben den etwa 200 erhaltenen Predigten u.a.
das speculum caritatis (= Spiegel der Liebe, nach 1141) und das „Alterswerk“ de spirituali amicitia (= Über spirituelle Freundschaft, 1164 und später. vgl. die Auflistung seiner Werke im Literaturverzeichnis S. 181f).
Davon zeugen in besonderer Weise neben den etwa 200 erhaltenen Predigten u.a.
das speculum caritatis (= Spiegel der Liebe, nach 1141) und das „Alterswerk“ de spirituali amicitia (= Über spirituelle Freundschaft, 1164 und später. vgl. die Auflistung seiner Werke im Literaturverzeichnis S. 181f).
Aelred war so berühmt, dass er schon 1191 heiliggesprochen wurde. Für das
Verstehen der monastischen Mystik haben seine Werke eine wichtige
Schlüsselfunktion. Denn an ihm werden die Zusammenhänge zisterziensischer
Spiritualität mit dem Neuplatonismus, der klassisch griechisch-römischen
Bildung und der mystischer Gottesnähe besonders deutlich.
Die Herausgeber bringen dies im Blick auf die von Aelred offiziell
erarbeitete Vita auf den interkulturellen Punkt: „Aelreds Aufgabe bestand
darin, die Errungenschaften der Renaissance der Lateinischen Literatur in einen
christlichen Kontext zu integrieren und in Auseinandersetzung mit der
meisterlich gehandhabten Methodik der Allegorese das Leben der heiliggesprochenen
angelsächsischen Herrscherpersönlichkeit Edwards I. aus der Perspektive der
Bibel als ein zeitloses Vorbild herauszustellen. Dementsprechend ist König
Edward kein neuer Platon, sondern ein neuer Salomon …“ (S. 34).
In den philosophisch-theologischen Zugängen
zum Text werden diese anthropologischen Hintergründe im Blick auf die
Freundschaft mit Gott (S. 82) – auch in der Spannung zu Augustin – weiter
erläutert. Schließlich wird an die beachtlichen Nachwirkungen seiner Werke und an
die Vielfalt von Aelred-Editionen erinnert (S. 59–85). Nach diesem
orientierenden „Vorlauf“ folgt die Übersetzung des lateinischen Textes ins
Deutsche.
Der Inhalt der Dialoge
mit mehreren Gesprächspartnern (S. 87–178):
1. Der Zusammenhang von Freundschaft
und Liebe:
Im Gespräch zwischen Aelred und seinem Freund Ivo von Wardon wirkt die
Aussage Ciceros als kontinuierlches Leitmotiv: „Freundschaft ist die mit Wohlwollen und Liebe gepaarte Übereinstimmung
in menschlichen und göttlichen Dingen“ (S. 94). So gehört neben der
Verschwiegenheit und der Empathie auch dazu, die Fehler des Freundes sorgsam zu
bessern. Anders dagegen ist die weltlich gesinnte und durch Gier geprägte
Freundschaft, bei der es höchstens zu einer „Win-Win-Situation“ kommen kann.
Aber Aelred geht noch weiter: Das Gesetz der Liebe darf nicht auf die uns
sympathischen Menschen beschränkt bleiben, sondern nötigt dazu, auch die Feinde
durch Liebe zu Freunden zu machen.
2. Die Wirkungen der Freundschaft:
Freundschaft – im Rahmen der Dreiteilung fleischlich, weltlich, spirituell
– bedenken Aelred, der Ältere und Walter (= Daniel Walter, der Biograf Aelreds)
und der Mönch Gratian, die beiden jüngeren Klosterbrüder, unter verschiedenen
Aspekten. Schon die weltliche Freundschaft in Richtung auf die spirituelle
Ebene zeichnet sich besonders dadurch aus, dass sie völliges Vertrauen
ermöglicht. Dann kann man sogar eigene – auch gravierende Fehler und Schwächen
dem Freund offenlegen, ohne von ihm Überheblichkeit oder Missachtung fürchten
zu müssen. Kritik und Lob des Freundes sind deshalb von Herzen und ohne
Hintergedanken. Aber es gehört zur Liebe auch die Sorge um den anderen.
Sie ist zugleich verbunden mit Arbeit für den anderen. Wenn das der Apostel
Paulus nicht getan hätte, wäre für ihn wohl manches leichter gewesen (S. 124f).
Die wahre Freundschaft ist eine Herzenszuneigung – auch mehr als eine
Jugendfreundschaft, in die sich viele – nicht selten Gefühle des Sturm und
Drang mischen.
Man kann hier durchaus an Schillers Gedicht „Die Freundschaft“ denken …
>>> Das gesamte Gedicht: hier (Friedrich Schiller-Archiv Marbach)
Man kann hier durchaus an Schillers Gedicht „Die Freundschaft“ denken …
>>> Das gesamte Gedicht: hier (Friedrich Schiller-Archiv Marbach)
Wichtig ist für Aelred, dass dieses anthropologische Muster der
Freundschaft auf Gott übertragen wird. Hier wird auch die biblische Basis für sein
Denken deutlich. Denn neben der beispielhaften Freundschaft von David und
Jonathan
(1. Samuel 28 bis 2. Könige 1) steht die Äußerung Jesu im Mittelpunkt: Johannes 15,13–15: Jesus bezeichnet seine Jünger als Freunde. Und die Liebe zeigt sich dort am größten, wo man sogar sein Leben für die Freunde hingibt. Nur seine Seele, d.h. seinen innersten Wesenskern darf man nicht für die Freundschaft opfern.
(1. Samuel 28 bis 2. Könige 1) steht die Äußerung Jesu im Mittelpunkt: Johannes 15,13–15: Jesus bezeichnet seine Jünger als Freunde. Und die Liebe zeigt sich dort am größten, wo man sogar sein Leben für die Freunde hingibt. Nur seine Seele, d.h. seinen innersten Wesenskern darf man nicht für die Freundschaft opfern.
3. Auf dem Weg zur vollkommenen Freundschaft:
Die drei Mönchsfreunde des 2. Abschnitts
machen sich hier klar, dass Freundschaft keine zeitlich begrenzte
Lebensphase sein kann, und zwar allein schon deshalb, weil die Basis der
Freundschaft die Liebe ist, und zwar eine von Gott geprägte und sich an Gott
orientierende Liebe. Wie verschieden auch Freunde als Personen sein mögen, es
verbindet sie etwas Gemeinsames: den Mut, nach reiflicher Prüfung ganz bewusst
auf den Anderen sich einzulassen. Das ist der Weg zur vollkommenen
Freundschaft, die Aelred in vier Schritten beschreibt:
- Mit wankelmütigen, unberechenbaren, oberflächlichen und aufbrausenden
Menschen lassen sich keine wahren Freundschaften schließen, denn dazu sind
Liebe, Verlässlichkeit und Vertrautheit nötig.
- Freundschaft wird also dadurch erprobt, dass die gemeinsame Suche nach
dem Guten im Horizont Gottes geschieht, d.h. dass man sich zugleich
verantwortlich vor Gott sieht. Diese vier Eigenschaften treten dabei besonders hervor: „Wertschätzung und
Zuneigung, Verlässlichkeit und Liebenswürdigkeit“ (S. 146).
- So zeigt sich beim Wachsen einer Freundschaft eine grundsätzliche
Akzeptanz, eine Wahr-Nehmung des anderen,
die aber nichts mit blinder Liebe zu tun hat. - Schließlich kommt es beim Wachsen einer Freundschaft zu einer völligen
Gemeinsamkeit und innerer Übereinstimmung im Blick auf die Welt und im Blick
auf Gott. Diese Haltung äußert sich in
einer generell wohlwollenden Sichtweise.
Wie dieser Weg zur vollkommenen Freundschaft aussehen kann, beschreibt
Aelred auch an Beispielen aus seinem Leben, so dass seine grundsätzlichen –
immer wieder an Cicero und Seneca orientierten und geschulten – Äußerungen
deutlich machen, dass „spirituelle Freundschaft“ nur in ganz konkreten Lebensbezügen
wahrhaftig und authentisch zum Ausdruck kommt, nämlich:
- füreinander da zu sein „ohne Wenn und Aber“,
- zu einer gemeinsamen Meinung zu finden
- im Gebet füreinander sich auf das Wahrwerden der Hoffnung einzulassen, dass Gott alles in allem ist.
Resümee: Spirituelle Freundschaft – Einübung
in wahre Mitmenschlichkeit
Aelreds
Gespräche über die spirituelle Freundschaft sind mehr als allgemein religiöse oder
zeitbedingte Überlegungen. Das hängt damit zusammen, dass der philosophisch
gebildete Mönch die antiken Grundverständnisse besonders von Plato, Aristoteles,
Cicero und Seneca positiv aufnimmt. Die wahre Freundschaft geht über
Sachinteressen und gemeinsame Vergnügungen weit hinaus. Sie ist gegenseitige
Lebensbegleitung auf der Basis einer höheren Ethik der Mitmenschlichkeit. Aelred
gelingt es, dieses vertiefte Verständnis von Freundschaft im Sinne eines
christlichen Humanismus zu erweitern. Das heißt, dass die Kraft der göttlichen
Liebe wahre Menschlichkeit erzeugt und so Egoismen und Mängel in den
Freundschaften reinigen kann. So führt die Freundschaft als tragende
Kraft menschlicher Beziehung hin zu Gott, so wie dies Jesus mit seinen
Freunden, den Jüngern, vorgelebt hat. Aelred – in der mittelalterlichen
mystischen Tradition spiritueller Freundschaft stehend – hat besonders deutlich
gezeigt, wie Freunde zu „Gottesfreunden“ werden können. Eine solche
Freundschaft im Horizont Gottes ist ein Geschenk für das Leben. Diese Gedanken
sind gerade in einer Zeit wachsender Eigeninteressen und der Jagd nach Erfolgen
besonders wichtig. Von daher kann dieser mittelalterliche Text „de spirituali amicitia“ durchaus als
sinnvolles Vademecum für die heutige Einübung in wahre Menschlichkeit dienen.
English
Summary: Spiritual friendship – practice into true compassion
Aelred's conversations about spiritual friendship are
more than general religious considerations or conditioned by the time. This is
due to the fact that the philosophically educated monk absorbs the ancient
basic understandings in a positive manner, especially from Plato, Aristotle,
Cicero and Seneca. True friendship goes far beyond interests and common
pleasures. It is a mutual life support based on a higher ethic of humanity.
Aelred succeeds in broadening this deeper understanding of friendship in the
sense of a Christian humanism. This means that the power of divine love can
create true humanity and thus cleanse egoisms and deficiencies in friendships.
Thus, friendship, as a sustaining power of human relationship, leads to God,
just as Jesus lived with his friends, the disciples. Aelred – standing in the
medieval mystical tradition of spiritual friendship – has shown especially
clearly how friends can become "friends of God". Such a friendship in
the horizon of God is a gift for life. These thoughts are especially important
in a time of growing self-interest and hunts for success. Therefore, this
medieval text "de spirituali
amicitia" can certainly serve as a useful vademecum for today's
practice in true humanity.
Résumé français: Amitié spirituelle – entrâinement
dans la vraie compassion
Les conversations d'Aelred sur
l'amitié spirituelle sont plus que des considérations communement religieuses ou
condtionnées par le temps. Cela est dû au fait que le moine éduqué
philosophiquement absorbe l’intelligence antique principale d’une manière
positive, en particulier de la part de Platon, Aristote, Cicéron et Sénèque. La véritable amitié va bien au-delà des intérêts et des
plaisirs communs. C'est un convoyage mutuel d’une vie basé sur une éthique
supérieure d'humanité. Aelred réussit à élargir cette compréhension plus
profonde de l'amitié dans le sens d'un humanisme chrétien. Cela signifie que le pouvoir de
l'amour divin peut créer une véritable humanité et ainsi purifier les égoïsmes
et les défaillances de l’amitié. Ainsi, l’amitié comme puissance persévérante des
relations humaines, mène à Dieu, c’est à dire comme Jésus a vécu avec ses amis,
les disciples. Aelred – dans la tradition mystique médiévale de l'amitié
spirituelle – a clairement montré comment des amis peuvent devenir des
"amis de Dieu". Une telle amitié à l'horizon de Dieu
est un cadeau pour la vie. Ces réflexions sont particulièrement importantes pour une
époque des intérêts personnels croissants et de la chasse vers le succès. Par
conséquent, ce texte médiéval "de
spirituali amicitia" peut certainement servir de vademecum utile pour
la pratique actuelle d’une véritable humanité.
Vgl. auch
Vgl. auch
- Aelred de Rievaulx: La Miroir de la Charité (= Der Spiegel der Liebe)
Vie Monastique, no. 29. Bégrolles-en-Mauges (Maine & Loire):
Abbaye de Bellefontaine 1992, 289 pp. --- Neuauflage - Paris: Cerf 2010, 289 pp. - Erik Schilling: Formen von Freundschaft am Beispiel von Höderlins Ode "An Eduard"
In: Andree Michaelis-König und Erik Schilling (Hg.):
Poetik und Praxis der Freundschaft (1800–1933).Heidelberg: Winter 2019, 37–48
Reinhard Kirste
Rz-Aelred-Freundschaft, 28.02.2019, aktualisiert: 16.02.2020
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